Autor: stefanmesch

Writer. Book Critic. Journalist.

Schreibszene Frankfurt: Institutsprosa – ästhetische und literatursoziologische Perspektiven auf Schreibschulen im deutschsprachigen Raum (Konferenz, Februar 2018)

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Ich bin Diplomschriftsteller:

von 2003 bis 2008 studierte ich Kreatives Schreiben & Kulturjournalismus an der „Schreibschule“ Hildesheim.

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Das Forschungskolleg „Schreibschule Frankfurt“ forscht seit 2016 zu Poetik, Publizistik und Performanz von Gegenwartsliteratur.

Am 1. und 2. Februar 2018 richtete das Kolleg eine Postgraduiertenkonferenz aus: Vorträge, drei kurze Diskussions-Panels… und eine Lesung, bei der ich zusammen mit den Autorinnen Martina Hefter und Kerstin Preiwuß las und über unsere Schreibschul-Zeit sprach, moderiert von Herausgeber (und Hildesheimfreund) Jan Fischer.

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2006 war ich das erste Mal auf einer Postgradiertenkonferenz:

Ich sprach an der Cornell University über die Poetik von Max Goldt.

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Die Schreibszene Frankfurt ist mir wichtig, weil dort Freund*innen, Expert*innen und Stimmen, die ich online und in Feuilletons ernst nehme, ohne Polemik und auf hohem Niveau über Fragen sprechen, die mich seit 2003 beschäftigen. 2016 fuhr ich privat zur Eröffnungsveranstaltung der Schreibszene in Frankfurt. 2018 eingeladen zu werden, um dort am 2. Februar, zum Abschluss der Konferenz, zu lesen, freute mich.

Ich kam schon am Vortag – hörte bei der Konferenz zu, schrieb ein wenig mit, twitterte zum Hashtag Institutsprosa, machte Fotos.

Hin und wieder werde ich eingeladen/engagiert, um auf Tagungen, Festivals, Literaturveranstaltungen einen Liveblog zu fühen, z.B.

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Zur „Institutsprosa“-Konferenz führte ich keinen Liveblog: Während neun 30-Minuten-Vorträgen und drei kurzen Panel-Diskussionen tippte ich Stichpunkte, interessante Formulierungen, Kernthesen und schnelle Ideen mit. Schnelle Notate. Bruchstücke – die ich heute hier im Blog kurz teile.

Ich empfehle, den Band zur Tagung abzuwarten und die Texte/Vorträge bald komplett zu lesen.

Doch bis dahin: kurze Stichpunkte – auch als Einladung, die elf Vortragenden als Expert*innen für z.B. Artikel anzufragen.

Es gab *keinen* dümmlichen, polemischen, halb-durchdachten Vortrag. Ich nahm viel mit!

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Die Ausschreibung für die Vorträge – von mir etwas gekürzt/vereinfacht:

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Call for Papers

Im Begriff ‚Institutsprosa‘ schwingen Vorurteile, Vorbehalte gegen Literatur, die an sogenannten ‚Schreibschulen‘ entstand:

Es fehle den Texten an Welthaltigkeit und Erfahrungsreichtum, an Genie und Esprit – und überhaupt sei Schreiben an einer Universität gar nicht lehrbar.

Ausbildungspraktiken, Funktion und Selbstverständnis deutschsprachiger Literaturinstitute wurden in den letzten Jahren in Feuilleton und Betrieb immer wieder diskutiert worden – und zwar meist unter negativen Vorzeichen.

Am medienwirksamsten entfaltete sich 2014 die sogenannte Kessler-Debatte, welche im Feuilleton allzu vorschnell auf den Vorwurf verkürzt wurde, die deutsche Gegenwartsliteratur sei „brav und konformistisch“.

Ähnliche Diskussionen kennzeichneten auch die Geschichte der US-amerikanischen Creative Writing Programs.

Während in den USA die institutionalisierte Ausbildung von SchriftstellerInnen nach 1945 zu einem beherrschenden Faktor der Produktion von Literatur wurde, erlangten Schreibschulen im deutschsprachigen Raum erst in den letzten 20 Jahren Bedeutung:

1995 wurde das Deutsche Literaturinstitut Leipzig (in Nachfolge des Johannes R. Becher-Instituts der DDR) gegründet, 1999 folgte die Einrichtung des Studiengangs „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ in Hildesheim, 2006 kam das Schweizerische Literaturinstitut in Biel hinzu.

Die Schreibschulen in Hildesheim und Leipzig bekommen jährlich etwa 600 Bewerbungen; an der Kunsthochschule für Medien in Köln wird gerade ein neuer Studiengang für kreatives Schreiben eingerichtet. ‚Institutsprosa‘ ist längst integraler Bestandteil der Gegenwartsliteratur.

Die kreativen Studiengänge bereiten nicht ausschließlich auf eine Karriere als SchriftstellerIn vor, sondern ermöglichen durch ihre Kombination mit Journalismus, Übersetzung oder Kulturwissenschaft auch alternative Karrierewege im Umfeld der Literatur. Eine ganze Reihe von AbsolventInnen besetzen mittlerweile Schlüsselpositionen in Verlagen, Redaktionen und der Wissenschaft.

2009 betonte Mark McGurl mit seiner Studie „The Program Era“ erstmals den maßgeblichen Einfluss akademischer Creative Writing Programs auf die US-Nachkriegsliteratur.

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Schreibschulen im Literaturbetrieb

Wie wirkt der Literaturbetrieb – in Form von Nachwuchspreisen, Dozierenden aus der Praxis, kulturjournalistischen Seminaren und Agenturen – auf die Karrierewege der SchreibschülerInnen aus? Welchen Einfluss hat die Schreibschule – in Form von studentischen Projekten wie Literaturzeitschriften („BELLA triste“), Literaturfestivals („Prosanova“) und Anthologien („Tippgemeinschaft“) auf den literarischen Betrieb? Wie positionieren sich AbsolventInnen im literarischen Feld? Welche Karrierewege schlagen sie ein?

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Ästhetik und Poetik der ‚Institutsprosa‘

Welche Schreibverfahren werden in Schreibschulen gelehrt? Welches Literaturverständnis wird in den Studiengängen vermittelt? Gibt es tatsächlich eine ‚Institutsprosa‘? Wenn ja, wodurch zeichnet sie sich aus? Welche Rolle spielen Lyrik und Drama?

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Praxisformen und implizites Wissen

Welche Lehrformate und Arbeitsformen kommen in den Studiengängen zur Anwendung? Wie wird konkret an Texten gearbeitet? In welchem Verhältnis stehen Kreativität, Handwerk und Erfahrung? Auf welche Weise schließlich bereiten die Studiengänge auf die Selbstvermarktung im aufmerksamkeitsökonomisch strukturierten Betrieb vor und welche Subjektformen werden ausgebildet? Welche Rolle spielen dabei genderspezifische Verhaltensweisen und Vermarktungsstrategien?

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Kreatives Schreiben in der Gegenwartsgesellschaft

Mit welchen Hoffnungen auf Selbsterfahrung bis Selbsttherapie wird die Ermächtigung zur literarischen Produktion aufgeladen? Während der Professionalisierung, Kommerzialisierung und Institutionalisierung des Schriftstellerberufs gleichzeitig Skepsis und Abwertung entgegen schlägt?

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Konzept und Organisation: Kevin Kempke, Lena Vöcklinghaus, Miriam Zeh

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01 | Claudia Dürr (Wien): Mythos Schreibschule. Der Blick des Feuilletons.

  • Seit 1992 gibt es eine „Schule für Dichtung“ in Wien: Workshops von prominenten Lehrenden.
  • Seitdem: ca. 160 Beiträge in großen Zeitungen über Schreibschulen
  • 75 Berichte über Leipzig, Hildesheim, Biel, Wien
  • bis 2013 fragten Artikel vor allem und zuerst: Wie kann man Schreiben lernen?
  • „Der Geniegedanke ist obsolet. Man wird nicht als Schriftsteller*in geboren“, sagen fast alle Artikel.
  • Aber: Es wird der Eindruck erweckt, als gäbe es jene, die eben Schreiben können. Und jene, die es erst an einem Schreibinstitut lernen.
  • In den Artikeln liegt der Fokus auf der Beschreibung von Textwerkstatt-Seminaren: Der Professor ist dort eine Stimme unter anderen; keine große Lehrer-Student-Hierarchie
  • Was lernt man im Werkstattseminar? Schreiben lernen durch genaues Lesen-Lernen.
  • In Hildesheim bekräftigt den Sinn/Wert von Notaten fürs Schreiben–Lernen.
  • Kommerzielle Angebote, z.B. die Bestseller-Schule von Bastei-Lübbe, versprechen oft Schnittmuster, Rezepte, konkrete Regeln: „Es klingt einfach. Wie Tipps eines Anlageberaters.“
  • Hajo Steinert klagte 1998: „Die Unberechenbarkeit der jungen deutschen Literatur ist in Gefahr.“
  • Der Vorwurf an Institutsprosa: gut gemacht, aber nicht interessant. Risikolos. Handwerklich abgesichert.
  • Handwerk = Mittelmaß?
  • Vereinheitlichung vs. Individualität und Originalität.
  • Ein weiterer (oft pauschaler) Vorwurf: die mangelnde Erfahrung der Autoren. Sie seien zu jung, erzählen Triviales.
  • „Die Ausbildung erspart Zeit und Umwege“ vs. „Erfahrung lässt sich nicht beschleunigen.“
  • Die immer selben prominenten Absolventen werden genannt.
  • „mangelnde ästhetische Eigenständigkeit“, „Eintönigkeit der Absolventen.“
  • bürgerliche Herkunft = brave Literatur? Nach Florian Kesslers Polemik von 2014 wird der These oft widersprochen.
  • Kessler-These: „Die Institution fungiert als Bestätigung des bürgerlichen Habitus’“
  • das Feuilleton wünscht sich erfahrungsgesättigte,lebenspralle Texte.
  • bitte Pointe: In der Sexismus-Debatte 2017 kommen diese Texte endlich. Als Blog-Texte von Betroffenen.
  • Feuilleton-Texte über Schreibschulen heute? Die Frage nach der Lehrbarkeit hat an Brisanz verloren.
  • Etiketten wie „Insitutsprosa“ sind unscharf geworden.

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02 | Johannes Franzen (Bonn): MFA vs. NYC. Vergleichende literatursoziologische Überlegungen zu einer Debatte in den USA

  • Franzens Grundlage ist Chad Harbachs Polemik „MFA vs. NYC“, erschienen in n+1, 2010
  • …und der gleichnamige Essay-Sammelband von 2014
  • Debatten in Deutschland: Kontroversen vor allem auf der Ebene der Poetologie. Sind Schreibschulen nicht doch vielleicht eine große Gefahr für die Literatur?
  • Debatte in den USA? Welche Rolle hat die Omnipräsenz von MFA-Programmen auch als Versorgungspotenzial von Autor*innen?
  • 2009 erschien McGurls „The Program Era: Postwar Fiction and the Rise of Creative Writing“
  • Auf der Website des Iowa Writer’s Workshop: „Writing of Fiction can’t be taught – but the writers can be encouraged.“
  • Alexander Chee, polemisch über die Frage, warum ihn Iowa nicht reizt: „I refuse to spend two years being shaped into Raymond Carver.“
  • Schreibschulen als Versorgungsinfrastruktur: Akademisierung der Schriftsteller*innenkarrieren.
  • Autor*innen schreiben Romane, um sich akademische Aufmerksamkeit zu verschaffen und sich als Dozierende in Creative-Writing-Programmen zu qualifizieren. Das Debüt als Qualifikationsschrift (ähnlich wie die Doktorarbeit als akademische Qualifikationsschrift).
  • Kurzgeschichten als Selbstpräsentation & CV-Pflege, vergleichbar mit Seminararbeiten.
  • Junot Diaz über die MFA-Workshops: „That shit was too white“. Essay „MFA vs. POC“, im New Yorker.
  • Die NYC-Publishing-Welt/Blase als Gegenwelt zur MFA-Blase? Im NYC-Kosmos zählen Lesbarkeit, Verständlichkeit, Spannung, Geschlossenheit.
  • Harbach verachtet das System NYC.
  • Literatur, in MFA-Programmen zu Tode geworkshopt: „platt und brav“, „übertriebene Professionalisierung“ wird auch in Deutschland jedes Jahr im Feuilleton gerufen, nach dem Open Mike.
  • Gibt es ein deutsches/europäisches Misstrauen gegen die Schreibschule, das verhindern wird, dass man dem amerikanischen Modell folgt?
  • Wurden die US-MFA-Programme vom CIA gesponsert?

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03 | Kevin Kempke (Frankfurt/Main): Get a Life! – Zur Biographie als Ressource literarischer Produktivität

  • Braucht gute Literatur Erfahrung?
  • Oder ist die Frage eine Form von Antiakademismus? Ressentiments gegen die vermeintliche Lebensferne der Uni?
  • „Literatur wird immer mehr zur Literatur-Literatur und hat immer weniger mit dem anderen zu un: der Wirklichkeit, wenn man das so nennen will“, klagte Wolfgang Hilbig
  • Literaturwissenschaftler Walter Hinck pflegt solche Ressentiments seit den 70ern
  • Warum Schreiben? Wegen einem inneren Schreibwunsch/-zwang? Begabung? Und wegen der „Biographie als entscheidende Ressource literarischer Imagination und Produktivität“ …benennt Hans-Ulrich Treichel in „Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller?“ drei entscheidende Faktoren (Essay-Sammlung, Suhrkamp 2004).
  • Wenn das Leben als Ressource der Autorschaft verstanden wird: Was heißt das für die Literatur?
  • Eher unproduktive Feuilleton-Vorwürfe: „Was hast du überhaupt schon erlebt?“
  • Biografistische Rezeptionsweise von Literatur: Die Denkfigur, Literatur aus dem Leben abzuleiten.
  • Nietzsche geißelt die „angeborene Grauhaarigkeit“ seiner akademischen Generation: anti-institutioneller Angriff auf die „Bildungsphilister“.
  • „Leben“ als Chiffre für Intensität.
  • Das Produktionsmodell, aus Erfahrungen Literatur zu machen.
  • Die Autorenbiografie ist eine symbolische Ressource, mit der es zu haushalten gilt.
  • In Autorenfiguren verdichten sich Selbst- und Fremdzuschreibungen zu einem Image.
  • Biografie als „wahrnehmbarer Hintergrund der literarischen Werke“, unverzichtbarer Teil der Autorenrolle.
  • Authentizitätsfiktionen: eine erfolgreiche Autorlegende
  • „Reality Hunger“ (David Shields, 2010): Spannungen zwischen Biografie vs. Biografische Legende vs. Werk
  • Der Lebensführung kommt eine Beglaubigungsfunktion zu.
  • „Tim O’Brien and his lifelong use of nine months in Vietnam“ (Mark McGurl)
  • Antibürgerliche Lebensführung als ideal. Aus der Not, prekär zu leben, wurde so eine Qualität.
  • Aber was, wenn Autor*innen Erfolg haben und abgesichert sind? „Die Literatur wird durch den Literaturbetrieb verdorben: Was mich nährt, zerstört mich.“
  • Biografie als Authentizitätsmarker, für symbolisches Kapital
  • Singularisierungsstrategie auf dem Markt: ungewöhnliche Biografie.
  • Sehnsucht nach anderen Stimmen, die aber nicht ZU anders sein dürfen. Verkappter Exotismus.
  • Satire in Leif Randts „Schimmernder Dunst über CobyCounty“: ein Literaturbetrieb, der Lebensarmut verwaltet.
  • „Ein Leben ist erst dann ein gutes Leben, wenn es erzählbar ist. Und auch das Leben eines angehenden Schriftstellers muss erzählbar sein.“

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04 | Katja Stopka (Leipzig): Zwischen Staatsauftrag und ästhetischem Eigensinn. Zur Geschichte einer Schreibschule in der DDR

  • im 18. Jh: „Ein Genie wurde geboren, nicht etwa erzogen – sondern verfügt über die ursprüngliche schöpferische Kraft der Schriftstellerei.“
  • bürgerliche Vorstellungen: Genialität, Individualität, Elitarismus
  • im DDR-Schreibinstitut Johannes R. Becher: Schriftsteller*innen sollten für und über Sozialismus schreiben, es gibt großzügige Stipendien.
  • Eine Kaderschmieder für Auftragsschriftsteller?
  • Eine technische Hochschule, mit volkspädagogischem Auftrag: „Schriftsteller als Ingenieure der menschlichen Seele“ (Stalin)
  • Kunst soll Menschen bilden und ändern.
  • Das Insitut: 1995; 1993 abgewickelt, „Teil des erziehungsdiktatorischen Systems der DDR“. 1995 Neugründung des DLL in der selben Villa.
  • 990 Studierende mit Abschluss.
  • 98 Personen drohte die Zwangsexmatrikulation, 28 wurden tatsächlich zwangsexmatrikuliert.
  • drei Studienrichtungen: dreijähriges Direktstudium, dreijähriger Fernstudiengang, einjähriger Sonderstudiengang für etablierte Autor*innen (um das Prestige des Insituts zu mehren).
  • Viele Absolvent*innen wurden „Gebrauchsdichter“ für propagandistische Zwecke, die sich keinen eigenständigen Namen machten.
  • Eigenständige Bewerbung war in den Anfangsjahren schwierig.
  • Pflicht: mehrwöchige Praktika in der Produktion.
  • Häufigste Vorwürfe: Bildungsstätte für Renintente und Eigenbrötler? Oder nur für Mittelmäßige?
  • Gehört das Aufbegehren zur Begabung?
  • Stopka schrieb ein ganzes Buch über das Insitut, zusammen mit Isabelle Lehn und Sascha Macht: „Schreiben lernen im Sozialismus“, 2018

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05 | Miriam Zeh (Frankfurt/Main): „Erlösung für Kurt“ – Schreibratgeber aus der Schreibschule

  • Schreibratgeber von Hanns-Josef Ortheil: „Schreiben dicht am Leben“, Duden Verlag 2012.
  • Im Vorwort erfindet Ortheil den modernen, social-media-affinen und hippen Kurt, der ratlos ist, als all seine Freunde plötzlich Notizbücher kaufen: Ihm ist peinlich, dass er nicht weiß, wie er notieren soll. Ortheils Ratgeber schafft Abhilfe und bringt den verzweifelten (und eben aber: ganz fiktiven) Kurts dieser Welt bei, wie sie ein Notizbuch benutzen.
  • Ratgeber schüren die Angst vor Lächerlichkeit. Dann geben sie Tipps, sie aufzuheben: Kultur der normativen Autonomie. Du kannst in Ratgebern anonymen Rat suchen.
  • Anders als Literatur geben Ratgeber keine Rätsel, sondern klare, eindeutige Antworten. Deshalb erfahren sie keinen Respekt unter Literat*innen & Kritiker*innen.
  • Seit 2018 haben Ratgeber eine eigene Bestsellerliste.
  • Wird abgegrenzt vom Sachbuch und vom Fachbuch. Ratgeber: handlungs- oder nutzenorientiert für den privaten Bereich.
  • Ratgeber beruhen auf Oralität.
  • 1945 bis 85: weniger als zehn Schreibratgeber auf dem dt. Markt.
  • Seit den späten 90ern: ca. 15 Schreibratgeber pro Jahr.
  • Ratgeberboom und Ankunft des Creative Writing in Deutschland gehen Hand in Hand.
  • Ursula Krechel, Kurt Drawert, Ortheil: renommierte Autor*innen schreiben ab den 2010ern eigene Ratgeber.
  • Krisen- oder problemorientierte Annäherung ans Schreiben; Anregungen für den Alltag.
  • Der Autor des Ratgebers ist selbst eine erfolgreiche Fallgeschichte
  • erste Voraussetzung: Schreibwunsch, Schreibzwang
  • Lehrende an Schreibschulen sagen (nach Marlen Schachinger, 2013), dass sie keine Schreibratgeber im Unterricht einsetzen.
  • An Instituten wird der letzte Rest gelehrt, der in Ratgebern nicht vermittelbar ist: Ratgeber bestätigen damit die Notwendigkeit der Existenz ihrer Schreibinstitute. Sie schließen die Schreibschulszene nach außen hin ab. „Wer nicht drin ist, kann ja so lange einen Ratgeber lesen. :-)“
  • Seit 2007, als Ratgeber als eigene Warengruppe erfasst werden, ist der Verkauf rückläufig.
  • Lieblings-Schreibratgeber von mir? Empfehlungen (Link)
  • Thomas Klupp (Hildesheim) hat zu Schreibratgebern geforscht (Link)

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06 | Marie Caffari / Johanne Mohs (Bern): We will crack it! Das literarische Mentorat als institutsspezifisches Schreibdispositiv

  • Forschungsprojekt „Schreiben im Zwiegespräch“
  • untersucht Text-Besprechungen zwischen einem Studierenden und einem Mentor.
  • Quelle: transkribierte Aufnahmen von 20 Gesprächen aus Biel, Paris und Norwich.
  • Katrin Zimmermann analysiere zudem Gespräche in Verlagen, zwischen Autor*innen und Lektor*innen.
  • Der literarische Text ist Angelpunkt und Skript eines Gesprächs zwischen Autor und Mentorin.
  • In der Besprechung / im Mentorat entsteht eine Feedbackschlaufe, die dialogisch weiterlaufen kann/könnte.
  • Allein die Hinwendung zum Text hat häufig eine motivierende Wirkung. Manchmal braucht es aber auch direkte Hinweise der Ermutigung.
  • Wichtig: den entstehenden Text als eine Ansammlung von Möglichkeiten, Potenzialen zu sehen.
  • Handlung und Form des Textes stellen sich erst nach und nach, beim Schreiben, heraus.
  • Wissen um die regelmäßige Zurückmeldung eines kritischen Lesers half, zu schreiben. [Die Kritkk wurde erstmal externalisiert, erst später nahm dann der Kritisierte selbst eine kritische Position zum eigenen Text ein.]
  • Die Fähigkeit, die eigene Position zum Text zu erkennen und mit ihr produktiv zu arbeiten, wird von Absolvent*innen oft als „Hauptkompetenz“, die sie sich im Studium angeeignet haben, erkannt.
  • „Das Diskutieren im Studium? Den fremden Blick auf den eigenen Text verinnerlichen und einnehmen zu können.“
  • Text ist Materie, die sich komplett überarbeiten lässt.
  • „Ich radikalisiere meine ästhetische Geste und schärfe meinen Text.“
  • DLL-Studentin: „Wir sind die Generation ‚Feedback’“
  • Aber: Es braucht feedbacklose, stille Zeit; Lesezeit; Schreiibzeit. Diese Zeit ohne Dialog wird bewusst praktiziert.
  • Das Mentoratsgespräch im Studium findet im Lektoratsgespräch auf dem Buchmarkt eine Fortsetzung.
  • Durch die Hinwendung gewinnen die Schreibenden Vertrauen in sich und ihre Arbeit.

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07 | Sonja Lewandowski (Bonn): Blütenlese? Nabelschau? Schreibschulanthologien.

  • Die Leipziger Studierendenanthologie „Tippgemeinschaft“ erscheint seit 2003, die Hildesheimer „Landpartie“ seit 2005 einmal jährlich. Die Redaktion ist studentisch und wechselt meist von Ausgabe zu Ausgabe komplett.
  • Von Studenten autonom gestaltete Reihen.
  • Lewandowski las alle Vorworte, Nachworte der Anthologien: die Paratexte.
  • Das Vorwort der ersten „Tippgemeinschaft“ stammt von DLL-Leiter Josef Haslinger:
  • Schreibschule als Erziehungsanstalt. Das Vorwort heißt „zum Geleit“, Haslinger gibt nützliche Ratschläge.
  • eine vergiftete Patronage-Geste? Das Vorwort signalisiert Abhängigkeit, die kindlichen Autor*innen benötigen ein „Geleit“ für die Veröffentlichung.
  • Oft sind die Paratexte eine Plattform, um die Arbeitsweise an Instituten zu erläutern und Macht- und Ohnmachtsverhältnisse innerhalb des Instituts zu thematisieren.
  • In den ersten Jahren schreiben die Leiter des Studiengangs Vorworte, heute oft Alumni.
  • v.a. in Hildesheim: Anthologien entstehen mittlerweile in Seminaren und sind fester Teil des Lehrplans – vollends institutionalisiert.
  • Anthologie am DLL wird außerhalb der Lehrveranstaltungen organisiert
  • „Anthologie“begriff wird immer unschärfer: „Antholigie“ meint meist nur „buchförmige Veröffentlichung im Schreibschulkontext“ [mit mehreren Autor*innen], nicht, wie ursprünglich: „Blütenlese“, „bewahrenswerte, mustergültige, kanonisierungswürdige Texte“.
  • Förderung junger Autor*innen unter Vernachlässigung ökonomischer Prozesse.
  • „Das Recht, in der Landpartie zu veröffentlichen, hat man als Student*in automatisch.“ Auswahlprozess schon durch die Aufnahme in den Studiengang abgeschlossen: Platz in der Anthologie ist fast immer automatisch reserviert.
  • Neben diesen „Werkstattschau“-Anthologien gibt es auch „Nabelschau“-Anthologien, wie „Irgendwas mit Schreiben“. z.T. literarisierte Erfahrungsberichte. [Ich füge an: Auch „Kulturtagebuch: Leben und Schreiben in Hildesheim“ gehört in diese Kategorie.]
  • Stets: hoher buchgestalterischer Aufwand.
  • Auflage: je ca. 500 Exemplare. Strahlkraft trotz geringer Auflage, weil z.B. Ausgaben an Lektor*innen und Insitutionen verschickt werden.
  • Eine Release-Party oder ganze Lesereihe gehören dazu. Tippgemeinschaft erscheint im März, um sogleich auf der Leipziger Buchmesse präsentiert zu werden.
  • Hilft, die Klappentext-Formel „hat in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht“ zu erfüllen.
  • Publikationskarriere beginnt nicht selten in den Studiengangsanthologien.
  • Institutionalisiertes Patronage-Instrumen, künstliche Publikationsplattform.
  • An Schreibschulen wird nicht nur Schreiben gelehrt, sondern auch, ein Korrektorat zu machen, Gelder für den Druck einzuwerben etc… Anthologien sind auch Übungen, sich auf eine Doppelfunktion im literarischen Feld vorzubereiten: Qualifikationen, die für andere Jobs qualifizieren. Einübungsprozesse, Einübung in den Literaturmarkt.
  • Die Veröffentlichung innerhalb des Studiengangs funktioniert als Modellversuch des Literaturbetriebs: Zeitschriften, Edition Paechterhaus etc. bilden den Literaturbetrieb im Kleinen, vor Ort nach und vermitteln Kompetenzen.
  • DLL: Die Redaktion wird bei einer Vollversammlung zu Anfang des Jahres gewählt.
  • Jörn Dege, Geschäftsführer des DLL: 2015 traf die Redaktion eine Auswahl, statt alle Texte zu veröffentlichen. Alle waren sauer, und die Redaktion kocht ein Essen am Weihnachtsfest.
  • Die Zeitschrift „Jenny“ (Wien): Texte werden anonym eingereicht, die Redaktion entscheidet, wer rein kommt.
  • Wissensaustausch, der über Projekte und Engagement statt findet – nicht über Seminare.

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08 | Wolfgang Hottner (Berlin): Betriebsromane (Planet Magnon, 10:04).

  • Filme wie „Der Pate“ und „The Conversation“ sind auch Allegorien ihrer Entstehungsbedingungen.
  • Der „Betriebsroman“ in Abgrenzung zum z.B. Bildungsroman
  • Historisierung einer bestimmten Romanform: Auto- und metafiktionale Texte, die von Schriftstellern erzählen, die einen Roman schreiben oder schreiben wollen. Man liest den bericht über das Nicht-Zustandekommen des Romans.
  • Oft sind das zweite Romane, die den Erfolg oder Nicht-Erfolg des Debüts erarbeiten.
  • Beispiele: Thomas Glavinic, „Das bin doch ich“
  • Jan Brandt, „Tod in Turin“
  • Tex Rubinowitz, „Lass mich nicht alleine mit ihr“
  • Leif Randts „Planet Magnon“ als Form der Allegorisierung des Betriebs
  • Seminar von Stephan Porombka: „Literaturbetriebskunde“ , beschreibt auch die Poetologien des Betriebs.
  • Werkpolitik, Vorlasspolitik, Literaturagenten… wie durchdringt all das erzählerische Formen selbst?
  • Metafiktionale, selbironische Kommentierung: ein Habitus, der kritische Autorschaft belegen soll. Betriebsromane führen Literatur auf. Autorfiguren haben den Jargon der Kritiker assimiliert.
  • Vorschüsse, Proposals, Drafts und Agenten dominieren die US-Literaturproduktion. Und sie dominieren auch den Plot von z.B. Ben Lerners „10:04“
  • Texte erzählen von neoliberalen Lebenswelten. Das Leben unter den Prämissen der Kontrollgesellschaft.
  • „Lebensabschnittslogik“, „Karriere des Lebens“? Nein: Projektplanung, Durchführung und Abschluss.
  • Metareflexive Verlaufs- und Erzählform – wie ein Antrags- und Abschlussberichtswesen.
  • Texte produzieren, die sich in das Passepartout des Betriebs einfügen und die Karriere fortführen.
  • Und in der Tat: 10:04 hat Lerner zahlreiche Preise und Stipendien eingebracht.
  • Der Roman als Möglichkeit, eine Autorenpersönlichkeit zu kreieren, die anprangert, was Lerner tun muss, um zu überleben.
  • Spiel mit der Authentizitätsfixiertheit des Publikums
  • Zuhörer: „Ich glaube, Randt hat noch nie über etwas anderes geschrieben als über den Betrieb.“

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09 | Christian Dinger (Göttingen): Als Proletarier unter Arztsöhnen. Clemens Meyer und das Deutsche Literaturinstitut Leipzig.

  • Bei u.a. Florian Kessler: Annahme eines Spannungsfelds zwischen Clemens Meyer und dem DLL.
  • Drei Aspekte zur Herstellung von Meyers Autoren-Persona. 1: Habitus, 2: Legende, 3: Handwerk
  • zu 1, Habitus: Mayers Außenseiterrolle wird durch Meyers Selbst- und Fremdinszenierung als proletarischer Dichter konstituiert.
  • Körper, Kleidung, Stimme, Konsum von Genuss- und Rauschmitteln, Ausüben von Sportarten etc.
  • Meyer ist tätowiert, spricht im sächsischen Dialekt, bevorzugt Bier zu Sekt oder Wein, mag Pferderennen. Habituelle Besonderheiten. Wiebke Porombka: „Vorzeige-Prolet des Literaturbetriebs“.
  • Richard Kämmerlings, FAZ: „Wirkt wie ein Hooligan, der sich in die VIP-Lounge verirrt hat.“
  • Der einfache, authentische Außenseiter gegen den elitären Literaturbetrieb.
  • Teil eines Aufsteigernarrativs: Der Held wechselt die Klasse, passt sich nicht den als verlogen empfundenen Gepflogenheiten der herrschenden Klasse an.
  • Der Habitus des Bürgertums erweckt immer den Verdacht des Künstlichen.
  • Zuschreibung von Erzählkompetenz qua sozialer Herkunft
  • Dominierende Kritikermeinung zu „Als wir träumten“: Hier weiß jemand, wovon er schreibt. Realistische Darstellung eines als literaturfernen Milieus.
  • Meyer wird als Ausnahmefall unter den Schreibschulabsolventen in Position gebracht: eigenes Erleben vs. Handwerk.
  • zu 2, Legende: Konnte angeblich nicht zum ersten Semester am DLL erscheinen, weil er wegen Autodiebstahl im Gefängnis saß.
  • Meyers Image braucht das DLL, das Image des DLL braucht Meyer.
  • Letzte Erzählung im Meyer-Band „Die stillen Trabanten“ befasst sich mit der Gründung des Becher-Insituts. Eine Arbeiterbildungsanstalt mit obligatorischen Praktika im Braunkohlebergwerk. Meyer erscheint im Spiegel der Erzählung nicht mehr als Außenseiter, sondern als jemand, der in dieser Tradition steht.
  • Textuelle Inszenierungspraktik, die die habituelle Inszenierungspraktik aufgreift und eine ergänzende Perspektive anfügt.
  • zu 3, Handwerk:
  • „Gewalten: Ein Tagebuch“ ist kein Tagebuch, sondern ein autofiktionaler Erzählband über eine Figur namens Herr Meyer.
  • Image als rebellischer und trinkfester Nachtschwärmer. Der literarisierte Avatar des Autors landet in der Ausnüchterungszelle einer Polizeistation.

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Bei den drei kurzen Podiumsdiskussionen schrieb ich nur kurze Statements mit :

  • Andreas Altenhoff (Literarisches Schreiben – KHM Köln)
  • Paul Brodowsky (Szenisches Schreiben – UdK Berlin)
  • Marie Caffari (Schweizerisches Literaturinstitut Biel)
  • Jörn Dege (Deutsches Literaturinstitut Leipzig)
  • Thomas Klupp (Literaturinstitut Hildesheim)
  • Ferdinand Schmatz (Institut für Sprachkunst, Wien)

…stellten in je zwei Panels / Dreiergruppen ihre Insitutionen vor. Danach kamen alle sechs Gäste zu einer kurzen abschließenden Fragerunde aufs Podium.

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Klupp: „Kreatives Schreiben“ in Hildesheim war durchaus ein Alleingang, Schöpfungsakt von Ortheil. „Es ist doch schade, dass wir das Schreiben hier nur pädagogisch-therapeutisch nutzen, wir müssten das ästhetisch konzipieren.“

Aktuell beginnen jährlich 20 Studierende „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ im Bachelor; 15 machen den Master. Am DLL: 450 Bewerbungen pro Jahr.

Der realistische Roman? Damit macht eine Minderheit, ein Drittel unser Bachelor-Absolvent*innen, einen Abschluss. Lyrik, szenisches Schreiben, alle anderen Prosaformen: kleine Formen, Spielformen, alle Übergänge.

Dege, Leipzig: Während des Studiums beschäftigt man sich erst einmal hauptsächlich mit den Texten von anderen – und wir haben viele Bewerber*innen, die nur an ihren eigenen Texten interessiert sind.

„Mit wem können wir uns vorstellen, zu arbeiten?“ Diese Frage stellen sich beide Seiten nach einem Auswahlgespräch.

Klupp, Hildesheim: 300 Bewerbungen meist, 220 ist klar, dass das nichts wird. „Das ist ein Hochbegabtenstudiengang.“

Dege, Leipzig: eine produktive Feindschaft zwischen Gastdozent*innen und Studierenden kann sehr fruchtbar sein.

Ferdinand Schmatz, Wien: Wir benutzen den Begriff „Schreibschule“ nicht. Wir sprechen von Kunst, Kunsthochschule.

Brodowsky, Berlin: Die Studierenden sitzen über 200mal im Studium als 8er-Gruppe zusammen. Jeder Text wird von zwei unterschiedlichen Lehrenden angeschaut und fünf Stunden diskutiert. Handwerk, Selbstreflexivität.

Klupp, Hildesheim: Wer bei uns nicht den kompletten Kanon der Gegenwartsliteratur durchgeht, wird in diesem Studium nicht erfolgreich sein.

Brodowsky, Berlin: Erst Lesen, dann Schreiben.

Schmatz, Wien: Lesen war meine Universität. Ich habe ALLES durch Lesen gelernt.

Dege, Leipzig: Im zweiten Jahr gibt es das Pflichtmodul „Kenntnis exemplarischer Werke“ – unser Bildungslücken-Modul. Ein ganz intensives Lektüremodul.

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Andreas Altenhoff, Marie Caffari, Jörn Dege, Ferdinand Schmatz, Paul Brodowsky, Thomas Klupp und Julika Griem | http://www.schreibszene.uni-frankfurt.de/personen/prof-dr-julika-griem/

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Altenhoff, Köln: Alle Studierenden des Literarischen Schreibens stellen sich mit einer individuellen Leseliste vor.

Dege, Leipzig: Wir kriegen nicht mal ein ordentliches Sommerfest auf die Reihe: Prosanova organisieren, wie in Hildesheim? Unsere Studierenden? Das wäre unmöglich. Das kulturelle Angebot in Leipzig ist derart voll und ballt sich dann auch nochmal bei der Buchmesse ne ganze Woche… die Motivation ist nicht so groß, da fehlt die Eigeninitiative.

Schmatz, Wien: Feedback ist bei uns die Routine – die aber jedes Mal anders aussieht. Stil ist ständiges neues Erkunden.

Dege, Leipzig: Bei uns geht es zum Teil sehr bürokratisch zu: die Abgabetermine in Werkstätten sind entscheidend, strenge Anwesenheitspflicht. Wer einen Text in der Werkstatt besprechen lassen will, muss ihn eine Woche vorher allen zukommen lassen, damit genug Vorbereitungszeit bleibt. Wir empfehlen, dass keine Laptops auf den Tischen sind, sondern die kopierten Texte.

Brodowsky, Berlin: Die Ausbildung ist nicht völlig in den Wind geschossen. Viele werden Dramaturginnen etc. – doch nur zwei von 8 schreiben später vor allem Theatertexte. Wir sagen vorher: Das sind 4 Jahre eures Lebens. Überlegt euch das gut. Man hat danach keine Garantie, genügend kulturelles Kapital akkumuliert zu haben. Das genügt nicht, um sichere Jobs zu finden.

Dege, Leipzig: Bei uns unterrichten 13 sehr verschiedene Leute, in deren Arbeit Theorie einen jeweils ganz eigenen Stellenwert hat. Es gibt grundlegende Module und Seminare, in denen es viel um Theoretisches geht. Es geht darum, ein gemeinsames Vokabular zu entwickeln, damit wir über Texte sprechen und sagen können: Wie geht es einem da, bei der Lektüre. Weniger Interpretation und Analyse, sondern, um klar sagen zu können: Wie wirkt das auf mich, und wie hängt das mit der Machart des Textes zusammen?

Caffari, Biel: Schreiben braucht sehr viel Konzentration. Wir sind in einem Haus, die Studierenden können Tag und Nacht da sein und dort arbeiten. Wir reisen alle relativ viel. Autor*innen kommen uns in Biel besuchen… eine kleine, lebendige Plattform. Es stimmt: Manchmal ist es extrem ruhig, in Biel.

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Elena Ferrante bei Deutschlandfunk Kultur: „Die Geschichte des verlorenen Kindes“

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Heute – 29. Januar 2018, gegen 17.40 Uhr – spreche ich bei Deutschlandfunk Kultur über Sog und Reiz von Elena Ferrantes Neapel-Romanen.

Ich las die vier Bücher auf Englisch, 2016 (die deutsche Übersetzung von Karen Krieger ist besser: Empfehlung!), und schrieb…

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Hier im Blog:

Neuigkeiten und Zitate, kurz vor Erscheinen von Band 4, „Die Geschichte des verlorenen Kindes“.

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1: Ab Mitte Januar schreibt Ferrante eine wöchentliche Kolumne im Wochenend-Magazin des Guardian:

„Ferrante will share her thoughts on a wide range of topics, including childhood, ageing, gender and, in her debut article, first love. After the Guardian approached her with the idea, Ferrante said she was “attracted to the possibility of testing myself” with a regular column, and called the experience “a bold, anxious exercise in writing”.

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2: Die Kolumnen sind recht kurz. Persönlich und offen – doch werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Zitate aus Nr. 1:

„He was 17, I 15. We saw each other every day at six in the afternoon. We went to a deserted alley behind the bus station. He spoke to me, but not much; kissed me, but not much; caressed me, but not much. What primarily interested him was that I should caress him. One evening – was it evening? – I kissed him as I would have liked him to kiss me. I did it with such an eager, shameless intensity that afterwards I decided not to see him again.

[… For this column,] I planned to describe my first times. I listed a certain number of them: the first time I saw the sea, the first time I flew in an aeroplane, the first time I got drunk, the first time I fell in love, the first time I made love. It was an exercise both arduous and pointless. For that matter, how could it be otherwise? We always look at first times with excessive indulgence. Even if by their nature they’re founded on inexperience, and so as a rule are not very successful, we recall them with sympathy, with regret. They’re swallowed up by all the times that have followed, by their transformation into habit.“

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3: Kolumne 2 lohnt sich mehr (und muss komplett gelesen werden).

„As a child, whenever it was necessary to appear fearless, I appeared fearless. […]  if someone threatens my daughters, or me, or any human being, or any harmless animal, I resist the desire to run away. […] Popular opinion has it that people who react as stubbornly as I’ve trained myself to have real courage, which consists precisely in overcoming fear. But I don’t agree. […] I’m learning, like a character in Conrad, to accept fear, even to exhibit it with self-mockery. I began to do this when I realised that my daughters got scared if I defended them from dangers – small, large or imaginary – with excessive ardour. What perhaps should be feared most is the fury of frightened people.“

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4: Kritiker Marc Reichwein besuchte im Sommer 2017 Ferrantes italienischen Verlag, edizione e/o. Interessanter als der Besuch selbst sind kleine Beobachtungen Reichweins:

„Auf Italienisch, Deutsch und in vielen weiteren, etwa den slawischen Sprachen, ist die Freundin „genial“. Auf Englisch ist sie „brillant“, auf Schwedisch „fantastisch“, auf Spanisch „verblüffend“. [Die Cover in Basilien zeigen] eine Girls-Reihe in knapper Bademode am Strand. China wiederum illustriert die Neapel-Saga mit einer erkennbar chinesisch aussehenden Frau. Interessant auch: Nicht in allen Ländern läuft Ferrante als Hardcover. In Frankreich etwa war das Hardcover ein Flop, anders kann man verkaufte 1800 Exemplare in einem Jahr nicht nennen. Erst eine Taschenbuchvariante mit neuem Cover brachte Galimard den international üblichen Erfolg.“

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5: aktuell schreibt Ferrante an neuer Prosa – sagt ihr Verleger.

„I know she is writing, but at the moment I cannot say anything more,” said Sandro Ferri, who heads the publishing house Edizioni E/O with his wife, Sandra Ozzola.
But Ferri said there were no plans for a new Ferrante novel to be published in 2018.“

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6: Acht erste Episoden einer TV-Serie werden gerade produziert. Details bei Variety.com:

  • Ferrante ist am Drehbuch beteiligt
  • Produktionssender: RAI (Italien) und HBO (die auch „The Young Pope“ in Italien produzierten)
  • 32 Episoden in vier Staffeln sind geplant

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7: tolles, langes Essay von GD Dess über Ferrantes feministische Einflüsse in der LA Review of Books:

„James Wood has suggested that Ferrante’s writing is influenced by second-wave feminist writers such as Margaret Drabble and Hélène Cixous, and Ferrante has acknowledged her familiarity with the work of Cixous, Luce Irigaray, and Julia Kristeva. In a 2015 interview, when asked what fiction or nonfiction has most affected her, Ferrante also names Donna J. Haraway and “an old book” by Adriana Cavarero, Relating Narratives: Storytelling and Selfhood (1997).

Against Lila’s wishes Elena writes and publishes a book about the two of them, which she titles A Friendship. It is — implausibly — only 80 pages long. The book is a success and revives Elena’s sagging career, but after its publication, the two women never speak again and Lila disappears. Thus, contrary to Cavarero’s contention, which invokes Ulysses listening to his own life-story, Lila doesn’t need a life-story written about her in order to affirm her “I.” If another were to write her life-story, she would be turned into “fiction,” taken possession of. And just as she never let anyone possess her throughout her life, she has no intention of allowing that to happen once she is gone. She won’t participate in a practice that reduces her ontological presence to words on a page, a fetishized object between covers. By vanishing, she asserts her right to live a “mere empirical existence.” It is a brilliant move on Ferrante’s part to allow her subject to refuse subjugation to the art of “story telling,” even as she (and Elena) tell her story in the very book we are reading.“

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8: Ich hatte Mühe mit Band 1 – und fand einen langen Ferien-in-Ischia-Exkurs in Band 2 noch träger, anstrengender, reizloser. Ich empfehle, bei Interesse lieber in Band 3 noch einmal neu einzusteigen. Andreas Fanizdaeh über Band 3, in der taz:

„Ferrantes Bände 1 und 2 bestechen durch ihre Kinder- und Jugendlichenperspektive, die neue Offenheit, als die kapitalistische Modernisierung im Nachkriegsitalien auch die Unterschichten erfasst und einigen neue Chancen eröffnen. Band 3 spricht von einem Backlash. […] Ferrantes dritter Band entfaltet über ein weit verzweigtes und psychologisch fein ausgestaltetes Personentableau ein bezeichnendes Panorama der 1970er-Jahre in Italien. Nicht ohne eine Brise Bitterkeit resümiert die Romanautorin die frühen Erwachsenenjahre ihrer Frauenfiguren, deren Emanzipation nach 1968 auf halbem Wege stecken bleibt. Ob Mafia/Camorra, linksradikale Bewegung oder Bildungsbürgertum: Haushalt und Kinder bleiben weiterhin zumeist an den Frauen kleben. Und das, obwohl viele gerade die am unabhängigsten erscheinenden Frauen am meisten begehren.“

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9: Kritikerin Irene Binal, ähnlich ambivalent wie ich – zu Band 3:

„Mal vermisst sie ihre Freundin schmerzlich, mal wünscht sie ihr klammheimlich den Tod, denn „ich ertrug die Leere nicht, die dadurch entstand, dass sie sich mir entzog“. Es ist eine nicht immer nachvollziehbare Beziehung, in der Liebe und Hass nah beieinanderliegen, und dieses an sich reizvolle Wechselspiel hat sich nach drei Romanen doch einigermaßen abgenutzt. Kraft und Farbe gewinnt der Text vor allem dann, wenn er die Stimmung im Italien der 70er einfängt, die von politischen Umbrüchen und strengen gesellschaftlichen Regeln geprägt ist. Abgesehen davon erweist sich „Die Geschichte der getrennten Wege“ als eines jener Bücher, die zwar nicht wirklich schlecht sind, aber auch nicht richtig begeistern können.“

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10: herablassender und sexistischer Artikel über die Idee, Domenico Starnone sei Haupt-Autor des Neapel-Quartetts:

„Then came Gatti’s well-documented claim that Ferrante was Anita Raja, who, unlike Ferrante, did not grow up in an impoverished Neapolitan neighborhood but rather left Naples at the age of three and lived in middle class comfort in Rome. Presumably, Raja had ready access to the educational opportunities that Ferrante’s characters struggled to obtain. […] I was troubled by Raja’s dishonesty and not convinced by her defenders who saw nothing problematic in Raja’s attempt to create the impression that her background was similar to that of her characters.

The powerfully rendered portrait of growing up in deep poverty in 1950’s Naples feels like it was written from first hand experience. Raja did not have this direct experience but Starnone, like the fictional Ferrante, was the son of a seamstress and did grow up in Naples. Also, Gatti reported that after analyzing Ferrante’s books with text analysis software, a group of physicists and mathematicians at La Sapienza University in Rome concluded that there was a “high probability” that Starnone was the principal author.

[…] When I read The Execution, Starnone’s first novel to be translated into English, I saw many stylistic similarities to Ferrante—sentences with clauses piled upon clauses, building to a dramatic climax; long stretches of dialogue without any of the usual markers to indicate the speaker, a dramatic opening and a conclusion which leaves much unresolved.“

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11: Ich kann Ferrantes Scheidungskriegs-Roman „Tage des Verlassenwerdens“ nicht empfehlen – interessant aber, dass der aktuellste Domenico-Starnone-Roman das Thema aufgreift und variiert. Rachel Donadio in der New York Times:

„‚Ties‘ puts the same plot elements through a kaleidoscope. […] I cannot think of two novelists writing today whose recent books are in such clever and complicit conversation as those of Starnone and Ferrante.“

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Die deutsche Ausgabe erscheint am 12. März 2018 bei DVA/Random House; der Schutzumschlag kopiert die deutschen Ferrante-Cover:

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Videos, die begeistern: Social Media für Verlage, Literaturhäuser & Kulturstätten [Vortrag am Goethe-Institut München, 2018]

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Am Freitag – 26. Januar 2018 – spreche ich am Goethe-Institut München über Booktube- und Literatur-Videos:

– Welche Formate gelingen?

– Was hat besonderen Erfolg?

– Wer teilt, schaut, profitiert von Buch-Videos?

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und größer:

– Welche digitalen Inhalte und welche Aufbereitung wünsche ich mir von Verlagen, Literaturhäusern, Institutionen?

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Ich bin freier Literaturkritiker für u.a. Deutschlandfunk Kultur, spreche oft live über Bücher – gern auch vor der Kamera (Link) oder auf Bühnen (Link).

Auf Youtube lese/teile ich Kapitel meines Romandebüts, „Zimmer voller Freunde“.

2015 machte ich ein eigenes BookTube-Video über meine Hassliebe zu und meine Probleme mit Videos im Netz:


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längere Texte von mir – zu Social Reading, Blogs und Vlogs:

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2015: 50 Buch- und Literaturblogs (Empfehlungen)

2015: mein BookTube-Video (kurzer Text zu den Hintergründen)

2015: #blogfragen – Buchblogs und ihre Schwerpunkte, Hintergründe (Statements)

2016: BookTube bei Deutschlandfunk Kultur (Empfehlungen, Text) …kürzer hier (Link)

2016: Vortrag / Tipps zur Leipziger Autorenrunde: Autoren & Journalisten auf Facebook – wie finde ich Kontakte im Netz?

2017: Social Reading: Gründe für und gegen Goodreads & Lovelybooks (DKultur) …kürzer hier (Link)

2017: Was haben so viele Buchblogs gegen Graphic Novels, Comics? (Statements)

aktuell arbeite ich an Texten zu Twitter – und zum Blockieren und Rechtsruck auf Facebook.

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Was ich mir von Vlogger*innen und Boooktube-Videos wünsche, kam in meinem eigenen Booktube-Video zur Sprache.

pointierter, schriftlich:

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1: gelungene Booktube-Videos?

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_Eine gute Kamera? Gern. Wichtiger: ein sehr gutes Mikro.

_Mein Hauptgrund, Videos abzuschalten: Die Person wirkt aufgesetzt, affektiert oder fühlt sich vor der Kamera nicht wohl.

_Ein gut gemachter Vorspann wirkt professionell. Trotzdem langweilen Intros; erst recht beim vierten, fünften Sehen. Lieber, wie bei immer mehr TV-Serien, eine höchstens drei Sekunden lange „Title Card“.

_Fast alle Videos erklären die ersten ca. 30 Sekunden lang, was uns erwartet. Eine Aufgabe, die der Video-Titel übernehmen kann. Bitte so schnell wie möglich rein in die Kritik, Beschreibung etc.!

_Wer „Du“ sagt, wirkt oft herablassend-kumpelig. Auch „Hallo, ihr Lieben“ wirkt auf mich aufgesetzt. Jede Begrüßung spricht Zielgruppen an oder stößt sie ab. Ich würde einfach „Hallo“ sagen – oder, besser noch: auf Anreden verzichten.

_Ein Klangteppich/Instrumentalstück, das alles Video (leise) untermalt, stört mich nicht. Zu laut oder dudelnd aber wird es nervig (Negativ-Beispiel hier, gegen Ende).

_Je mehr Fokus auf Deko liegt, besonderer Mode oder eigens gestalteten Grafiken und Gimmicks, desto wichtiger ist mir, dass die Person authentisch und entspannt ist, sich in ihrer Umgebung wohl fühlt.

_Seitenzahl, Verlag, Übersetzer*in, Preis des Buchs: Bitte einfach in der Video-Beschreibung.

(_BookTube-Videos über alles, was Schullektüre oder aktueller Prüfungsstoff ist, haben großen Erfolg.)

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2: sympathische Persönlichkeiten!

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_Menschen folgen schnell Menschen, die ihrer eigenen Schicht, Alter, Stil und Habitus entsprechen. Ein älterer Buchblogger wie Jochen Kienbaum hat mehr ältere Männer unter seinen Followern – schon ohne, sich um diese Zielgruppe besonders zu bemühen.

_Eine punkige Booktuberin bringt punk-affine Follower mit. Ein queerer Blogger hat queere Fans. Wer bieder oder professoral auftritt, wird biedere Menschen erreichen.

_Autorin Isabel Bogdan (wir sind Netzfreunde, ich liebe ihren Ton und ihre entspannte, positive Art) wird, scheint mir, von JEDER Isabel-Bogdan-ähnlichen Leserin geliebt, gekauft, gelesen. Und weil z.B. mehr Menschen, die Bücher lieben, aussehen wie Christiane Westermann als Harald Schmidt, würde ich *immer* auf Westermann als Multiplikatorin/Gesicht setzen. Ich frage mich oft, ob mehr Leute denken „Stefan und ich haben was gemeinsam!“ als „Hm. Der ist irgendwie komisch, und ganz anders.“

_Bei Zweier-Gesprächen, Gruppenprojekten und jedem Podium: Sobald das Ziel ist, eine breite Öffentlichkeit anzusprechen, bitte möglichst verschiedenen Altersgruppen, Schichten etc. sichtbar machen und Bühnen bieten. Sonst sind nur Leute interessiert, die aussehen/sich kleiden etc. wie die (sich oft zu ähnlichen) Menschen im Rampenlicht.

_Ich höre am liebsten schnellen, geistreichen, selbstironischen Leuten zu, besonders auf Youtube. Ich schalte Leute ab, die…

…zu mausig, schleppend, phlegmatisch sprechen.
…aufgesetzt fröhlich tun.
…dozieren, palavern, Arroganz und Weltekel feiern.
…Gesprächspausen machen, den Faden verlieren. (Deshalb: Videos gern straffen; auch kleinere Pausen raus schneiden.)

_bitte also: Menschen, „die man gern sieht“ – und die sich freuen, ein Video für uns zu drehen, über ein Thema, das ihnen wichtig ist: Energie, Schwung, Dringlichkeit, Tempo, Authentizität!

_Nicht die klügste, attraktivste oder professionellste Person wird geteilt. Sondern die Stimme, die man sich am liebsten einladen würde: weil man sie gern hört; ihre Nähe und ihr Reden sogar nach Stunden noch tolerieren (nein: genießen!) könnte. Es gibt nicht viele solcher Leute.

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3: Ideen, Formate:

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_75 Prozent der Menschen im Netz öffnen NIE Info-Videos.

_Wird mir ein Video empfohlen, muss ich überlegen: Stelle ich den Ton an? Kann ich das Video hier (Bett, S-Bahn, Büro etc.) hören, ohne zu stören? Muss ich auf den Bildschirm schauen, um das Video zu verstehen? Darf ich das Browser-Fenster wechseln? Oft ignoriere ich das Video, oder schiebe es tagelang auf.

_Texte kann ich überfliegen. In Videos muss ich Probe-Hören und brauche lange, um mich zu orientieren und die Struktur zu verstehen. Die Entscheidung „Gefallen mir Stimme, Habitus, Tempo der Person?“ treffe ich in wenigen Sekunden. Die Entscheidung „Ist dieses Video relevant für mich?“ braucht oft über eine Minute. Das macht mich wütend – denn ich fühle mich hingehalten, ausgeliefert: Texte kann ich schneller scannen, einordnen.

_Je weniger visuell geschieht (und: je leichter ich z.B. nebenher noch den Abwasch machen könnte), desto länger darf ein Video sein.

_Bei Videos, die ich nur schaue, weil mir die Person sympathisch ist, habe ich kein Problem mit 20, 30 Minuten Erzählen, Geplapper. Doch bei Videos, die geteilt und von möglichst vielen Leuten verstanden und gemocht werden sollen, sind bereits 3 Minuten lang.

_Ich mag Interviews/O-Töne, die als 3-Minuten-Videos veröffentlicht werden. Wenn ich mehr sehen will, kann ich in einer Playlist weitere Häppchen finden. (Gute Länge und Aufbereitung: Sam Jones‘ tolles Celebrity-Interview-Format „The Off Camera Show“)

_Lange Videos? Am liebsten Dialoge! Das Mit- und Gegeneinander der Stimmen schafft Spannung. Meine Mutter hört das Literaturmagazin „Lesart“: Wenn sich Moderator und Gast/Expertenstimme nicht mögen oder etwas knirscht, hört sie besonders genau hin.

_Wer Gefühle hat beim Sprechen, stellt Sog her und affiziert – doch allein vor einer Kamera sitzen? Dabei authentisch Gefühle aufbauen? Das scheitert meist.

_Besser: keine nüchterne „Buchbesprechung“ anzukündigen, sondern vorher zu wissen, ob die Lektüre und das Video in einem Gefühl gründen. Wütender Rant oder kühle Polemik? Persönliche Anekdote? Schwärmen fürs Lieblingsbuch? Hilfreich auch, wenn schon der Video-Titel ankündigt, dass es um Emotionen, Gefühle geht. „Ein perfides Buch!“, „Meine Lieblingsreihe!“, „Ich habe mich geärgert über…“ etc.

_Eine Rezensions (gilt für Buchblogs und BookTube) kriegt kaum Klicks. Erfolgreicher?

…Die 10 besten/schlechtesten/wichtigsten…
…Warum ich (Genre, Format, Autorin) X lese/liebe/boykottiere/nicht empfehlen kann.
…persönliche „Kulturtechniken“ wie: Warum ich gebrauchte Bücher kaufe; Warum ich gern von Hand schreibe.
…biografische, identitätspolitische oder (lokal)geografische Klammern wie „Bücher, die mich zur Feministin machten“, „Schottland lesen“, „lesbische Romanzen, die mir nahe gehen“ etc.

_Menschen suchen meist Empfehlungen, Buchtipps. Keine Rezensionen/Kritiken, deren Fazit lautet „Das Buch ist durchwachsen.“

_Ein Booktube-Klischee: Junge Frauen halten Cover. „Schaut, wie das glitzert. Hört, wie das raschelt!“. Doch die Haptik eines Buchs kann man in Videos SO gut vermitteln – warum keine Serie über Buchgestaltung? Pop-Up-Bücher? Bildbände? Design und Typografie? Hässliche Cover? Oberflächenreize? Her damit!

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4: Inhalte streuen, teilen

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_PR-Beraterin Kerstin Hoffmann entwickelte eine großartige „Content-Ampel“ (Link): idealer Content zum Teilen ist…

dringend benötigt | aktuell/kommt zum richtigen Zeitpunkt | emotional/bewegend | dauerhaft relevant | fesselnd | nützlich | …und lädt zum Kommentieren, Teilen, Interagieren ein

_Jo Lendle sagte 2013, kein Social-Media-Beitrag von Verlagen schien ihm trauriger als das immer gleiche „Am Dienstag erscheint unser Buch XY. Na? Freut ihr euch auch schon so?“

_Ich hasse Vorankündigungen. Besonders für Bücher! So lange es keine Leseprobe gibt, heißen Ankündigungen für mich: „Du wirst ein Buch, das interessant oder Mist sein könnte, jetzt wochen-, monatelang im Kopf behalten.“ Ich freue mich über jeden Titel, bei dem zwischen „Klingt interessant“ und „Angelesen, nichts für mich“ 30 Sekunden liegen. Nicht: 9 Monate.

_Deshalb, generell: Bitte nicht zu oft Fans, Facebook-Publikum etc. auf Türen hinweisen, die sich eh noch nicht öffnen lassen.

_Wer ein Buch, eine Lesung etc. ankündigen will, macht den Beitrag relevanter, indem etwas verlinkt wird, das JETZT schon begutachtet werden kann: Videos einer vorigen Lesung, ein Interview, notfalls ein Behind-the-Scenes-Foto oder ein Lebenslauf.

_Karla Paul rät Institutionen, Verlagen, Personenmarken, drei Adjektive/Eigenschaften zu wählen und Inhalte zu teilen, die diesen Eindruck, dieses Bild festigen. Müsste ich wählen, wäre das für mich…

…neugierig, kritisch, intim (Adjektive)

… Buchtipps, Diversity, Fankultur (Themenfelder)

_Klare, eindeutige Aussagen liken Leute am schnellsten: Postings, die zum Mit-Freuen einladen oder Statements enthalten, die man gern unterstreicht, bekräftigt.

_Links werden viel öfter geklickt, wenn sie Vorschaubilder enthalten. Am besten Fotos aus sehr guten Kameras. Fotos die, ideal, ein menschliches Gesicht zeigen.

_Ich nehme mir immer wieder Zeit, in Antiquariaten oder vor Regalen „neutrale“ Fotos zu machen. Fotos, die sagen: „Hier geht es um Buchkultur“, ohne, ein konkretes Buch zum Motiv zu machen. Diese Fotos helfen bei Link- und Text-Postings auf Facebook und Twitter und machen die Beiträge viel attraktiver. [Deutschlandfunk Kultur macht das auf Facebook: Bücherregal-Fotos, oft zu quadratischen Texttafeln verarbeitet.]

_Es lohnt sich, keine Handy- oder unbearbeiteten Fotos zu posten. „Wertige“ Bilder sind den Mehraufwand wert.

_Die Reichweite auf Facebook wird für Seiten immer weiter eingeschränkt. Mario Sixtus: „[Mittlerweile] erreiche ich mit einem Posting von 500 Fans ca. 50 – was mir Facebook stets verbunden mit der freundlichen Aufforderung mitteilt, das Posting doch ein wenig zu promoten. Deshalb mache ich mit anderen Projekten nichts mehr auf Facebook.“

_Mein größter Wunsch: Ich nehme Postings ernst, wenn Institutionen oder Influencer*innen kein „Business as usual“ machen – sondern erklären, warum, was sie gerade teilen, FÜR SIE AKUT besonders und wichtig ist: „Wir freuen uns, weil…“, „Wir sind nervös, weil…“, „Wir machen jetzt etwas, das neu für uns ist…“. Ein Posting-Text soll mir erkären: Warum ist das den Beteiligten, Veranstalter*innen, Produzent*innen wichtig? Gern auch: Steht etwas auf dem Spiel?

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5: Multiplikator*innen

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_Wer teilt meine Inhalte? Oft die immer selben Leute. Ich bedanke mich. Lese besonders aufmerksam durch deren eigene Postings. Und füge sie auf Facebook (privaten) Listen hinzu, damit ich jeden Inhalt von ihnen sehe.

_Sinnvoll: Listen anlegen, welche Menschen oder Insitutionen ein ähnliches Profil pflegen wie man selbst (…oder einfach nur: den selben Humor haben, die selben Fotos schön finden, ähnlich ticken) und dann die Follower*innen dieser Profile sichten und ihnen folgen (Twitter) oder sie abonnieren (Facebook).

_Oft helfen wenige, sehr gezielte Anfragen, Markierungen oder Direktnachrichten: „Schau mal, was ich gerade gepostet habe.“

_Die AfD schreibt bei fast allen Facebook-Postings und Bildtafeln „bitte teilen!“. Und (hasserfüllte) Menschen gehorchen. Mich selbst macht der Appell „bitte teilen!“ trotzig. Doch es hilft, ab und zu laut zu sagen: „Ich würde mich freuen, wenn ihr das teilt“ oder „Dieser Blogpost war Mühe: Kennt ihr Leute, die das interessieren könnte? Teilt gern!“

_2014 half ich, einen deutschen Thriller zu promoten, indem ich Krimi- und Thriller-Blogs suchte und eine Liste mit ca. 120 Leser*innen erstellte, von denen ich hoffte, dass sie das Buch mögen würden. Wer Publikum für sein Buch sucht, muss wissen: Welche Bücher sind ähnlich? Wo wurden diese ähnlichen Bücher besprochen? Veranstaltungen: Wer war auf ähnlichen Veranstaltungen, hat berichtet? Wer jährlich etwas plant, sollte Listen anlegen: Wer hat letztes Jahr unsere Inhalte geteilt, sich besonders interessiert?

_Die Büchergilde kooperiert mit Blogger*innen: Sie stellt frühzeitig das nächste Programm vor, und wer Zeit/Lust hat, kann einen Text über ein Buch seiner Wahl schreiben. Das funktioniert gut, weil a) der Pool der beteiligten Blogger*innen groß ist, b) die Zeitpläne nicht sehr eng und c) Es so viele Bücher gibt, dass niemand regelmäßig teilnehmen oder Kompromisse machen muss. Bei Kooperationsanfragen an Blogger*innen hilft, deutlich zu sagen: „Falls es gerade nicht passt, mit DIESER Idee: Es gibt weitere Ideen, und terminlichen Spielraum.“

_Mein Twitter-Account hat erst Erfolg (3000 Follower), seit ich selbst sehr großzügig und proaktiv folge, like, lese. „Follow for follow“ wirkt billig und verzweifelt. Doch ich glaube, wer auf Twitter, Instagram, Facebook wachsen will, MUSS erstmal in Vorleistung gehen und aktiv anderen Accounts zeigen: „Ich interessiere mich für dich, ich bin Teil deines Publikums.“ Überraschend viele dieser Leute folgen dann zurück – falls das Interesse echt und kontinuierlich ist.

_Wer ist mein Publikum? Besonders alle, die meinen Konkurrent*innen, Equals etc. folgen. Das Goethe-Institut tut gut daran, herauszufinden, wer z.B. der Deutschen Welle folgt. Lässt sich eine Liste mit 20, 30 verwandten Institutionen anlegen, auch für lokale einzelne Institute?

_Sinnvoll: Statements von Menschen sammeln, die selbst große Followings haben. Ein Beitrag, in dem 99 gut vernetzte Branchen-Menschen kluge Sätze sagen, wird viral gehen, innerhalb dieser Branche.

_Maßgebliche Accounts der deutschsprachigen Buchkultur- und Literaturszene? Forough Book traf eine gute Auswahl, in den ersten ca. 300 Accoutns: LINK

_Amazon lädt Gruppen/Cliquen von Buchblogger*innen ein, sich auf ein gemeinsames Apartment während der Leipziger Buchmesse 2018 zu bewerben. Ich finde sinnvoll, dass hier Menschen eine Wohnung teilen werden, die sich bereits kennen. Grundsätzlich aber würde ich IMMER fünf recht breit gestreute, diverse Multiplikator*innen einbinden – um möglichst diverse Follower- und Fan-Bases zu erreichen.

_Jeder kulturelle Inhalt spricht auch noch andere, eigene Gruppen und Communities an. Wer Inhalte streuen will, sollte diese anderen Szenen kennen: In welchen Facebook-Gruppen vernetzen sie sich? Gibt es Fachpresse und Influencer*innen? Uni-Bezug, Akademiker*innen?

_Wer Videos produziert, kann damit planen: Eine Manga-Besprechung, ein Fantasy-Roman, eine Mexiko-Novelle und ein Buch, in dem jemand Bäcker wird, sorgen dafür, dass die Manga-, die Fantasy-, die Mexiko- und die Back-Gemeinde dich erstmals und einmalig auf dem Schirm hat. Kontakte, die sich pflegen lassen.

_Deshalb: Bei vielen Inhalten auch diese Zweit-Zielgruppen, periphery demographics suchen. „Meine größten Verkaufserfolge“, schreibt Autor Karl-Ludwig von Wendt, „verdanke ich der Produktverbindung meiner Jugendbücher mit Minecraft, […dem] erfolgreichsten Computerspiel aller Zeiten. Oft schon habe ich gedacht, dass die Verbindungen »komplementärer« Bücher über Verlagsgrenzen hinweg besser genutzt werden könnten. Die Erkenntnis beispielsweise, dass Leser, die Karl Olsberg mögen, auch gerne Thriller von Mark Elsberg lesen (und umgekehrt, hoffe ich), wird bisher vor allem vom Amazon-Empfehlungsalgorithmus genutzt.“

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6: Community

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_Buchhändler Florian Valerius gewann mit seinem Instagram-Account „Literarischer Nerd“ den Buchblog-Award 2017. Die Buchtipps und -fotos wirken knapp und simpel; doch er investiert ein, zwei Stunden täglich, um Instagram-Kommentare zu schreiben, zu beantworten, auf Follower*innen zu reagieren. Das sorgt für Likes, Engagement, Reichweite. (Dafür muss man der Typ sein: Auf Facebook habe ich Spaß an Kommentaren und Debatten. Auf Twitter like und teile ich nur.)

_Wer viel liest, hat oft auch Expertenwissen (oder, im Schlechten: Streber- und Pedanten-Tendenzen) und hilft (oder, im Schlechten: korrigiert) gern. Ich liebe es, auf Facebook Recherche-Fragen zu stellen (Autor Neil Gaiman auf Twitter z.B. auch).

_Empfehlung, auf Facebook: das „Bücher Magazin“. Redakteurin Elisabeth Dietz stellt simple, offene Fragen („Welche Figur werden Sie nie vergessen?“ etc.) und nimmt sich Zeit, zu reagieren, Engagement der Fans zu honorieren. „Helf mir mal“, „Ich brauche Empfehlungen“ etc. sind Appelle, auf die sich viele Facebook-Nutzer*innen freuen. Keine falsche Scham, Zurückhaltung!

_Kein gutes Posting der Facebook-Seite des Goethe-Instituts: „Heute vor einem Jahr eröffnete die Elbphilharmonie Hamburg. In einem Grafik-Interview kommentiert der Illustrator Till Laßmann, wie er die Elbphilharmonie wahrnimmt und wie sie im Verhältnis zur Subkultur steht. Was meint ihr dazu?“ Niemand kommentierte den Beitrag. Wohl, weil man den Link öffnen muss, um Till Laßmann Standpunkte zu sehen. Dann einen eigenen Standpunkt formulieren – der auch noch (viel zu abstrakt und emotionslos formuliert!) „das Verhältnis zur Subkultur“ berücksichtigt? Mein Vorschlag: „Ein teurer Hype? Die Elbphilharmonie lässt Illustrator Till Laßmann kalt. Sein idealer Kulturort sind die Hamburger Bücherhallen. Was ist Ihrer?“

_Hilfreich, wenn Institutionen Follower nach Meinungen fragen? Auf Gebieten fragen, in dem sich Menschen sicher/bewandert fühlen: „Tee ist das Lieblingsgetränk unseres Autors der Woche. Was ist Ihres?“ ist besser als „Welchen Henry-James-Roman mochten Sie am liebsten?“. Bei Kultur, Geschichten gern auch nach Filmen mit-fragen. Follower reagieren stärker auf Pop- und Celebrity-Kultur, weil sie dort Inhalte besser kennen und sich mehr Urteile zutrauen.

_Beliebt, wichtig: „Identitätspolitische“ Listen. „Bücher für Jungen“, „Filme von schwulen Regisseuren“, „Serien mit geschiedenen Frauen“, „Deutsch-türkische Reportagen“ etc.

_Bitte nie erwarten, dass viele Facebook-Fans aufs Twitter-Profil folgen; oder sich auf Youtube anmelden und „Daumen hoch“ drücken: Aktives Publikum wechselt kaum die Plattform. Wer Youtube- oder WordPress-Abonnent*innen sucht, sollte auf Youtube, WordPress Engagement zeigen, liken, kommentieren. Nicht, aus Bequemlichkeit, auf Facebook.

_Es gibt gefälligen, auf Dauer aber ärgerlich banalen Buchkultur-Content, den man auch als Institution leicht teilen kann – weil er keine Position bezieht und selten Diskussionen entfacht. #bookporn-Fotos, Illustrationen von MyModernMet und BoredPanda, Cartoons von u.a. Tom Gauld; auch harmlose Zitate übers Schreiben und die große Bücherliebe findet man leicht bei Goodreads.

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7: Chancen fürs Goethe-Institut?

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_Will das Institut eigene BookTube-Videos produzieren? Erst besser mit bestehenden BookTuber*innen kooperieren – sie auf Podien einladen. Oder als Publikum passender Veranstaltungen. Gern auch: Interviews zwischen Autor*innen und Booktuber*innen organisieren.

_Sollen im Haus Videos gedreht werden? Dann lieber: keine großen Schnitte, keine Materialschlacht. Einfach die charismatischen, ausdrucksvollen, leidenschaftlichen, selbstbewussten Goethe-Mitarbeiter*innen filmen – mit gutem Mikro, vor sympathischer Kulisse, ausgeleuchtet. Sie zwei Minuten sprechen lassen – über Veranstaltungen, Kultur, Themen, Programmpunkte, die sie begeistern, die ihnen spürbar wichtig sind. Der Goethe-Youtube-Kanal spricht vor allem Menschen an, die Deutsch lernen. Ich wünsche mir mehr Videos der Reihe „im Gespräch“ (2015 beendet – nach 18 Videos mit älteren weißen Männern im Anzug.)

_Welche Expert*innen gibt es im Haus? Ich machte 2009 ein Praktikum in Toronto, bei Jutta Brendemühl. Sie twittert fast nur auf Englisch, über deutschen Film – und hat damit ein recht großes Following, als Expertin/Multiplikatorin. Ich würde raten, eine Liste anzulegen und periodisch zu fragen: „Jutta? Welche drei deutschen Filme haben Chancen in der Award Season?“ etc. – als Blogpost, Liste, Video o.ä.

_Schneller Content, der vor allem Auslandsdeutsche und Sprachschüler*innen anspricht (…mich selbst eher langweilt): „Was ist Ihr Lieblingswort?“-, „Wie übersetzt man folgende Redewendung?“-, „Ist das Wort ‚Habseligkeiten‘ nicht wunderbar?“-Texttafeln (hier: immer auch schauen, was die Social-Media-Redaktion des Duden gerade erfolgreich zeigt/teilt); und „Deutschland: ein Weihnachtsmarkt“-, „Deutschland: eine typische Brotzeit“-Fotos. Hier hilft der Blick auf Content (und Fans) von Facebook-Seiten wie „German Culture“: keine Hochkultur – sondern Alltagsbräuche und historische Gebäude.

_Mehr Diskussionen, Kommentare, Engagement auf Facebook? Schaut, welche Texttafeln Deutschlandfunk Kultur teilt, und welche Fragen das Bücher Magazin stellt.

_Auf den Facebook-Seiten einzelner Institute wünsche ich mir mehr Fotos dazu, wie die Gebäude aussehen und eingerichtet sind. Gern: Praktikant*innen mit Alltagsfotos und kurzen, persönlicheren Texten; einzelne Sprachlehrer*innen und Mitarbeiter*innen vorstellen und sichtbarer machen; Fragebögen beantworten (oder z.B. „Im Mai stellen vier unserer Mitarbeiter in Kyoto ihre Lieblingsfilme über Japan vor: jeden Montag.“)

_Falls auf den FB-Seiten einzelner Institute mehr Engagement erwünscht ist: Nach Tipps für z.B. Restaurants, Bars in der Nachbarschaft fragen. Oder einen Buchpreis vergeben für die Person, die das schönste Foto einer lokalen Goethe-Veranstaltung online teilt, jeden Monat, mit Publikumsvoting.

_Die Facebook-Seite des Literarischen Colloquiums Berlin vermittelt mir einen guten Eindruck, wie es dort aussieht: Wo der Eingang ist, wo ich sitzen werde, welches Publikum ich dort treffe. Ich wünsche mir das oft, bei Veranstaltern: Fotos, die mir genug Orientierung geben und so viel Lust machen, dass ich allein und ohne Vorkenntnis an einem Tag, an dem es furchtbar regnet, sagen könnte: „Ich gehe jetzt spontan ins Institut. Ich erkenne es schon von der anderen Staßenseite aus. Weiß, wo ich Tickets kaufen. Und, dass Menschen in meinem Alter da sind.“ Also: Den Veranstaltungs- und Begegnungsort (und z.B. die institutseigenen Bibliotheken) plastischer, greifbarer machen, online.

_Welche deutschsprachigen Bücher (in Übersetzung), welche Filme, welche Stars kennt das Publikum im Gastland? Kann man Brücken schlagen? Im German Book Club in Toronto saßen irritierend viele Herren 70+, die über Max Frisch, Hermann Hesse reden wollten. Der meist-gelikte aktuelle Post auf der Goethe-Facebook-Seite zeigt Kafkas Schlafzimmer (als Computeranimation). Mein Rat ist nicht: „Noch mehr Frisch! Auf ewig Kafka!“ Aber: Welche Referenzen ziehen im Gastland? Wollen mehr Leute „Victoria“ sehen, sobald das Facebook-Posting „Run Lola Run“ erwähnt?

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BookTube: 16 Empfehlungen, deutschsprachig.

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vier Belletristik- und Unterhaltungs-BookTuberinnen:

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der klassische Bildungsbürger-Duktus:

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junge, sehr professionelle Youtube-Stars (oft queer, oft Jugendbuch):

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und, jeweils mit Problemen:

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Ich mag zudem:

 

PROSANOVA – Festival für junge Literatur [Essay von mir]

Prosanova 2017, Originalfoto P Olfermann

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Seit 2005 feiert Hildesheim alle drei Jahre PROSANOVA – das Festival für junge deutschsprachige Literatur. Ich studierte von 2003 bis 2008 Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus und war an beiden ersten Festivals beteiligt: Als Praktikant und Mitarbeiter der Festivalzeitung 2005, und als Mitglied der sechsköpfigen Künstlerischen Leitung 2008. PROSANOVA 2008 fraß über ein Jahr meines Lebens. Mir war klar: Zu den Festivals 2011 (Blogposts von mir), 2014 (Blogposts von mir) und 2017 (Blogpost von mir) muss ich zurück in die Stadt.

Zu jedem PROSANOVA gibt es Dokumentationen, Film-, Foto-, Presse-, Journalismus-, Blog- und Buchprojekte. Oft erscheinen längere Texte in der Hildesheimer Edition Paechterhaus – und hin und wieder werde ich gefragt, ob ich einen Text oder ein Vorwort beisteuern will, u.a. 2007 (Link) und 2012 (Link).

2017, für „PROSANOVA – ein Katalog“ (Link zum Gratis-eBook), schrieb ich folgendes Vorwort:

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Wir machen Lesungen im Dunkeln.

Oder legen 90 Neonröhren am Boden einer Reithalle aus – als »Lichtbrunnen«.

Wir laden zwölf Menschen auf die Bühne, 500 ins Publikum.

Oder fahren drei mit einer lesenden Autorin durch die Stadt.

Wir suchen Billardtische, Tischkicker, Spielautomaten, Topfpflanzen, Hütten wie beim Weihnachtsmarkt, Cityroller, Fahrräder, Kleintransporter, Schirmleuchten, mobile Küchen, Traversen, Gästezimmer, Diskokugeln, Industrieruinen, leere Ladengeschäfte, Bettwäsche, Spanplatten, Brandschutzvorhänge, Kammerorchester, Schubkarren, Strandkörbe, Europaletten, Einwegkameras, interessierte Schulklassen, Pressekontakte, Hotelrabatte, Förderung durch Stiftungen und Fonds, Schuhkartons, Guacamole-Rezepte, Video- und Filmteams, Sektflöten, alten Gratis-Messeteppich, Schauspieler°innen, Straßenmalkreide.

Falls Energie bleibt, suchen wir frische, kantige Texte – von jungen Stimmen.

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Wir können einladen, was uns fehlt. Wen wir bewundern. Wir holen Profis in die Stadt, die bereits sind, wohin wir streben. Wir teilen Zu- und Absagen, Manuskripte, Lebensläufe, Besetzungslisten … und merken, wie viel wir noch nicht kennen: Wir finden großartige Menschen. Oft erst als vierte Wahl, in letzter Minute.

»In dieser Schule wird getrunken, gefeiert und gevögelt werden. Die unsportlichen Bücherwürmer von früher haben sich zu Organisatoren der Maßlosigkeit entpuppt. Es geht darum, Jungautoren so sehr abzufüllen, dass man ihnen die Haare beim Kotzen halten wird«, schreibt Ronja von Rönne über PROSANOVA 2014.

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Wir machen intime, parallele Lesungen in den Lauben einer Gartenkolonie, 2005. Als Sommerpicknick am Hang einer alten Villa, 2008. Im feuchten, hohen Gras einer Ex-Kaserne, 2011. Unter Sonnenschirmen, auf Tribünen über dem Schulhof, 2014. Oder auf dem ALDI-Parkplatz, heute.

Wir sagen: PROSANOVA ist grün und blumig – 2005. Oder silbern, gelb – 2008. Wir sprayen Tiersilhouetten, montiert aus P, R, O, S, A, N, V mit Leuchtfarbe an Hallenwände – 2011. Wir werden neonpink 2014 oder schwarz und grau, mit strengen Versalien – jetzt.

Wir geben BELLA triste heraus und drucken die junge BELLA auf jedes Cover. Wir malen, pausen, streuen die Kunstfigur übers ganze Festivalgelände. Oder wir feuern die Zeichnerin? Schreiben uns fortan »bella triste«! Und sind jetzt seriös, erwachsen – und ohne Frau als Logo, öffentliches Gesicht.

Wir diskutieren jeden Schritt zu fünft bis sechst, als Künstlerische Leitung. Wir opfern sechs, zwölf, achtzehn Monate für vier Tage Festival. Wir haben Angst vor jeder Weichenstellung – und jeder Kritik von außen. Wir merken jeden Tag, was wir nicht können. Wir werden Freund°innen. Gegner°innen. Familie. Oder Leute, die sich nie mehr sehen wollen.

»Fünf Leute treffen sich und bauen eine Bombe«, beschreibt Martin Kordić unsere Zeit 2008.

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Für PROSANOVA denken wir als Wir.

Wir hassen, dass immer einer sagt: »Ach, IHR. Tja. Hildesheim.«

Wir sagen Eisenhalle. Paschenhalle. Panzerhalle.

Wir sagen Kegelcenter, Mensa, Möbel Schwetje, Alter Markt. Wir teilen Jargon, Milieu, nehmen uns Erfahrungswerte, Excel-Tabellen, Templates eines Teams, drei Jahre alt – und zünden daraus unser eigenes Ideal. Die Utopie, die wir uns wünschen!

»Dieses Mal dauert die Suche nach dem Festivalzentrum besonders lang. Die Luft ist raus. Alles wirkt aufgesetzt, eitel, erzwungen.« Wir hören das jedes Mal, kurz vor Start: »Wer weiß, ob in drei Jahren überhaupt noch Masochisten, Selbstausbeuter, Dumme eine nächste Runde stemmen wollen!«

»Wir versuchen, Plastik zu vermeiden. Strohhalme sind bei uns aus Stroh und kompostierbar, das Catering bio und vegan, und 90% unserer Ausstattung fanden wir in eBay-Kleinanzeigen oder auf dem Sperrmüll. Nachhaltig sind wir trotzdem nicht, denn ›Nachhaltigkeit‹ und ›Festival‹ sind zwei entgegengesetzte Pole. Die Frage kann man sich schon stellen: Ist es noch zeitgemäß, ein Festival zu veranstalten?«, fragt Helene Bukowski im Suhrkamp-Blog, 2017.

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Wir leihen, kaufen oder erbetteln neun Chaiselongues, fünf Nierentische.

Wir können sicher sein, dass 50 Leute das verzückt fotografieren.

Der Tresen da – denken wir in jedem zweiten Ladenlokal – ist freudlos im Vergleich zu den vier Bars, die wir für 100 Euro zimmern, keine 80 Stunden nutzen, entsorgen. Wir haben massig Arbeitskraft, doch kaum Budget. Wir können anderthalb Semester in einem siebzigköpfigen Seminar jede Woche brainstormen, wie wir geheime Lautsprecher, aus denen Gedichte zwitschern, in Parks in Bäume montieren.

Wir lernen, dass Hilfe aus absurden Ecken kommt. Dass man nach allem fragen, bitten kann.

Dass oft der dreiste Ruf, die unverschämteste Anfrage erst Türen öffnet.

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Wir wollen Bandbreite, Diversity, Zumutungen, Avantgarde. Wir wollen Szenische Lesungen, Hörspiele, Lyrik, Workshops, Residencies, Performances und Rahmenprogramm. Wir haben bei allem Angst, elitär, hermetisch zu wirken. Oder dilettantisch, möchtegern. Wir wollen anders sein. Und dabei das Institut, die Presse, alle Förderer°innen und bisherige PN-Generationen nicht enttäuschen.

Wir wollen charmante Gastgeber°innen sein – doch allen alles beweisen.

»Als es noch keine Vasen gab, haben wir Bierflaschen vergoldet«, schreibt Juli Zucker über Kompromisse, 2014.

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»Hast du den Nackten gesehen, der hinten im Schutt Waldhorn spielt?«

»Am Lesungsende lief ein weißes Pferd raus auf die Wiese.«

Wir feiern junge Literatur – und alle lieben den Auftritt Elke Erbs, 73 Jahre alt, am meisten.

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Wir schreiben Schulfreund°innen und Eltern. »Falls du je Hildesheim besuchst: Bitte da!« Wir zeigen Fotos. Aber hören: »Alle kucken gleich. Was sind das für verhipsterte Kids?« Wir zeigen die selben Fotos älteren Leuten im Betrieb: »Das ist ein traumhaft junges Publikum!«

Wir feiern jeden, der Urlaubstage nimmt, Zimmer reserviert.

Unser Herz bricht, wenn wir hören, die Anfahrt aus Hannover sei zu weit.

Wir wissen, dass Sitzecken, blauer Himmel, laute Partys und drei Charismatiker°innen, die kurze Texte voller Pointen lesen, oft reichen. Wir wissen, dass bei grauem Himmel kommt: »Vor drei Jahren war mehr Atmosphäre!«

Oft hören wir vor allem vom Catering. Von Abstürzen, Koks und Resteficken. Vom Morgengrauen am Fluss.

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1993 gründet das Leipziger Schreibinstitut die Zeitschrift EDIT. Ab 2001 lernt Hildesheim daraus für BELLA triste. Die szenischen Studiengänge Hildesheims feiern alle drei Jahre das Transeuropa-Festival. 2005 lernt daraus die BELLA-Redaktion für PROSANOVA. Ein Festival mit Uni-Anschluss, so autonom wie möglich.

»Jeder ist eingeladen, aber nur ganz bestimmte Leute kommen dann auch«, sagt Hanns-Josef Ortheil 2014.

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…und jedes Mal seufzt irgendwer – trotz aller Versuche der Festivals, sich zu öffnen: »Heute habe ich Bäcker, Taxifahrer, Nachbarinnen und zehn Kinder allen Alters gefragt. Die haben kaum was gehört. Keiner weiß, was ihr hier macht. Vor ihrer Haustür!«

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Stefan Mesch war 2005 Praktikant, 2008 Mitglied der künstlerischen Leitung, 2011 erstmals seit drei Jahren zurück in Hildesheim, 2014 Podiumsgast … und begriff 2017: Es gibt kaum zehn Personen, die alle bisherigen PROSANOVAs sahen.

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ich; Prosanova 2005. Foto: Stephan Porombka

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Prosanova 2008

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Prosanova 2011. Foto: Jule D. Körber

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Prosanova 2014. ich erfuhr nie, wer das Foto machte.

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Prosanova 2017. Foto: P. Olfermann

gelesen 2017: meine zehn besten Bücher das Jahres

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Zehn Bücher, die ich möglichst vielen Menschen empfehlen kann:

meine Entdeckungen 2017.

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2015 empfahl ich Bücher etwas ausführlicher.

Favoriten 2016 | Favoriten 2014 | Favoriten 2013 | Favoriten 2012 | Favoriten 2011

Lieblingscomics 2017 hier (Link).

Und: Songs 2017 (Link)!

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10: RENEE WATSON, „Piecing me together“
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09: SCOTT SNYDER, JEFF LEMIRE, „A.D. After Death“
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08: RYAN NORTH, „The Unbeatable Squirrel Girl beats up the Marvel Universe“ (Graphic Novel, funktioniert für sich allein – doch die gesamte „Suirrel Girl“-Reihe ist lesenswert)
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07: JEFF LEMIRE, „Royal City“
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06: NOELLE STEVENSON, „Nimona“
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05: STEFANIE HÖFLER, „Mein Sommer mit Mucks“
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03: MANU LARCENET, „Brodecks Bericht“
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01: TIM WINTON, „Inselleben“
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Die besten Bücher 2018: erste Favoriten und Empfehlungen [Buchtipps, Romane]

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bereits gelesen:

KENT HARUF, „Lied der Weite“

gelesen in der deutschen Ausgabe von 1999, „Flüchtiges Glück“, die selbe Übersetzung durch Rudolf Hermstein. Harmlos, einfach, etwas süßlich… doch toll atmosphärisch, warmherzig.

„Victoria, siebzehn und schwanger, wird von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt. Da überredet ihre Lehrerin Maggie die Brüder McPheron, zwei alte Viehzüchter, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Ein erst widerwilliger Akt der Güte, der das Leben von sieben Menschen in der Kleinstadt Holt in Colorado umkrempelt und verwandelt.“ [Klappentext, ungekürzt]

[Diogenes. 12. Januar]

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angelesen und gemocht:

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neue Bücher 2018 Jon McGregor, Nickolas Butler, Jesmyn Ward

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JON McGREGOR, „Speicher 13“

„Die dreizehnjährige Rebecca Shaw kehrt von einer Moorwanderung nicht zurück. Ein Hubschrauber wird eingesetzt, Beamte durchkämmen die Gegend, Taucher kontrollieren die umliegenden Speicherseen. Auch die Dorfbewohner beteiligen sich an der Suche. Sie müssen einen Weg finden, im Schatten der Ereignisse ihren Alltag zu bewältigen. Jon McGregor erzählt, wie Menschen mit einer Tragödie umgehen, die sie aus nächster Nähe miterleben, und was von dieser Tragödie den Wandel der Zeit überdauert.“ [Klappentext, gekürzt]

[Liebeskind, 22. Januar]

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NICKOLAS BUTLER: „Die Herzen der Männer“

„Wer will schon ein Kind, das weder Freunde noch Selbstbewusstsein besitzt? Je intensiver sich Nelson nach Zuwendung sehnt, desto stärker sondert sich der Vater ab. Nelsons bester Freund aus dem Pfadfinderlager, ist das genaue Gegenteil: Jonathan ist bei allen beliebt und pragmatisch. Was aber treibt jemanden wie Jonathan dazu, sich mit einem Außenseiter anzufreunden? Und stand Jonathan wirklich immer so rückhaltlos zu ihm? Das Leben im rauhen Wisconsin verlangt den Freunden Prüfungen ab, die Loyalität auf eine harte Probe stellen.“ [Klappentext, gekürzt]

[Klett-Cotta, 10. Februar]

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JESMYN WARD: „Singt, ihr Lebenden und Toten, singt“

„Jojo und seine kleine Schwester Kayla leben bei ihren Großeltern an der Golfküste von Mississippi. Ihre Mutter nimmt Drogen und arbeitet in einer Bar. Als der weiße Vater der Kinder aus dem Gefängnis entlassen wird, fährt die Familie zur »Parchment Farm«, dem staatlichen Zuchthaus, um ihn abzuholen. Eine Reise voller Gefahr und Hoffnung. Wie bewahrt man Würde, Liebe und Achtung, wenn man sie nicht erfährt? Ein Familienporträt voller Anspielungen auf das Alte Testament und die Odyssee.“ [Klappentext, gekürzt]

[Kunstmann, 14. Februar]

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neue Bücher 2018 Catalin Mihuleac, Bettina Wilpert, Noelle Revaz

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CATALIN MIHULEAC: „Oxenberg & Bernstein“

„Die reiche Dora Bernstein und ihr Sohn Ben aus Amerika besuchen Iasi, die Wiege der rumänischen Kultur. Eine junge Frau, Suzy, zeigt ihnen die Stadt. Wenig später macht Ben ihr einen Antrag. Sie heiraten, und Suzy beginnt, sich für die Geschichte ihrer neuen Familie und die ihrer alten Heimat genauer zu interessieren. Sie stößt auf ein Mädchen, das 1947 mit 17 Jahren nach Wien kam. Als Einzige einer angesehenen Familie überlebte sie das Pogrom in Iasi und den Holocaust. Im Wiener Rothschild-Spital findet sie Zuflucht und erweist sich als begabte Schneiderin. Dort trifft sie einen GI, der ihr den Hof macht.“ [Klappentext, gekürzt]

[Zsolnay, 19. Februar]

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BETTINA WILPERT: „Nichts, was uns passiert“ [Debüt, deutschsprachig]

„Leipzig. Universität und Fußball-WM. Gute Freunde, eine Geburtstagsfeier. Anna sagt, sie wurde vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr. Aussage steht gegen Aussage. Nach zwei Monaten nah an der Verzweiflung zeigt Anna Jonas schließlich an, doch im Freundeskreis hängt bald das Wort „Falschbeschuldigung“ in der Luft. Der Roman thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter und das Umfeld hat und wie eine Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.“ [Klappentext, gekürzt]

[Verbrecher Verlag, 28. Februar]

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NOELLE REVAZ: „Von wegen den Tieren“ [Neuauflage]

„Bauer Paul ist engstirnig und hartherzig, ein Schläger und Trinker. Er selbst merkt das nicht. Kunstvoll lässt Revaz ihn seine Welt schildern: ein wortkarger und harter Mann, der seine Frau nur »Vulva« nennt, seine Kinder nicht beim Namen kennt und zuschlägt, »weil was man gern hat, das klopft man«. Doch dieser Sommer ist anders, denn Vulva wird krank, die Tiere geraten in Gefahr, und der Wanderarbeiter Georges bringt neue Töne in Pauls Leben.“ [Klappentext, gekürzt]

[Wallstein, 5. März, schon 2004 in dieser Übersetzung veröffentlicht]

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neue Bücher 2018 Donal Ryan, Sara Novic, Celeste Ng

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DONAL RYAN: „Die Lieben der Melody Shee“

„Als Melodys Mann sich nach zwei Fehlgeburten heimlich sterilisieren lässt, beantwortet sie diesen Vertrauensbruch mit einer Affäre und wird schwanger – von einem ihrer Schüler. Im erzkatho­lischen Irland schwankt Melody schwankt zwischen dem stillen Glück und der Schuld, die sie mit seiner Entstehung auf sich geladen hat. Die Entscheidung, die sie letztlich trifft, ist so unkon­ventionell wie mutig.“ [Klappentext, leicht gekürzt]

[Diogenes, 28. März]

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SARA NOVIC: „Das Echo der Bäume“

„Es ist 1991, in der Nähe von Zagreb, in einem Land, in dem Nachbarn zu Feinden geworden sind. Ana gelingt die Flucht nach Amerika, zusammen mit ihrer kleinen Schwester Rahela, die noch ein Baby ist. Rahela wächst sorglos heran, doch Ana kann nicht vergessen. Bis sie eines Tages beschließt, zurückzukehren in das heutige Kroatien, das für sie noch immer voller Wunder ist und einmal ihre Heimat war …“ [Klappentext, gekürzt]

[btb, April – ich las vor zwei Jahren das US-Original, „Girl at War“ ca. zur Hälfte und verlor dann das Interesse: Es las sich wie ein kompetent geschriebenes Jugendbuch, bei dem mir Ton und Themen zu bekannt vorkamen.]

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CELESTE NG: „Kleine Feuer überall“

„Elena Richardson steht in Bademantel und den Tennisschuhen ihres Sohnes auf dem Rasen und starrt in die Flammen. Sie passte gut nach Shaker Heights, den wohlhabenden Vorort von Cleveland, Ohio. Ihr Mann ist Partner einer Anwaltskanzlei, sie schreibt Kolumnen für die Lokalzeitung, die vier halbwüchsigen Kinder sind bis auf das jüngste, Isabel, wohlgeraten. Doch es brennt.“ [Klappentext, gekürzt]

[dtv, 20. April]

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neue Bücher 2018 William Finnegan, Matt Ruff, George Saunders

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WILLIAM FINNEGAN: „Barbarentage“

[Nonfiction] „Vor fünfzig Jahren verfällt William Finnegan dem Surfen. Damals verschafft es ihm Respekt, dann jagt es ihn raus in die Welt – Samoa, Indonesien, Australien, Südafrika –, als Familienvater mit Job beim New Yorker dient es der Flucht vor dem Alltag.“ [Klappentext, gekürzt]

[Suhrkamp, 2. Mai]

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MATT RUFF: „Lovecraft Country“

„Als Atticus Turners Vater verschwindet, macht Atticus sich wohl oder übel auf die Suche: nach „Lovecraft Country“ in Neuengland, Mitte der 50er Jahre ein Ort der schärfsten Rassengesetze in den USA. Mit Hilfe seines Onkels George, Herausgeber des „Safe Negro Travel Guide“, und seiner Jugendfreundin Letitia gelangt er bis zum Anwesen der Braithwhites. Dort tagt eine rassistische Geheimloge: Matt Ruff erzählt mit überbordender Phantasie und teuflischem Humor die wahnwitzigen Abenteuer einer schwarzen Familie.“ [Klappentext, gekürzt]

[Hanser, 14. Mai]

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GEORGE SANDERS, „Lincoln im Bardo“

„Während des amerikanischen Bürgerkriegs stirbt Präsident Lincolns geliebter Sohn Willie mit elf Jahren. Laut Zeitungsberichten suchte der trauernde Vater allein das Grabmal auf, um seinen Sohn noch einmal in den Armen zu halten. Bei George Saunders wird daraus eine allumfassende Geschichte über Liebe und Verlust: Im Laufe dieser Nacht, in der Abraham Lincoln von seinem Sohn Abschied nimmt, werden die Gespenster wach. Warum lieben wir überhaupt, wenn wir doch wissen, dass alles zu Ende gehen muss?“ [Klappentext, gekürzt]

[Luchterhand, 14. Mai]

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neue Bücher 2018 Jens Rehn, Hala Alyan, Naomi Alderman

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JENS REHN: „Nichts in Sicht“ [Neuauflage: 2013 zur Hälfte gelesen, dann aus Versehen das Ende erfahren und das Interesse verloren.]

Okay, Schöffling – vergesst es. Die Website hat den selben Klappentext, der mir das Buch ruinierte 2014. Ihr seid schreckliche Menschen!

[Schöffling, 22. Mai]

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HALA ALYAN: „Häuser aus Sand“

„Salma musste ihre Heimat Jaffa verlassen und fand in Nablus mit Mann und Kindern einen neuen Platz. Der Garten wird zum Paradies. Salmas Tochter dagegen fühlt sich dem Haus und Nablus so verbunden, wie Salma Jaffa. Salma muss erleben, wie ihr Sohn ihr im Sechstagekrieg genommen wird und ihre Tochter nach Kuwait flieht. Alia hasst ihr neues, beengtes Leben und durchlebt die selbe Sehnsucht nach der Heimat und den Widerstand ihrer eigenen Kinder gegen ihr Festhalten an alten Regeln. Zwanzig Jahre später verlieren Alia und ihre Familie erneut ihr Zuhause und retten sich nach Boston, Paris, Beirut. Wieder einmal wird ihre Geschichte von anderen bestimmt und geschrieben.“ [Klappentext, gekürzt]

[Dumont, 18. Juni]

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NAOMI ALDERMAN: „Die Gabe“

„Ein nigerianisches Mädchen am Pool. Die Tochter einer Londoner Gangsterfamilie. Eine US-amerikanische Politikerin. Von heute auf morgen haben Frauen weltweit die Gabe – sie können mit ihren Händen starke Stromstöße aussenden. Ein Ereignis, das die Machtverhältnisse und das Zusammenleben aller Menschen unaufhaltsam und auf schmerzvolle Weise verändern wird.“ [Klappentext, gekürzt]

[Heyne, 12. März]

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deutschsprachige Literatur, noch nicht angelesen:

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Literatur 2018 Anja Kampmann, Milena Michiko Flasar, Andreas Maier

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ANJA KAMPMANN, „Wie hoch die Wasser steigen“, Hanser, 28. Januar.

„Wenzel Groszak, Ölbohrarbeiter auf einer Plattform, verliert in einer stürmischen Nacht den einzigen Freund. Er reist nach Ungarn, bringt dessen Sachen zur Familie. Und jetzt? Vor der westafrikanischen Küste wird er seine Arbeitskleider wegwerfen, wird über Malta und Italien aufbrechen nach Norden, in ein erloschenes Ruhrgebiet, seine frühere Heimat.“ [Klappentext, gekürzt]

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MILENA MICHIKO FLASAR, „Herr Kato spielt Familie“, Wagenbach, Februar

„Endlich Zeit. Jetzt steht er frisch verrentet auf den bemoosten Treppen vor seinem Haus und weiß nicht wohin. Doch als er der jungen Mie begegnet, die ihm ein seltsames Angebot macht, beginnt er, die Dinge anders zu sehen. Er lässt sich von ihrer Agentur »Happy family« mal als Opa, mal als Exmann, dann wieder als Vorgesetzter engagieren und trifft auf fremde Menschen und Schicksale. Er spielt seine Rollen gut, und seine Frau bekommt von alledem nichts mit. Sie hat wieder angefangen zu tanzen.“ [Klappentext, gekürzt]

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ANDREAS MAIER, „Die Universität“, Suhrkamp, 7. Februar

„Frankfurt, 1988. Damals noch ein ganz anderes Studium, Magister, eigentlich völlige Freiheit in allem. Das Betätigungsfeld erstreckt sich vom Biertrinken im „Doctor Flotte“ bis hin zu Seminaren über Wahrheitstheorie, die den Studenten der Philosophie schon innerhalb eines Semesters zu Arztbesuchen treiben. Es droht ein völliger Verlust der eigenen Person. Aus seiner Matratzengruft, in der er sich verzweifelt-lethargisch einrichtet, rettet ihn ausgerechnet ein Pflegefall: Gretel Adorno, die uralte Witwe des Philosophen, bei der er durch seinen Studentenjob Dienst tut. Er läßt sich von ihr zerkratzen und beschimpfen, aber eigentlich versteht er sich mit ihr besser als mit seiner ganzen Umwelt.“ [Klappentext, gekürzt]

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Literatur 2018 Clemens J. Setz, Thorsten Nagelschmidt, Axel Ranisch

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CLEMENS J. SETZ, „Bot“, Suhrkamp, 12. Februar

„Sie sind ein bekannter Schriftsteller und werden um ein Interview gebeten. Stellen Sie sich vor, Ihnen fällt nichts ein. Dann muss eben jemand anderer über Sie erzählen. Im Fall des Schriftstellers Clemens J. Setz fand sich eine Alternative. Aber keine natürliche Person steht hier Rede und Antwort, sondern eine Art künstliche Intelligenz, sein Millionen von Zeichen umfassendes elektronisches Tagebuch – die ausgelagerte Seele des Autors, kurz gesagt: ein Clemens-Setz-Bot.“ [Klappentext, gekürzt]

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THORSTEN NAGELSCHMIDT, „Der Abfall der Herzen“, S. Fischer, 22. Februar

„Sommer 1999. Nagel lebt in seiner ersten WG, hielt sich mit Nebenjobs über Wasser. Damals, als man im Regional-Express noch rauchen durfte und nur Angeber ein Handy hatten. Plötzlich verwandelt sich seine Welt in einen Scherbenhaufen: ein Roman über Liebe, Freundschaft und Verrat. Über einen letzten großen Sommer und die Spurensuche 16 Jahre später.“ [Klappentext, gekürzt]

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AXEL RANISCH, „Nackt über Berlin“, Ullstein Fünf, 23. Februar [schreckliches Spaßbuch-Cover und die verbrauchte Idee aus „Tötet Mrs. Tingle“. Aber: queerer Autor, queerer Teenager-Ich-Erzähler.]

„Jannik und Tai, von ihren Mitschülern liebevoll Fetti und Fidschi genannt, sind 16. Bis sie eines Tages den Rektor sturzbetrunken auf der Straße auflesen und in seiner eigenen Wohnung einsperren. Aus dem Scherz wird schnell eine handfeste Entführung. Tai zwingt den Lehrer zu einem Seelenstriptease. Ein Höllentrip für Jannik, der schnell bemerkt, dass Tai seine zarte Verliebtheit nur ausnutzt.“ [Klappentext, gekürzt]

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Literatur 2018 Anne Reinecke, Josefine Rieks, Antonia Kühn

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ANNE REINECKE, „Leinsee“, Diogenes, 28. Februar [Debüt; könnte ein großes Manic-Pixie-Dream-Girl-Problem haben: junges Mädchen bringt Künstler neuen Lebensmut.]

„Karl ist noch nicht einmal 30 und hat sich schon als Künstler in Berlin einen Namen gemacht. Er ist der Sohn von August und Ada Stiegenhauer, ›dem‹ Glamourpaar der deutschen Kunstszene. Doch in der symbiotischen Beziehung seiner Eltern war kein Platz für ein Kind. Nun ist der Vater tot, die Mutter schwer erkrankt. Karls Kosmos beginnt zu schwanken und steht plötzlich still. Die einzige Konstante ist ausgerechnet das kleine Mädchen Tanja, das ihn mit kindlicher Unbekümmertheit zurück ins Leben lockt. Und es beginnt ein Roman, wild wie ein Gewitter, zart wie ein Hauch.“ [schlimm altbackener Klappentext, ungekürzt]

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JOSEFINE RIEKS, „Serverland“, Hanser, 29. Februar

„Das Internet ist seit Jahrzehnten abgeschaltet. Reiner, Mitte zwanzig, sammelt Laptops und wird zum Begründer einer Jugendbewegung, die verklärt, was es früher wohl einmal gab – die Freiheit einer Gesellschaft, die alles miteinander teilt. Mit Hilfe einer Autobatterie gelingt es, eine Verbindung zu lange stillgelegten Servern herzustellen. Die Jugendlichen sehen, was seit Jahrzehnten keiner mehr gesehen hat: das Internet.“ [Klappentext, leicht gekürzt]

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ANTONIA KÜHN, „Lichtung“, Reprodukt [Graphic Novel], März

„Mit sechs verliert Paul bei einem Unfall seine Mutter. Fünf Jahre später erinnert er sich nur vage. Sein Vater und seine ältere Schwester tragen eigene Versionen des Unglücks mit sich herum – doch sprechen wollen sie darüber nicht. In alten Briefen und Fotos, Rückblenden und Traumsequenzen findet Paul allmählich die Wahrheit über die Vergangenheit heraus.“ [Klappentext, gekürzt]

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Literatur 2018 Mareike Fallwickl, Svenja Leiber, Karosh Taha

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MAREIKE FALLWICKL, „Dunkelgrün fast schwarz“, FVA, 5. März

„Raffael, der Selbstbewusste und Moritz, der Bumerang in Raffaels Hand: Als Kinder sind sie unzertrennlich, Raffael geht voran, Moritz folgt. Moritz und seine Mutter Marie sind Zugezogene in dem einsamen Bergdorf. Marie erkennt das Zerstörerische hinter Raffaels stahlblauen Augen. Johanna, neu in der Schule, weitet das Band zwischen Moritz und Raffael zu einem fatalen Dreieck. Sechzehn Jahre später hat die Vergangenheit die drei plötzlich wieder im Griff, und alles, was so lange ungesagt war, bricht sich Bahn – mit unberechenbarer Wucht.“ [Klappentext, gekürzt]

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SVENJA LEIBER, „Staub“, Suhrkamp, 7. März

„Als Elfjähriger verbringt Jonas Blaum mit seinen Eltern und zwei Geschwistern ein Jahr in Saudi-Arabien – der Vater hat sich als Arzt an eine Klinik in Riad berufen lassen. Als das jüngste Kind der Blaums, ein Mädchen, das sich selbst als Junge versteht, spurlos verschwindet, wenig später zwar körperlich unversehrt, aber verstört und ohne Sprache wieder auftaucht, kehrt die Familie überstürzt nach Deutschland zurück. Im Sommer 2014 reist Jonas, mittlerweile selbst Arzt, suchtkrank und von Zweifeln geplagt, erneut in den Nahen Osten, diesmal nach Amman. Dort wird ihm ein Junge in die Obhut gegeben, der an einer rätselhaften Krankheit leidet.“ [Klappentext, gekürzt]

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KAROSH TAHA, „Beschreibung einer Krabbenwanderung“, Dumont, 12. März

„Sanaa, 22, studiert, hat einen Freund und Träume. Doch ihre Mutter leidet unter Depressionen. Ihre Schwester ist wütend, orientierungslos. Sanaa rebelliert gegen die Enge des Umfelds. Bis plötzlich alles, was sie sich an Freiheit erkämpfte, auf dem Spiel steht.“ [Klappentext, gekürzt]

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Literatur 2018 Sibylle Luithlen, Kristine Bilkau, Kathrin Weßling

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SIBYLLE LUITHLEN, „Wir müssen reden“, DVA, 12. März

„Feline, noch keine 30, ist Alleskönnerin. Doch genügt sie wirklich – als Lehrerin, Mutter, Frau? Ihr Mann gesteht, in eine andere verliebt zu sein. Sie flüchtet für ein paar Sommerwochen in die schwäbische Provinz. Dort lernt sie Silver kennen, einen Mann, der sich frei gemacht hat von den Erwartungen an ihn.“ [altbackener Klappentext, gekürzt]

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KRISTINE BILKAU, „Eine Liebe, in Gedanken“, Luchterhand, 12. März

„Hamburg, 1964. Antonia und Edgar teilen den Traum von einer Zukunft fern von ihrer Herkunft. Im Krieg geboren und mit Härte und Verdrängung aufgewachsen, wollen sie die Welt kennen lernen. Edgar ergreift die Chance, für eine Außenhandelsfirma ein Büro in Hongkong aufzubauen. Toni soll folgen, sobald er Fuß gefasst hat. Nach einem Jahr der Vertröstungen löst Toni die Verlobung. Tonis und Edgars Leben entwickeln sich auseinander, doch der Trennungsschmerz zieht sich wie ein roter Faden durch beide Biographien. Fünfzig Jahre später, nach dem Tod ihrer Mutter fragt sich Tonis Tochter: War ihre Mutter gescheitert oder lebte sie, wie sie es sich gewünscht hat: selbstbestimmt und frei?“ [Klappentext, gekürzt]

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KATHRIN WEßLING, „Super, und dir?“, Ullstein Fünf, 6. April

„Marlene ist 31 und lebt das Leben, das sie sich wünschte. Auf die Frage, wie es ihr geht, antwortet sie meist: »Super, und dir?« Bis der Urlaub, auf den sie seit Monaten gewartet hat, nicht genehmigt wird. Bis ihr Freund deshalb alleine nach Teneriffa fliegt und Marlene einfach nicht zur Arbeit geht. Kathrin Weßling seziert mit schillernder Sprache eine gnadenlose Arbeitswelt, in der Ersetzbarkeit, fehlende Perspektiven und der Zwang zur (Selbst-)Optimierung eine ganze Generation unter Druck setzen.“ [Klappentext, leicht gekürzt]

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Literatur 2018 Verena Carl, Ralf Rothmann, Natalie Buchholz, Katharina Adler

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VERENA CARL, „Die Lichter unter uns“, S. Fischer, 26. April

„Anna verbringt ihren Urlaub in Taormina auf Sizilien, mit ihrem Mann und zwei Kindern. Alexander führt das aufregende Leben, das sie sich einmal für sich selbst erträumte. Beneidet er sie um die Familie? Sieben Tage verändern alles.“ [Klappentext, gekürzt]

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RALF ROTHMANN, „Der Gott jenes Sommers“, Suhrkamp, 2. Mai

„Anfang 1945 muss die zwölfjährige Luisa Norff mit ihrer Mutter und der älteren Schwester aus dem bombardierten Kiel aufs Land fliehen. Das Gut ihres Schwagers Vinzent, eines SS-Offiziers, wird ein unverhoffter Raum der Freiheit: Kein Unterricht mehr, und während alliierte Bomber ostwärts fliegen und immer mehr Flüchtlinge eintreffen, streift die Verträumte durch die Wälder. Was ist das für eine Beunruhigung, wenn sie den jungen Melker Walter sieht, wer sind die Gefangenen am Klostersee, von wem bekommt die Perückenmacherin eigentlich die Haare? Als ihr auf einem Fest zu Vinzents Geburtstag genau das widerfährt, wovor sich alle Frauen in jenen Tagen fürchten, bricht Luisa unter der Last des Unerklärlichen zusammen.“ [Klappentext, gekürzt]

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NATALIE BUCHHOLZ, „Der rote Swimmingpool“, Hanser Berlin, 14. Mai

„Adams Mutter ist schön und wird von allen bewundert, sein Vater ist lebenshungrig, erfolgreich. Dann verschwindet er ohne ein Wort. Seine Mutter sagt ihm nicht, was los ist. Ein Debütroman über eine Vorzeigefamilie, die sich selbst zerstört und ein Mädchen, das Adam dazu bringt, sich endlich auf seinen eigenen Weg zu machen.“ [Klappentext, gekürzt]

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KATHARINA ADLER, „Ida“, Rowohlt, 24. Juli

„Sie ist eine der bekanntesten Patientinnen des 20. Jahrhunderts: Dora, das jüdische Mädchen mit der ‚petite hystérie‘. Dora, die kaum achtzehn war, als sie es wagte, ihre Kur bei Sigmund Freud vorzeitig zu beenden. Für Katharina Adler war die widerständige Patientin lange nur eine Familienanekdote: ihre Urgroßmutter, die – nicht unter ihrem wirklichen Namen und auch nicht für eine besondere Leistung – zu Nachruhm kam, und dabei mal zum Opfer, mal zur Heldin stilisiert wurde. Die Geschichte einer Frau zwischen Welt- und Nervenkriegen, Exil und Erinnerung. Der Roman eines weitreichenden Lebens, das – mit Freuds Praxistür im Rücken – erst seinen Anfang nahm.“ [Klappentext, gekürzt]

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internationale Literatur, noch nicht angelesen:

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neue Bücher 2018 Haruki Murakami, Fernando Aramburu, Stefan Agopian.png

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HARUKI MURAKAMI, „Die Ermordung des Commendatore“ Band 1 und 2, Dumont, 22. Januar & 16. April

„Ein erfolgreicher junger Maler reist ziellos durch Japan. Er soll das Porträt eines reichen Mannes anfertigen. Wer ist dieser Mann, dessen Bildnis er keine Tiefe verleihen kann? Durch einen Zufall entdeckt der Maler auf dem Dachboden ein meisterhaftes Gemälde, ›Die Ermordung des Commendatore‹. Er ist wie besessen von dem Bild, mit dessen Auffinden zunehmend merkwürdige Dinge um ihn herum geschehen.“ [Klappentext, gekürzt]

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FERNANDO ARAMBURU, „Patria“, Rowohlt, 16. Januar

„Bittori sitzt am Grab ihres Mannes, der vor über zwanzig Jahren von Terroristen erschossen wurde. Sie will herausfinden, was damals geschah und wieder unter denen leben, die einst schweigend zusahen, wie ihre Familie ausgegrenzt wurde. Vor allem die Nachbarin Miren, damals ihre beste Freundin, heute Mutter eines Sohnes, der als Terrorist in Haft sitzt, zeigt sich alarmiert.“ [Klappentext, gekürzt]

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STEFAN AGOPIAN, „Das Handbuch der Zeiten“, Verbrecher Verlag, Februar

„In einer Pfütze erwachen Ioan, der Geograf und der Armenier Zadic. Zeiten und Geschichten schieben sich wie Eisschollen übereinander, der Winter und der Krieg. Mürrische Pandidaktiker fabulieren über die Welt und über Bohnen.“ [Klappentext, gekürzt]

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neue Bücher 2018 Bianca Bellova, Nina Lykke, Marcelo Figueras

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BIANCA BELLOVA, „Am See“, Kein & Aber, 16. Februar

„Ein Fischerdorf. Ein See, der austrocknet. Die Männer haben Wodka, die Kinder haben Ekzeme, an denen sie kratzen können. Nami hat sein Leben noch vor sich. Um hinter das größte Geheimnis seines Lebens zu kommen, muss er in die große Stadt ziehen.“ [Klappentext, gekürzt]

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NINA LYKKE, „Aufruhr in mittleren Jahren“, Nagel & Kimche, 19. Februar

„Oslo: Ingrid und Jan, seit 25 Jahren verheiratet, führen ein Leben in Wohlstand. Doch Ingrid kann nicht mehr. Das Engagement am Arbeitsplatz ist nur geheuchelt und von den halbwüchsigen Söhnen ist kein Trost zu erwarten. Jan schlittert in eine Affäre.“ [Klappentext, gekürzt]

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MARCELO FIGUERAS, „Das schwarze Herz des Verbrechens“, Hanser, 19. Februar

„Argentinien im Juni 1956: Ein Dutzend Männer wird von der Polizei aus einer Wohnung entführt und hingerichtet. Monate später stößt der Journalist Rodolfo Walsh auf die Spur eines Überlebenden; nach minutiösen Recherchen veröffentlicht er den Tatsachenroman „Das Massaker von San Martín“. Das Buch macht Walsh zum Helden des argentinischen Widerstands. Figueras erzählt die wahre Begebenheit als Thriller.“ [Klappentext, gekürzt]

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neue Bücher 2018 Dasa Drndic, Monica Isakstuen, Rita Indiana

DASA DRNDIC, „Belladonna“, Hoffmann & Campe, 20. Februar

„Andreas Ban ist Psychoanalytiker und Schriftsteller, dessen Welt nur noch aus Erinnerungen besteht, auch an die Schrecken des 20. Jahrhunderts. Eine Parabel über einen vergessenen, verstoßenen Intellektuellen, der in einer Gesellschaft, die ewige Jugend predigt und kritische Gedanken unterdrückt, zu leben und denken versucht.“ [Klappentext, gekürzt]

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MONICA ISAKSTUEN, „Elternteile“, Eichborn, 23. Februar

„Eine kleine Familie zerbricht. Karen und ihr Ex-Mann bemühen sich, alles einvernehmlich zu regeln – auch die Erziehung der dreijährigen Tochter Anna. Karen kämpft gegen die Erwartungen, die gut gemeinten Ratschläge von Freunden, die Vorwürfe der eigenen Mutter.“ [Klappentext, gekürzt]

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RITA INDIANA, „Tentakel“, Wagenbach, März

„Die Dominikanische Republik, etwas später. Die Strandpromenaden von Tsunamis verwüstet, das Meer auf Jahrzehnte verseucht, und auf den Straßen patrouillieren Roboter, die Flüchtlinge aus Haiti einsammeln und verschwinden lassen. Die junge Acilde Figueroa Frau arbeitet als Hausangestellte einer Voodoo-Priesterin und will Restaurantchef werden. Als sie erfährt, dass sie auserwählt ist, das Meer vor seiner Zerstörung zu bewahren, beginnt ein wilder Trip.“ [Klappentext, gekürzt]

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neue Bücher 2018 Madame Nielsen, James Baldwin, Yiyun Li

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MADAME NIELSEN, „Der endlose Sommer“, Kiepenheuer & Witsch, 8. März

The Endless Summer opens from the perspective of a „young boy, who is perhaps a girl, but does not yet know it.“ This digressive, cinematic love story about a Danish woman and a much younger Portuguese artist confronts ideas of time, sexuality, and tragedy in a manner that’s both seductive and heart-wrenching.“ [Der deutsche Klappentext ist absurd nichtssagend und schlecht.]

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JAMES BALDWIN, „Von dieser Welt“, dtv, 9. März

„John ist ein schwarzer, empfindsamer Junge aus Harlem, sexuell unschlüssig. Was nützt es, von weißen Lehrern gefördert zu werden, wenn der eigene Vater tagtäglich predigt, man sei hässlich und wertlos, solange man sich nicht von der Kirche retten lässt? An Johns vierzehntem Geburtstag kommt Johns Bruder Roy von Messerstichen verletzt nach Hause. John wagt einen mutigen Schritt.“ [Klappentext, gekürzt]

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YIYUN LI, „Lieber Freund, aus meinem Leben schreibe ich dir in deines“, Essay/Memoir, Hanser, 9. März

„Li schreibt über ihren Selbstmordversuch. Sie kam als Immunologin von China nach Amerika und erzählt von ihren Depressionen und Büchern von Stefan Zweig, Elizabeth Bishop und William Trevor, die sie aus ihrer Einsamkeit heraus rissen.“ [Klappentext, gekürzt]

neue Bücher 2018 Lars Saabye Christensen, Tommi Kinnunen, Laetititia Colombani

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LARS SAABYE CHRISTENSEN, „Magnet“, btb, 12. März

„Jokum Jokumsen, Student der Literaturwissenschaft, Jazzliebhaber und über zwei Meter groß. Und Synne Sager, Studentin der Kunstgeschichte und Vegetarierin. Ein Wohnheim in Oslo in den 70er Jahren. In San Francisco widmet sich Jokum der Fotografie. Synne wird Kuratorin. Und möchte bekannt werden. Das Besondere leben.“ [Klappentext, gekürzt]

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TOMMI KINNUNEN, „Wege, die sich kreuzen“,  DVA, 19. März

„1996, im Norden Finnlands. Lahja kann zurückblicken auf ein langes Leben, in dem sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen konnte: das Fotografieren. Eines war ihr nicht vergönnt: körperliche Erfüllung. Ihr treuer Ehemann konnte ihr nicht geben, wonach sie sich sehnte – bis sie sich nach Jahren der unterdrückten Gefühle zu einer grausamen Tat hinreißen ließ. Erst nach ihrem Tod findet ihre Schwiegertochter Kaarina auf dem Dachboden einen Brief. Kunstvoll verwebt Tommi Kinnunen darin die Schicksale von vier Menschen, deren Träume größer sind als die Möglichkeiten, die das Leben offeriert.“ [Klappentext, gekürzt]

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LAETITIA COLOMBANI, „Der Zopf“, S. Fischer, 22. März

„Während Sarah in Montreal als Staranwältin gut situiert ist, hat Giulia in Palermo ihren Platz im Familienunternehmen, der letzten Perückenfabrik der Stadt. Smita in Uttar Pradesh im Norden Indiens hat es am schlechtesten getroffen, als Dalit gehört sie der untersten Kaste an und muss die Exkremente der anderen entsorgen. Das Haar, das Smita dem Gott Vishnu opfert, wird Giulias Rettung sein und Sarah neue Kraft schenken.“ [Klappentext, gekürzt]

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neue Bücher 2018 Laio Yiwu, Barien Vives, Maryam Madjidi

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LIAO YIWU, „Drei wertlose Visa und ein toter Reisepass. Meine lange Flucht aus China“, S. Fischer, 26. April

„Friedenspreisträger Liao Yiwu über seine dramatische Flucht nach Deutschland. Am 2. Juli 2011 gelang es Yiwu, den Grenzfluss zwischen China und Vietnam zu überqueren. Der entscheidende Schritt, der ihn ins Exil nach Deutschland führte.“ [Klappentext, gekürzt]

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BASTIEN VIVÈS, „Eine Schwester“, Reprodukt, Mai [Graphic Novel]

„Für einen 13-Jährigen ist Antoine noch recht kindlich, verträumt. Mit seiner Familie verbringt er die Sommerferien wie jedes Jahr am Meer, als überraschend Besuch auftaucht: eine Freundin der Mutter und ihre Tochter Hélène. Hélène ist 16 und behandelt den Jungen nicht mit der Herablassung der Älteren, sondern nimmt ihn freundschaftlich unter ihre Fittiche, verführt ihn zur ersten Zigarette, zum ersten Rausch und schließlich zum ersten Kuss. Hélène weckt seine sexuelle Begierde und ist gleichsam wie eine Schwester, mit der Antoine und sein kleiner Bruder Momente kindlicher Verschworenheit verleben. Als sie nach einer Woche Abschied nimmt, hat sie Antoine sanft aus seiner Kindheit gelöst.“ [Klappentext, leicht gekürzt]

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MARYAM MADJIDI, „Du springst, ich falle“, Blumenbar, 18. Mai

„Ein autobiographisches Debüt über Kindheit im Iran und den Kampf der Eltern für den Kommunismus. In Frankreich sollte das neue Leben anfangen – ohne Kampf, ohne Gefängnis. Doch die kleine Maryam fühlt sich fremd, weil in Paris alles fehlt: die eigene Sprache, echte Freunde, die Großmutter. Als junge Frau fährt Maryam zurück, und verliebt sich zum ersten Mal.“ [Klappentext, gekürzt]

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neue Bücher 2018 Alice Zeniter, Linn Ullmann, Nana Ekvtimishvli

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ALLICE ZENITER, „Die Kunst, zu verlieren“, Berlin Verlag, 1. Juni

„Naïma hat es lange nichts bedeutet, dass ihre Familie aus Algerien stammt. Wie soll ihre Verbindung zu einer Familiengeschichte, die sie nicht kennt, denn auch aussehen? War ihr Großvater wirklich ein „Harki“, ein Verräter? Vielleicht könnte die Großmutter es ihr erzählen, aber nur in einer Sprache, die Naima nicht versteht. Und ihr Vater, der 1962 nach Frankreich kam, in eines jener damals hastig errichteten Auffanglager, wo man die Algerienflüchtlinge versteckte, redet nicht über das Land seiner Kindheit. Um mehr zu erfahren, tritt Naïma eine weite Reise an“ [Klappentext, ungekürzt]

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LINN ULLMANN, „Die Unruhigen“, Luchterhand, 11. Juni

„Vater und Tochter, ein Aufnahmegerät. Ihr Plan: Das Altern dokumentieren. Doch die Gespräche werden unvorhersehbar und unzusammenhängend. Ein verspielter, forschender, genreüberschreitender Roman über ein Kind, das es nicht erwarten kann, erwachsen zu werden, und Eltern, die am liebsten Kinder sein wollen.“ [Klappentext, gekürzt]

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NANA EKVTIMISHVILI, „Das Birnenfeld“, Suhrkamp, 4. Juli

„Der Geschichtslehrer muss sterben. Das ist Lelas Plan: Im Internat für geistig behinderte Kinder in Tbilisi, einem Relikt aus Sowjetzeiten, hat das zornige Mädchen die Rolle der Beschützerin übernommen. Die Lehrerinnen sind mit den „Debilen“ überfordert. Behindert sind die wenigsten ihrer Schützlinge, im Stich gelassen, abgehängt sind sie alle. So mörderisch Lelas Hass auf den Geschichtslehrer, so schwesterlich ihr Verhältnis zu Irakli: Sie begleitet ihn in eine Hochhauswohnung in der Nachbarschaft, wo er einmal in der Woche mit seiner Mutter in Griechenland telefonieren darf. Irakli will nicht wahrhaben, was Lela längst weiß: Seine Mutter wird nie zurückkehren.“ [Klappentext, gekürzt]

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(und: BECKI ALBERTALLIs „Nur drei Worte“ (Carlsen, 2016) kommt am 28. Juni in deutsche Kinos)

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Sachbuch, noch nicht angelesen:

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Sachbücher 2018 Jörg Magenau, Toni Morrison, Hans Rosling

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JÖRG MAGENAU, „Bestseller“, Hoffmann & Campe, 20. Februar

„Bestseller sind Spiegel ihrer Zeit. Jörg Magenau fahndet in den Regalen von 1945 bis heute, was die Bücher über uns als Gesellschaft und unsere Stimmungen erzählen. Es gibt Gründe und Bedingungen dafür, dass Tausende Leser zur selben Lektüre greifen. Warum wurden bestimmte Themen so mächtig? Eine Geschichte des Lesens – eine Geschichte unseres Landes.“ [Klappentext, gekürzt]

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TONI MORRISON, „Die Herkunft der anderen“, Rowohlt, 27. März

„Literaturnobelpreis-Trägerin Toni Morrison mit klugen, schneidend klaren Worten zum Thema Rassismus in Amerika. Die sechs hier abgedruckten Texte basieren auf Vorlesungen an der Harvard University im Sommer 2016. Wie und wann entsteht das Konzept des Andersseins? Morrison beantwortet die Frage mit persönlichen Erinnerungen aus ihrer Kindheit, erzählt von eigenen Familien- und Berufserfahrungen und spricht über reale Fälle, die sie zu ihren Romanen inspirierten. Zudem macht sich Toni Morrison Gedanken zur Geschichte und Funktion von Literatur in einer latent rassistischen Gesellschaft. Sie leitet den literarischen Rassismus aus der Romantisierung des Sklaventums her und belegt mit Beispielen von Faulkner bis Hemingway die ständige Angst vor den schwarzen Gesichtern. Dabei schlägt sie einen weltpolitischen Bogen, von der individuellen Herkunft bis hin zur Globalisierung, zu Grenzen und Fluchtbewegungen. “ [Klappentext, gekürzt]

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HANS ROSLING, „Factfulness“, Ullstein, 6. April

„Es wird alles immer schlimmer, eine schreckliche Nachricht jagt die andere: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Es gibt immer mehr Kriege, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen. Viele Menschen tragen solche beängstigenden Bilder im Kopf. Doch sie liegen damit grundfalsch.“ [erste Hälfte des Klappentexts, ungekürzt]

Ein dummer, gefährlicher Klappentext. Meint er „Die Menschen liegen grundfalsch, wenn sie denken, alles würde immer schlimmer?“ Passt. Doch so, wie diese Sätze montiert sind, klingt es wie „Die Menschen liegen grundfalsch, wenn sie denken, die Reichen werden reicher, die Armen ärmer.“ Das ist SO leicht nachzuweisen, und wird SO oft gezeigt, mit überprüfbaren Zahlen. Ich hasse, dass Ullstein bei einem Buch, das vom Fehl-Interpretieren von Fakten handelt, in Kauf nimmt, dass Menschen glauben könnten, die Schere zwischen Arm und Reich sei umstritten/strittig.

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Literatur 2018 Sebastian Christ, Ta-Nehisi Coates, Kathrin Passig, Werner Bartens

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SEBASTIAN CHRIST, „Überübermorgen“, mikrotext, Mai

„Neue Technologien erscheinen den Menschen in den entwickelten Ländern nicht mehr als Chance, sondern als Bedrohung. Gerade jetzt müssten wir über Zukunft nachdenken. Was ist bei uns in 100, 500, 1.000, 10.000 Jahren los? Zwölf literarische Szenarien, was sein könnte, wenn wir nur wollen.“ [Klappentext, gekürzt]

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TA-NEHISI COATES, „We were eight Years in Power“, Hanser Berlin, 14. Mai

„Mit Barack Obama sollte die amerikanische Gesellschaft ihren jahrhundertealten Rassismus überwinden. Am Ende seiner Amtszeit zerschlugen sich die Reste dieser Hoffnung mit der Machtübernahme Donald Trumps.“ [Klappentext, gekürzt]

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KATHRIN PASSIG, „Neue Staaten erfinden“, Rowohlt Berlin, 24. Juli

„Im Netz geschieht Politik, ununterbrochen. Nicht nur in spektakulären Fällen von staatlicher Einflussnahme, Zensur oder Revolutionen. Nein, jede Gruppenbildung ist zugleich ein politisches Gebilde, in dem es um Mitsprache, Macht und Rechte geht. Was verrät uns die Selbstorganisation auf Facebook oder Wikipedia? Auch im Netz gibt es Monarchien, Diktaturen und Demokratien – welche Probleme lösen sie, welche neuen entstehen? Wer soll hier welche «staatsbürgerlichen» Rechte haben? Und wie wirkt das alles auf den Rest der Welt zurück? Das Internet ist nicht nur zwangsläufig politisch. Es zeigt uns auch, wie wir Politik gestalten und zusammenleben können – im Netz und draußen.“ [Klappentext, gekürzt]

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WERNER BARTENS, „Emotionale Gewalt“, Rowohlt Berlin, 21. August

„Der Angestellte, den der Chef zum Rapport an den «Schadenstisch» ruft; das Kind, das mit Liebesentzug bestraft wird; die Frau, deren Mann sich vor versammeltem Freundeskreis über sie lustig macht. Emotionale Gewalt kann seelische und körperliche Verletzungen hervorrufen, die nie wieder heilen. Die Betroffenen neigen später oft zu Depressionen und Angststörungen. Überall kann man Demütigung und Missachtung erleben, aber überall kann man sich auch wehren.“ [Klappentext, gekürzt]

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Danke an Ilja Regier, der seit Jahren zweimal jährlich solche Listen in seinem Literaturblog erstellt, für die Herbst- und Frühlings-Novitäten:

Iljas 2018-Posting und -Vorauswahl: hier

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Ich bin freier Kritiker (…und, gern und so oft wie möglich: Moderator bei Lesungen und Podien) und hoffe, 2018 auch mit zwei, drei Autor*innen auf Bühnen ins Gespräch zu gehen. Bisher moderierte ich u.a. Lesungen und Gespräche mit Stewart O’Nan, Thomas von Steinaecker, Manja Präkels (Foto) und Nik Afanasjew, Kathrin Passig, Teresa Präauer und Justin Torres, Fiona Maazel. Gern auf Englisch: das.ensemble (at) gmail.com

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Rassismus, Klischees und „Die Simpsons“: Hari Kondabolus Doku „The Problem with Apu“

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Am Dienstag, den 12. Dezember 2017, ab 14.30 Uhr spreche ich bei Deutschlandfunk Kultur über…

  • Apu Nahasapeemapetilon aus den „Simpsons“
  • die Doku „The Problem with Apu“ von Hari Kondabolu

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„Seeing an Indian character in a lead role [in 1988] had a powerful effect on me, but it was only as I got older that I realized what an anomaly it was. I rarely saw any Indians on TV or film, except for brief appearances as a cabdriver or a convenience store worker literally servicing white characters who were off to more interesting adventures. […]

Even though I’ve sold out Madison Square Garden as a standup comedian and have appeared in several films and a TV series, when my phone rings, the roles I’m offered are often defined by ethnicity and often require accents.“

Aziz Ansari in der New York Times, 2015 – über Fisher Stevens‘ Brownface-Rolle in „Nummer 5 gibt nicht auf“

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„Die Simpsons“ laufen seit 1989.

Nebenfigur Apu Nahasapeemapetilon [mehr zur Figur bei TV Tropes: Link], geboren in Indien, doch ab Staffel 7 US-Bürger, ist Franchise-Nehmer eines Quick-E-Marts (…und, in neueren Episoden, via arrangierter Ehe mit einer Inderin verheiratet und Vater von Achtlingen).

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wichtige Apu-Episoden:

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In LA (und den USA allgemein) werden 7-11-Stores meist von Indern geführt. Indische 7-11-Verkäufer sind ein altes Erzähl-Klischee. Wer schon in fünf Filmen, Serien Inder*innen am Verkaufstresen stehen sah, sollte für sich als Autor*in den Anspruch haben, beim Schreiben der sechsten Figur zu überlegen: Was mache ich anders? Vielschichtiger, überraschender, nuanciert? Will ich wirklich nur das Klischee reproduzieren?

Apu wird von einem Weißen synchronisiert, Hank Azaria.

Apus Rolle war nicht als Inder angelegt: Azaria improvisierte einen indischen Akzent, als er „Storekeeper“ im Drehbuch las. Die Produzenten sagten daraufhin: „How offensive can you make the accent?“ Hari Kondabolu sagt, Azaria spreche so übertrieben und stereotyp, dass er nicht klingt wie ein Weißer, der den Akzent von Kondabolus Vater imitiert, sondern wie ein Weißer, der einen Weißen imitiert, der Kondabolus Vater imitiert.

Dass ein Weißer eine Figur of Color synchronisiert, ist für Expert*innen wie [in Kondabolus Film zitiert] Whoopi Goldberg ein Minstrel-Klischee. Hollywood reproduziert und verstärkt hier Vorurteile, Stereotype. Eine schlechte Imitation durch einen Weißen scheint bequemer und „witziger“, als Rollen mit Menschen of Color zu besetzen. Blackface und Whitewashing sind bis heute in vielen Filmen Normalität:

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„Es geht um Repräsentation. Es geht darum, dass wir kaum Menschen auf der Bühne, auf Bildern oder im Film zu sehen, die nicht weiß sind, und dass diese Figuren dann auch als echte Menschen dargestellt werden, die Abenteuer erleben und nicht nur Stichwortgeber oder Freaks sind. Am besten spielt ihre Hautfarbe oder Herkunft dabei keine Rolle. So sind die Figuren nicht stereotyp und man kann z.B. Schwarze Menschen auf der Leinwand sehen, die nicht nur über ihre Rassismuserfahrungen definiert werden oder gar mit rassistischen Klischees dargestellt werden. Solche Figuren sind selten. Auch in der Kinderliteratur. Das bedeutet, dass Schwarze Kinder sich niemals „selbst“ sehen. Sie lernen, dass es weiße Kinder sind, die Abenteuer erleben, die Träume haben, die einfach handelnde Personen sind. Sie selbst sind weniger wert. Und weiße Kinder sehen das genauso. Diese Bilder und Geschichten schreiben sich ein. Das gilt nicht nur für Kinderfilme. Es lässt sich auch aufs Erwachsenenkino übertragen. Und es gilt nicht nur für „race“, sondern auch für Gender.

Wenn Schwarze Kinder lernen sollen, dass sie ein vollwertiger Teil dieser Gesellschaft sind, dann müssen sie sich repräsentiert sehen. Wenn weiße Kinder lernen sollen, dass es auch Schwarze Deutsche gibt, dann müssen sie auch in den Geschichten vorkommen, die sie lesen oder sich anschauen (dann kommen sie auch als Erwachsene nicht auf die Idee, zu ihrer Schwarzen Nachbarin zu sagen: „Und? Wo kommst du wirklich her?“). Mangel an Repräsentation festigt Rassismus.“

…kommentiert Theatermacherin und Kulturwissenschaftlerin Simone Dede Ayivi zur Repräsentation Schwarzer Figuren in Deutschland.

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Hari Kondabolu, geboren 1982, machte ein Filmessay / einen 50-Minuten-Film, in dem er indische Freund*innen und Schauspieler*innen, seine Eltern, Ex-Simpsons-Autor Dana Gould, Whoopi Goldberg etc. interviewt und mit ihnen darüber spricht, ob die Figur Apu Schaden anrichtet. Für wen? Warum?

Der Film läuft auf dem Portal des Kabelsenders TruTV, ist aber in Deutschland nur als illegaler Stream zu sehen.

Es gibt bereits deutschsprachige Artikel zum Thema – oft aber mit törichten Sätzen wie „Viele Fans wollen sich den vertrauten Verkäufermeister nicht nehmen lassen.“

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Das Problem mit Apu ist:

…dass es 1989 noch weniger indischstämmige Figuren im US-TV gab. (Übersicht 2015, Link: Es wird nur langsam besser.)

…dass indischstämmige US-Kinder seit 28 Jahren dauernd „Thank you, come again“ hören müssen, Apus (nur achtmal benutzte) Catch-Phrase in der Serie.

…dass 2007, zum Start des „Simpsons“-Kinofilms, echte 7/11-Stores in Kwik-E-Marts verwandelt wurden: The 7/11 company rebranded a number of stores as Kwik E Marts and made Indian workers wear shirts with Apu nametags to promote The Simpsons Movie: Accepting our portrayal of Apu is nothing less of accepting the images portrayed years ago in the US of black people with very black faces, big lips and white teeth… that image is considered racist so [is] Apu to me. [Link]

…dass Synchronsprecher Hank Azaria nicht am Film teilnehmen wollte (Dana Gould: „It’s not in his self-interest“) und nach dem Film defensiv antwortete („I’m sorry that my performance was hurtful or offensive.“) Kondabolu, auf Twitter: „Apu doesn’t “offend” me, he “insults” me… and my community. I’m an adult with bigger things to deal with. My film was meant to tell you to go fuck yourself & discuss why I want you to go fuck yourself & how we can prevent future incidents of people wishing others “self-fuckery.”“

…dass die Figur Apu zwar recht vernünftig ist [„Only Sane Man“], doch sonst nur Klischees bestätigt und nicht besonders wächst. Apus Neffe Jamshed / Jay beschimpft Apu in einer Episode von 2016 als Klischee. Eine typische Antwort auf solche Einwände: „Die Simpsons“ sind eine Parodie. Jeder wird als Klischee gezeigt. Für mich greift das Argument schlecht, weil…

a) EIN fauler Homer nicht gleich das kollektive Bild von Familienvätern prägt. Weil es im TV Hunderte differenziert gezeigter weißer Familienväter gibt. EIN Apu aber oft die einzige indischstämmige Figur ist, die wir regelmäßig sehen und halbwegs kennen lernen.

b) Satire (sagt auch Kondabolu), die nach oben tritt und sich an Mächtigen abarbeitet, größere Risiken auf sich nimmt und mehr Mut beweist als Satire, die Klischees und Rassismen aufgreift und sie reproduziert.

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eine Idee / ein Lösungsvorschlag von Hari Kondabolu:

Kondabolu würde sich freuen, wenn die Figur „upwardly mobile“ wird, z.B. die Quick-E-Mart-Kette besitzt und ein Konkurrent zu Mr. Burns wird. Oder, wenn die Figur sagt, dass ihr Akzent seit einiger Zeit nur aufgesetzt war, der Kundschaft zuliebe. Apu zu töten ist keine Lösung:

Vanity Fair, Link „Kondabolu suggested a few ways the Fox comedy could tweak Apu’s character in order to make him less offensive, saying the “lazy thing to do” would be to kill him off entirely or use some kind of “it was all a dream” trick. A more nuanced option, Kondabolu said, would be to give Apu “some upward mobility,” perhaps by creating a character of South Asian descent who can oppose the show’s evil billionaire character, Mr. Burns. Or perhaps The Simpsons could give Apu’s children a voice in the show: “Have them represent us. Have writers who can write to that voice.”

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Das „Problem mit Apu“, sagt Hari Kondabolu in einem Interview (Link), ist, dass diese… lausige, dürftige, gedankenlos geschriebene Figur ihn daran erinnert, WER erzählen darf, WER Figuren ins TV bringt, bei WEM Macht und Deutungshoheit liegen:

„Who gets to control their story? And who gets cast in what? The power of Hollywood: Who gets to control what in Hollywood?“

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Sinthujan Varatharajah, Politische*r Geograph*in und Essayist*in, über Apu in Deutschland:

„Braune Menschen in Deutschland, Menschen die aus dem durch Kolonialgeographien geschaffenen Raum Südasien stammen, waren erst sehr spät und weniger systematisch von den rassistischen Bilder der Simpsons betroffen. Stattdessen sind z.B. Tamil*innen hier in Deutschland aufgrund ihrer Hautfarbe vielmehr von anti-schwarzem Rassismus betroffen. Die kulturelle Gewichtung der Simpsons war in Deutschland weniger tiefgreifend wie in den USA, doch lieferte auch die deutsche Fassung mit ähnlich rassistischer Synchronsprechung wie in der Originalfassung neue rassistische Referenzen, die braune Menschen hier fassbarer machte. Sie sind dementsprechend noch immer eine Realität für braune Menschen, auch wenn nicht so allgegenwärtig wie in den USA.

Hierzulande herrscht eine ungemeine Ignoranz gegenüber braunen Menschen, so sehr dass Künstler*innen wie Xavier Naidoo oder Sabrina Setlur eher als schwarz als braun gelesen werden. Die Simpsons haben wenig Veränderung gebracht. Vor allem aber keine positive Auswirkungen auf die Leben von Menschen aus Südasien in Deutschland. Repräsentation ist klar wichtig, doch muss sie auch sinnvoll sein. Bloße Repräsentation der Repräsentation wegen kommt eher einer kosmetischen Veränderung gleich als einem tatsächlichem inhaltlichen Wandel.

Die Frage ist nicht nur wer spricht, wer gesehen wird, wem zugehört wird, sondern eben auch was gesagt wird. Das muss öfters beachtet werden. Es hilft uns relativ wenig, mehr rassifizierte Menschen zu sehen, wenn diese den Mehrheitstenor tragen und deshalb einfacher integrierbar sind als z.B. Stimmen, die gesellschaftliche Normen kritisch in Frage stellen. Hier obliegt die Verantwortung darin, keine Token zu schaffen bzw. sich nicht mit Token zufrieden zu geben. Wir können es uns nicht leisten, nur gesehen zu werden, aber nicht an inhaltlichen Entscheidungen maßgeblich teilzunehmen.“

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…und auf Facebook erinnert mich eine Userin an die Sat.1-Comedy von Kaya Yanar, Anfang der Nullerjahre:

„Du könntest auch über Kaya Yanar berichten, der mit seiner Ranjid-Darstellung dafür gesorgt hat, dass ich in der Schule genervt wurde.“

Ich labelte die Userin in einer früheren Version des Blogposts leichthin „indischstämmig“ – ohne zu fragen, und völlig falsch: „Das ist doch das Ding von Rassismus: Wir werden ständig in eine Schublade gestopft. Apu ist nicht einfach ein Stereotyp für Menschen mit Bezug zu Indien, sondern für ganz Südasien und braune Menschen, die dem einfach zugeordnet werden.“

noch 2012 war das ein deutscher Kinofilm:

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GLAAD zeigt, dass sich die Zahl der asiatischen und asiatischstämmigen Hauptfiguren (Asian & Pacific Islanders, API) im US-TV seit 2007 nur langsam erhöht:

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Mithu Melanie Sanyal, Autorin und Kulturwissenschaftlerin, schreibt:

In England und Amerika haben sie inzwischen verstanden, dass sie mehr schwarze Schauspieler*innen im Fernsehen brauchen. Und das ist super. Nur bräuchten sie auch deutlich mehr indische und pakistanische – oder wie sie sie nennen: Asians – da sind die Medien aber leider noch nicht.

Ich kann mich noch daran erinnern, wie aufgeregt wir waren, wenn wir mal ein braunes Gesicht im Fernsehen gesehen haben, das nur vage aus der selben Region kam. Denn das Problem ist ja, wenn du dich selbst nie in der Welt gespiegelt siehst, fällt es dir auch schwer, dich im Spiegel zu erkennen. In den 80er Jahren habe ich ja nicht in den Spiegel geschaut und ein braunes Mädchen gesehen, sondern eine Weiße, die irgendwie komisch aussah.

Auf der einen Seite funktionieren Medien nicht linear: Menschen sind schon in der Lage, sich Dinge herauszufiltern – und manchmal ist es ganz heilsam, einfach ein braunes Gesicht im Fernsehen zu sehen.

Apu ist eine Katastrophe. Erstmal ist der Name ja eine Referenz auf die Apu-Trilogie des größten indischen Regisseurs Satyajit Ray: heiliges indisches Filmgut 😉

Doch Apu ist ein solches Konglomerat ein Klischees (was ja alle Simpsons sind, nur macht ihn das nicht angenehmer): die arrangierte Ehe… die sich dann doch als das Beste für ihn herausstellt. Und, dass er Homer anbietet, als Diener für ihn zu arbeiten (nachdem er ihm eine Lebensmittelvergiftung durch verdorbenes Fleisch bescherte) war ziemlich unerträglich.

Oder die Szene, in der die Affen sich über Apu totlachen… Wie gesagt: Ich verstehe, dass das Ziel der „Simpsons“ ist, so vielen Leuten wie möglich auf die Füße zu treten und sich über alle und alles lustig zu machen. Außer Lisa gibt es ja auch eigentlich keine „sympatischen“ Charaktere. Und das wäre fein so. Auch die Tatsache, dass Apu von einem weißen Schauspieler mit einem echt schlechten indischen Akzent gesprochen wird, geschenkt.

WENN es den genügend andere Rollen für indische Schauspieler gäbe. Und wenn es genügend indische Repräsentationen gäbe.“

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Ich selbst schaue aktuell keine Serien mit indisch-stämmigen Figuren, empfehle aber…

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mein Kurztext für die Deutschlandfunk-Website:

Der einzige Mann aus Indien, gut sichtbar

28 Jahre „Die Simpsons“: Hari Kondabolus TV-Doku „The Problem with Apu“ fragt, wie Verkäufer Apu zu Rassismus und Schubladendenken einlädt.
„Wir waren aufgeregt, wenn wir mal ein braunes Gesicht im Fernsehen sahen, das nur vage aus der selben Region kam. Denn das Problem ist ja: Wenn du dich selbst nie in der Welt gespiegelt siehst, fällt dir auch schwer, dich im Spiegel zu erkennen. In den 80ern sah ich im Spiegel kein braunes Mädchen, sondern eine Weiße, die irgendwie komisch aussah“, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal.
Welche Inderinnen und Inder kennen wir aus Filmen, Serien? Warum sind Frauen, Menschen mit Behinderung, queere und nicht-weiße Menschen immer noch unterrepräsentiert, in Deutschland und den USA? Und falls sie vorkommen: Warum meist in Nebenrollen? Mit Sätzen, die ihnen fast immer nur weiße Autorinnen, Autoren in den Mund legten?
Comedian Hari Kondabolu hasst Apu, den servilen, oft nüchtern-sympathischen Ladenbesitzer aus den „Simpsons“. Denn seit 1989 ist Apu die sichtbarste Figur: Der einzige Mann aus Indien, den alle kennen. Deutsche Kinder mit Eltern aus Südasien wurden ab 2001 oft im Singsang von Ranjid verspottet – der Comedy-Figur des türkischstämmigen Kaya Yanar. US-Kindern wie Kondabolu hörten Apus Lieblingssatz: „Thank you, come again.“
„Ich verstehe, dass das Ziel der ‚Simpsons‘ ist, so vielen Leuten wie möglich auf die Füße zu treten und sich über alle und alles lustig zu machen. Außer Lisa gibt es ja auch eigentlich keine ’sympatischen‘ Charaktere. Und das wäre fein so. Auch die Tatsache, dass Apu von einem weißen Schauspieler mit einem echt schlechten indischen Akzent gesprochen wird, geschenkt“, sagt Sanyal: „WENN es denn genügend andere Rollen für indische Schauspieler gäbe. Und wenn es genügend indische Repräsentationen gäbe.“
Wir sehr diese Rollen fehlen, und wie sehr Kinder, Kunstschaffende und Schauspieler*innen of Color darunter leiden, zeigt Kondabolus 50-Minuten-Film: Das große „Problem mit Apu“, sagt der 35jährige, ist, dass eine dürftige, lausige, gedankenlos geschriebene Figur deutlich zeigt, wer erzählen darf. Wer Figuren ins TV bringt. Bei wem Macht und Deutungshoheit liegen: „Who gets to control their story? And who gets cast in what? The power of Hollywood.“
„Hierzulande herrscht eine ungemeine Ignoranz gegenüber braunen Menschen. So sehr, dass Künstler*innen wie Xavier Naidoo oder Sabrina Setlur eher als schwarz als braun gelesen werden. Die Simpsons brachten wenig Veränderung. Vor allem aber keine positive Auswirkungen auf die Leben von Menschen aus Südasien in Deutschland“, sagt Sinthujan Varatarajah:
„Repräsentation ist klar wichtig, doch muss sie auch sinnvoll sein. Die Frage ist nicht nur wer spricht, wer gesehen wird, wem zugehört wird, sondern eben auch was gesagt wird. Es hilft uns relativ wenig, mehr rassifizierte Menschen zu sehen, wenn diese den Mehrheitstenor tragen und deshalb einfacher integrierbar sind als z.B. Stimmen, die gesellschaftliche Normen kritisch in Frage stellen.“
Niemand fordert, Apu zu verbieten. Doch Hank Azaria, Apus Synchronstimme, macht es sich einfach, wenn er sagt: „Ich entschuldige mich bei jedem, der sich von meiner Darstellung verletzt oder angegriffen fühlt.“ Kondabolu antwortet: „Apu greift mich nicht an. Er beleidigt mich und meine Community.“ Durch die Lieb- und Gedankenlosigkeit der Figur, ihre Eindimensionalität.
Gute Comedy, sagt Kondabolu, tritt nach oben. Legt sich mit Mächtigen an. Stellt Regeln und Klischees in Frage. Vielleicht, schlägt er vor, könnte Apu in Staffel 30 aufsteigen, den Kwik-E-Mart-Konzern leiten? Ein Rivale des reichen, weißen Mr. Burns werden?
Ein fauler, tumber Homer Simpson bringt niemandem bei: alle weißen Männer sind faul und tumb. Es gibt genügend Gegengewichte, Differenzierungen. Deutsche ärgern sich, weil sie im US-TV fast nur als Nazis auftauchen. Das Problem mit Apu? Er zeigt, wie viel noch fehlt. Eine verschenkte Chance, mit jedem Jahr gestriger. „Mindy Kaling. Aziz Ansari. Danny Pudi. Der Typ aus ‚Lost’“, zählt Hari Kondabolu auf: „Mittlerweile gibt es ungefähr 14 von uns!“ Wie viel Schaden richtet dieser Mangel, dieses Missverhältnis an? Wie viele Figuren und Geschichten entgehen uns?
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Update, 10. April 2018:

  • Episode 15 der 29. Staffel greift die Kontroverse auf.
  • In einem kurzen Dialog verteidigen Marge und Lisa, dass 30+ Jahre alte Figuren flache Stereotype bleiben…
  • …und verkünden: „Some things will be dealt with at a later time. If at all.“
  • Kritiker*innen und Presse reagierten in ausführlichen, oft klugen Artikeln
  • die Episode, 633, heißt „No Good Read goes unpunished“ [Plot: hier]

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„Jetzt hat die Fernsehserie auf diesen Vorwurf reagiert. In der Folge, die in den USA am Sonntag ausgestrahlt wurde, liest Marge ihrer Tochter Lisa aus ihrem früheren Lieblingsbuch vor. Während des Lesens merkt sie, dass es rassistische Stereotype enthält und ändert diese Textstellen während des Vorlesens.

Lisa beschwert sich bei Marge und sagt, dass die Geschichte darunter leiden würde. Marge sagt, dass sie ratlos sei. „Was soll ich tun?”, fragt sie. Lisa antwortet: „Das ist schwer zu sagen” und wendet sich direkt an die Zuschauer*innen. Auf dem Nachttisch sieht man ein gerahmten Bild von Apu. Lisa sagt: „Etwas, was vor Jahrzehnten begonnen hat und alle lustig und unproblematisch fanden, ist auf einmal politisch inkorrekt. Was soll man da machen?”

Marge legt Lisa den Arm auf die Schulter und sagt: „Mit manchen Dingern beschäftigt man sich erst später.” Lisa antwortet daraufhin: „Wenn überhaupt.”“ [solider Artikel auf ze.tt – Philipp Kienzl, Manuel Bogner]

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„Marge Simpson kauft [in einem Antiquariat] ihr Lieblingsbuch aus Kindertagen. Titel: „Die Prinzessin im Garten“. Als sie ihrer Tochter Lisa laut aus dem Buch vorliest, kommt ihr das Buch beleidigend und rassistisch vor. Deshalb beginnt sie, die Zeilen umzuformulieren, damit sie besser ins Jahr 2018 passen.

Doch das Resultat ergibt danach keinen Sinn mehr. [Marge beschreibt die Protagonistin in ihrer neuen, umgeschriebenen Version, als „cis-gendered“ Mädchen, das in Südamerika Pferde befreit und sich für Netzneutralität einsetzt]

[…] Die Diskussion um die Anpassung von Inhalten aus Fernsehen, Film und Literatur an die Ansprüche der Gegenwart ist nicht neu: Verständlicherweise ist eine offen rassistische Sprache einer der ersten Angriffspunkte, wenn fiktionale Inhalte überarbeitet werden. Auch manche Klassiker hatten Titel, die aus heutiger Perspektive absurd erscheinen: So war zum Beispiel Agatha Christies äußerst populärer Krimi „Und dann gabs keines mehr“ im Original mit einem britischen Blackface-Song betitelt, der eine rassistische Beleidigung enthielt.“ [guter Einstieg auf Deutsche Welle.de – Sarah Hucal, Christina Burac]

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„Marge does a rewrite and turns the story into the tale of a “cisgender girl” who is fighting for wild-horse rescue and net neutrality. “It takes a lot of work to take the spirit and character out of a book, but now it’s as inoffensive as a Sunday in Cincinnati!” she says, while Lisa notes disapprovingly that in the new version, the protagonist can’t go on an emotional journey because she’s already “evolved” from the very beginning.“ [Vulture, Jen Chaney]

Nach dem entscheidenden Dialog…

Lisa: Something that started decades ago and was applauded and inoffensive is now politically incorrect. What can you do?

Marge: Some things will be dealt with at a later date…

Lisa : …if at all.

…sehen wir, dass auf Lisas Nachttisch ein Foto von Apu steht, mit der Aufschrift „Don’t have a cow“. Das spielt auf Apus Hinduismus an. Der Spruch stammt von Bart und bedeutet „Regt euch ab!“ oder „Kriegt mal keine Zustände!“

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Apu don't have a cow Simpsons

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„It takes a lot of work to take the spirit and character out of a book, but now it’s as inoffensive as a Sunday in Cincinnati,“ Marge announces. Marge has changed everything in the book so that nothing in it can bother anyone, which involves making the central character so perfect that, as Lisa instantly announces, „there’s no point to the book.“ Marge asks what she’s supposed to do.

This comparison is utterly dishonest, of course, for a multitude of reasons. Apu is not the central character of The Simpsons, and it’s absurd to suggest that the fabric of the show will be unwound if he doesn’t continue to be the same caricature he is. His existence at the periphery — his very flatness, and his definition as a bag of signifiers meant to scream „INDIAN!“ is integral to what it means to write a racist stereotype. It’s galling that writers will force a character to exist as funny scenery and then complain that they cannot change him without upsetting the emotional arc of the series.

So Lisa, the show’s unshakable crusader for justice […] has been reduced to a mouthpiece for the lazy idea that asking for better representation is an unfair burden on creators; an unreasonable demand that things be „politically correct.“

[…] The fact that they have managed to ignore the criticism of Apu until recently doesn’t mean that Apu was inoffensive and is now offensive — or, as they prefer to say, „politically incorrect.“ It means that they were doing exactly what they’ve been accused of doing: They were stereotyping people who had very little access to opportunities to loudly object.

What is entirely missing from this response is any recognition of the effects on the people who find themselves not represented, or represented poorly — and they were at the center of Kondabolu’s documentary. He went out specifically to speak to South Asian performers about how they felt about representation in American television, and specifically about Apu. Kal Penn tells Kondabolu that he hates Apu, and for that reason, doesn’t like The Simpsons. A room full of comics says that Apu was referenced as part of their school bullying. Aziz Ansari says he was taunted about Apu while driving with his father.“ [der beste US-Artikel aktuell, NPR – Linda Holmes]

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„Putting it in the mouth of Lisa Simpson—the show’s most progressive voice, a girl who once trashed all her beloved Malibu Stacy dolls because they started giggling sexist propaganda—is doubly insulting. It suggests even she would find the controversy ridiculous; Lisa actually rolls her eyes as she’s talking.

Furthermore, Apu is not appearing in a 50-year-old book by a now-dead author. Apu is a going concern. Someone draws him, over and over again. Azaria makes money to keep imitating Peter Sellers imitating an Indian man. Scripts are still being written. What if Marge were confronted not with reading Lisa an old book, but with reading a new book in the same series that continued to embrace the same racist portrayals it did 50 years ago?“ [Sean O’Neal, AV Club]

„To hand-wave away the lived pain and racism that others have experienced in this manner is to trade a considerable portion of your legacy just to maintain an air of smug superiority that isn’t worth it. These people aren’t making this shit up, man. I’ve been called „Apu“ based solely on my appearance, and I’m not even remotely South Asian.

You know about Mimi Pond, right? Pond was the writer of the first Simpsons episode to ever air, but has alleged she was never offered a full-time job because the showrunner wanted an all-male writer’s room. Pond’s claim is incredibly easy to believe, due to it existing at the confluence of comedy’s history of shitty men at the expense of women and people of color, and the show’s own extremely white, extremely malelist of writers stretching back twenty-nine years.“ [GQ, Joshua Rivera]

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„Thanks to The Simpsons’ floating timeline, we never get to see Lisa grow up. Her diet and technology may change, but she will always be a little eight-year-old girl wearing pearls. One show that did let their precocious child genius grow, however, was Malcolm in the Middle, which offered a glimpse into Lisa’s potential future in its series finale, through her parallel character, Malcolm. In the final moments of the show, Malcolm’s mother Lois reveals her intentions for him to become President of the United States, as “you’ll be the only person in that position who will ever give a crap about people like us”. Like Malcolm, we have been told that in one future Lisa will eventually become President of the United States (in the oddly prescient “Bart To The Future”, where in 2030 Lisa takes over the Oval Office from one Donald Trump). Much like Malcolm in the Middle, peak Simpsons knows that Lisa will take the hurt and pain she endured, and go on to do great things to make sure that no one will have to suffer like that again.

Lisa is smart, but it is her goodness that makes her unique. Like Lois says to Malcolm, her pain will break her heart – but rather than have heartbreak turn Lisa bitter like so many other people, Lisa is meant to get more empathetic. It is the ‘suffering hardship in childhood to make things better for those that come after’ archetype, rather than ‘suffer hardship and become a villain’. So when Lisa in 2018 sees the hurt and pain that the stereotype of Apu has caused and simply shrugs, this shames her, the show, and all of us.“ [Dazed, Carl Anka]

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„Political correctness is rarely a funny target. Making fun of Indian people or people of Indian descent who believe that Apu is an insensitive representation of their people isn’t funny; it’s just uncomfortable. It’s insensitive. It’s disrespectful in a way that benefits literally nobody besides the kind of people who rejoice when minorities aren’t listened to. We all know the kind of people I mean.“ [gutes Statement – aus einem polemisch-unsympathischen „früher war alles besser, setzt die Serie endlich ab!“-Text von Carl Kinsella, Joe.ie]

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„Sunday’s Simpsons doesn’t address the problem with Apu. Instead, it jabs at those who want to see better representation of marginalized groups in popular culture. It was petty and remarkably regressive.“ [Kelly Lawler, USA Today]

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„Asian Americans participate in the whole spectrum of society, far beyond the usual stereotypes. There is no shame in being a convenience store clerk or a cab driver – working people of all races are three-dimensional human beings, in all their complexity. But Apu is two-dimensional, and his presence has led Americans to see real people the same way.“ [Shuja Haider, Guardian]

und, auf Twitter: „Humor is hard to understand and hard to do. It deals with taboos and its reception is subjective. Offense is inevitable and not necessarily disqualifying. But Apu is a case where satire is subsumed by the pleasure authors and viewers let themselves take in racial contempt itself.“

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„As Kondabolu made clear in his film, the problem with Apu extends beyond a brown character voiced by a white actor; the problem was not just with The Simpsons, but with its viewers, the drunk idiots on the street who call any South-Asian person “Apu” and who repeated “Thank you, come again,” as a mocking refrain.

“They didn’t mean for it to happen,” said actor Utkarsh Ambudkar (Game Over, Man!) in The Problem with Apu. “We just were underrepresented. We didn’t have any other representation in this country. That creates a problem when the most popular show on television is showing mainstream America what an Indian is.

[…] There are plenty of portrayals of Italian Americans on screen. There are plenty of films of exclusively Italian American characters, and these are mainstream films that win Academy Awards. If a movie or a television show has more than one Indian character, it would be considered an “Indian” show, niche at best, and realistically, unlikely to get made — which is a point Aziz Ansari makes incredibly cogently in the episode of Master of None titled “Indians on TV.” But even the discussion of a show with more than one Indian actor feels like a moot point when the inclusion of even one Indian character still feels like a recent accomplishment.

Three years later, post-Kondabolu’s documentary, The Simpsons is still unable to acknowledge culpability in any way, dismissing Kondabolu’s nuanced argument with the straw man phrase “political correctness” (as in, “political correctness run amok!”)” [Dana Schwartz, Entertainment Weekly]

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„They should and could have done an entire episode with Apu responding to @harikondabolu’s movie. They wouldn’t have to agree with him but they missed a huge opportunity to add in more layers and be topical. Instead, they went the lazy route“ [Wajahat Ali [New York Times], auf Twitter]

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„“The ‘argument’ the episode makes is basically things used to better before political correctness when nobody cared about all these groups. It ignores the facts that ALL THESE GROUPS ALWAYS CARED ABOUT ALL THESE GROUPS. But these groups’ complaints weren’t respected/supported.” [Comedian W. Kamau Bell, auf Twitter]

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„It also betrays a fundamental misunderstanding of its characters, at least as they were originally envisioned. When Marge reads a line in The Princess in the Garden that refers to South Americans as “naturally servile,” Lisa asks, “Mom, why’d you stop reading?” instead of doing what, in my mind, she would more likely do: balk at that choice of words and force her mother to question why she liked this book in the first place. This episode would have made a lot more sense as a Simpsons episode if Lisa had been the one trying to understand who Heloise Hodgson Burwell was and making her mother see why the book was problematic, the same way she once tried, to no avail, to open the eyes of her fellow Springfieldians to the troublesome overlooked history of Jebediah Springfield.

[…] When you’ve been on the air for nearly 30 years, it’s hard to come across as the rebellious outsider sticking it to the man, especially on a show that has been largely written by white men, many of whom graduated from Harvard University. […] One could argue that The Simpsons is now the Establishment, and has been for a while. Once you become the Establishment, there is a tendency to become lazy and complacent, while also feeling fiercely defensive of one’s legacy.

[…]] What can The Simpsons do about its Apu problem? Actually, a lot of things. For starters, it could hire more South Asian writers, or at the very least consistently consult with some on matters related to Apu if its staffers haven’t started doing that already.“ [erneut Jen Chaney, Vulture]

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„For those of us with low expectations, starving for any representation, Apu was a breath of fresh air. But that doesn’t mean he, or “The Simpsons,” get a lifetime pass to perpetuate lazy stereotypes. Any piece of art, no matter how well intentioned, harmless or silly, is not above reproach or critical examination. Especially when it’s “The Simpsons,” one of the most influential TV shows of all time.

[…] Instead of engaging with the issue of representation, which would have made for a more satirical and topical show — you know, the type “The Simpsons” used to do years ago — the writers responded with the worst creative sin: laziness.“ [Wajahat Ali, Washingon Post]

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„Older desi, not just me […] but Kondabolu’s own parents (who joke about his “Apu hair”) see Apu as a minor inconvenience. But younger desi, including many comedians and actors that Kondabolu spoke to for his film, have experienced a very different reality. They grew up in a world where The Simpsons was a pervasive part of popular culture and Apu the only Indian-American character everyone knew. They were taunted and bullied in school, with Apu’s name and catch-phrase (“Thank you, come again.”) used as an insult. It’s their lived experience of growing up with Apu that shows why this minor character is so pernicious.

Apu is now a slur more than he is a character. It’s true, as Shanker argues, that other slurs existed before Apu. But those slurs didn’t carry the cultural authority of The Simpsons. When a bully calls an Indian American “Apu” or says to them, “Thank you, come again,” he isn’t just demeaning the person by himself (though that is wrong enough); he’s using The Simpsons to justify his contempt. As The Problem With Apu showed, Apu makes desi kids feel insulted not just by individuals, but by American culture at large. That’s why the film changed my mind. It featured testimony about Indian-American experiences I wasn’t aware of. I was bullied for being Indian American, as Kondabolu’s subjects were, but I wasn’t bullied with language from one of the most famous shows on TV.“ [Jeet Heer – the New Republic]

Hari Kondabolu, auf Twitter: „In “The Problem with Apu,” I used Apu & The Simpsons as an entry point into a larger conversation about the representation of marginalized groups & why this is important. […] “Politically Incorrect?” That’s the takeaway from my movie & the discussion it sparked? Man, I really loved this show. This is sad.“

…und, in einem Podcast:

„You’re not supposed to respond to me, you’re The Simpsons! You’re supposed to just keep going, pretend nothing happened. The fact that they buckled like that, to me, is also an indication of, like, white fragility.

Oh my god, so somebody on a cable network said something about your show that’s been on for 30 years, and everyone obviously loves you and they don’t really know what my critique completely is, but still, because it damaged you in some small way, all the white writers freaked out and destroyed [the character of] Lisa. What is that?

That’s white fragility.“

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Simpsons-Produzent Mike Reiss, Juni 2018: “ It’s a nasty documentary. The documentary ends with them stabbing a picture of Apu. I just think that’s gross and weird and a little sick. He’s just a cartoon character. Don’t stab him; don’t stab anyone.“ He adds that Apu was addressed two years ago and „for all the outrage about Apu, he hasn’t had a line in three years.““

Die besten Comics & Graphic Novels 2017: Meine Empfehlungen bei Deutschlandfunk Kultur

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bei Deutschlandfunk Kultur empfehle ich meine 20 Comics des Jahres:

  • 20 Tipps auf der Website, mit Kurztexten (erscheint morgen)
  • live im Literaturmagazin „Lesart“ (12. Dezember 2017, ab 10.08 Uhr)

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meine 20 Lieblings-Comics 2016, kurz vorgestellt: Link

meine 20 Lieblings-Comics 2017, kurz vorgestellt: Link

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20. Space Battle Lunchtime
Autorin und Zeichnerin: Natalie Riess
Oni Press, Mai 2016 bis Januar 2017.
8 Hefte in zwei Sammelbänden, abgeschlossen.

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Kochen. Oder gekocht werden! Peony, Konditorin und Mauerblümchen, wird entführt. Als spontaner Ersatz tritt sie im TV-Duell auf einer Raumstation gegen brutale Alien-Köchinnen und Köche an. Der Comic für Kinder ab etwa 7 Jahren zeigt Wettkämpfe und Verfolgungsjagden, oft mit so wenig Text wie möglich. Markante Figuren in der fröhlichen Optik von „SpongeBob“ und „Steven Universe“. Originell montierte Actionszenen und Schnitte. Simple Konflikte – doch raffiniertes Timing.

Zwei Überraschungen: der witzig morbide Sammelband 2, in dem Peony im „Cannibal Colliseum“ fast selbst zur Zutat wird. Und Peonys Liebesgeschichte mit Konkurrentin Neptunia: lesbische Romantik in einem Erstleser-Comic, entspannt und selbstverständlich.

Sprachlich glänzt hier nichts: Erwachsene könnten sich langweilen. Doch wer Comics neu entdeckt, darf staunen – über Standbilder, mit Schwung und Tempo wie in den besten Pixar-Filmen.

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19. Manifest Destiny
Autor: Chris Dingess, Zeichner: Matthew Roberts
Image Comics, seit November 2013.
32+ Hefte in 6+ Sammelbänden, wird fortgesetzt.

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Und wenn die Brüder Grimm echte Hexen töten? Oder Abraham Lincoln Vampire?! „Manifest Destiny“ ist ein bieder gezeichneter Horror- und Historiencomic über Lewis und Clark: die Pioniere, die ab 1804 mit einem Trupp Soldaten und dem Sklaven York die Flüsse im US-Nordwesten befuhren. Alle sechs Hefte treffen sie auf eine neue Spezies Büffelmonster, Pflanzenzombies, finden mystische Portale. Statt einer Horror-Parodie (wie bei Lincoln und viel anderem Trash) zeigt der Comic liebevoll, gediegen und psychologisch soziale Spannungen und kolonialistische Hybris.

Wer altmodische frankobelgische Comics mag, fühlt sich im Riesen-Ensemble ausdrucksstark gezeichneter Männer (am Rand: drei Frauen, nur langsam wichtiger werdend) wohl: Visagen, fast wie die Dalton-Brüder aus „Lucky Luke“. Ich kenne keine andere Reihe, die 32 Hefte lang so verlässlich, aus einem Guss um immer gleiche Motive kreist. Große Fragen wie Kulturimperialismus, Verschwörungen, Metaphysik, Mordlust der Helden werden nur langsam drängender.

Ein altmodischer, sorgsam recherchierter Gänsemarsch an den Pazifik. Alberne Horror-Grundidee, mit wunderbarem Ernst, sehr zugänglich erzählt.

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18. Kakukaku Shikajika
Autorin und Zeichnerin: Akiko Higashimura
Shueisha, Ende 2011 bis Anfang 2015.
34 Kapitel in fünf Sammelbänden, abgeschlossen.

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Zeichnen! Üben! Durchhalten! Shonen-Mangas wenden sich an (prä-)pubertäre Jungs und zeigen Sport-, Kampf- oder Abenteuer-Plots, oft mit starkem Fokus auf Fleiß und Arbeit: Ein junger Mann mit Talent und Motivation muss lernen, dass erst Verbissenheit Erfolge bringt. In „Bakuman“, dem besten Manga übers Manga-Schreiben, wollen zwei typische Shonen-Fans als Shonen-Manga-Künstler berühmt werden. Ein Shonen-Manga über Schreib- und Redaktionsarbeit, erzählt fürs Shonen-Publikum, im typischen Shonen-Stil. FLEISS!

„Kakukaku Shikajika“ ist ein Josei-Manga: Unterhaltung für erwachsene Frauen, psychologischer und viel weniger verbissen, heroisch. Akiko Higashimura zeigt, wie sie Talent als Zeichnerin entdeckt, bei einem strengen, distanzierten Privatlehrer für die Kunsthochschul-Prüfung übt… und heute noch oft an ihren Mentor denkt.

Der verletzliche (oft aber: geschwätzige) Künstler- und Bildungsroman einer Frau, die Ängste und Vermeidungstaktiken überwindet. Selbstkritisch. Ohne plumpe „Ich will der Allerbeste sein!“-Jungs.

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17. Martha & Alan
Autor und Zeichner: Emmanuel Guibert
L’Association, 2016. Deutsch bei Edition Moderne, 2017.
120 Seiten, abgeschlossen; doch das dritte Buch einer Reihe, die 2000 begann.

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1994 traf der Franzose Emmanuel Guibert einen Ex-Soldaten aus Kalifornien, Alan Ingram Cope. Bis zu Copes Tod 1999 führte Guibert Interviews mit dem entspannten, gutmütigen Rentner. Bis 2008 erschienen drei Bände „Alans Krieg“, über Copes Wehrdienst ab 1943. 2012 folgte ein leichteres, kurzes Buch, mit größeren, prachtvollen Bildern: „Alans Kindheit“. Guiberts drittes Alan-Projekt, „Martha & Alan“, hat Farbseiten, kaum Sprechblasen, ist schnell gelesen… und wirkt wie ein pittoreskes Staun- und Bilderbuch für Fans der nostalgischen Coming-of-Age-Serie „Wunderbare Jahre“.

„Jeder Schrebergärtner kann solche Geschichten aus dem Krieg erzählen“, höhnt ein Kunde auf Amazon, „auch der dritte Zwerg von links.“ Für mich ist die Alltäglichkeit, Ambivalenz der freundlich melancholischen Comics die größte Stärke: An keiner Stelle steht fest, dass alles zu größten Konsequenzen führt. Vieles bleibt anekdotisch. Zarte Bruchstücke, die Cope ein Leben lang nicht vergaß.

Kurz, harmlos, zum ersten Mal in Farbe: noch braver, süßlicher darf Guibert nicht werden. Auch die Durchpaus-Optik vieler Bilder stört. Trotzdem weiter: ein großer Wurf. Ideal zum Verschenken.

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16. Snotgirl
Autor: Bryan Lee O’Malley, Zeichnerin: Leslie Hung
Image Comics, seit Juli 2016.
8+ Hefte in 2+ Sammelbänden, wird fortgesetzt.

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Ab 2004 zeigte der Drückeberger- und Cliquen-Comic „Scott Pilgrim“ ein absurd spezifisches Milieu: kanadischer Punkrock der 90er, Videospiele der 80er, vegane Hipster Anfang 20 in Toronto, magischer Manga-Realismus und Kämpfe wie in „Street Fighter II“: Die Schnittmenge der Fans, die Humor, Ästhetik, Lifestyle-Jargon und alle Referenzen kennen, blieb klein. „Snotgirl“, ebenfalls von O’Malley, ist noch präziser und schrulliger. Modebloggerinnen, Influencerinnen in LA stolpern in einen Mord wie aus David Lynchs „Mulholland Drive“. Erzählt im Look japanischer Mädchencomics der 70er.

„Snotgirl“ Lottie hat Selbstzweifel, Allergien, hasst alle Freunde und Konkurrentinnen. Wurde sie zur Mörderin? Sie verdrängt Erinnerung und Wutausbrüche. Eine quälend oberflächliche, passiv-aggressive Antiheldin: Wer Stil-Satiren wie „Girls“ und „American Psycho“ mag, monströse Hauptfiguren und Insider-Sprache erträgt, findet hier einen schrulligen, literarischen Schatz.

Doch ich kann alle verstehen, die beim Blick auf die toxischen Frauen und ihr Valley-Girl-Instagram-Gefasel rufen: „Nichts für mich. Bizarre und bizarr dumme Zicken? Die wie in Fremdsprachen reden?

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15. Ether
Autor: Matt Kindt, Zeichner: David Rubin
Dark Horse Comics, November 2016 bis März 2017.
5 Hefte in einem Sammelband, Fortsetzung angekündigt.

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Seit Matt Kindts surrealem Agenten-Thriller „Mind MGMT“ weiß ich: Jeder Kindt-Comic hat mehr Tiefe und Herz, wirft komplexere Fragen auf, als die Geschichte eigentlich braucht. Ein Autor, der gern mehr versucht als nötig. Plastischere Figuren. Reichere Welten. „Ether“ ist ein melancholischer All-Ages-Comic zwischen Jeff Smiths „Bone“ und Michael Ende. Boone Dias, schnöseliger Forscher, entdeckt ein Zauberreich und wird dort bald als Held gefeiert. Frau und Kinder müssen warten, während er mit einem Gorilla-Kumpel durch Steampunk-Abenteuer zieht.

Doch Boones Arroganz und Eskapismus schaden der Menschenwelt – und bald auch dem geheimen „Ether“-Reich. Weil Boone nur in Momenten durch Portale springen kann, in denen er mit dem Leben abgeschlossen hat, wird er immer teilnahmsloser, asozialer. Kann man in einer Welt heroisch sein – doch in der anderen nur noch flüchten?

Lebenslügen und Widersprüche eines älteren Mannes – in einem Comic, toll für Kinder. Charmant, am Rand: Der suizidale Snob Boone hat dieselbe Frisur und denselben Bart wie Kindt selbst.

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14. Shade, the Changing Girl
Autorin: Cecil Castellucci, Zeichnerin: Marley Zarcone
DC Comics (Imprint: Young Animal), seit Oktober 2016.
12+ Hefte in 2+ Sammelbänden, pausiert; aber wird fortgesetzt.

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Ab den 80er Jahren veröffentlichte DC Comics literarische, recht erwachsene Phantastik- und Horror-Reihen: „Sandman“, „Swamp Thing“, „Doom Patrol“, ab 1993 im Imprint „Vertigo“. Seit 2016 werden alte Vertigo-Konzepte im neuen Label „Young Animal“ variiert: Der Poet Shade, the Changing Man stammt vom Planeten Meta, kämpft gegen postmodernen Wahnsinn, der seine Geschichten infiziert und immer surrealer macht, und springt dabei in die Körper mehrerer Erdenmenschen. Ein Kult-Comic von 1990 bis 96.

„Shade, the Changing Girl“ folgt einer traurigen Vogelfrau aus Meta, die in den Körper von Megan springt, einer Schülerin voller Welt- und Selbsthass. Poetisch, melancholisch, feministisch – und von Zeichnerin Marley Zarcone unverwechselbar inszeniert: eine Fabel über zwei Frauen, überlistet und behindert von einem Körper und den vielen Erwartungen, die diese Hülle bei Mitmenschen weckt.

Die gesuchte „Craziness“ alter Vertigo-Comics blieb oft pubertär, naiv. Hier aber fehlen Selbstzweck, Blendwerk, Präpotenz. Ein Comic, noch viel origineller, als der erste Blick eh schon verspricht!

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13. Black Hammer
Autor: Jeff Lemire, Zeichner: Dean Ormston, David Rubin
Dark Horse Comics, seit Juli 2016.
14+ Hefte und 2+ Sammelbänden sowie die Spin-Off-Serie „Sherlock Frankenstein“; wird beides fortgesetzt.

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Jeff Lemires Zeichnungen? Unverwechselbar! Zu viele Helden-Comics aber, die Lemire seit 2010 für DC und später Marvel schrieb (seltener: selbst zeichnet) lesen sich wie Fließband-Jobs. Auch der hastigen Graphic Novel „Underwater Welder“ (2012) und der Endzeit-Reihe „Sweet Tooth“ (09 bis 12) ging bald die Luft aus. Ein toller Erzähler, in Sprache wie Bild. Der sich zu oft verheizt, verramscht. „Black Hammer“ ist das erste Lemire-Projekt seit Jahren, das keine künstlerischen Abstriche macht. Eine schlichte, charmante Hommage an Comics der 40er und 50er Jahre.

Sechs alte Heldinnen und Helden stranden in einem magischen Gefängnis oder Limbus: Alles sieht aus wie die US-Provinz. Eine Barriere verhindert, dass sie fliehen. Hilft die Erinnerung an frühe Glanzzeiten in Spiral City? Was löst ihre Sinn-, Identitätskrisen? Sogar die Ableger-Reihe „Sherlock Frankenstein“ gelingt: ein ganzer neuer Helden-Kosmos um die Frage, welche Ära welche Ideale fordert.

Nostalgisch, psychologisch, kulturwissenschaftlich: ein freundlich einladendes Pastiche von Comic-Archetypen wie Thor, Lex Luthor, Mary Marvel, Martian Manhunter

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12. Afterlife with Archie
Autor: Roberto Aguirre-Sacasa, Zeichner: Francesco Francavilla
Archie Comics, seit Oktober 2013.
10 Hefte in zwei Sammelbänden, erscheint unregelmäßig, doch wird später fortgesetzt.

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Seit 1941 zeigt „Archie“ High-School-Possen für Acht- bis Zwölfjährige: Archie ist offen, ungeschickt und liebt das Städtchen Riverdale. Betty – blond, anständig, bescheiden – wohnt nebenan. Veronica hat schwarzes Haar, reiche Eltern und nimmt sich, was sie will. Kumpel Jughead liebt Burger und hasst Flirts. Seit über 70 Jahren kann sich Archie nie zwischen Veronica und Betty entscheiden. Figuren wie in der Comedia dell’arte: simpel, markant, robust.

2015 wurde der Comic erwachsener: Jughead ist asexuell. Betty sitzt im Rollstuhl. 2017 zeigt die TV-Serie „Riverdale“ Archies Welt als Thriller, Soap. Der beste Neustart aber ist „Afterlife with Archie“: Durch einen Fluch von Hexe Sabrina wird Jughead zum Zombie. Die Teens aus Riverdale kämpfen ums Überleben. Doch nehmen sich weiter Zeit für Dialoge, Psychologie:

Wie viel Freundschaft, Rücksicht darf man sich leisten? „The Walking Dead“ sagt: nur das Nötigste. „Afterlife with Archie“ hält dagegen: Menschlichkeit? Jetzt erst recht!

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11. Injustice 2
Autor: meist Tom Taylor, Zeichner: meist Bruno Redondo
DC Comics, seit April 2017. Deutsch bei Panini.
10 Seiten pro Woche erscheinen als digitaler Comic, alle 30 Seiten gesammelt als Print-Heft, später als Sammelband. Bisher 36 Kapitel, wird fortgesetzt.

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Schach – mit DC-Figuren: Wer schlägt, überlistet, vernichtet wen, in einem fünf Jahre langen Helden-Krieg? Das Prügel-Videospiel „Injustice“ (2013) zeigt eine Zukunft, in der Superman Diktator wird. Batman und wenige Verbündete wollen den Umsturz. Autor Tom Taylor klärt die Vorgeschichte zum Spiel in wöchentlichen Comics: fünf Jahre Tod, Eskalation und „Freiheit versus Sicherheit“-Fragen, in fast 200 Kapiteln. Als für „Year 3“ Autor Brian Bucchelato übernahm, wurde der Plot mechanischer, seichter: Nur Taylors „Injustice“-Comics reißen mit. Trotz viel vermeidbarer Brutalität, konstruierter Tragik.

2017 erschien das Spiel „Injustice 2“: Ist Superman zu retten? Was kommt nach Überwachung, Dystopie? Tom Taylors erneut auf Jahre angelegter „Injustice 2“-Comic zeigt, was zwischen zwei Videospielen eskaliert. Wieso ist ausgerechnet diese Sequel-Comic-Story zu einem Prequel-Tie-In-Comic zu einem Alternate-Universe-Prügelspiel so witzig, mitreißend, philosophisch, einsteigerfreundlich?

Weil Taylor tausend kleine Liebeserklärungen an (bekannte und obskure) Figuren macht. Die alle jederzeit tragische Fehler machen oder sterben können. Süffig, warmherzig, schwungvoll.

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10. Briggs Land
Autor: Brian Wood, Zeichner: meist Mack Chater
Dark Horse Comics, seit August 2016.
12+ Hefte in 2+ Sammelbänden, wird alle sechs Hefte mit neuem Untertitel und neuem Heft 1 fortgesetzt.

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2013 machte Zeichnerin Tess Fowler öffentlich, dass Autor Brian Wood sie auf einer Messe belästigte. 2015, lange vor #metoo, warnte Wood, dass solche „Hexenjagden“ bald „Selbstmorde nach sich ziehen“. Der 45-jährige schrieb zwei klug politische Heftreihen, „DMZ“ und „The Massive“: Tragödien über Einzelgänger und Politversagen, so zynisch, dass mir nie klar wurde, ob ich hier kluge Staatskritik lese. Oder hart-rechte Untergangsfantasien. Woods aktuelles Projekt „Rebels“ zeigt, wie sich US-Patrioten 1775 gegen die Briten wehren. Und, wie viel Schuld alle Seiten auf sich laden, im Freiheitskampf.

„Briggs Land“ spielt an der kanadischen Grenze: Vor 30 Jahren gründete Aussteiger Briggs eine frauenfeindliche libertäre Kommune. Jetzt sitzt er im Gefängnis, und Exfrau Grace will die Enklave gegen Ermittler, Staat und Mafia verteidigen. Sie besticht, erpresst, paktiert mit Neonazis: Realpolitik einer engherzigen Matriarchin mit drei erwachsenen Söhnen. King Lear in feministisch? Oder nur rechts?

AMC plant eine TV-Serie: Wer mag, wie „Breaking Bad“ und „The Walking Dead“ Faschismus und Empathieverlust zelebrieren (manchmal: hinterfragen), findet hier eine neue fragwürdige Antiheldin.

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9. Brodecks Bericht
Autor und Zeichner: Manu Larcenet, nach dem Roman von Philippe Claudel
Dargaud, 2015/2016. Deutsch bei Reprodukt, 2017.
328 Seiten, abgeschlossen.

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Brodeck überlebte das KZ, weil er alles mit sich machen ließ: Für Stolz, Prinzipien ließ ihm der Krieg keinen Platz. Jetzt lebt er wieder im Bergdorf – unter Nachbarn, die ihn zuvor den Nazis auslieferten. Ein reicher Fremder macht Rast, bewundert die Landschaft. Alle Bauern sind skeptisch: Ertragen sie Blicke, die man von außen auf sie wirft? Brauchen sie Absolution? Respekt? Oder nur Vergessen? Larcenet adaptiert Claudels Roman von 2007. Markant gezeichnete Figuren, Schattenwürfe, grausam-schöne Natur. Die Zeichnungen verorten den Plot, machen alles wunderbar konkret.

Schade nur, dass „Graphic Novel“ auf dem deutschen Markt zu oft bedeutet: literarische Stoffe – illustriert, gekürzt, vereinfacht, adaptiert. Mit „BLAST“ zeigte Larcenet, wie cineastisch, raffiniert er Geschichten in Bildern erzählen kann. „Brodecks Bericht“ bleibt konventionell. Ein Buch, das Comic-Skeptikern gefallen wird. Doch kaum beweist: Comics sind eine Kunst für sich.

Eine unvergessliche Geschichte, feinsinnig in ein zweites Medium übertragen. Und doch weniger als die Summe ihrer Teile: Claudels Sprache kann mehr. Larcenets Bilder eh.

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8. Providence
Autor: Alan Moore, Zeichner: Jacen Burrows
Avatar Press, Mai 2015 bis April 2017. Deutsch bei Panini.
12 Hefte in drei Sammelbänden, abgeschlossen.

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Bricolage? Die Kunst, sich alles zu packen, das in der Nähe liegt, und es zu Neuem zu verbauen. Autor Alan Moore gilt als Genie: Er knüpft bestehende Figuren, Mythen in Comics, mit so viel Literaturhistoriker-Verve, dass „kongenial“ untertrieben ist. Doch setzen andere Moores eigene Comics fort, fühlt er sich betrogen, missbraucht. Er denkt fremde Figuren weiter, und wird zu Recht gefeiert. Denken Menschen Moores Figuren weiter, wird immer nur Moore gelobt. Nie die Moore-Bricoleure.

„Providence“ remixt die Geschichten und die Biografie von H.P. Lovecraft: Neuengland-Horror in den 20er Jahren, Rassismus, Inzest, Vergewaltigungen und viele gehemmte Männer, erschreckt von ihren Trieben, Atavismen. Ein makellos gezeichnetes und inszeniertes Spiel voll metatextueller Zitate. Das ich als Nicht-Fan und Nicht-Kenner Lovecrafts trotzdem ohne Mühe genießen konnte. Klug. Düster. Am Ende nur leider: Stückwerk; keine runde Sache.

Gern parallel lesen: die ausführlichen Anmerkungen und Fußnoten auf factsprovidence.wordpress.com

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7. Thor
Autor: Jason Aaron, Zeichner: meist Russell Dauterman
Marvel Comics, November 2012 bis September 2014 (Thor: God of Thunder); ab November 2015 (The Mighty Thor); Deutsch bei Panini.
25 Hefte in 4 Sammelbänden (Thor: God of Thunder), dann 25+ Hefte in 6+ Sammelbänden (The Mighty Thor) sowie Einzelband „The Unworthy Thor“, wird fortgesetzt.

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Von 2004 bis 2013 wuchs die DC-Reihe „Green Lantern“ zum trivialen Epos: Wer größte Angst überwinden kann, darf Konstrukte aus grünem Licht schleudern, aus grünen Ringen. Oder, erfand Autor Geoff Johns neu: gelbes Licht aus gelben Ringen – an alle, die Furcht einflößen. Blaues Licht für Hoffnungsstifter. Rotes Licht für Wütende… Ein „War of Light“ begann, mit Black Lanterns, White Lanterns, neun Farben. Jason Aarons „Thor“-Comics gehen seit 2012 den selben Weg. Eine alte Grundidee und -welt, die sich in neue, komplexere Facetten fächert.

Odins Sohn Thor war der einzige Gott, „worthy“ genug, den Hammer Mjölnir anzuheben. Nach einer Krise wählt sich der Hammer eine neue Herrin: eine sterbliche Frau. So, wie „Green Lantern“ neun Ring-Gruppen ins Spiel brachte, beginnt bei „Thor“ ein kosmischer Krieg zwischen zehn Welten der nordischen Mythologie. Blutig, bissig, herzlich, rasant. Ein Mainstream-Blockbuster!

Jason Aarons Superheldenkraft? Neue Figuren. Die man so lieb gewinnt, dass „Thor“ aktuell gut 30 Storylines, Schauplätze hat. Eine echte Saga.

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6. Jessica Jones / Invincible Iron Man
Autor: Brian Michael Bendis, Zeichner: Michael Gaydos (Jones), Stefano Caselli (Iron Man)
Marvel Comics, ab Oktober 2016 (Jones) bzw. November 2016 (Iron Man); Deutsch bei Panini.
14+ Hefte in mindestens drei Sammelbänden (Jones); 11 Hefte in zwei Sammelbänden, dann der Crossover-Band „The Search for Tony Stark“ (Iron Man); wird fortgesetzt.

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Brian Michael Bendis liebt Noir und hard-boiled Krimis. Lange Dialogketten. Und Frauen, die mit allem hadern. Seit 2000 war er der wichtigste Marvel-Autor; 2018 wechselt er zu DC. Zwei tolle, letzte Marvel-Reihen? „Jessica Jones“ setzt Bendis‘ „Alias“-Comic (2001 bis 04) fort, mit dem gewohnten Zeichner, im Stil der Netflix-Serie. Eine oft überforderte Ermittlerin mit heikler Ehe und zweijähriger Tochter, die wütend an den Widersprüchen und Absurditäten der Marvel-Welt rüttelt. (Band 2 zeigt schlimme Neurosen im Spionage-Saftladen S.H.I.E.L.D.)

„Iron Man“ wird aktuell in zwei parallelen Bendis-Comics fortgesetzt: Tony Stark liegt im Koma, Doctor Doom wird der „Infamous Iron Man“ (ein grauer, freudloser Comic). Die 15jährige Ingenieurin Riri Williams baut sich eine Rüstung, als „Invincible Iron Man“, und findet in Starks Mutter, Starks Hologramm und Spider-Mans Partnerin Mary-Jane Mentoren. Tolle Frauen, frischer Wind!

„Jessica Jones“ steht für sich. „Invincible Iron Man“ startet in Band 3 in ein Crossover mit „Infamous Iron Man“ Doctor Doom: „The Search for Tony Stark“. Ich bin skeptisch. Band 1 und 2 sprühten Funken!

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5. Royal City
Autor und Zeichner: Jeff Lemire
Image Comics, seit März 2017.
7+ Hefte, auf mindestens 3 Sammelbände/15 Hefte angelegt.

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Tod, Trauma, Reue in der Familie. Drei erwachsene Geschwister und ihre beschädigten Eltern erinnern sich ans Jahr, das ihr Herz brach: 1993. Alle bleiben für sich; suchen Halt in einer Industriestadt ohne Jobs. Jeff Lemire zeichnet und schreibt. Verrät in kurzen Nachworten viel über seine Jugend in Toronto. Wer die Bestatter-Serie „Six Feet Under“ mag oder Lemires Indie-Erfolg „Essex County“ über traurige Provinzler in Ontario, findet hier einen konventionellen, aber stilsicheren Mix aus Alltag, Sozialkritik und magischem Realismus.

Schön: wie viel Zeit sich die Reihe für Nebenfiguren nimmt. Und, wie unklar bleibt, ob hier Phantastik und Übersinnliches eine Rolle spielen. 2017 erschien auch „A.D.: After Death“, ein illustrierter Roman (Text: Scott Snyder, Zeichungen: Lemire), der, trotz einiger Klischees, Sog und Zauber entwickelte wie Haruki Murakamis beste Prosa.

Ich hoffe, auch bei „Royal City“ hält dieser Schwebezustand viele Kapitel: eine Allerweltsgeschichte, die jederzeit banal oder zu märchenhaft werden kann. Doch bisher leuchtet!

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4. Squirrel Girl
Autor: Ryan North, Zeichnerin: Erica Henderson
Marvel Comics, seit Januar 2015. Nur Band 1 auf Deutsch, bei Panini.
34+ Hefte in 8+ Sammelbänden und der Extra-Band „…beats up the Marvel Universe“, wird fortgesetzt.

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Buschiger Schwanz. Irritierend aufgeschlossen. Und mit der Mutanten-Fähigkeit, Hörnchen zu verstehen: Knapp 25 Jahre war Squirrel Girl eine Marvel-Witzfigur. Mit Glück und List wie beim tapferen Schneiderlein besiegte sie mächtige Männer wie Dr. Doom und Planetenfresser Galactus. Ryan North, Humorist der „Dinosaur Comics“, schickt Squirrel Girl, noch immer Anfang 20, ins erste Semester. Sie studiert Informatik und macht mit Geduld, Idealismus, skurrilen Vorschlägen viele Gegner zu neuen Verbündeten.

Norths Humor wirkt gesucht schrullig. Doch die Reihe ist besonders bei jungen Frauen und IT-Nerds so beliebt, dass sie immer selbstbewusster, idiosynkratischer erzählt: Ein Comic mit übervollen Sprechblasen, kindischen Fußnoten, absurd positivem Menschenbild, unverwechselbarem Ton. Guter Einstieg und Höhepunkt: der Extra-Band „Squirrel Girl beats up the Marvel Universe“.

Der schönste Gegenbeweis zur Klage, Heldencomics seien kalter Einheitsbrei. (Auch toll, von North: „Jughead“ aus dem „Archie“-Universum.)

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3. The Best we could do
Autorin und Zeichnerin: Thi Bui
Abrams ComicArts, März 2017.
329 Seiten, abgeschlossen.

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Comics bleiben das zugänglichste, billigste Medium, um Bilder fürs eigene Leben zu finden. Autobiografien wie „Fun Home“ und „Stitches“ zeigen: „So ging es mir. So fühlte ich mich. Hier sind Motive, die ich für mein Erleben wähle.“ Thi Bui zeigt ihre Großeltern, Eltern und die eigene Jugend. Fragt, ob sich Traumata vererben, und wie eine Familie, seit Generatiionen ausgeliefert, „Heimat“ definiert. Der Start? Ein etwas wehleidiges Kapitel über Entbindung und Mutterschaft. Alles tut weh? Der Kreissaal ist ungemütlich? Ich brauchte Geduld und Schwung.

Bald aber spannt Thi Bui tolle Motivketten und macht, statt einer geraden Geschichte, Recherche- und Erinnerungsprozess zum großen Thema. Der Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich. Die USA in Vietnam. Die Flucht als „Boat People“. Neuanfänge in Chicago und Kalifornien.

Intim, intelligent, empathisch: Nach „Fun Home“ die beste Graphic Novel über Familie, die ich kenne.

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2. Dept. H
Autor und Zeichner: Matt Kindt
Dark Horse Comics, seit April 2016.
21+ Hefte in 3+ Sammelbänden, wird wohl mit Heft 24 abgeschlossen.

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Kaum Krimi, kaum Fantasy: Mias Vater war Aktivist und Meeresbiologe. Als er an Bord seiner Station stirbt, kehrt die erwachsene Astronautin zurück ins Team, das sie als Teenager verließ – und sucht den Täter zwischen sieben Vertrauten. Während ein Saboteur alle Räume überflutet, zweifeln komplexe, herzliche Figuren, zu wem sie halten. Es geht – trotz Seuchen, Halluzinationen, psychogenen Quallen, Riesenkraken und -Schildkröten – fast nur um Reue, Loyalität, Ideale.

Am schönsten: die Zurückhaltung von Autor und Zeichner Matt Kindt und seiner Frau Sharlene (Tusche, Farben, Typo): Wären die Figuren detaillierter, der Stil gesucht erwachsen-düster – „Dept. H“ bliebe ein behäbiger Thriller nach Schema F. Doch weil Fassade, Oberflächenreize, perfekte Zeichnungen hier fehlen, drängt sich beim Lesen eine tolle Frage auf:

Wie schaffen Comics komplexes Erzählen? Obwohl fast alles, das wir „erwachsen“ finden (Naturalismus, Details, Figurendesign) hier möglichst schlicht bleibt?

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1. Kill or be killed
Autor: Ed Brubaker, Zeichner: Sean Phillips
Image Comics, seit August 2016. Deutsch bei Splitter Verlag.
14+ Hefte in 3+ Sammelbänden, wird fortgesetzt.

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Wer einen Rassisten, Mörder, Sexisten portraitiert, um die Dynamik von Rassismus, Gewalt, Frauenhass zu zeigen, kann nie verhindern, dass Empathie, Verständnis wächst für die Figur. Autor Ed Brubaker weiß, wie viele Comic-Fans Vigilanten, Selbstjustiz lieben. Einen Batman mit Schusswaffen cooler fänden. Sich in einer Welt, in der man Zombies erschlägt, sicherer fühlen als in einer, die Tätern Rechte zugesteht.

„Kill or be killed“ stellt diese Fantasien in Frage: Mit einem weinerlichen, empathielosen Studenten, der plötzlich einen Dämon vor sich sieht. Einmal im Monat, fordert das Monster, muss jemand sterben. Also jagt Dylan Sexualstraftäter, Wirtschaftskriminelle, Handlanger der Russenmafia. Das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei (und die Frage, ob der Dämon real oder ein Hirngespinst ist), reizt Brubaker gewohnt perfekt aus.

Die Kunst der Reihe? Eine Sehnsucht der Zielgruppe wird hier so kritisch, hässlich, klug wie möglich neu gedacht! Ein Mörder als Würstchen. Als „armes“ Würstchen also? Das man ein Stück versteht, und dem man Gutes wünscht? Bisher nicht!

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Auch die US-Heftreihen „Saga“, „Harrow County“, „Lazarus“, „Jupiter’s Legacy“, „Injection“, „Southern Bastards“ und „Invisible Republic“ hatten gute neue Hefte/Sammelbände 2017: Empfehlung!

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Vier größere Thesen, zum Comic-Markt und Comic-Jahr 2017:

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1) Graphic Novels? nur illustrierte Romane.

In deutschen Verlagen wie Suhrkamp, Carlsen usw. erschienenen in den letzten Jahren immer wieder Comic-Adaptionen von Literatur, z.B. Kafka oder Don Quijote. Eine „Graphic Novel“ heißt in Deutschland oft: ein literarischer Stoff (oder die Biografie eines Bildungsbürger-Helden wie Johnny Cash), grafisch aufbereitet.

Ein Comic, der das gut macht?

Der Franzose Manu Larcenet adaptierte Philippe Claudels Roman „Brodeks Bericht“. Die Zeichnungen vermitteln so viel Atmosphäre, Larcenets Figuren haben so viel Charakter… das Buch gewinnt, illustriert, nochmal an Tiefe: weil eine allegorische Geschichte durch die konkreten Landschaftsbilder etc. im Comic plötzlich sehr konkret, lokal, verortbar wird.

Trotzdem bin ich als Comic-Leser formal gelangweilt. Weil der „Brodeks Bericht“-Comic selten versucht, Wort und Bild toll neu zu verbinden. Stattdessen: Erzählkästen mit Claudels Originaltext aus dem Roman. Und dazu eben: hübsche Illustrationen eines morbiden Bergdorfs und seiner grausamen Bewohner.

2017 erschien auch eine Graphic-Novel-Version des Tagebuchs von Anne Frank. Mit dem selben Problem: Die Geschichte wird illustriert, Bilder begleiten die Worte. Damit bleiben die Bilder leider vor allem Zusatz, Beiwerk, Schmuck. Von genuinen Comics erwarte ich mehr. Eine ähnliche Kritik habe ich zum Gereon-Rath-Comic „Der nasse Fisch“: Der Berlin-Bestseller-Krimi, der in der Weimarer Republik spielt… einfach nochmal als Comic. Text geht verloren, Zeichnungen kommen hinzu, die Geschichte wird, durch die detaillierten Illustrationen, anschaulicher. Doch alles, was man Literaturverfilmungen oft vorwirft (Schwundstufen des Originals etc.) gilt auch für diese Comic-Adaptionen.

[konkret meine ich, 2017: Kutschers „Der nasse Fisch“, Ari Folmans „Tagebuch der Anne Frank“, Reinhard Kleists Nick-Cave-Biografie und „Brodecks Bericht“.]

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2) schrullige Superheld*innen.

Marvel und der Konkurrenzverlag DC Comics erzählen meist epische Crossover-Geschichten mit vielen Held*innen, oft in Teams und Ensembles (z.B. „Avengers“ und „Justice League“).

Doch 2012 hatte Marvel großen Kritiker-Erfolg mit „Hawkeye“ – einer Serie, die einen unbedeutenderen, schwächeren Helden zeigte, bei kleineren, alltäglicheren, persönlicheren Abenteuern. Der Zeichenstil war eigensinnig, die Heftreihe hatte einen ganz eigenen Ton – und seitdem experimentiert Marvel mit diesen kleinen, schrulligen Konzepten:

Die Frage bei Marvel-Titeln, in denen es um einzelne Personen geht statt um ein ganzes Team, ist nur noch selten „Wie passt diese Figur, ihr Design etc. ins große Erzähl-Universum?“, sondern viel öfter: „Was ist der richtige Ton und die spezifische Zielgruppe für DIESE Figur?“

Ein schöner Nebeneffekt: ein Buch über eine zehnjährige Heldin soll jetzt auch Zehnjährigen gefallen, Bücher mit Frauen sollen eher Frauen als Männer ansprechen (also: weniger peinliche Ballonbrüste und Pamela-Anderson-Posen etc.), und die muslimische Heldin Ms. Marvel wird von einer Muslima geschrieben, der schwule Iceman von einem schwulen Autor etc.

Die Reihen haben oft keinen großen Erfolg – doch sie sind so spezifisch und eigensinnig, dass sie jenen Leuten aus dem Herzen sprechen, die sich seit Jahren danach sehnten. Deshalb: wer Minderheiten, Vielfalt, Experimente sucht statt Einheitsbrei: Marvel hat jeden Monat acht bis zehn Serien, die möglichst unverwechselbar und eigensinnig sein wollen.

[2017, bei Marvel: der schwule „Iceman“, die muslimische „Ms. Marvel“, die feministische Agentin „Mockingbird“, die hochbegabte Grundschülerin „Moon Girl“, der schrullige Computernerd-Humor-Comic „Squirrel Girl“]

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3) US-Comicreihen als TV-Vorlage

Wer für DC oder Marvel schreibt, verdient kaum Geld, falls eine Figur, die er/sie erfand, später in TV-Serien wie „Arrow“ oder „Flash“ verwendet wird.

Der drittgrößte Comicverlag, Image, veröffentlicht fast keine klassischen Superheld*innen – und oft gehen die Autor*innen dort in Vorkasse, um ihre Reihen drucken zu können. Der große Vorteil: ihre Figuren und Konzepte bleiben „Creator-owned“; und die Schöpfer*innen können bei TV-Deals besser profitieren.

Viele Heftreihen aus den letzten Jahren werden schon nach 10, 15 Heften für eine TV-Adaption ins Auge gefasst. Reihen wirken von Anfang an, als wären sie mit Blick auf einen späteren TV-Pilotfilm geschrieben. Das Schöne dabei: ein Heft braucht 5.000 Käufer und gilt als Erfolg. Eine TV-Serie muss immer noch von mindestens 500.000 Menschen gesehen werden. Deshalb: wer heute wissen will, was übermorgen eine (oft seichtere, weil gefälligere, massentauglichere) TV-Serie wird: Die Vorlagen erscheinen oft bei Image. Mit allem, was gute Serien ausmachen – starke Figuren, eigener Ton, schockierende Wendungen.

[2017, alle lesenswert, Serien dazu sind geplant: die Kleinstadt-Hexen-Thriller „Harrow County“ und „The Chilling Adventures of Sabrina“, das Aussteiger/Miliz-Drama „Briggs Land“, und viele Marvel-Heftserien, die Fans der Marvel-TV-Serien ansprechen sollen, z.B. „Jessica Jones“ und „Runaways“. Auch die beste aktuelle US-Reihe, „Kill or be killed“, wirkt wie ein TV-Pitch.]

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4) „Auteurs“, „Autorencomics“

Einige Autor*innen können SEHR gut erzählen – in eigenem Ton.

Dass sie nicht besonders zeichnen können oder, dass sie, sobald sie Marvel- und DC-Geschichten schreiben, nicht überzeugen, wird dabei immer unwichtiger:

Jeff Lemires Zeichnungen wirken schräg, seine Geschichten schrullig und spezifisch – doch wie bei Murakami weiß man mittlerweile: Er macht SEIN Ding, und während Filme etc. nicht finanzierbar wären, kann er sich in Comics kostengünstig und ohne Produzenten, die ihm enge Regeln setzen, ausdrücken.

Es gibt immer mehr solcher Stimmen: spezifisch, literarisch, SEHR eigene und spezielle Nischen besetzend. Eben wie Autorenfilmer*innen, oder „Kult“-Schriftsteller*innen.

[2017: Lemires „Royal City“, „AD After Death“ und „Black Hammer“, alle sehr gut; Matt Kindts „Dept H.“, Bryan Lee O’Malleys schrullig-tolles „Snotgirl“; das surreale „Shade – the Changing Girl“]

Kranksein im Comic: Ausstellung „SICK! Reclaiming Illness through Comics“, Medizinhistorisches Museum der Charité Berlin

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Im Sommer 2016 fällt die Superheldin She-Hulk nach einem Kampf ins Koma. Ihr Hirn heilt rasch. Doch eine posttraumatische Belastungsstörung reißt ihr seitdem den Boden unter den Füßen weg – erzählt auf über 200 Seiten, im aktuellen Mainstream-Comic „Hulk“.

Oder stell dir vor, du kämpfst mit Behörden, bis dein autistischer Sohn auf inklusive Schulen darf. Mit 13 wird er geschlechtsreif: Tabuisierst du Selbstbefriedigung? Oder hilfst du, Rückzugsorte zu finden? Der Pädagogik-Ratgeber-Manga „With the Light“ von Keiko Tobe gibt feinfühlige Tipps. 3000 Seiten lang.

Was aber lässt sich schon auf EINER einzelnen Comic-Seite zeigen?

Noch bis März stellt das Medizinhistorische Museum der Charité Berlin 13 solcher einzelnen Seiten aus 13 – meist sehr kurzen – Comics aus:

10 Frauen und 3 Männer aus 8 Ländern finden hier ganz eigene Bilder, Metaphern und Haltungen. Zu Pflege und zu Heilung. Zu Trauma und zu Sterblichkeit. Was diese Bildsprachen – Ikonografien – neu, spannend oder künstlerisch besonders macht, erklären kuratorische Texte auf 12 großen Aufstellern. Und ein lese- und einsteigerfreundlicher Ausstellungskatalog.

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„Legen Sie sich hin und entspannen Sie sich!“ Jeden Morgen um 6 Uhr 45 lag ich zum Ultraschall und für die Blutuntersuchung in der Klinik. „Machen Sie sich frei. Legen Sie sich hin und entspannen Sie sich! LEGEN SIE SICH HIN UND ENTSPANNEN SIE SICH!“ Ich wurde zur Laborratte für Fruchtbarkeitsbehandlungen.“

Im Comic „Broken Eggs“ von 2014 zeigt Emily Steinberg in sarkastisch verzerrten, wilden Tableaus, wie ihr Wunsch, schwanger zu werden, von einer privaten Frage… zu einem medizinischen Hindernisparcours wurde, der ihr Leben beherrschte – auf knappen 67 Seiten.

Cartoonist Christoph Geiger nimmt sich nur EINE Seite für seinen Comic „Work to do that can’t wait“:

Ein Mann baut Wände aus blauem Stein. Sein Freund fragt: „Wollen wir essen?“ Doch dafür nimmt er sich keine Zeit. „Dann Frühstück?“ – „Nein. Keinen Hunger.“ Am Ende hat er sich selbst eingemauert. „Fertig jetzt?“ – „Ich weiß nicht. Gut, dass du kommst. Hilf mir hier raus.“

Ausgestellt werden diese – etwas schmalbrüstigen – kurzen Grafiken in der Sammlung von Dr. Rudulf Virchow. Ein langer, grauer Raum voller Regale mit Präparaten aus dem 19. Jahrhundert: Wasserköpfe, Embryos, in Glas versiegelte Tumore, tote Haut. Die Illustratorin Stef Lenk erklärt, wie die simplen Aufsteller mit 13 Comics neben den – beklemmenden – Exponaten wirken:

„Es war uns aber wichtig, dass wir die Comics zusammen mit dieser Sammlung präsentieren konnten. Diesen Kontrast zwischen – ich sag mal – der Wahrheit oder medizinischen Tatsache – mit Kunst und autobiografischer Erzählung. Damit die Leute das vergleichen können. Dass es eine Zusammenbrücke gibt. Man sieht einfach Organe, man denkt: Was ist das denn? Und im Vergleich mit diesen ganz einfachen Darstellungen oder Repräsentationen wird es klar – die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.“

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„Sick! Kranksein im Comic“ heißt die zweisprachige Ausstellung. Mangas und Superhelden bleiben ausgespart. An einer Literaturgeschichte oder einem Best-of ist die (wirklich: kleine!) Ausstellung nicht interessiert. Stattdessen geht es um zwei konkrete Fragen:

„Das emotionale und persönliche Erleben von Kranken, Angehörigen und medizinisch Tätigen kommt in der entpersonalisierten Sammlung des Pathologen Rudolf Virchow nicht vor. Wir stellen den Präparaten Comics gegenüber, die individuelle Geschichten erzählen.“ …schreibt Kuratorin Dr. Uta Kornmeier.

In allen 13 Werken werden Menschen von etwas Fremden, Unpersönlichem gerammt: Krankheit und Sterblichkeit. Dazu beziehen sie – sehr persönlich – künstlerische Position. Zufäliges Pech und Leid werden so zum selbstbestimmten Narrativ. Auch im englischen Untertitel der Ausstellung, „Reclaiming Illness through Comics“, schwingt so die Frage: Was setzt man Krankheiten entgegen? Persönlich? Und künstlerisch?

Der Arzt und Comiczeichner Ian Williams suchte 2012 einen Gattungsbegriff für Comics, die solche Fragen auch mit besonders medizinischem, psychologischem und didaktischem Anspruch weiter denken: „Graphic Medicine“. Als Gastredner eröffnete er nicht nur die Ausstellung, sondern auch einen begleitetenden „Graphic Medicine“-Kongress der FU Berlin.

„Sick! Kranksein im Comic“ wendet sich an Neulinge – auch durch den Ausstellungs-Katalog, der viele Comic-Grundregeln einfach erklärt. Die 250 Menschen, die zur Eröffnung den Vorträgen zeichnender Ärzte und Pflegekräfte applaudierten, sind aber auch: medizinisches Fachpublikum. Interessiert an neuen Perspektiven auf ihre Arbeitswelt. Bilder und Bildfolgen – erklärt Cartoonistin und Krankenpflegerin MK Czerwiek – können auf engstem Raum anschaulich, persönlich, subjektiv UND lehrreich sein:

„Mein Comic ‚Taking Turns‘ bündelt die Oral History der Krankenstation, auf der ich gearbeitet habe. Dazu mein persönlicher, autobiografischer Blick. Und Wissen über HIV und AIDS, von dem ich wünschte, es würde an Schulen gelehrt: Junge Leute an der Uni haben oft gar kein Bild der AIDS-Krise der 80er und 90er Jahre.“

Es gibt tolle, lange Graphic Novels zum Thema: „Stiche“ von David Small. Oder „Das große Durcheinander: Alzheimer, meine Mutter und ich“ von Sarah Leavitt.

Die „Sick!“-Veranstalter*innen kennen Kanon und Klassiker.

Doch sie haben ein anderes Ziel: Nachwuchs und Geheimtipps sichtbar machen. Immer: möglichst kurze Werke, die sich auf EINEN Blick vermitteln.

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zwölf Graphic Novels / Comics zum Thema, die ich las und empfehle:

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…und zwei Favoriten zu Sterblichkeit & Tod: „Daytripper“ (Fabio Moon, Gabriel Ba) und „Royal City“ (Jeff Lemire)

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Graphic Novels, die das „Sick!“-Team selbst empfiehlt – und die auch im Rahmen der Ausstellung zum Reinlesen bereit stehen sollen:

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HENRY BEAUMONT: „Hole in the Heart“  |  ALISON BECHDEL: „Fun Home“  |  GARRETH BROOKS: „A Thousand Coloured Castles“  |  ALLIE BROSH: „Hyperbole and a Half“  |  ROLAND BURKART: „Wirbelsturm“  |  IAN WILLIAMS u.a.: „Graphic Medicine Manifesto“  |  MK CZERWIEC: „Taking Turns“  |  PETER DUNLAP-SHOHL: „My Degeneration“  |  LIZA FUTTERMAN & EVI TAMPOLD: „Keeper of the Clouds“  |  MELANIE GERLAND: „Offene Arme“  |  PHOEBE GLOECKNER: „A Child’s Life“  |  RETO GLOOR: „Das Karma-Problem“  |  JUSTIN GREEN: „Blinky Brown meets the Holy Virgin Mary“  |  DAVID HAJDU: „The Ten-Cent Plague“  |  JENNIFER HAYDEN: „The Story of my Tits“  |  PAULA KNIGHT: „Facts of Life“  |  PAULA KNIGHT: „X-Utero“  |  MARISA MARCHETTO: „Cancer Vixen“  |  NATE POWELL: „Swallow me whole“  |  DANIELA SCHREITER: „Schattenspringer“  |  LORENZO SERVITJE u.a.: „The Walking Med“  |  DAVID SMALL: „Stitches“  |  ANNA SOMMER: „Eugen und der freche Wicht“  |  ANNA SOMMER: „Julie ist wieder da“  |  ART SPIEGELMAN: „Maus“  |  EVI TAMPOLD: „The Hallway Closet“  |  FABIEN TOULMÉ: „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“  |  UNA: „Becoming, Unbecoming“  |  IAN WILLIAMS: „Bad Doctor“  | DAWN WING: „What you left behind“  |  JUTTA WINKELMANN: „Mein Leben ohne mich“  |  ANEURIN WRIGHT: Things to do in a Retirement Home Trailer Park when you’re 29 and unemployed“

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Mir selbst war die Ausstellung zu klein gehalten: wenige Stellwände, wenig zu sehen – fast kein Comic, das sich 200, 400 Seiten Zeit nimmt.

Ich mochte, 2016 im schwulen Museum Berlin – bunter, umfassender, origineller:

„Superqueeroes“, über queere Comics

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Selbsthilfe & Helden der Kindheit: „Die Winnetou-Strategie“, Frank Behrendt

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Am 23. Oktober bespreche ich im Kulturmagazin „Kompressor“ bei Deutschlandfunk Kultur das… vielleicht schlechteste Buch, das ich seit 10 Jahren las:

einen Lebenshilfe- und Management-Ratgeber von PR-Berater, „Winnetou“-Fan und Stern-Kolumnist Frank Behrendt:

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„Die Winnetou-Strategie. Werde zum Häuptling deines Lebens.“

Gütersloher Verlagshaus / Random House, Oktober 2017. 224 Seiten, 17.99 EUR

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„Frank Behrendt, »Guru der Gelassenheit«, ließ sich in vielen Lebenslagen von Karl Mays stolzem Apachen-Häuptling inspirieren. Auch von Persönlichkeiten im echten Leben lernte er viel. Ihre Haltung, Klugheit und Weisheit hat er übernommen und für seinen eigenen Weg erfolgreich adaptiert. Selbstbestimmt und selbst-entschieden zu leben: In unterhaltsamen Geschichten erzählt Behrendt an konkreten Beispielen, wie ihn die Helden seiner Kindheit nachhaltig beeinflussten. Eine Inspiration und ein flammender Appell, Ausschau zu halten nach den Helden am Wegesrand – den fiktionalen und den realen.“

[Klappentext, gekürzt.]

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Ich bin Diplom-Kulturwissenschaftler und hatte im Studium (Kreatives Schreiben & Kulturjournalismus, Hildesheim) u.a. wöchentliche Seminare über Feminismus bei „Alien“ & „Akte X“ (2004), Fan-Fiction bei „Xena, die Kriegerprinzessin“ (2003) und, über Heroismus seit der Antike, „Das Leid der Superhelden“ (2003).

Der Idealismus, die Strahlkraft und die Inspiration durch Helden und Antihelden ist ein Thema, über das ich immer wieder spreche und schreibe:

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Entsprechend große Lust hatte ich auf Behrendts Ratgeber:

Wir sollten alle öfter und präziser darüber sprechen, welche Figuren, Rollen, Plots etc. uns inspirieren, Vorbild sind, überraschen.

Frank Behrendt, geboren 1963, verbrachte seine Kindheit in Rio de Janeiro und seine Jugend in Ottensen an der Nordsee. Er arbeitete in der PR- und Kommunikationsabteilung von u.a. Henkel und RTL, war Geschäftsführer von Karussell (Polygram) und aktuell Serviceplan (München), und berät z.B. Fußballer bei Social-Media-Auftritten.

2015 postete er zehn Tipps für gute Work-Life-Balance, die viral gingen (Link).

2016 wurde daraus ein Buch bei Random House, „Lebe dein Leben und nicht deinen Job. 10 Ratschläge für eine entspannte Haltung“

Er wohnt mit seiner zweiten Frau und mehreren Kindern in Köln, ist großer Karl-May-Fan und war u.a. Komparse im „Winnetou: Der Mythos lebt“-Remake (RTL, 2016) und Gast beim „Wer wird Millionär“-Winnetou-Special.

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  • „Gefragt sind heute Menschen, die teilen und vertrauen können.“
  • „Ein lockerer Spruch bricht den Bann.“
  • „Du musst ein Feeling für deine Mannschaft entwickeln.“
  • „Meine hohe Performance-Erwartung erwies sich als meine Achillesverse.“
  • „Ein guter Spirit ist keine Garantie für das Gelingen.“
  • „Der neue Impuls machte mich richtig happy.“
  • „Heute bin ich Fanboy Nummer 1 meines kleinen Gerätes mit dem angeknabberten Apfel.“
  • „Nach dem Säen darfst du das Ernten nicht vergessen.“
  • „Endlich checkte ich, dass der Sinn des Lebens nicht darin bestehen kann, pausenlos zu ackern.“
  • „Ein grandioses Finanzgenie lehrte mich, wie ein Plan aussehen muss, der in Amerika jeden happy macht.“
  • „Ob Oberboss oder mittleres Management: Als Häuptling schwebst du nicht irgendwo über den Wassern, sondern bis immer Teil des Ganzen.“
  • „Die Zeit arbeitet für die Frauen: Ihre stärksten Waffen – Empathie und Emotion – sind heute mehr denn je gefragt.“

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Behrendt schreibt: Freunde nennen ihn „Guru der Gelassenheit“, „Lord des Loslassens“, „Emir der Entspannung“. Er mag u.a. Paulo Coelho und spricht viel über persönliche Begeisterung, gegenseitige Achtung, Freundlichkeit.

„Ich bin ohnehin jemand, der sehr stark in seiner glücklichen Kindheit verankert ist und ich bin auch nie so richtig erwachsen geworden. Freundschaft, Ehrlichkeit, Respekt, Verlässlichkeit waren mir als Junge wichtig und sind es heute noch. Was sich verändert hat, ist das Umfeld. Früher ging es um Werte innerhalb einer Klassengemeinschaft oder im Ruderverein, heute in meiner eigenen Familie oder in einem Unternehmen. Aber am Ende geht es immer um das gleiche: Ein faires und wertschätzendes Miteinander. Die Welt könnte schöner und friedlicher sein, wenn jeder so ticken würde.“

[Interview mit Helga König, Link]

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Ich las „Die Winnetou-Strategie“ kurz nach der Buchmesse, twitterte „Das ist das, glaube ich, schlechteste Buch, das ich seit ca. 10 Jahren las. Wow.“

…und bekam eine – freundliche, respektvolle – Rückfrage von Frank Behrendt: Was hat mich enttäuscht? Habe ich Nachfragen?

Wir wechselten einige Mails – und ich freue mich, dass er meine Haltung, Arbeit, Kritik nicht wütend weg wischen will.

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Meine Kritikpunkte:

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Es wird magic | Macht und Leadership | die Company war inhabergeführt | das Ergebnis der Session war top | es war Stress pur | eiskaltes Power-Selling | Downloads killten die CD | ich hatte nicht gecheckt, wie kniffelig die Situation sein kann | „die Neue“ brachte einen ganz neuen Spirit in die Kommunikationsabteilung | die Audience war begeistert | bei wichtigen Reden ist ein Reheasel [sic], also eine Generalprobe üblich | als Interims-CEO war ein smarter, relativ junger Typ verpflichtet worden, mit Power und Köpfchen

Die Mischung aus onkelig-bildreicher Bla-Sprache („mein Filius“ usw.) und Manager-Sprech voller Anglizismen (Der neue Impuls macht uns super-happy und ist gut für Performance und Spirit) lassen mich an Manager-Kunstfiguren wie „Stromberg“ denken:

  • „Hol dir den Happiness-Kick von früher zurück.“
  • „Zum Lunch am besten gechillten Talk.“

Ich kann das nicht lesen, ohne, die Augen zu rollen, zu lachen. Versteht sich Behrendts Buch (auch) als Management-Ratgeber, Leitfaden für Führungskräfte?

Gut, dass ein PR-Berater Erfahrung, Anekdoten teilt. Lehren aus dem Feld zieht, in dem er Profi ist. Doch stilistisch klingt er dabei wie die Parodie, Karikatur eines Managers. Und: Brauchen Menschen, die bereits Führungspositionen füllen, Empfehlungen wie „Du musst ein Feeling für deine Mannschaft entwickeln“? Behrendt baut eine bodenständige, entspannte Persona auf. Und macht dann viel kaputt, mit Passagen wie:

„Meine bisher längste berufliche Station verbrachte ich bei der PR-Agentur Pleon. Ein stolzer Kommunikationsriese, entstanden aus der legendären KohtesKlewes-Kommunikationsagentur der beiden PR-Granden Paul J. Kohtes und Dr. Joachim Klewes. Pleon war der absolute Marktführer, wuchs jedes Jahr und beschäftigte die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Branche. Es war eine unglaubliche Truppe, wir arbeiteten hart, gewannen und feierten wild. Ich war stolz, später Anführer dieser ganz besonderen Elite-Einheit zu sein.“

Show, don’t tell: Was die „unglaubliche Truppe“ so „legendär“ und „besonders“ macht, führt Behrendt nie aus. Ich lese hier Hyperbole, Sich-selbst-auf-die-Schulter-Klopfen, Glorifizierung, Mystifizierung.

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  • „Ich habe heute noch vor Augen, wie ein Kollege aus Südamerika im Seminar mit Hilfe von zwei Kokosnüssen erklärte, wie ein perfektes Einstellungsgespräch abläuft. Das war so ein irres Bild!“ Aber WAS war, mit den Kokosnüssen?
  • „Alle paar Wochen bin ich für einen Abend im Altersheim bei mir um die Ecke zu Gast, wo ich auf einer kleinen Bühne zum Gespräch bitte. Gesprächspartner sind Bewohner des Altersheimes.“ Warum dieses Ehrenamt: Was hört, lernt, erfährt man genau dort?
  • „Selbst heute noch bin ich nicht davor gefeit, zu sehr auf andere, und zu wenig auf mich zu hören. […] Freunde und Bekannte hatten uns von den Super-Hotels und den tollen Stränden in Dubai vorgeschwärmt. Wir knickten ein und fuhren in die Stadt, die schon auf den Bildern aussah, als wäre sie eine einzige Filmkulisse. Es wurde der blanke Horror! Für uns die Nummer 1 auf der Liste der Places not to be.Weil es kulissenhaft wirkt? „Der blanke Horror“ klingt so dramatisch: Details!
  • „Seit 1972 ist in Bhutan nicht etwa die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts, sondern die Steigerung des Nationalglücks vorrangige Aufgabe des Staates. Dort am Himalaya gibt es einen Glücksminister. Ich finde diesen Ansatz hervorragend.“ Klappt das gut, für Bhutan? Was entscheidet der Minister konkret, und was bedeutet das gesellschaftspolitisch?

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Behrendt versucht bei fast jedem Beispiel, Anekdote, möglichst positiv zu bleiben: Seine (recht reichen?) Eltern sind streng und wollen die Kinder nie übervorteilen. Im Beruf gibt es viele „legendäre“ Mentoren, Förderer. Behrendt lernt von jüngeren Kolleg*innen, und wenn jemand Fehler macht oder scheitert, bleibt Behrendts Schilderung so anonym, ungefähr und harmlos-gutmütig wie möglich.

Ich bin 34, und mag Autor*innen und Memoirs, die tief blicken lassen, Widersprüche zum Thema machen, immer neu fragen, was sagbar ist. Karl-Ove Knausgard wird von Verwandten verklagt. Lena Dunham schreibt personal essays über schlechten Sex und Geschlechtskrankheiten. Mir imponiert, wenn öffentliche Personen Fehler teilen. Behrendt bleibt langweilig vage, enttäuschend neutral:

  • Im Ruderclub hörte er bei einem Wettkampf nicht auf die Trainer und verausgabte sich zu früh.
  • Seine erste Ehe scheiterte, weil er viel arbeitete.
  • Ein Kollege, der zotige Witze erzählt, verstand nicht, dass er damit alle abstieß.

Solche Momenten, Anekdoten KÖNNEN „teachable Moments“ sein. Doch hier im Buch bleiben das, was Behrendt als Beispiel hastig und vage skizziert und die Lehre, die er daraus zieht, viel zu weit auseinander, viel zu beliebig verknüpft.

  • Ruderclub: Wie genau haushaltet man also die eigenen Kräfte?
  • Ehe: Wie kann man exzellente Arbeit machen UND eine glückliche Ehe führen?
  • Witze: eine Zote nervt alle, doch „ein lockerer Spruch bricht den Bann“. Tiefer rein ins Thema, bitte!

Oft klaffen „Fehler“, Lerneffekt und konkrete Tipps so weit auseinander, dass ich aus ganzen Kapiteln vor allem mitnehme: „Ich habe alles richtig gemacht. Der Erfolg gibt mir Recht. Ich bin PR-Berater in legendären Teams. Alle sind happy.“

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„Nur wer ein selbstbestimmtes Leben führt, verfügt über die Freiheit, Verantwortung auch für andere zu übernehmen.“

Starke These… die an keiner Stelle tiefer durchdacht wird: Sind Menschen ohne „selbstbestimmtes“ Leben zu schwach, faul oder dumm? Wie viel Freiheit und Selbstbestimmung haben wir im Kapitalismus? Was ist mit z.B. arbeitslosen Müttern, die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen? Ist (fehlende) Selbstbestimmung ein privater Makel – oder ein strukturelles Problem?

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Ich mailte Frank Behrendt (gekürzt):

Ich fand Ihr Buch tatsächlich sehr phrasenhaft, nichtssagend und… aufgeblasen. Vielleicht hatte ich falsche Erwartungen: mehr Winnetou, oder mehr, tiefere persönliche Erlebnisse. Oder ein Selbsthilfe-Modell, das dem Untertitel „Werde zum Häuptling deines Lebens“ gerechter wird.

Sie wirken nicht unsympathisch. Ich bin nur einfach… schockiert, wie Sie aus Allgemeinplätzen, Binsenweisheiten und SEHR dünner anecdotal evidence im Brustton der Überzeugung „Weisheiten“ raus hauen, die mir sehr… beliebig vorkommen.

Meine – wirklich: große! – Enttäuschung beim Lesen: Sie halten sich sehr bedeckt und bleiben dauernd im Ungefähren. Ich weiß jetzt, dass Frank Behrendt nette Eltern, nette Geschwister, nette Kinder hat, und dass er Fehler machte, die wir alle machten (Überarbeitung, vorschnelle Urteile, falsche Prioritäten)…

…doch in einer Welt, in der Autorinnen wie Lena Dunham in jedem personal Essay, das sie veröffentlichen, über Geschlechtskrankheiten sprechen oder private Super-GAUs, ist mir Ihr Buch zu ungefähr, ausweichend, harmlos.

Ich muss die ganze Zeit an TED-Talks denken: die Idee, dass jemand den Vortrag seines Lebens hält. Alles vermittelt, was er/sie zu sagen hat. Dringlichkeit!

Ich kann mir bei der „Winnetou-Strategie“ einfach nicht vorstellen, dass Sie z.B. dieses Buch als Vermächtnis für Ihre Kinder geschrieben haben. Alles bleibt so knapp, zurückhaltend, nett… da tun sich keine Abgründe auf. Meine Hoffnung ist, dass Ihr erstes Buch mehr Dringlichkeit hat, Substanz, schwerere Konflikte mit klügeren Fragen origineller und mutiger durchleuchtet… dass es einfach mehr klingt wie ein Buch, in dem Sie auch etwas von SICH teilen wollen.

Nach der „Winnetou-Strategie“ weiß ich nicht einmal, warum jetzt ausgerechnet „Winnetou“ so prägend für Sie war. Oder, warum Dubai Ihnen nicht gefiel. Warum Sie Menschen im Altersheim interviewen. Oder sich Bhutan aufs Nationalglück konzentriert. All das wird nur erwähnt, nie ausgeführt.

Stattdessen Sätze wie „Nach dem Säen darfst du das Ernten nicht vergessen“ und Weisheiten wie „Perfektion macht nicht glücklich“ – von denen ich hoffe, dass jeder Neunzehnjährige schon so weit dachte.

Das ist einfach zu dünn, für mich. Sie kennen, denke ich, Randy Pauschs „The Last Lecture“? Das fand ich so gut, dass ich es ca. 2011 zu Weihnachten sicher zehnmal verschenkte, an alle engen Freund*innen. Weil da Dringlichkeit war, und Pausch fast nur sagte und erzählte, was ihm erkennbar am Herzen lag – und originellere Erkenntnisse/Lehren mit persönlichen Geschichten verband, die tiefer gingen.

Ich denke auch an z.B. Ihre Stern-Kollegin Meike Winnemuth: ähnlich happy, ähnlich kurze und harmlose Sätze, ähnlich leicht verdaulich. Doch DIE nimmt sich die Zeit, um in einem Buch auf 40 Seiten zu erklären, warum sie von Indien enttäuscht war und sich ausgezehrt fühlte: IHR fühle ich mich nah, weil sie mehr von sich verrät und uns näher an sich ran lässt. Was Sie an Dubai stört, weiß ich nicht. Das ist schade – denn an solchen Stellen wirkt das Buch auf mich einfach irrsinnig beliebig, defensiv, ungefähr.“

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Ich erfahre nichts Profundes über Winnetou.

Die Ratschläge bleiben schwammig und nichtssagend („Mach auch mal eine Pause“, „Frauen in Führungspositionen sind oft eine Bereicherung, weil oft einfühlsamer und geschickter“ etc).

Es gibt keine konkrete „Winnetou-Strategie“: Behrendt verknüpft Allgemeinplätze mit recht beliebigen „bei Winnetou ist das so ähnlich“-Momenten. „Man muss auch mal über sich lachen können. Nebenfigur aus Sam Hawkins aus Winnetou weiß das auch.“

Das Buch bietet keine Antworten auf die Frage, warum wir überhaupt auf Kindheitsheld*innen, Literatur oder Geschichten/Figuren schauen sollten: Wie das ein Leben prägt.

Als Ratgeber, als Lebenshilfe, als Management-Anleitung… und auch als Weg, um einen erfolgreichen PR-Berater kennen zu lernen, bleibt das mangelhaft, misslungen, dürftig.

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2016 / 2017: LIEBLINGSSONGS / PERSÖNLICHER SOUNDTRACK (JAHR 20)

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I started keeping a diary on October 26th, 1997. I was 14 and in 9th grade. I kept up until 2004, and every year, I made a ‚personal soundtrack‘ with songs that reflected last years‘ themes and storylines.

Here are 20 songs for ‚Season 20‘, October 2016 to October 2017.

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  • Josh Ritter – Getting ready to get down
  • The National & St. Vincent – Sleep all Summer
  • Dan Magnan – Basket
  • Bonnie Prince Billie – I see a Darkness
  • Angus & Julia Stone – Hollywood

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  • Chantal Acda – The Sparkle in our Flaws
  • Tyler Lyle – Ithaca
  • Sydney Kwan – Crowded Places
  • Sean Rowe – The Salmon
  • The last Revel Band – Engine Trouble

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  • Wakey Wakey – Golden (live, PASTE)
  • Donovan Woods – That’s what they mean
  • The Sea the Sea – Guess it was
  • Chris Garneau – Pas grave
  • Adam Barnes – Tennyson

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  • Po’Girl – Take the long Way
  • The Ting Tings – That’s not my Name
  • Kettcar – Sommer 89
  • The National – Guilty Party
  • Kirin Callinan – Bravado

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Some of these songs are on Youtube. Let’s see how long it takes before they are taken down. Here are the videos: Watch them while the links still work!

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  • Josh Ritter – Getting ready to get down

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  • The National & St. Vincent – Sleep all Summer


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  • Dan Magnan – Basket


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  • Bonnie Prince Billie – I see a Darkness


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  • Angus & Julia Stone – Hollywood


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  • Chantal Acda – The Sparkle in our Flaws


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  • Tyler Lyle – Ithaca

[ https://bandcamp.com/EmbeddedPlayer/album=4119607668/size=large/bgcol=ffffff/linkcol=0687f5/tracklist=false/artwork=small/track=3938414916/transparent=true/ ]
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  • Sydney Kwan – Crowded Places


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  • Sean Rowe – The Salmon


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  • The last Revel Band – Engine Trouble


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  • Wakey Wakey – Golden (acoustic)


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  • Donovan Woods – That’s what they mean


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  • The Sea the Sea – Guess it was


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  • Chris Garneau – Pas grave

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  • Adam Barnes – Tennyson


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  • Po’Girl – Take the long Way


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  • The Ting Tings – That’s not my Name


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  • Kettcar – Sommer 89


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  • The National – Guilty Party


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  • Kirin Callinan – Bravado

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related Links;

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Lesung & Moderation, Open Books zur Frankfurter Buchmesse: Manja Präkels (Verbrecher Verlag) & Nikita Afanasjew (Voland & Quist)

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Ab und zu darf ich Lesungen moderieren und Autor*innen auf der Bühne interviewen, z.B. Stewart O’Nan (Literaturhaus Freiburg), Thomas von Steinaecker (Literaturbüro Oldenburg), Kathrin Passig (Deutsche Akademie für Sprache & Dichtung, Darmstadt), Justin Torres und Fiona Maazel (DAAD, Leipzig).

Fragt mich für sowas an – ich mache das irrsinnig gern!

das.ensemble@gmail.com

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Zur Open-Books-Lesung der Frankfurter Buchmesse 2017 sprach ich mit Manja Präkels und Nikita Afanasjew.

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70 Minuten, zu dritt auf der Bühne. Erst las Manja, dann Nikita. Beiden durfte ich je ca. 15 Minuten lang Fragen stellen.

Heute kurz im Blog: kurze Statements zu den beiden Romanen, meine Lesungsnotizen und Fotos (von Linus Giese, @buzzaldins blog)

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Roman, Hardcover, 232 Seiten
Verbrecher Verlag, Juli 2017, 20,00 €

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„Landleben zwischen Lethargie und Lebenslust. Mimi und Oliver sind Nachbarskinder und Angelfreunde in einer kleinen Stadt an der Havel. Sie spielen Fußball, leisten den Pionierschwur und berauschen sich auf Familienfesten heimlich mit den Schnapskirschen der Eltern. Mit dem Mauerfall zerbricht auch ihre Freundschaft. Oliver wird unter dem Kampfnamen Hitler zu einem der Anführer marodierender Jugendbanden. Seine Leute bringen Straßen und Plätze unter ihre Kontrolle.

Manja Präkels erzählt in ihrem Debütroman vom Verschwinden der DDR in einem brandenburgischen Kleinstadtidyll, dem Auftauchen verloren geglaubter Gespenster, von Freundschaft und Wut.“ [Klappentext, leicht gekürzt.]

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Vor ein paar Wochen, beim Anlesen, dachte ich: „Der Buchtitel ist dick aufgetragen, das Buch wirkt monoton und eingleisig… kein Muss.“

Ein Roman über die Zeit von ca. 1985 bis ca. 1993 in einem DDR-Dorf an der Havel nah an Berlin, aus Sicht der Ich-Erzählerin Mimi, geboren 1975: der Nachbarsjunge wird rechtsradikal, und „Hitler“ genannt – doch in der Grundschulzeit sitzen Mimi und Hitler noch bei Verwandtengeburtstagen am Kindertisch und teilen den ersten Rausch.

Gegen das Buch spricht, dass es oft wie eine Liste wirkt: eine Ansammlung von allem, was in Mimis Kindheit und Jugend awkward, traurig, verstörend, brutal war, Schlag auf Schlag aneinander gereiht. Alles im selben Ton, nach der selben Dramaturgie, 230 Seiten. Dicht, aber oft viel zu kurz/kompakt – in schlechten Momenten wirkt das wie eine Litanei, bei der Figuren, Stimmungen etc. keine Luft zum Atmen haben.

Andrea Hanna Hünniger schrieb 2014 ein kurzes Essay über den NSU-Prozess und ihre Jugend nach der Wende: „Hitler, der Krasseste unter den Glatzen in unserem Viertel, stand eines Morgens an der Bushaltestelle, weil er zu seiner Ausbildung zum Baggerführer oder so ähnlich gehen wollte, mal wieder, er war lange nicht mehr hier gewesen. Da sagte er zu mir, wenn du mich noch einmal anguckst, schlag ich dich tot.

[…] Wenn ich den Prozess beobachte, sehe ich diese leeren Straßen und die Felder, die sich ins Unendliche ausrollen, ich sehe die Bushaltestellen mit den Jungs und Mädchen in Bomberjacken, und ich sehe immer auch mich selbst. Ich sehe aber auch ein ganzes Land auf der Anklagebank, das sich in einem wichtigen Jahrzehnt eher um den Solibeitrag stritt und über eine Diktatur und nicht bemerkte, wie ihm die Kinder abhanden kamen.“

Präkels sammelt die Verletzungen, Ängste, Microaggressions, Widersprüche und Alptraum-Momente einer solchen Kindheit und Jugend, in fünf kurzen, aussagekräftigen Szenen pro Seite, oft SEHR knapp aufs Papier gepresst. Szenen, die ich nicht vergessen werde, und Zusammenhänge, die nie ausgesprochen werden – sondern sich erst zeigen, wenn ich das Buch zuschlage und all diese anecdotal evidence erinnere. Kein elegantes Buch. Ich wünschte, es wäre länger, modulierter, hätte mehr Auf und Ab.

Trotzdem: *ungeheuer* eindrücklich. Empfehlung!

http://www.verbrecherverlag.de/book/detail/908

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  • geboren 1974 in Zehdenick an der Havel, nah an Berlin.
  • arbeitete, wie die Romanfigur, als Lokaljournalistin.
  • studierte Philosophie und Soziologie an der FU Berlin.
  • Chansonniere/Sängerin der Band „Der singende Tresen“ & Autorin des Lyrikbandes „Tresenlieder“

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  • 2011 Mitherausgeberin von „Kaltland“, Rotbuchverlag: „Erzählungen, autobiographischen Geschichten und Originaltönen prominenter Autoren und Künstler über Rassismus nach der Wende: Volker Braun, Annett Gröschner, Jakob Hein, Alexander Osang, Martin Sonneborn, Andres Veiel, Roger Willemsen u.v.a.“
  • 2014 mit ihrem Ehemann Markus Liske Herausgeberin des Erich-Mühsam-Lesebuchs „Das seid ihr Hunde wert!“, Verbrecher Verlag.
  • 2015, mit Markus Liske: „Vorsicht Volk! Oder: Bewegungen im Wahn?“, Verbrecher Verlag.

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  • u.a. Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste (2005) und Aufenthaltsstipendium im Writers House Ventspils, Lettland (2012/13).
  • schreibt für die taz, Jungle World, Märkische Allgemeine Zeitung.
  • arbeitet an einer Langfassung des in der taz erschienen Fortsetzungsromans „Im Anwohnerpark“.

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  • 1999 recherchierte sie für die ZDF-Dokumentation „Die Zecken von Zehdenick“. Der Bürgermeister warf ihr vor, „die Stadt in Misskredit gebracht zu haben“.
  • Charlotte Roche sagte mal: 70 Prozent von Feuchtgebiete sind wahr. Präkels: „Bei ‚Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß‘ sind es 88 Prozent.“
  • Wer soll das lesen? Ossis? Wessis? Präkels: „Beim Schreiben hatte ich meine Freundinnen und Freunde von damals im Kopf.“

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Roman, Hardcover, 304 Seiten
Voland & Quist, September 2017, 22,00 €

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„Jakob Ziegler ist jung, talentiert und erfolglos. Ein Künstler, der im Leben feststeckt. Um endlich vorwärtszukommen, erschafft er eine spektakuläre Kunstfigur: Johann Zeit. Was anfangs noch harmlos erscheint, wird bald zum Marketing-Coup. Dann aber entgleitet Jakob die Kontrolle über sein Alter Ego…“

»Heute Nacht ist Berlin ein Abenteuerspielplatz. Afanasjew dreht das große Karussell der urbanen Selbstverwirklichung ‒ und er dreht es so schnell wie gekonnt.«
Benedict Wells

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Ein Jungs- und Künstlerroman im Stil von Joey Goebels „Vincent“, neueren Romanen von Benjamin Lebert und viel von Martin Spieß, Benedict Wells – und eine Art umgedrehtes „Fight Club“: Was, wenn eine Kunstfigur plötzlich zum Gegenspieler wird? Ich mag, dass der Roman seine Konflikte und Fragen von Szene zu Szene weiter dreht/denkt, statt stehen zu bleiben: Obwohl die Figuren recht naiv handeln, machen sie überraschende, überraschend kluge Fortschritte. Ich mag, dass Neben Hauptfigur Jakob mehrere Nebenfiguren lange eigene Kapitel haben, sich der Roman mehr Figuren als nötig erlaubt… und ihnen mehr Tiefe gibt als befürchtet.

Und ich mag die Szene, in der Jakob auf den Kran einer Baustelle klettert und einen einsamen Wachmann/Handwerker entdeckt, der im Keller an einer Wand des Rohbaus ein Gemälde malt, im Wissen, dass der Raum in ein paar Tagen mit Dämmung ausgekleidet wird… und kaum jemand die Kunst je sieht. Obwohl Afanasjew als Reporter sehr vertraut ist mit der Stadt, verzichtet das Buch auf Lokalkolorit-Eitelkeiten und Insider-Berlin-Jargon.

Überzeugt hat es mich nicht. Kluge Fragen, liebenswerte Figuren… doch alles bleibt zu oberflächlich, konstruiert. Eine reiche, dysfunktionale Familie spricht/handelt wie schlecht erfunden. Jakobs eigene – interessantere! – Familie und die Frage, ob Lohnarbeit und Selbstaufopferung im Kapitalismus glücklich machen können, bleiben Beiwerk. Das Finale wirkt wie aus einer überzeichneten Satire, und die Johann-Zeit-Schnapsidee schlägt amüsante, doch nie besonders tiefgründige, markante, relevante Haken. Kein Buch, das mich ärgerte oder langweilte. Doch ich glaube, Afanasjew kann das VIEL besser. Als Lesungsgast und Gesprächspartner war er großartig: Ladet ihn ein – das lohnt sich!

https://www.voland-quist.de/buch/?259/Bank%C3%BCberfall%2C+Bergh%C3%BCtte+oder+ans+Ende+der+Welt–Nikita+Afanasjew

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  • geboren 1982 in Tscheljabinsk, Sowjetunion – einer „unglaublich verseuchten Industriestadt“ am Ural.
  • 1993 der Umzug nach Deutschland: Recklinghausen. Journalistik in Hamburg.
  • „neben und nach dem Studium unterwegs als Reporter für“ u.a. Tagesspiegel, WAZ, dpa, Focus Online, 11 FreundeDummy, Fluter.
  • Gewinner des Deutschen Reporterpreises 2015. Nominierungen für Axel-Springer- und Henri-Nannen-Preis.

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  • schrieb journalistisch bisher als Nik Afanasjew, in Zukunft aber mit vollerem Namen, Nikita.
  • 2015 großartiger Tagesspiegel-Text „Aufwachsen am Kotti. Die Kids aus unserem Hinterhof.“
  • 2016 elfteilige Tagesspiegel-Reihe „Quer durch Russland“. „Welchen Text sollen wir lesen?“ – „Ich mag Text 6, über Stalin-Büsten.“
  • scheußliche Bio bei Dummy, nicht selbst geschrieben: „Er ist Reporter im Krisengebiet Kreuzberg, in den Favelas zwischen Prinzenbad und Görlitzer Park.“

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Nik Afanasjew: „Aufwachsen am Kotti: Die Kids aus unserem Hinterhof“. Tagesspiegel, 2015

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ein Stern, fünf Sterne: meine Kriterien beim Bücher-Bewerten

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Ich bin Literaturkritiker für u.a. ZEIT Online und Spiegel Online, und spreche/schreibe immer wieder über diese Arbeit, z.B.

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Ich mag lange, detaillierte Texte voller Links, Querverweise, Nebenaspekte.

Doch ich finde es – besonders online und auf Facebook/Twitter – oft wichtig, auf einer Fünf-Sterne-Skala schnell aufzeigen zu können, wie ich ein Buch bewerte.

Meine Kriterien, im Sternchen-Raster von u.a. Amazon und Goodreads?

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Das Buch_macht ein oder mehrere Dinge SO klug anders oder SO viel besser als andere Titel, dass ich denke: „Wow. Meisterhaft.“

Ich_werde es nie vergessen und/oder genoss die Lektüre sehr. Oder denke „Was für eine interessante Zumutung!“, „Was für ein unerhörter Gedanke!“, „Was für eine bizarre, markante Stimme!“

Das Gros der Leser*innen_wird, hoffe ich, „gelungen!“ denken oder mindestens „interessant!“

5 von 5 Sternen. ca. 10 Prozent der Bücher, die ich lese.

Das Buch_schafft das, was es sich vornahm: eine runde Sache ohne frappante Probleme… oder mit so viel Charme, Klugheit, Eigensinn, dass selbst solche Probleme aufgewogen werden.

Ich_hatte Spaß beim Lesen, bereue die Lektüre nicht, sage laut und guten Gewissens: „ein gutes Buch!“

Leser*innen_, die Genre, Tonfall oder Thema grundsätzlich mögen, kriegen hier eine kompetente und/oder interessante Lektüre.

4 von 5 Sternen. ca. 30 Prozent der Bücher, die ich lese.

Das Buch_macht viel richtig, doch Entscheidendes falsch: Irgendwo knirscht es. So grundsätzlich oder so häufig, dass ich als Lektor gern eingeschritten wäre.

Ich_las das Buch oft mit Gewinn, doch hätte in der Zeit trotzdem VIEL lieber ein Besseres, Klügeres, Originelleres, Mutigeres, Dichteres oder wenigstens Kompetent-routinierteres gelesen. Ich ärgere mich, dass ich das Buch auswählte. Ein Titel, bei dem ich nicht pauschal „ein SCHLECHTES Buch“ sagen würde. Doch mindestens: „Autor*in? SO wird das nichts mit uns, auf lange Sicht.“

Leser*innen_, die das Buch in einer Buchhandlung sehen, würde ich gern meine Einwände und Probleme nennen, und bei Facebook drücke ich, sobald das Buch auftaucht, auf keinen Fall „gefällt mir“. Ich verbringe viel Zeit, darüber zu reden, wo das Buch für mich hakt und warum ich es allerhöchstens GANZ konkreten Einzelpersonen, Liebhaber*innen, Fans, Nischenpublikum empfehlen kann.

3 von 5 Sternen. ca. 40 Prozent der Bücher, die ich lese.

Das Buch_ist schlecht. Vielleicht nur wurstig oder banal – und nicht jedes Mal denke ich „Von dieser Autorin will ich nichts mehr lesen“ oder „Der Autor ist nicht klug oder hat den Job verfehlt!“ Doch dass Verlage das Buch in dieser Form druckten und vermarkten, enttäuscht mich: Ich verliere ein Stück Respekt vor allen Beteiligten.

Ich_warne vor dem Buch, hatte beim Lesen schlechte Laune, war wütend, hämisch, enttäuscht oder genervt, und tue alles, damit niemand dieses Buch kauft, liest, empfiehlt.

Leser*innen_, die das Buch lesen, zweifeln danach, ob Bücher „etwas für sie sind“ oder verlassen sich das nächste Mal auf Netflix statt auf die Buchhandlung.

2 von 5 Sternen. ca. 15 Prozent der Bücher, die ich lese.

Das Buch_ist böse, oder SO schlecht, dass ich mir keine erwachsenen Menschen vorstellen kann, die es tatsächlich mögen. Ich weiß nicht, wie der/die Schreibende denken konnte „So ist es gut!“

Ich_benutze das Buch, um grundsätzlich aufzuzeigen, wo Bücher scheitern können, und denke oft noch 15 Jahre später fassungslos an die Lektüre. Manchmal amüsiert („Was war da nur los?“), meist aber wütend („Dieser Mensch, manchmal auch dieser Verlag haben KEINE weitere Stunde meiner Lebenszeit verdient. Wir sind fertig.“)

Leser*innen_die das Buch lesen, fanden es bestenfalls mittelmäßig. Wer es ehrlich mag oder empfiehlt, ist mir so suspekt, dass ich daran zweifle, dass wir uns je wieder Buchtipps geben sollten.

1 von 5 Sternen. ca. 5 Prozent der Bücher, die ich lese.

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ein Grundsatzproblem bei Goodreads:

Die Idee, dass 2 Sterne für „it was okay“ stehen.

Die Plattform will beim Sterne-Vergeben helfen, indem jedem Stern eine Phrase zugeschrieben wird. „I did not like it“ (1), „It was okay“ (2), „I liked it“ (3), „I really liked it“ (4), „It was amazing“ (5 Sterne). Meine eigene Skala: „unfähig oder böse: Ich wünschte, niemand läse dieses Buch“ (1), „misslungen: Ich rate ab“ (2), „nicht misslungen – doch mit größeren Problemen/Schwächen“ (3), „gern gelesen, viele Stärken“ (4), „umwerfend, besonders, aufregend!“ (5 Sterne).

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Star Trek: Discovery – Empfehlung bei Deutschlandfunk Kultur

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Viel Liebe zu den Figuren. Schnelle Dialoge. Große Fragen.

Viele (aus 700 vorigen „Star Trek“-Episoden) bekannte Situationen und Konflikte… oft überraschend drastisch und originell neu gelöst.

Ich sah Episode 1 und 2 von „Star Trek: Discovery“ (Deutsch auf Netflix), der sechsten großen „Star Trek“-Serie seit 1966… und habe Lust, mehr zu sehen: Empfehlung!

Am Dienstag, den 28. Oktober spreche ich ab 14 Uhr als Studiogast im Kulturmagazin „Kompressor“ auf Deutschlandfunk Kultur über die Serie. Schon heute, hier: mein erster Eindruck.

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Mit zwölf (1995) wurde ich großer „Star Trek“-Fan: Bis ca. 1999 und dem Ende von „Deep Space Nine“ sah ich möglichst alle Episoden und Kinofilme, die damals im TV ausgestrahlt wurden, besuchte Fan-Conventions, schrieb in einem Fanzine und las jahrelang Romane, Bücher, Zeitschriften.

„Star Trek: The Next Generation“ ist die erste „erwachsene“ Serie, die ich komplett sah. Ich liebe die Figuren; und verbrachte meine Sommerferien vor der siebten Klasse mit einem Buch über logische Fehler, offene Fragen, Ungereimtheiten.

„Star Trek: Deep Space Nine“ (…und „Babylon 5“) ist mir noch heute sehr wichtig. „Voyager“ war mir oft zu bieder, und an der Kirk-Spock-Serie aus den 60ern nervte mich das Gegockel William Shatners, fehlende interessante Frauen und die meist eindimensionalen Alien-Kulturen.

Bei „Star Trek: Enterprise“ (2001) gab ich sofort nach dem Pilotfilm auf, und die drei „Star Trek“-Reboot-Kinofilme seit 2009 ignorierte ich wegen Regisseur J.J. Abrams („Alias“, „Lost“). (…wobei mich sein Star-Wars-Film 2015 dann doch überraschte und einnahm!)

Ich mag an „Star Trek“ die Politik und kulturelle Vielfalt (Bajor! Cardassia!). Die vielen Figuren und ihr oft sehr kollegiales, gutmütiges Miteinander. Die soziale Utopie der Föderation (kein Bargeld, keine Religion, wenige Vorurteile). Und ich liebe, dass zwar jederzeit die größten ethischen Fragen, die schlimmsten Kriege, Verluste und Entscheidungen, die existenziellsten Probleme auf sechs bis zwölf Figuren stürzen können… doch diese Leute trotzdem JEDE Fläche Boden ihrer Schiffe mit Teppich auslegen. Es geht um Kultur und Ideale – auch und besonders im schlimmsten Gegenwind.

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„Star Trek“ schafft einen Erzählraum, in dem eine aktuelle, zeitgemäße, komplex erzählte Serie viel Kluges zeigen könnte zu Kolonialismus und Utopien, Gender und Körperbildern, kultureller Vielfalt und Militär, menschlicher Leitkultur und menschlicher Selbstgerechtigkeit. „Star Trek: Discovery“ hat das Zeug, diese Serie zu sein: warmherzig, temporeich, ambitioniert.

Staffel 1 hat 15 Episoden: eine Hälfte wird noch bis Ende 2017 wöchentlich ausgestrahlt, das zweite „Kapitel“ von Staffel 1 dann ab Januar 2018. In Deutschland läuft die Serie auf Netflix, in den USA auf dem Pay-TV-Portal „CBS All Access“.

Serienschöpfer war Bryan Fuller („Pushing Daisies“, das hochgelobte „Hannibal“ mit Gillian Anderson, aktuell „American Gods“), der aber nach wenigen Monaten ausstieg.

Die Serie spielt ca. neun Jahre vor den Abenteuern von Kirk und Spock, wirkt aber viel dunkler, militärischer und… sleeker: Hologramme, Jetpacks, viele wilde Grafik-Interfaces auf dem Schiffs-Screens. Die Klingonen wurden (wie schon in den ersten Kinofilmen) noch einmal neu designt, und wirken jetzt weniger wie Russen/Wikinger als wie die plumpesten, billigsten Weltraum-Barbaren. Ein großer Schritt zurück.

Ansonsten aber wirkt die Serie – ich sah Episode 1 und 2 mit einem Freund, der noch nie „Star Trek“ sah – einladend und hochwertig, für Fans und Neueinsteiger: Hauptfigur ist eine Frau of Color, Michael Burnham, die bei Spocks Vater Sarek auf Vulkan aufwuchs und aktuell als erster Offizier auf der USS Shenzhou dient.

Das Mit- und Gegeneinander mit Captain Philippa Georgiou macht großen Spaß. Zwei (nicht-weiße, energische, unbedingt feministisch angelegte) Frauen streiten, debattieren auf einem sehr hohen Niveau. Ein schrulliges und steifes Alien, Saru, wirkt etwas einfallslos. Ab Episode 3 kommen dann noch das titelgebende Raumschiff, die USS Discovery, und ihr Captain, Gabriel Lorca (gespielt von Jascon Isaacs: Lucius Malfoy aus „Harry Potter“) hinzu.

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Nach zwei Folgen bleibe ich noch etwas unsicher, weil…

…die Klingonen noch nie so eindimensional waren und ihre langweiligen Dialoge (auf Klingonisch, mit Untertiteln) viel zu viel Raum einnehmen.

…“Star Trek“ von seinen Ensembles lebt, doch Episode 1 und 2 bisher erst zwei oder drei Hauptfiguren vorstellten: Die meisten wichtigen Crewmitglieder waren bisher nicht mal zu sehen.

…vor allem aber, weil ich die beiden Frauen in der Hauptrolle sehr mochte, und noch nicht absehen kann, welchen Raum Michelle Yeoh (Captain Georgiou) einnimmt und, ob Jason Isaacs sie ab Episode 3 nicht einfach nur ersetzen wird. Das wäre zum Heulen: Warum steht Yeoh als „Special Guest Star“ im Vorspann, nicht aus Hauptdarstellerin?

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Fan-Kommentare und -Kritik auf Reddit:

The characters face a complex situation with no easy answers, and ending up with a worst-case scenario despite doing everything right.

After over 12 years, Star Trek is back on television.

This is a throwaway crew. We’ve only seen two of the series regulars. The real show with the USS Discovery doesn’t start until Episode 3 next week.

I’ll admit that I was expecting the Discovery to show up right towards the end of the pilot, but I was pleasantly surprised by the decision to dedicate the two-parter solely to setting events in motion and providing Burnham’s backstory, rather than the episode being a quick rush to the Discovery.

I honestly wish Star Trek would’ve found a bit more of a Master and Commander groove regarding the question of being both a vessel of discovery and a warship. M&C was the only story that ever dialed in the sweet spot between those two imperatives.

The computer’s ethical protocols deserve an episode unto themselves.

All these characters are still Starfleet, they have morality, ethics, camaraderie, a sense of adventure, but I never in my life thought I’d see anything like this for television Star Trek.

It didn’t feel like Trek at all. Or at least it didn’t feel like Trek TV – there was more of a Star Trek VI vibe. As I’ve seen some other people say, it felt more like a Mass Effect TV show with a Trek theme sprayed over it. I agree that the one part that felt very Trek was the ethics debate with the computer. I like Burnham’s character, and I don’t really have anything too bad to say about the show as a good sci-fi war movie. But I totally understand why some Trek fans don’t like it too much. War movie is not really the genre most Trekkies were looking for.

I thought the part where Burnham said, „Don’t confuse race with culture“ to be quite interesting. The Admiral had criticised her for claiming the Klingons were an aggressive species. And that has always been an inherent contradiction in the Star Trek universe;they have evolved past racism, but seem to have no problems generalising about entire races (calling the Romulans devious, the Ferengi greedy, the Klingons violent).

My theory is that the Discovery is a Section 31 black-ship whose express purpose is to find new ways to defeat threats, especially the Klingons.

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Kritik an den Klingonen:

Basing the new show around Klingons is exactly what Star Trek didn’t need. They should have picked up after TNG and explored the fantastical science-fiction concepts that made the shows great. The Klingon have always been a one trick pony and often part of the weaker episodes. They are too exaggerated and predictable, basically a caricature of what would happen when you’d give a medieval culture spaceships.

My only problem with them speaking Klingon is the scenes started to drag. The idea that all these great Klingon houses would just change their opinion that quickly was also hard to buy. They did seem to speak awfully slowly, even if it is mostly hard syllables. They also sound almost exactly like humans who haven’t had enough practice with fake teeth.

It’s interesting that in TOS (and thereafter) the Klingons were the Russians. Intransigent, bellicose, etc. The Federation was the US (or an idealized UN of sorts). Now, at least from the stuff you see in those first two eps, the Klingons are obsessed with not being assimilated, having their quirks erased and being homogenized into a large panculture. Where have we heard that complaint before?

T’Kuvma’s critique of the Federation’s line „we come in peace“ gave me chills! This is how Klingons should be portrayed for modern times. They see all of the moral trappings of Federation life as a propagandistic lie, and have unified their Empire (and their ideology) around the internalization of that suspicion. This is the first time in a long time that a Star Trek antagonist has been given compelling reasons for their xenophobia and hatred.

The Klingons managed to become an interstellar great power that rivaled the Federation and exceeded lesser powers like the Cardassians in terms of strength. Presumably that did take some form of internal order. I’m fine with Klingons actually being competent from time to time, as opposed to just being biker gangs in space. I know that TOS Klingons have basically been retconned completely out of existence by this point, but it is worth noting that the Klingons in TOS were pretty competent and very orderly. They were militaristic, but in a more authoritarian, orderly sense, as opposed to the testosterone-pumped warriors they became in TNG.

Alan Sepinwall: „my goodness is every single scene on T’Kuvma’s ship at last twice as long as it needs to be. As a fan of The AmericansJane the Virgin, and other recent shows that have extended sequences in foreign languages, I’m not opposed to reading subtitles, but those shows benefit from actors who are able — through both talent and not being buried under several pounds of immobile makeup — to convey tons of emotional nuance with each line even if you have to read along with them, and they don’t turn the subtitled scenes into pure info dumps. Almost all of the Klingon stuff was literally monotonous: every line delivered in the same growl, with the same limited facial expression, reiterating the same two or three points about how much better their culture used to be.“

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Kleinigkeiten/Nitpicking:

All communication in both episodes is done using holograms. Holographic communication was first established in DS9, over a hundred years later, and was clearly a new technology.

Why exactly did both the Captain and First Officer beam over to the Klingon ship with no back-up? Where is the security team? Why beam in a 12 man assault team with assault rifles, when you can beam in the two most important people on the crew with nothing but phaser pistols?

How did Michael not get suspicious when the captain had them take bizarre 290 degree turns while walking in an open desert? That scene was a level of cheesy that felt out of place with the rest of the show.

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Star Trek Discovery Tilly

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kurz, zu Episode 3:

  • Lorcas geschädigtes Auge in Nahaufnahme wiederholt das „Auge in Nahaufnahme“-Leitmotiv aus dem Pilotfilm und dem Vorspann.
  • Wie schon im Pilotfilm sagen Figuren in der deutschen ST-Synchronisation erstmals (?) „Ensign“ statt „Fähnrich“.
  • ein Tribble auf Lorcas Schreibtisch!
  • Pilze? Größer-und-kleiner-Werden? „Alice im Wunderland“-Motive? = „Super Mario“!
  • Romulus! Der Beta-Quardant! Ich wünschte, „Trek“ würde mehr Zeit dort im Quadrant verbringen.

Reddit-Zitate zu Episode 3:

  • „A ship that can transport anything anywhere. A Captain with an insane plan… and a Tribble… Discovery is actually the Klingon/Tribble war origins series.“
  • Discovery has a Klingon spy
  • Will Lorca’s pet tribble be the new Sisko’s baseball?
  • Do you think Lorca writes fortunes for his cookies in his off time? He crafts very specific „fortunes“ for his crew the he ensures they „randomly“ receive with their dinner meals just to fuck with their heads.
  • Did Saru fucking salt his tea? I thought it was sugar until I saw the matching black shaker on the table.
  • Lorca also mentions Romulus. Romulus is the homeworld of the Romulan Star Empire, the other primary antagonists of TOS who are fleshed out considerably in TNG and two of the films. At this point in the chronology, no one in the Federation has ever seen a Romulan (or at least lived to tell about it), so it is unlikely anyone knows what Romulus looks like.
  • „Context is for kings.“ As cheesy as it may have been, my favorite part of the episode was when Lorca breaks down the episode title for the viewers. Episodes 1 and 2 had these „title drop“ moments, too.
  • Note that the Klingon-Federation border displayed here would not necessarily be the location of the Neutral Zone in postwar TOS or the TNG-era border.
  • „Isn’t the site to site transport problematic for continuity?“ – „I would assume the technology will be found to be too dangerous for one reason or another.“
  • „That copy of Alice in Wonderland was pretty thicc. Must have been a large font.“ – „It would probably have to be heavily annotated for 23rd century people to understand much of it.“
  •  I’m REALLY hoping this isn’t attempting to explain the infamous Voyager „travelling past warp 10 turns humans into giant amphibians“ episode.
  • I think they’re going to stop using the magic spores when they figure out it attracts Lovecraftian terror dogs from the Warp.
  • I think it’s a tardigrade, made massive by the experiment on the ship. Tardigtades can survive damn near anything. It looks like a grotesquely large one, right down to the circular mouth.
  • Their research reminds me slightly of the TNG episode where they find the abandoned technology that allows for doorways to places in the universe: Iconians!
  • The premiere was classic Star Trek – this was something else entirely, full of assholes, maniacs, murderers, punching, militarism, monsters aboard USS Horrorshow and her sister ship … I’m taken aback and sad.

The attentive viewer will recall that we already knew that Amanda read Carroll to Spock as a child. From TAS Once Upon A Planet:

SPOCK: The Queen of Hearts and her cards are characters from Alice Through the Looking Glass, Captain.

KIRK: I read the book as a child, Mister Spock, but I wasn’t aware you indulged in the literature of fantasy.

SPOCK: Light reading is considered relaxing, Captain. My mother was particularly fond of Lewis Carroll’s work.

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AVClub: „While she’s crawling for her life, Michael starts reciting a bit from Alice In Wonderland. It’s utterly unexpected, and it hooked me good. The first three episodes feel cut to the bone at times, a sort of no-frills attempt to establish a serialized narrative and keep everything moving forward. So far the show has maintained its momentum, but at some point, it’s going to need to slow down a bit. That’s what moments like the Alice speech are important; these people need to be more than just moving pieces.“

AVClub: „I appreciate how immediately abrasive the new additions are. Captain Lorca is charming but untrustworthy; Tilly – a constant bundle of nervous energy – is dorky and too eager to please; and Stamets is just pissed off. That could be off-putting, but it helps to add to the sense of the Discovery as a ship where things aren’t quite right, and a crew under a lot of stress to produce. Tilly is especially interesting—I suspect her growing friendship with Michael is going to be important.

AVClub: „“Universal law is for lackeys. Context is for kings.” -Lorca (I feel like this is going to be a crucial thematic sticking point for the show. It relates to Michael’s actions in the pilot as well as Lorca’s more questionable decisions. Trying to decide how much principle can bend in times of crisis is something Trek has dealt with before, and I’m excited to see how they deal with it again.)“

Polygon: „At some point in their different series, Kirk, Picard, Sisko and Janeway all had to wrestle with the puzzle placed before them; even choosing to make unethical and reckless decisions because they believed it to be the only option at the time. One thing that always made Star Trek stand out from the plethora of sci-fi shows and movies was its ability to make its characters feel extraordinarily ordinary in the most eventful of times. They’re human, even if the world they exist in is so fantastical and absurd that we know it couldn’t possibly be real. The stories are grounded in human decisions and the complex emotions that come along with irrationality. It’s when Star Trek is in its most frenzied state that its characters feel like people we know or imagine we could become ourselves.“

IGN: „Did Lorca let that shuttle pilot die in order to divert the prison ship at the start of the episode? If so, then we already have our answer as to his true nature.“

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kurz, zu Episode 4:

  • keine Nahaufnahmen von Augen erstmals; und keine Figur, die den Episodentitel laut ausspricht.
  • eine weitere tote Frau (Security-Chief Landry)… und damit noch weniger weibliche Crew-Hauptfiguren.
  • ein kurzer Moment mit Michelle Yeoh, für den ich dankbar bin: mehr von ihr! Wurde sie wirklich gegessen? Keine Möglichkeit, sie zu retten – zum Beispiel durch eine Zeitreise am Ende der Staffel? Und Season 2 spielt dann in einer parallelen Timeline, in der Yeoh noch lebt?
  • die Klingonen-Szenen sind nach vor schleppend… aber mich freut, dass sie dieses Mal visuell VIEL interessanter ausfallen: Schwerelosigkeit! Goldene Sternkarten!
  • schöne Nahaufnahme im Replikator: ich mag, wie die Serie Makro- und Mikrokosmos gegeneinander stellt und immer wieder Parallelen sucht.
  • weil Bryan Fuller Halloween liebt, heißt das Schiff NCC-1031? Die Spukhaus-Momente an Bord gehen weiter.

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Reddit-Zitate zu Episode 4:

  • They ATE Georgiou!!
  • I got a very „Devil in the Dark“ vibe from this episode.
  • What did Lorca call the spore drive in the scene on the bridge? Displacement-Activated Spore Hub Drive: DASH Drive
  • I think that they’re obviously setting up the spore-travel to require the suffering of Ripper, which is an obvious reason why the DASH drive doesn’t exist in the future.
  • I must say, I didn’t like how Captain Gabriel Lorca motivated the crew: by playing shipwide the hail he got from the Federation colony. It was extremely manipulative and unnecessary. But even if I hated this, it fits and shapes Lorca’s character.
  • Lorca continues to be the ends justify the means captain.
  • Michael is really growing on me. Everything in her storyline related to the tardigrade was fantastic. It was great to see a character exemplifying the Starfleet ideals of reason, curiosity, and compassion. By extension, I really liked everything with Stamets who I was on the fence with prior. Lorca, while not a likable character, is shaping out to be a great one. The only thing I found myself actively disliking while watching the episode was the comically one-dimensional security officer so I was more than happy to see her go.
  • I wish we could have gotten a bit more into Landry’s character. She was the only member of the crew that I truly felt had no place in Star Fleet. I was hoping that we could see why, since even Klingon nobodies no-houses are getting backstory. I imagine that she wasn’t always so cynical, and that she was hurting from a really recent loss. Rather than have time to heal over it, Lorca fed her anger and her rage, because it kept her sharp but obedient. We may have found that in some ways, Landry’s suffering was the only way she could have connected with Burnham, and it could have helped them understand one another. Instead she was just a jerk for the sake of it, who died a stupid death.
  • Tasha Yar was killed defending her crew. Landry died provoking an animal into self-defense. Yar’s death was honorable, Landry’s death was deserved.
  • The character who was first introduced treating human beings like savage animals ended up dying because she treated another being like a savage animal (or worse, like a tool).
  • I think this is the best episode of the four so far. It clearly shows the „brains over brawn“ (aka, the death of the security officer vs. Michael figuring out the symbiosis between the tardigrade and the spores) that we’re used to seeing with Trek.
  • I actually didn’t care for the hull spinning. Sure, it looks cool, but I didn’t see any practical purpose behind it. Engineering is in the part of the ship that is not the saucer, so why were parts of the saucer spinning? It looked cool; it just doesn’t make sense.
  • To be fair, the only Klingons we saw until now were cult members. When Kor came over and got the crew to join him, that was our first glimpse of how normal Klingons behaved. Kor only paid lip service to T’Kuvma because he wanted the cloaking device. Once he had it, the facade was cast aside.
  • I wonder what Elon Musk’s life and the nature of his business would have been like seeing as the Eugenics Wars radically shaped the politics and economics of the planet in the 1990s and then later when World War III broke out in the 2020s.
  • At the end of the day, they managed to save the day for the entire colony, only at the expense of torturing one other being. In a classic episode, they’d resolve this within an hour. But from the looks of Burnham’s face, this is going to be something that is going to haunt her for a while. I’m cool with that. Most ethical dilemmas can’t be resolved in a weekly format.

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IGN: Oh, and we finally have met Wilson Cruz as Dr. Hugh Culber, who fixes Stamets’ seriously messed up nose injury. It’s funny how Discovery is teasing out its cast so slowly, but it works (Ash Tyler, played by Shazad Latif, won’t show up until episode five next week, and he’s been pushed as a main character by CBS).

The Nerd Stash: The key part of Georgious’s message sums up a big problem with Star Trek: Discovery, “The best way to know yourself is to know others,” but we don’t know anyone yet because of how the shows been written. Now I know the reason behind the fact that we don’t really know anyone yet is because Star Trek: Discovery has only been on the air for a few episodes, but the way they’ve paced things so far necessitates that we should already know them and care for their deaths.

Syfy Wire: Tilly and Michael have a few really nice moments in this episode. I absolutely love the way their friendship is developing, a sort of parallel to the Georgiou/Michael relationship. I’d love to see more interaction between the two of them. And of course, it was lovely to see Michelle Yeoh again, even if only in holographic form. The producers have assured us we’ll see more of her in Discovery, and those scenes can’t come soon enough.

AVClub: The story about “Ripper” (real name: tardigrade) could’ve worked. Its central theme, the importance of studying and learning from the unknown rather than immediately fearing it, is at the heart of Star Trek. But the execution is lousy, full of unsubtle, clunky dialogue and forced conflict. Landry’s urgency makes no sense, nor does Michael’s desperate measures to protect something that no one seems to care that much about. The fact that her discoveries can be used to navigate the spore drive (which is a stretch) helps to tie things together, but that knowledge doesn’t happen until the last fifteen minutes or so. Before then, we have people rushing and shouting at each other solely because if they didn’t, there wouldn’t be any conflict at all.

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kurz, zu Episode 5:

  • Doch wieder eine Nahaufnahme von Lorcas Auge; und ein Episodentitel, der mehrmals laut ausgesprochen und diskutiert wird.
  • Ich sah die Folge, wie schon Folge 3, mit meiner Mutter. Sie hatte erneut Spaß; doch ich hatte erneut „Oh! So viel Gewalt und Horror-Aspekte? Lässt sich Mama auf sowas ein?“-Momente.
  • Ich hatte vergessen, dass das „Daystrom-Institute“ eine feste Größte bei Star Trek ist… und dachte stattdessen an eine dubiose Rüstungs- oder Black-Ops-Firma.
  • Die Zahnbürsten musste ich googeln.
  • Ich bin großer Fan von „Willkommen im Leben“ / „My so-called Life“ mit Wilson Cruz und froh, dass seine Discovery-Rolle komplexer und größer wird.
  • Ich fand die Folge solide, überzeugend. Aber hatte dieses Mal VIEL mehr Lust, User-Kommentare und -Kritiken online zu lesen: Anderen Menschen fällt oft mehr auf als mir!

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Reddit-Zitate zu Episode 5:

  • Ash Tyler? I think he’s totally a spy.
  • Ash is Voq. Didn’t Ash say something about wanting to be free after everything L’Rell had put him through? We were supposed to think it was the torture, but it was actually the deklingonization.
  • T’Kuvma’s rallying call was „remain Klingon“, Voq has been trying to follow that. In Ep. 4 when L’Rell offered to take him to the matriarchs he asked what it would cost and she responded „everything“. I predict a storyline exploring what it means to be Klingon, genetically and culturally.
  • According to Memory alpha, the actor playing Voq is the same as Tyler, but credited under the pseudonym Javid Iqbal, a Pakastani serial killer.
  • We already know that Ash’s story is a fabrication. He claims that he was taken prisoner by the Klingon captain at the Battle of the Binaries, but we know that can’t be true since the Klingon captain is L’Rell.
  • When Saru meets with Ash the first time, I bet his scare tendrils will appear but Michael will be the only one to believe Saru when he says he doesn’t trust Ash.
  • The notable captains? Robert April (NCC-1701’s first captain before Pike. He showed up in the the animated series), Archer, Pike, Georgiou, Matthew Decker
  • It was a bit weird that every name was already familiar to us. You’d think they’d throw in a couple of previously unknowns. But then, it kinda makes sense as each show is really about the most legendary captain of their era.
  • I’m glad that Stamets had a lot of character revealed before they showed that he was gay, so people can’t complain „his whole character is that he is gay“ like always.
  • Culber: why have all of the major medical decisions been done through some random Lieutenant Commander doctor? He could be the head of the medical sciences department while the CMO is a regular physician. Discovery seems to have a huge science division so it would make sense if the medical department had a officer dedicated to working with them.
  • I liked that they used Michael as the key element of Saru’s plot without her being the protagonist. Their interactions were almost 100% about Saru, which was what this episode needed.
  • My respect for Saru initially dropped in this episode but went back up later on. I like that Saru addressed his feelings and the reasons for them, and accepted that while he was wrong he was doing what he had to do as standing captain. It’s a very adult way to process one’s own emotions and situation that is definitely befitting of a Starfleet officer.
  • I didn’t believe for a second that Mudd missed his wife. His plan was probably to marry Stella, then have her dad killed, and then, eventually, Stella, and use the combination of their fortune and the re-sale of the moon to pay back his creditors.
  • I can’t believe I lived to see someone say „fuck“ on Star Trek. What a time to be alive.
  • I’m positive Scotty cursed so much in engineering that the warp drive was powered by it. They just couldn’t show it on TV in the late 60s.
  • That ending was creepy as hell. It seems like they’re implying that, by traveling through the spore network, one can connect to the mirror universe. Did our Stamets come back, or another? Seemed like his reflection was out of time?Mirroring Stamets, but just a few seconds late.
  • Theory: Spore drive technology originated from the mirror universe, as did Lorca, who may have used it to escape where he’s from. Perhaps circumstances there were far more dire, and like episode 5 said, he’s a survivor. Upon his arrival, he destroyed the USS Buran, killing all hands, including prime universe Lorca, so he could assume his identity, using a Klingon attack as a cover story. He then secretly bargained with the very top level of Starfleet to offer the technology to win the prime universe war, providing he was given unparalleled freedom to captain the Discovery. We know he’s sensitive to light, but we may not yet know the true reason why. It’s almost certainly connected to his mirror universe background. We do know that he doesn’t want doctors to examine him, probably because it would uncover his true identity. If you’re still unconvinced Lorca from the mirror universe, there’s a massive clue in his very first scene: The first thing he says – „No matter how deep in space you are, always feels like you can see home.“ He’s not gazing out into space. He’s gazing into the window’s mirrored reflection!
  • Saru is going to mutiny. I don’t know how or why, I just have a hunch.
  • Star Trek has dealt with rape before, but usually phenomenally poorly. See TNG’s Violations and Voyager’s Retrospect. In A Matter of Perspective it also appears that Riker raped someone. In First Contact it seems that Riker is raped. Shinzon (mentally) sexually assaults Troi in Nemesis and it is very disturbing. Tasha Yar mentioned running from rape gangs growing up. Troi was getting mind raped half the time in TNG. ENT dealt with mind raping. T’Pol from Vulcan space hippies telepathically probing her. We also know that there was some sexual assult happening during the Cardassian occupation of Bajor. Wrongs Darker than Death or Night is the DS9 episode that deals with Bajoran “comfort women”, and that episode is probably most relevant to Lt. Tyler’s situation we see in this episode.
  • While the episode obviously fits into the larger Klingon war/Michael redemption arc, it also felt really self-contained. A 40-minute engagement with a tense situation and ethical dilemma. This episode was really Stamets’s, Saru’s, and Lorca’s show. It felt a lot more like other Treks where, while we have a „main character,“ any given episode might put other members of the cast into much greater focus.
  • Moral / ethical dilemma, badass Captain hand to hand combat, a parable for something bigger, and a slight pushing of the social envelope on TV. That was so totally Trek and I loved it.

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Slashfilm: The insinuation that Tyler has been raped repeatedly by the Klingon captain was so subtle in the dialogue between Tyler and Lorca that it’s easy to look past it, or even excuse it away as Tyler purposefully using his sex appeal to his advantage. But the way he swings at the Klingon captain tells a different story. He’s trying to throw back some of the pain she’s caused him.

Slashfilm: Seeing the crew abuse the tardigrade so much was quite painful. I won’t go into a “Would the original Star Trek have done this?” debate since the Discovery is a ship under duress in a myriad of ways. Honestly, it’s quite surprising and tone-deaf for the crew to not realize that this animal could have some form of sentience. Even Saru, who is prey on his planet, assumes the animal has no smarts. You’d think he of all people would understand what it’s like to be, well, preyed upon.

AV Club: The spore drive storyline moves so damn fast that it plays more like an outline than an actual plot. In three scant episodes it’s gone from “experimental” to “practical but costly” to “practical but costly in a different way.” It would be nice to have some time for any of this to sink in. Also, while I’m not asking for a lecture, a clearer understanding of just how much faster and easier the drive is to use than regular warp would be useful.

AV Club: Anyone disappointed by Star Trek: Discovery’s grim/dark view of the future past will likely leave “Choose Your Pain” still disappointed. The episode continues the trend of stark conflicts, bad vibes, and interpersonal squabbling. Even the introduction of one of the original Star Trek’s most memorably campy creations fails to lighten the mood. This might never be the sort of hopeful, life-affirming Trek so many are missing. But it has promise.

Den of Geek: The concept of „choosing your pain,“ i.e. choosing which of your cellmates will be tortured, is a good narrative device, but one that was underutilized. I didn’t care enough about any of the characters stuck in this Klingon cell for there to hold much dramatic tension. This would have been a good opportunity to nuance the Klingon culture in this show.

Den of Geek: The scene of Stamets and Culber brushing their teeth together was one of the first domestic moments (other than the adorable, hilarious Burnham/Tilly scenes) that we’ve seen on this show. I’d like to see more. I want to get a lived-in feeling from this starship. I also wouldn’t mind learning more about the relationships between the people who live there — not just romantically, but in all ways. The true heart of this show, of every Star Trek shows, lies with the story of a ship (or space station) and the chosen family who lives there. Discovery has yet to fully establish that vibe.

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…und, via IMDb:

At ComicCon 2016, then-showrunner Bryan Fuller said that the inspirations for centering the show around a female lead and a character of color were the actress Nichelle Nichols (who played Lieutenant Uhura, the only black character and the only woman in the main cast of the original series) and the astronaut Mae Jemison, the first African American woman in space.

All of Bryan Fuller’s shows have at least one female character with a traditionally male name: Chuck in “Pushing Daisies“, “George in Dead Like Me“, Freddie Lounds in “Hannibal“, Michael in „Star Trek: Discovery“.

The name of Jason Isaacs’s character, Captain Lorca, is a reference to the Spanish writer and poet Federico García Lorca.

The first gay main character, Paul Stamets, is named after real-life mycologist Paul Stamets.

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Auf Reddit kommentierten viele Nutzer (die meisten: junge weiße Männer), dass sie Hauptfigur Michael unreif, schroff, unsympathisch, unerträglich fanden, und empfahlen, lieber Episode 3 von „The Orville“ zu sehen – eine „Star Trek: The Next Generation“-Parodie von und mit „Family Guy“-Autor Seth MacFarlane. „Discovery“ hat sehr gute Kritiken, aber Netz-Jungs haben keine Lust. „The Orville“ hat vernichtende Kritiken – aber die „Family Guy“-Zielgruppe muss dort weniger starke, komplexe Frauen aushalten. Hmpf.

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Warum ich keine Comics lese: Argumente gegen Mangas und Graphic Novels. [Montagsfrage, deutsche Buchblogs]

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Comics sind humorvolle Unterhaltung für zwischendurch, aber nicht wirkliche Lektüre.

Ich denke, das ist eher was für nebenbei.

Man kann es auch gar nicht mit echten Büchern vergleichen: Romane sind einfach viel mehr Literatur.

Bücher haben doch eine ganz andere Tragweite.

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Ich will mir eine Geschichte selbst ausmalen.

Das geschriebene Wort ist einfach viel schöner, und man kann seiner Fantasie freien Lauf lassen.

Es geht doch nichts über einen echten Roman, der Figuren und Schauplätze auch ohne Bild zu malen fähig ist.

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Comics liegen bei uns am Klo. Für mehr Lektüre als kurze Bildgeschichten ist oft gar keine Zeit.

Bücher finde ich doch wertiger.

Seit ich Bücher ohne Bilder lesen kann, mache ich das auch.

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Als Kind war es irgendwie normal, Comics zu lesen. „Asterix & Obelix“ und „Tim & Struppi“ haben wir gefühlt alle gelesen, oder? Das gehört wohl zur Grundbildung dazu. Mein Papa hat gern die Asterix-Hefte gelesen. Wir Kinder kamen natürlich damit in Berührung, auch wenn das meiner Mama nicht so gut gefiel. Weil ich zur Waldorfschule ging, war es sogar etwas verpönt und nicht gern gesehen. Mangels Büchern im elterlichen Haushalt habe ich eben mit Comics begonnen.

Irgendwann im Alter von acht oder neun Jahren hatte ich keine Lust mehr auf Comics oder der Reiz war einfach weg.

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Mein bester Freund liest noch heute die alten Comics, um sich aufzuheitern. Ich habe mein Abo der „Lustigen Taschenbücher“ gekündigt, weil ich merkte, dass hier keine Geschichten mehr für mich geschrieben werden. Die LTBs waren immer zu schnell ausgelesen. Ich vermute, heute würden sie mich nicht mehr begeistern. Ich will sie nicht lesen, um meine Kindheitserinnerungen nicht zu verfälschen.

Die paar Comics von damals sind gegen die Masse der gelesenen Bücher eigentlich kaum der Rede wert.

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Viele Leser hat das sicher auf den Weg zu „echten“ Büchern geführt.

Ich finde Comics für die Entwicklung sehr nützlich.

Je älter ich aber wurde, desto weniger konnten sie mich in den Bann ziehen.

Mir sind die Geschichten einfach zu „flach“. Als Lückenfüller beim Arzt ganz ok, aber ansonsten fehlt der Reiz. Ich kann nichts daran finden.

Für viele Leser sind Comics der Einstieg in die Welt der Romane.

Ich habe die Fähigkeit erworben, Bücher ohne Bilder zu lesen. Darauf war ich stolz, also zieh ich das jetzt durch.

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Für Mangas habe ich mich noch nie interessiert. Mit Comics bzw. Mangas konnte ich noch nie etwas anfangen. Um ehrlich zu sein, kann ich da nicht mal einen Unterschied erkennen. Ich weiß so wenig über Comics und Graphic Novels, dass mir nicht mal klar war, dass es da einen Unterschied gibt. An der Comicecke in der Bücherei oder der Buchhandlung laufe ich schnurstracks vorbei und würdige sie keines Blickes.

Mangas rühre ich im Traum nicht an. Auf den Manga-Zug bin ich nie aufgesprungen, weil mir die Darstellung mit den übergroßen Augen und schmalen Mündern der Manga-Menschen nie gefallen hat. Wahrscheinlich gehöre ich mit meiner Generation auch nicht mehr zu der Zielgruppe: In meiner Kindheit gab es Mangas noch gar nicht.

Die Schreibweise von Mangas hat mich übelst verwirrt. Mich irritieren diese ganzen Bilder und die Sprechblasen und dieses Von-hinten-nach-vorne-Lesen einfach nur total – das ist nicht meins.

Man muss ja auch nicht jeden Trend mitgehen.

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Mich machen überladene Comics/Manga nervös. Es passiert zu viel auf einer Seite, meine Augen wissen nicht, wo sie beginnen und wo enden sollen. Ganz übel ist es, wenn sich bunte Seiten mit schwarz-weißen abwechseln.

Ich schaue auch nur wenige Serien/Filme: zu viel, zu schnell. Ich mag nur selten Buchverfilmungen. Also liegt mein Unwillen wohl daran, dass ich mir ungern in mein Kopfkino reinpfuschen lasse: Ich habe oft sehr spezifische Vorstellungen, und wenn eine Zeichnung (oder andere Darstellung) so gar nicht damit übereinstimmt, bringt mich das total aus dem Konzept.

So kunstvoll ein Comic auch gezeichnet sein mag, ich konzentriere mich viel zu sehr auf den Text, der für mich dann logischerweise zu wenig hergibt. Das ist für mich also kein Lesevergnügen so wie ich es verstehe. Denn ich habe Freude an Formulierungen, an poetischen Beschreibungen, an der Sprache, dem Erzählstil. All das finde ich beim Comic nicht bzw. steckt eben das in den Bildern, die ich nicht zu würdigen weiß.

Für mich persönlich ist das Lesen eines Romanes einfacher und flüssiger.

Ich hab gleich mit den richtig fetten Schinken losgelegt.

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Ich bewundere heute noch Wilhelm Busch mit seinem ausdrucksstarken Zeichentalent und seinen treffenden Texten mit viel Witz dahinter.

Aber heute müssen es Bücher sein.

Ich lese zwar nicht nur Romane (sondern auch Fachbücher), aber mit Comics habe ich abgeschlossen. Das ist nicht meine Welt.

Ein weiterer Grund, weshalb ich nie einen Comic oder einen Manga in die Hand nehme ist, dass mich beides schon als Kind nicht interessiert hat. Ich glaube, es ist schwer, für so etwas noch im Nachhinein seine Leidenschaft zu entdecken. Viele scheinen mit Comics gestartet zu sein und sich dann weiterentwickelt zu haben.

Ich lese höchstens mal die Comics aus der Tageszeitung oder sehe mir ein paar online an. Aber extra einen Manga kaufen oder eine Graphic Novel, das wäre nichts für mich. Gezeichnete Geschichten sind für mich eine zusätzliche, humorvolle Ablenkung, die ich mehr nebenbei zur Erheiterung mal lese, aber nicht Lektüre als solches. Ein witziger Zeitvertreib, etwas um sich alleine zu amüsieren und lachen, aber keine Lektüre zum Sich-Hineinversetzen und Wegtauchen. Eine Unterbrechung beim Lesen von Comics ist viel weniger schlimm, als wenn ich einen Roman lese.

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Mangas waren nur gut während dem Studium, wenn ich Zug gefahren bin. Da konnte ich mich nie so gut auf Bücher konzentrieren, wegen den ganzen Gesprächen um mich.

Als ich damals angefangen habe, kosteten Mangas meist um die 5 €, was für mich absolut vertretbar war. Irgendwann wurden die Preise erhöht und ich wurde zu geizig, um Mangas für 6,50 € zu kaufen. Für mich stimmte dann das Verhältnis zwischen dem Preis und der Lesezeit einfach nicht mehr. Mit einem Roman, der 8 oder 10 Euro kostet, kann ich mich viel länger beschäftigen.

Was mich nervt, ist die Tatsache, dass sie sehr schnell ausgelesen sind. Ich muss sagen, dass sie mir meist den Preis nicht wert sind, dafür dass man super schnell damit durch ist und ich die Zeichnungen auch gar nicht angemessen würdige, sondern aus Ungeduld immer direkt zur Sprechblase springe und den Rest eher am Rande wahrnehme.

Verglichen mit normalen Taschenbüchern sind Comics schweineteuer.

Bei mir stehen auch zu viele Bücher, die noch gelesen werden wollen. Daher werde ich sicherlich mir nicht noch eine Buchform wie Comic oder Manga auswählen. Ich habe a) viel zu wenig Platz in meinen Bücherregalen und b) viel zu wenig Geld auf meinem Konto, um eine eigene Sammlung anzulegen.

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In meiner Jugend habe ich mich an die X-Men gewagt (und auch andere Superheldencomics gelesen), aber so richtig warm geworden bin ich damit nicht. Ich mag Superheldenfilme und auch gegen die animierten Serien habe ich nichts. Aber die Comics reizen mich nicht.

Ich würde super gerne ins Marvel- und DC-Universum eintauchen, finde aber keinen guten Anfangspunkt. Wollte man chronologisch anfangen, müsste man sich doch diese unverschämt teuren Uralt-Ausgaben anschaffen, oder sehe ich das falsch? Bei Marvel und DC habe ich irgendwie immer eine so düstere Stimmung im Kopf.

Im Bereich Comic ist die Mädchen-Jungs-Trennung noch absurd deutlich.

Der Blick auf die herkömmliche Comic-Branche zeigt, wie mager starke weibliche Charaktere und Protagonistinnen waren und es trotz Verbesserungen eigentlich auch heute noch sind. Vor allem mit den Manga-Gesichtern tue ich mich oft schwer. Meist gefallen mir eher die Szenenzeichnungen im Hintergrund. Ich las noch so eine Manga-Reihe mit rotem Cover. Ich weiß leider nicht mehr wie er heißt und worum es geht. Irgendwas mit Schule und Liebe, erschienen bei Tokyopop. Mit dem Alter hat das Lesen von Mangas nachgelassen. Das liegt, denke ich vor allem daran, dass in Deutschland wenige Mangas mit starken und reifen/älteren Charakterinnen existieren.

Warum ich das aufgegeben habe, weiß ich gar nicht. Ich wurde einfach älter und habe den Reiz daran verloren.

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Mangas und Comics sind mir mittlerweile nicht mehr ernst genug.

Da lese ich doch lieber einen Fließtext!

Mittlerweile, muss ich gestehen, übersehe ich die Illustrationen und lese nur noch den vorhanden Text. Ich weiß auch nicht woran das liegen mag, dass ich die wunderschönen, schaurigen oder aber auch bedrückenden Bilder nicht mehr so wahrnehme wie damals. Vielleicht weil man heute zu übersättigt ist von Bildern? Vielleicht aber auch, weil mich die Sprache mehr reizt.

Ich finde gezeichnete Geschichten gut, wenn man nicht viel Zeit zu lesen hat oder eher etwas Leichtes lesen möchte. Ganz selten greife ich noch danach: Wenn ich in Erinnerungen schwelgen oder einfach ein bisschen abschalten und entspannen möchte.

Eigentlich nicht aus reinen Interesse, sondern eher um die Zeit tot zu schlagen

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Graphic Novels sind Romane, als „Comic“ gezeichnet. Natürlich kann man das nicht mit Romanen vergleichen.

Bei Comics fehlt mir etwas und es ist für mich auch kein richtiges Lesen. Lesen ist für mich, wenn ich völlig in eine Geschichte eintauchen kann, die Charaktere mit all ihren Facetten kennen lerne und entweder mag oder nicht.

Gerade für Graphic Novels muss man ja auch erst einmal in der richtigen Stimmung sein, finde ich. Ich wüsste noch nicht mal, wo ich da anfangen sollte, so viele gibt es da schon. Der Markt scheint ja ziemlich geflutet zu sein. Mir fehlt einfach der Überblick über das Medium, um einen Ansatzpunkt zu finden, ohne eine Menge Fehlkäufe zu tätigen.

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Damit ich ein Comic kaufe, muss mich der Zeichenstil einfach umhauen. Ich verstehe, dass man den künstlerischen Aspekt einer tollen Zeichnung schätzen kann. Aber dafür würde mir z.B. ein einzelnes Bild mit einer entscheidenden Szene reichen, das ganze Buch müsste ich nicht auf diese Art erzählt bekommen.

Wenn mir die Zeichnungen nicht gefallen, dann hat die Story oft auch keine Chance. Ich habe noch keinen Comic gefunden, wo für mich „alles passt“

Wobei ich mich schon für eine Reihe begeistern könnte, wenn ich nur die richtige finden würde.

Das Erlebnis beim Romanelesen ist meiner Ansicht nach intensiver (und länger).

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Meine Fantasie passt einfach besser zu den Protagonisten, als sie beschrieben werden. Das verfälscht aber oftmals die Intention des Autors, der sich ja etwas dabei gedacht hat, den Charakter SO darzustellen. Ein Manga lässt hier nicht viel Interpretationsspielraum. Man bekommt deutlich – schwarz auf weiß – gezeigt, wie der Charakter aussieht, ob er eher ein kalter oder gefühlvoller Mensch ist. Hier wird das Augenmerk auf die Mimik und nicht auf das geschriebene Wort gelegt. Bei den passenden Genres ist das eine willkommene Abwechslung für mein Gehirn – mal wenig mitdenken zu müssen, tut wirklich gut.

Ich lese gerne Bücher und lasse meine Fantasie spielen, genieße aber trotzdem ab und an, dass ich bei Comics komplett abschalten kann und Bilder vorgegeben bekomme.

Grundsätzlich bin ich nicht dagegen.

Ich bin aber eher der Romantyp.

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Beim Lesen geht es mir wirklich um das Wort und nicht um die optische Gestaltung.

In ein Buch lasse ich mich komplett fallen, sinke da viel tiefer ein als in eine Comicgeschichte.

Dann kommt mein Kopfkino zum Einsatz und ich lasse mich entführen in fremde Welten, wie es ein Comic nie könnte.

Ich bemühe lieber das Kopfkino als mir eine optische Ergänzung der Geschichte vorsetzen zu lassen. Das Kopfkino ist meiner Meinung nach auch viel vielfältiger. Ich brauche die Möglichkeit, mir selbst auszumalen zu können, wie eine Figur, wie eine Umgebung aussieht.

Wenn ich mich beim Lesen zwischen den Buchdeckeln verliere, habe ich mich zu 99,9% in die Wörter verliebt – Wörter können schön sein, Wörter können mehr verletzen als ein Messer – und nicht in die optische Gestaltung.

Das ist einfach nicht mein Medium, weil es zu viel vorgibt, was ich mir (was wir uns) lieber selbst ausmalen wollen.

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Das hier war kein Text von mir – sondern eine Collage aus 70 Blogbeiträgen von:

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1. Motte Enna – BücherregalSchätze 25. Charleens Traumbibliothek 49. Pineapples BookNook
2. Holla die Buchfee 26. Bücher in meiner Hand 50. PaperbackStories
3. Aequitas et Veritas 27. msmedlock 51. Ruby
4. Sheena 28. LeesBücher! 52. sanne von Wortgestalten
5. Gabis Laberladen 29. Nisnis Bücherliebe 53. Little Book Obsession
6. Ladysmartypants 30. Kerstin Wörterkatze 54. Ghost
7. wortmagieblog 31. Nenis Welt 55. Conny | Meine kleine Welt
8. Bücherkiste 32. Corly 56. Liv
9. Kiras kleine Leseecke 33. away from here 57. schraeglesen
10. Der Büchernarr 34. Tessa Jones 58. Anna von liveyourlifewithbooks
11. Buchträumerin 35. Julia L. Jordan 59. Lauter&Leise | Antonia
12. Buchperlenblog 36. Nicoles Bücherwelt 60. Klusi liest
13. VonDerZeitBeseelt 37. Myna Kaltschnee 61. Melanie von Bücher sind Schiffe, …
14. Bucheulchen Lisa 38. Wulf | Medienjournal 62. geschichtenfaenger
15. Katja | Zwischen den Seiten 39. Anni_Book 63. libris_poison
16. sommerlese 40. Lesefieber-Buchpost 64. Mein Lesezeichen Blog
17. Tintenblüte 41. Leuchtturmwaerterins Buechertuermchen 65. My Book&Serie&Movie Blog
18. Büchertänzerin 42. Mein Senf für die Welt 66. Määds Books
19. Unendliche Geschichte 43. Sarah von ZeilenSprung – Literatur erleben 67. Sven von It’s a Blob
20. Moony || Vollmondschatten 44. Buch – „Bloggade“ 68. vro jongliert
21. Beutelwolf-Blog 45. Shanlira`s Bücherwelt 69. Schwarzbuntgestreift
22. Linda // dufttrunken 46. Nela | Livricieux 70. Bettina von Bookish Moments
23. Tinte | Feder | Schwert 47. bookish-heart-dreams 71. Buchweiser
24. Gedankenwelt von Denise & Antonia 48. RaspberryBook 72. Tarika (Tarikas Orbit)

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Buchbloggerin Svenja Borghans fragte auf ihrem Blog Buchfresserchen als „Montagsfrage“ in die Runde:

„Ich arbeite als Illustratorin und lese ganz gerne mal eine gezeichnete Geschichte statt eines klassischen Romans: Ein Bild sagt eben doch oft mehr als 1000 Worte. Wie ist das bei euch?“

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Ich las alle 70+ Antwort-Blogposts und trug zusammen, was viele Buchblogger*innnen an Comics verwirrt, langweilt, abstößt oder kalt lässt, im obigen Text.

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Ich selbst liebe Comics und bespreche/empfehle sie u.a. beim Berliner Tagesspiegel und bei Deutschlandradio Kultur.

Ich freue mich, wenn mich Menschen nach persönlichen Comictipps und Empfehlungen zum Einstieg fragen – gern z.B. via Facebook.

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Falls ihr nur EINEN Comic probieren wollt: Nehmt „Daytripper“ von Fabio Moon und Gabriel Ba.

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drei Blogposts zur Montagsfrage, die ich mochte und empfehle:

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als Gegengewicht:

Zitate aus Buchblogs, deren Autor*innen GERN Comics lesen… und ihre Gründe:

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  • Man taucht nicht nur in die Fantasie des Autors, sondern auch gleich noch in die des Zeichners ein.
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  • Ich finds toll, wenn man manchmal keine Worte braucht und trotzdem die Geschichte versteht.
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  • Da spielen Bild und Wort einander den Ball zu, da erzählt eine Zeichnung ohne eine einzige Sprechblase einen eigenen Teil der Handlung. Das Bild dient dabei nicht dazu, dem Leser die Vorstellungsarbeit abzunehmen.
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  • Die Vielfalt von Comics steht der von Romanen in nichts nach, so dass für jeden Geschmack etwas zu finden sein sollte. Und so sehr ich es schätze, wenn es einem Buch gelingt, eine fiktive Welt vor meinem inneren Auge lebendig werden zu lassen, so schön ist es doch manchmal, sich die Visionen und Ideen anderer Leute direkt präsentieren zu lassen, wobei hier eben ähnlich wie im Film vieles auch einfach nur gezeigt, nicht erzählt werden muss, was dem Geschehen oft eine zusätzliche Ebene verleiht, die bei dem „nur“ geschriebenen Wort schwer zu erreichen ist.
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  • Der Zugang zu Comic ist intuitiv: Deswegen lesen sie Kinder so gerne. Das Bild erzählt die Geschichte und der Text ist nur ein Teil davon. Die Peanuts würden als rein sprachlicher Witz doch niemals funktionieren. Oder würdet ihr lachen, wenn ihr einen puren Buchstabentext darüber lesen würdet, wie Lucy Charlie Brown den Football wegzieht – schon wieder?
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  • Bildgeschichten können so beiläufig sein: Ich erinnere mich, wie ich früher Geschichten gelesen habe und mir im Hintergrund herrlich absurde Details aufgefallen sind. Die Haupthandlung geht unbeteiligt weiter, aber im Hintergrund jagt ein Mensch seinen Hund, weil der seine Hose geklaut hat. Ein Buchstabentext kennt nur eine Ebene der Erzählung.
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  • Gute Geschichten vertragen keine mittelmäßigen Wortakkrobaten: Eigentlich bin ich ja auch gerne für Action und Abenteuer zu haben, Sci-Fi und Fantasy. Doch oft hapert es einfach an Menschen, die diese Geschichten erzählen können. Weil die Aktionen zugegebenermaßen auch nach platten und klischeebehafteten Beschreibungen schreien. Doch Comics kommen da drum herum – weil sie das eben einfach den Bildern überlassen können.
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  • Allen Graphic Novels, die ich mag, ist gemein, dass sie versuchen, ein komplexes Thema oder den Inhalt eines mehrere hundert Seiten langen Romans in einer graphischen Darstellung wiederzugeben. Manchmal mit wenigen Worten, dafür mit umso ausdrucksstärkeren Bildern.
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  • In einem Song von Rammstein heißt es „Der Mensch ist doch ein Augentier. Schöne Dinge wünsch‘ ich mir“. Und so ist es – ich mag einfach schöne Bilder.
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  • Nicht nur Nerds, Geeks oder aber Kinder lesen Comics. Denn wie bei den Romanen, sind auch der Stil, das Genre und die unterschiedlichsten Thematiken ein besonderer Pool, aus dem man schöpfen kann.
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  •  Entsprechend kann ich nur jedem raten, der immer noch mit Comics fremdelt oder meint, die Geschichten wären bloß für Kinder konzipiert, sich doch einmal ausgiebig umzutun und eventuell einen Blick zu wagen, denn so schön Bücher sind, in die man abtauchen kann, so schön kann es eben auch sein, sich in einem optisch wie inhaltlich fulminant aufgemachten Comic zu verlieren.

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  • „Onkel Dagobert“-Autor und -Zeichner Don Rosa schafft es wie kein anderer, eine tolle Geschichte zu erzählen und dazu mega detaillierte Zeichnungen zu liefern. Er erzählt oft im Hintergrund noch eine kleine Nebengeschichte, während man den Figuren im Vordergrund „lauscht“. Dazu recherchiert er akribisch für seine Geschichten, die meist geschichtliche Aspekte beinhalten. Seine Figuren sind die Ducks, die er auf diese Abenteuer schickt. Leider ist er nun im Ruhestand, es kommen also keine neuen Geschichten mehr von ihm.
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  • Batman-Comics sind, glaube ich – man verzeihe mir das Stereotyp – so ein Jungs-Ding. Es ist legitim, sie als Helden zu verehren, weil sie stark sind. Und lustigerweise auch Probleme haben dürfen. Bruce Wayne ist für mich eine gescheiterte Existenz, dennoch kann der kleine Junge in mir zu ihm aufblicken und ihn bewundern. Es geht um Männerrollen und Ideale.
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  • Ich lese gerne Shonen-Mangas – das bedeutet, dass die eigentliche Zielgruppe für dieses Genre Jungen sind und ein bestimmter Zeichenstil vorherrscht. Es geht meist um einen Hauptcharakter, der mit der Zeit Freunde findet und auf eine Reise aufbricht oder auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitet. Was mir daran so gefällt ist vor allen Dingen, die Botschaft, die diese Mangas übermitteln. Es geht darum, dass man für seine Freude und für seine Ziele und Träume einsteht und dass man alles schaffen kann, wenn man zusammenhält und hart an sich und für seine Ziele arbeitet.
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  • Beim Manga „One Piece“ kann ich mir einfach nicht vorstellen, das als Buch zu lesen. Ich wüsste nicht wie man so genau die Kampfszenen beschreiben soll und erst die Blicke der Crew Mitglieder, wenn einer ihrer Freunde verletzt wird.
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  • Was mich an gezeichneten Figuren reizt? Die Emotionen bekommen ein Gesicht, welches ich nicht fehlinterpretieren kann.
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  • Ansonsten reizt mich an Manga, dass sie wahnsinnig viel Gefühl durch die Kombination von Bild und Text übermitteln können. Ich kann mich stundenlang in einem Manga verlieren und dann beim zweiten Mal lesen doch immer wieder etwas Neues entdecken.
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  • Außerdem stammen Mangas aus einem ganz anderem Kulturkreis mit anderen Traditionen und Umgangsformen. Ich denke, dass das auch ein Grund war weshalb ich sie so gerne gelesen habe, das hat mich einfach fasziniert. Da war ich dann ganz weit weg von meinem Alltag.

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Christian Schlüter schreibt in der Berliner Zeitung:

Allein das Neben- und Ineinander von Bild und Text erfordert hier einen gelenkigen Blick: Aus einer Linie, einem Strich kann sowohl eine lebendige Zeichnung als auch ein lebloser Buchstabe werden, aber auch eine wortmalerische Interjektion, ein „Zack“, „Boing“, „Peng“ oder „Hatschi“ – das Auge springt zwischen Bild und Text hin und her. Eine wunderbare Dehnübung für schlaffe Sehnerven ist das und eine Aufforderung zu weitreichender Interpretation.

Dass unsere Fantasie aus wohlgesetzten Buchstabengruppen – aus Wörtern und Sätzen – die schönsten Bilder zusammenreimt und damit die schöne Literatur zum Leben erweckt, dass unsere Fantasie also das Tote zum Leben erweckt: Diese Kulturleistung wird bis heute als alternativloser Vorzug der reinen Buchstabenbelletristik gepriesen.

Und macht als Argument, obwohl alles an ihm falsch ist, den größten Eindruck: Die schöne, an sich selbst bilderlose Literatur gilt als die eigentliche, die gute Literatur, aber der Comic, der Bilder schon mit sich trägt, soll die Fantasie töten und deswegen schlechte Literatur sein.

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auf Facebook kommentieren Freundin W…

„Ich habe im Bereich der Graphic Novels so viele wunderbare, großartige Geschichten entdeckt, von denen mich einige mehr gefangen genommen und gerührt haben als die meisten Romane.

Das Lesen erfordert eine andere Art der Konzentration. Wenn ich mich gerade auf keinen Roman konzentrieren kann, aber gerne lesen möchte, dann klappt das mit GN, weil sie eine andere Art der Konzertation erfordern. Wenn mir Geschichte und Darstellung zusagen, ist das Lesen wie ein Film, dessen Tempo ich selbst bestimme. GNs sind perfekt, wenn man lieber weniger Wörter haben will als zu viele. Jeder wichtige Moment muss sitzen, als einzelnes Bild oder Sequenz mit kurzgefassten Worten und die Wirkung ist auf mich oft intensiver und einprägsamer als bei Romanen. Besonders die autobiografischen GN kommen mir oft mutiger, frischer, jünger, konzentrierter und ehrlicher vor als ähnlich motivierte Romane.“

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…und Comicleser I.:

Die meisten Blogger-Kommentare sind nachvollziehbar, nicht weil sie korrekt sind, sondern weil es für Comic-Einsteiger nicht leicht ist, durch den Wust an Veröffentlichung zu blicken. Das es neben Einzelheften und TPB [Sammelbänden] auch meist schöne, ‚wertige‘, Hardcover-Ausgaben gibt. Dass es nicht nur Marvel, DC und Superhelden gibt. Dass sich gute Geschichten meist über viele Ausgaben und Jahre aufbauen. Dass Menschen die ‚Buchblogger‘ sind, wohl selten einen coolen Comic-Geek im Freundeskreis haben, der sich täglich durch die Neuerscheinungen liest und Lesetipps und Kaufberatung geben kann. Dass man sehr viel über Theorie und Technik der Comicgestaltung lernen kann. Dass ‚Graphic Novel‘ ein von Schnöseln geprägter Begriff für besonders langweilige Comics ist. Und besonders, dass es nicht auf das Medium ankommt, sondern auf den Inhalt.“

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