Jahr: 2013

54, 70, 102, 10000, 20000 – Geburtstag

Was mache ich hier eigentlich?

Vor einem Jahr, der erste Beitrag datiert auf den 12. November 2012, funkte ich “Hier soll in nächster Zeit mein Blog entstehen.” in den Äther. Der erste richtige Beitrag Bücherwahn folgte am 17. und es sollten über 200 im ersten Jahr folgen, gelesen von über 10.000 Lesern, die über 20.000 Clicks produziert haben. CDs, Filme, Konzerte, Artikel über Zeitschriften und Alltäglichkeiten all dies sind bisher besprochene oder zumindest angesprochene Themen, aber hauptsächlich ging es doch immer Bücher. Ich habe besprochen und kritisiert, empfohlen und abgeraten.

Wofür mache ich das eigentlich?

Prosaisch würde ich gerne sagen: für euch. Aber es ging doch wirklich viel um mich und meinen Geschmack, meine Vorlieben. Dazu hat mein Leseverhalten sich in dem zurückliegenden Jahr stark verändert, denn tatsächlich habe ich, habe ich mich nicht verzählt, 102 Bücher gelesen. Inzwischen gibt es 70 Rezensionen hier zu lesen, die zwar nicht alle von mir sind, aber doch zumindest das 54books-Gütesiegel tragen.

Wofür? Um gelesen zu werden! Es freut mich, wenn mir jemand nach seiner Lektüre schrieb, dass er meinen Tipp gut, ebenso wenn er ihn schlecht fand oder mir sogar weitere Lektüre empfiehlt, von der er denkt, dass sie mir gefallen könnte. Kommentare hier, bei Facebook und Twitter, ich habe so viele Leute kennengelernt und mich mit ihnen ausgetauscht, die ich ohne 54books nie kennengelernt hätte. Ich habe Verlagsmenschen und Autoren getroffen, ich habe viele Bücher zugeschickt und noch mehr angeboten bekommen, habe mich mit anderen Bloggern oder auch mal Denis Scheck getroffen, habe Lob und Kritik erhalten – dafür mache ich das!

Was will ich eigentlich?

Ich will mich bedanken! Und zwar bei jedem Einzelnen, aber doch drei Personen besonders herausheben, mit denen ich ohne den Blog keinen Kontakt hätte.

Nicht nur an dem natürlichen Subordinationsverhältnis Professor-Doktorand liegt es, dass ich mit Norman Weiß unter normalen Umständen nicht in Austausch getreten wäre. Wie genau sollte man auf Prof. Weiß in Berlin aufmerksam werden und sich über Bücher unterhalten, wenn nicht über die Lektüre des Blogs des Gegenübers. Über Ernst Jünger, Heinrich Brüning und Herbert Rosendorfer haben wir schon gesprochen nur über die Juristerei noch nie. Dazu kommen immer wieder Hinweise und Querverweise von Norman auf weitere Lektüre, auf die ich sonst nicht aufmerksam werden würde.

Der nicht-bloggende Leser hat mit Verlagen und den in ihnen arbeitenden Menschen nur soviel zu tun als er deren Waren kauft. Der bloggende Leser dagegen bekommt Empfehlungen aus erster Hand bevor diese überhaupt für den Markt interessant sind, von Leuten, die sich den ganzen Tag mit Büchern beschäftigen, so häufig einen kritischeren Blick und besseren Überblick haben. Und die meisten Verlage haben auch das (Werbe-)Potenzial, das Blogs und ihrer Reichweite innewohnt, erkannt und wollen es nutzen. Es gibt tolle Bloggerbetreuung und auch Rezensionsexemplare, eine Gnade, die früher nur Zeitungen und anderen “echten Medien” vorbehalten war. Diogenes, Suhrkamp, Metrolit, DuMont, Styria und Manesse haben mich schon versorgt, wenn nicht sogar umsorgt. Ein besonderer Dank gilt aber Ann Kristin vom C.H.Beck, die nicht nur sehr offen und ehrlich empfiehlt, sondern es auch mit Humor nimmt, wenn ich das von ihr empfohlene Brandstatt schrecklich finde oder sektbedingt auf der Buchmesse große Teile meines Canapés im verlagseigenen Stand verteile.

Überrascht war ich wie schnell, persönlich und nett der Kontakt von Autoren und Journalisten zu Bloggern zustande kommen kann. Denis Scheck schreibt herzliche Emails, Harald Martenstein ruft mich zurück und Karla Paul nimmt sich Stunden Zeit meine Fragen zu beantworten. Diese Gespräche haben mir alle viel Freude gemacht und mich bereichert. Aber um den Dreischritt des Lobes abzuschließen, muss ich Oliver Hilmes besonders herausheben. Mit ihm hatte ich nicht nur ein sehr nettes Gespräch vor seiner Lesung in Hohwacht, sondern wir haben uns auf der Buchmesse noch einmal kurz getroffen, Emails ausgetauscht und ich war in Oldenburg erneut bei einer Lesung von ihm. Klar, dass wir danach ein Bier trinken gehen und über Literatur und Musik, über persönliche Projekte sprechen, über Lesereisen, Recherche in Los Angels, Promotionen und Mietpreise; Themen über die man halt beim Bier so spricht, aber auf Augenhöhe, per Du, nicht Autor zu Blogger. So klar, war mir das vorher nicht.

Lange Rede kurzer Sinn: Diese und weitere Bekanntschaften gäbe es ohne diesen Blog nicht und sie bereichern mich auf verschiedenste Weise – vielen Dank dafür! Selbstverständlich möchte ich mich auch bei Manuel, Saskia und Tobias für Gastrezensionen/Zuspruch/Kritik bedanken und dafür, dass Signe inzwischen bei vielen Artikel das ein oder andere Komma nachträglich zusetzen weiß.

Sehnsucht nach Paris

Wenn durch den Abend Frankreichs, der der Weiße
Der Königslilien ihres Wappens gleicht,
Wie Honig süß, der Sonnentag, der heiße,
In honiggelbe Himmel ferne weicht,

Dann zittern von Montmartre viele Glocken,
Und grüßen ihn und seinen goldnen Glanz.
Doch auf Paris, der alten Schönen Locken,
Glühn rote Wolken wie ein Hochzeitskranz.

Halb März, halb Herbst, voll trauriger Essenzen.
Wer je den Wind in seine Lungen trank,
Wenn rot die Türme Notre Dames erglänzen,
Er ist nach dir vor wilder Sehnsucht krank.

Dein Taumelkelch, umwunden schwarz mit Rosen,
Nachtschattengift erschüttert ihm das Blut,
Und westwärts schaut er, wo ihn kosen
Die Winde Frankreichs mit verhaltner Glut.

Paris, Mutter der Kunst, und jeder Größe
Die wie der Sieg auf deiner Stirne schwebt.
Und deiner altersgrauen Schläfe Blöße
In einen Wald von Lorbeer stolz begräbt,

Wo tief in deinem Schoß im Sarkophage
Vom Fittich seiner Adler überwacht,
Der Kaiser schläft, und leise Totenklage
Im Dome wandert durch die Mitternacht,

Wo wie ein Wald die alten Fahnen stehen,
Die durch Ägypten trug die Legion.
Sie rauschen manchmal noch, die Tücher wehen
Wie Küsse sanft deinen toten Sohn.

Doch morgens brennt im Osten auf der Seine
Im Häusermeere wie ein Sturm-Fanal
Im Mastenwald, im Meer der schwarzen Kähne
Die Sonne blutig, wie ein großer Gral

Vom roten Wein gefüllt bis an die Borde,
Vom Wein der Freiheit, der das Herz beschwört,
Und auf der weiten Place de la Concorde
Aus Dantons Mund der Städte Zorn empört.

O großer Tag, da rote Donner grollten
Auf deiner Stirn, und blutig, fett und feist,
Des Königs armes Haupt im Sande rollte,
– Großes Paris, das altert und verwaist,

Noch blühn im Sommer deine Boulevards
Mit Linden voll, und zittert noch im Licht
Das Elysée, wenn auf den Champ de Mars
Sich zwischen Wagen drängt die Menge dicht

Und Abend sinkt, wie Veilchen träumerisch,
Wie Veilchen welk. Der hohen Linden Duft
Weht von der Seine Ufern her, die frisch
Der Abendwind bewegt in lauer Luft.

Dann ziehn im Strom der bunten Boote viel
Am Park Vincennes vorbei, mit Immergrün
Den Mast umkränzt, und den gewundnen Kiel,
Wo, klein wie Sterne, rote Lampen glühn,

Aus niederen Spelunken schallt ein Lied,
Auf grauen Stirnen liegt der Lampe Licht
In kleinen Fenstern, die mit Laub umzieht
Ein Weinspalier, das sich im Wind verflicht.

Den Fluß hinab, durch Park und Sommergarten.
Korndampfer schaukeln in den Häfen breit,
Wo Dirnen stehn. Auf ihrem Munde warten
Die Küsse, kalt, voll herber Bitterkeit.

Doch über dir, Paris, und deiner Pracht,
Die im Verblühen noch die Brüste spreizt,
Weit über dir, und der erwachten Nacht,
Die mit Laternenschein die Straßen beizt,

Weit über deinem Haus der Invaliden,
Des schwarzes Totenmal vorüberzieht,
Glänzt wie das Bernsteintor der Hesperiden
Des Abendgottes goldnes Augenlid.

Georg Heym

Vorgefühl der nahen Nacht

Ist man überhaupt noch Schriftsteller, wenn man nicht mehr in der eigenen Sprache gelesen wird?

laurent seksik vorgefühl der nahen nachtEin gebrochener, verbitterter Mann kommt Ende 1941 in Brasilien, genauer Petrópolis nahe Rio, an; er ist Exiliant, Jude, einer der größten Schriftsteller seiner Zeit; er ist Stefan Zweig. Mit ihm reist seine junge Ehefrau Lotte, geb. Altmann. Beide machen schwere Zeiten durch. Zweig hat alles verloren, was ihm lieb und teuer war, angefangen bei seiner geliebten Autographensammlung, den Büchern, seinem prächtigen Haus auf dem Kapuzinerberg in Salzburg über die deutsche Leserschaft, denen die Lektüre seiner Bücher verboten ist, bis zu seinen Freunden und der Heimat. Seit seiner Flucht aus Salzburg, bereits 1934, wird Zweig nirgendwo mehr heimisch, London, Bath, New York und Petrópolis, an keinem Ort schafft er es seinen Schmerz zu überwinden, seine Verletzungen zu kurieren und überall stürmen Menschen auf ihn ein, wollen seine Fürsprache für ein Visum, brauchen Geld. Stefan Zweig, der vielleicht empfindsamste Autor dieser Jahre, verzweifelt zusehends; der Flucht vor den Häschern, folgt die Flucht vor seiner Verantwortung. Weiterlesen

Oliver Hilmes in Oldenburg

oliverhilmes
Oliver Hilmes bei der Lesung im Genueser Schiff in Hohwacht

Heute Abend liest Oliver Hilmes um 19:30 Uhr im Kulturzentrum PFL in Oldenburg, beste Gelegenheit auch meine Freundin davon zu überzeugen wie spannend Geschichte sein kann. Wie man als Historiker Berührungsängst mit Ehrlichkeit und schörkellosem Stil abbauen kann, zeigt Oliver in seinem Buch Herrin des Hügels, denn seine Bücher sind gerade nicht sprachlich geschwollen, verquast und zopfig bis zur Unleserlichkeit – keine schwer verdauliche Lektüre, sondern Appetizer sich mit Geschichte auseinanderzusetzen. Anfang diesen Monats ist übrigens sein neues Buch Ludwig II. – Der unzeitgemäße König erschienen.

Das anfänglich monatlich und später vierteljährlich erscheinde Organ sprach eine durchaus heterogene Leserschaft an: Musikliebhaber, Kunstfreunde und Literaturinteressierte fanden ebenso ein Podium wie Deutschtümler, Bismarckanhänger, Demokratiegegner, Sittenwächter, fanatische Vegetarier, Alkoholfeinde oder auch Zeitgenossen, die sich gegen eine “verwissenschaftlichte Medizin” wandten. So  grundverschieden diese obskuren Gruppen auch erscheinen, Antisemitismus und engstirniger Nationalismus waren von Anfang an verbindende Momente. Sprachlich häufig geschwollen, emotional, verquast und zopfig bis zur Unleserlichkeit, sind viele Artikel heute eine nur schwer verdauliche Lektüre.

Aus: Oliver Hilmes – Herrin des Hügels

Alain de Botton über die Kunst des Reisens

Jahrelang fand mein Leben in einem Dreieck statt: Bad Hersfeld – Münster – Ostsee. Inzwischen habe ich meinen Radius erweitert war in diesem Jahr bereits in Prag, in Paris und Portugal; auch in Destinationen ohne “P”, zweimal an der Ostsee, vielfach zu Hause in Hersfeld oder auch auf Bildungsreise in Dresden. Sogar Kurztrips nach Köln oder Hamburg mute ich mir inzwischen zu, Fernbeziehung sei Dank darf Oldenburg nicht fehlen.

kunst_des_reisens cover alain de bottonUnd trotzdem bin ich bis heute kein großer Freund des Reisens geworden. Zu viel Zeit eingepfercht mit fremden Menschen in einem Zug oder Flugzeug, Vorbereitungen, Packen. Anreise- und Abreisetage sind fast immer von Kopfschmerzen begleitet; irgendwie ist es mir einfach zu anstrengend.

De Botton, vielen Bereits durch seine Bücher Trost der Philosophie und Wie Proust Ihr Leben verändern kann bekannt, beschreibt in seinem Buch nicht etwa besonders bereisenswerte Ort oder lässt uns wissen, wo er in seiner Herrlichkeit überall abgestiegen ist, vielmehr erzählt er kurzweilig von verschiedenen Stationen des Reisens. Hierfür bedient er sich eines raffinierten Tricks, er schildert nicht nur eigene Erfahrungen, sondern verwebt diese mit denen von Schriftstellern oder Künstlern. Etwa der hochgeschätzte Flaubert und seine Liebe zum Orient, van Gogh in der Procence und Alexander von Humboldt in Südamerika. Alle Schilderungen durchzogen mit Abbildungen von Schildern, Wolken und passenden Gemälden. Von der Abreise und der Ehrfurcht vor Flugzeugen bis zur Rückkehr, über die Erwartungen, Reisestation mit Edward Hopper und Erlangung des Schönen, immer schildert de Botton authentisch und steckt den Leser mit seiner Begeisterung an. Seine Begeisterung erschöpft sich nicht im Vorgang des Reisens, sondern er will lernen (und uns lehren zu lernen), nicht nur das profane Land und Leute kennen-, sondern will für die Charakterbildung lernen, Eindrücke sammeln, vielleicht sogar ein besserer Mensch werden. Besonders seine Kapitel über die Wissbegier und die Kunst sind dabei sehr lesenswert.

Wenn Reiseführer eine Sehenswürdigkeit priesen, so drängten sie den Besucher zum Mithalten mit ihrer autoritären Begeisterung, worüber sie schwiegen, dort war Freude oder Interesse unerwünscht.

Gerade, dass de Botton den Leser ermutigt nicht nur bloß zu reisen, sondern eben diese vielfältigen Eindrück in sich aufzunehmen, ihn ermuntert genauer hinzusehen und zu beobachten, macht die Stärke dieses Buches aus. Warum also nicht einfach mal abseits der Reiseführer-drei-Sterne-Sehenswürdigkeiten-Route an einem kleinen Garten mitten in der Stadt erfreuen?

Rezension fertig? Bin in Eile, muss los, meine Eisenbahn erreichen, wenn auch “nur” nach Oldenburg. Nach der Rückkehr schon wieder Koffer packen, denn übernächste Woche bin ich in Paris. Ein bisschen beherrsche ich sie schon, die Kunst des Reisens.

Stoner von John Williams

Die Leute flippen ja förmlich aus. Ein Roman, dessen Qualität so außerordentlich ist, dass er alles überragt; einer der großartigstens Romane, die in den letzten fünfzig Jahren veröffentlicht wurden (The Dallas Morning News), ein vollkommener Roman (New York Times Book Review)- fehlt nur noch, dass jemand dieses Buch, das doch schon eben besagte fünfzig Jahre auf dem Buckel hat, zum größten allerzeiten ausruft. So viel vorweg: ich werde das bestimmt nicht sein!

stoner cover dtv john williamsWilliam Stoner ist der einzige Sohn eines Bauern irgendwo in den Weiten der Farmen im Mittleren Westen der USA. Sein Vater schickt ihn auf die Universität, damit der Junge Agrarwirtschaft studieren kann. Als Einzelgänger schlägt er sich durch die ersten Semester, bis er durch Zufall seine Liebe zur Literatur entdeckt, besser eine Liebe zur Literatur entwickelt. Zurückhaltend und in allen Lebensbereichen passiv, kommt Stoner nur langsam voran und mausert sich doch über die Jahre zum Professor, findet eine Frau, kauft ein Haus, hat ein Kind und eine Affäre. Unglücklich verheiratet, Zank an der Universität mit seinem Vorgesetzen und immer wieder Versagensängste, das Verharren im Mittelmaß macht William Stoner sein Leben bis zum Ende nicht leicht.

Auf den ersten 100 Seiten ist mir der Protagonist in seiner Einfalt und seiner Behäbigkeit so unsympathisch, seine Entwicklung so stockend, dass ich mit dem Gedanken gespielt habe das Buch abzubrechen, auch wenn auf manchen Seiten Potenzial durchschien. Auf Seite 115 dann aber:

Sloane besaß keine Familie, sodass sich nur Kollegen und einige Stadtleute an der schmalen Grube versammelten, um dem Priester ehrfürchtig, verlegen oder respektvoll zu lauschen. Und da keine Familie und niemand, der ihn liebte, um sein Dahinscheiden trauerte, war es Stoner allein, der weinte, als der Sarg in die Erde gelassen wurde, als könnten seine Tränen die Einsamkeit dieses letzten Augenblicks lindern. Nur wusste er nicht, ob er um sich selbst weinte, um den Teil seiner Geschichte und Jugend, der mit dem Sarg in die Erde versank, oder um die arme, dürre Gestalt, die einmal jener Mann gewesen war, den er verehrt hatte.

“So wie Du das vorliest, klingt es kitschig“, sagt meine Madame am Telefon und sie hat Recht, das ist nah am Kitsch. Bricht dies aber aus einer Person heraus, die auf den letzten 114 Seiten recht tumb durch die Welt stolperte, rührt es auf angenehme Weise an; auch mich, dessen kann ich mich nicht erwehren. Später aber:

Die Liebe zur Literatur, zur Sprache, zum Mysterium des Verstandes und des Herzens, wie sie sich in den kleinen, seltsamen und unerwarteten Kombinationen von Buchstaben und Wörtern zeigte, in der schwärzesten, kältesten Druckertinte – die Liebe, die er verborgen gehalten hatte, als wäre sie gefährlich und verboten, diese Liebe begann er nun offen zu zeigen, zögerlich zuerst, dann mutiger und schließlich voller Stolz.

Klar eine Liebeserklärung an die Literatur, von einem bildungsfernen Bauernjungen, genau das was unser Bildungssystem (vom amerikanischen wollen wir gar nicht sprechen) nicht zu schaffen vermag, schafft er aus eigenen Stücken. Aber nun ist es klar, es ist Kitsch! Trotzdem vermag Stoner mich eine zeitlang zu packen. In der Mitte machte mir dieses Buch wirklich Spaß, lief am Ende aber wieder recht unspektakulär aus.

Mein Problem liegt gar nicht unbedingt dabei, dass Stoner schlecht wäre, denn das ist es nicht. Vielmehr liegen mir die überbordenden Lobpreisungen schwer im Magen. Die Geschichte eines, so scheint es, genügsamen Lebens, in dem dennoch die großen Dinge ihren Widerhall fanden: Leidenschaft, Freundschaft, Ehe, Familie, Krieg, Liebe. Wenn man mit Widerhall meint, dass diese Dinge irgendwie vorkommen, mag das sein. Widerhall finden nach diesen Maßstäben auch Hunde, Kinder, Schule, Bücher, Shakespeare, Felder, Bauern, Schuhe und Kartoffeln. Verkauft mir jemand ein Buch unter der Prämisse, es sei der größte Verlust der letzten halben Dekade gewesen, dass es vergessen wurde, muss mehr kommen. Das hier ist gehobenes Mittelmaß mit Ausflügen in aphoristische Esoterik.

Einer der bedeutensten Romane aus Amerika (Stadtlichter Lüneburg!, tatsächlich bei dtv als Referenz angegeben) – ganz sicher nicht! Hätte man mir stattdessen das Buch mit den Worten “Ein nette, unterhaltende Lektüre” ans Herz gelegt, könnte ich ohne den Gram dieser Rezension zustimmen, denn es liest sich durchaus locker, packt mich, wie gesagt, tatsächlich in seiner Mitte und hat starke Stellen, die einen Bildungs- oder Entwicklungsroman ausmachen, aber eben nicht die, die ein Meisterwerk ausmachen. Aber auch wieder Stellen, die in ihrer Nutzlosigkeit inhaltsleere Phrasen wie diese produzieren:

In seinem dreiunvierzigsten Jahr erfuhr William Stoner, was andere, oft weit jüngere Menschen vor ihm erfahren hatten: dass nämlich jene Person, die man zu Beginn liebt, nicht jene Person ist, die man am Ende liebt, und dass Liebe kein Ziel, sondern der Beginn eines Prozesses ist, durch den ein Mensch versucht, einen anderen kennenzulernen.

Nein, sowas steht nicht in einem Meisterwerk, sowas steht bei Paula Coelho und Konsorten. Etwas mehr Demut beim Anpreisen so manch eines Werkes, bitte.

Herbstbrief

Als Empfänger des Wetzsteinbriefs der Buchhandlung zum Wetzstein in Freiburg werde ich alle zwei Wochen mit einer vier-seitigen PDF versorgt, in der das kompetente Team um Thomas Bader Bücher empfiehlt: immer persönlich, tolle Empfehlungen abseits des Mainstream. Heute gab es einen “Herbstbrief”, der mit einem wunderschönen Rilke Gedicht schließt, das will ich euch natürlich nicht vorenthalten. In diesem Sinne einen schönen lyrischen Sonntag.

Der Abend ist mein Buch. Ihm prangen
die Deckel purpurn in Damast;
ich löse seine goldnen Spangen
mit kühlen Händen, ohne Hast.

 

Und lese seine erste Seite,
beglückt durch den vertrauten Ton, –
und lese leiser seine zweite,
und seine dritte träum ich schon.

 

Rainer Maria Rilke

Gespräch mit Karla Paul

Foto: Anette Mayerhofer von göttlicher fotografieren
Foto: Anette Mayerhofer von göttlicher fotografieren

Jeder Literaturinteressierte, -blogger, jeder, der sich mit Literaturkritik und -diskussionen im Internet beschäftigt, wird ihr über kurz oder lang über den Weg laufen. Karla Paul hat mit ihrem Blog www.buchkolumne.de als Kritikerin und Podcasterin früh Aufmerksamkeit, Bekanntheit und Preise gesammelt, heute ist sie einer der führenden Köpfe bei lovelybooks. Hierdurch haben wahrscheinlich wenige einen besseren Überblick über die Vernetzung in der Branche, die Risiken und Möglichkeiten der “neuen Medien” im Literaturbetrieb und die neusten Trends. Klar, dass ich mit ihr über alle diese Dinge und ihre Lieblingsbücher, sowie die eigene Autorenschaft sprechen wollte.

Literaturkritik im Internet

54books: Man darf Dich wahrscheinlich getrost als eine deutsche Pionierin der Literaturkritiker im Internet bezeichnen. Wie kam es dazu?

Karla Paul: Ich freue mich natürlich, wenn ich Leser dazu bringen kann mehr zu lesen, oder aber gar Nichtleser zum Lesen animieren kann. Deswegen bin ich aber keine Pionierin – viele Medien haben mir diese Rolle in der letzten Zeit dank meiner inzwischen recht hohen Reichweite sozusagen auf den digitalen Leib geschrieben. Ich selbst würde mich allerdings nicht so bezeichnen. So wirklich angefangen hat alles 1988, als ich Lesen lernte. Von da an ging es eigentlich steil bergauf – Gewinnerin des Lesewettbewerbs in der Grundschule und seit jeher hielt ich mich lieber in der Welt der Bücher als in der Realität auf.

54books: Wie wurde das Lesen Dein Beruf?

Karla Paul: Erste Rezensionen und Autoreninterviews habe ich mit 16 Jahren für die regionale Zeitung geschrieben. 2006 habe ich im Rahmen meines Studiums die Website Buchkolumne.de sowie den dazugehörigen Literaturpodcast ins Leben gerufen. Innerhalb von drei Jahren hatte dieser 5.000 Abonnenten. Seit 2009 arbeite ich hauptberuflich als Redaktionsleiterin und Social Media Managerin für LovelyBooks.de – das größte deutschsprachige Literaturnetzwerk – und halte inzwischen auch Vorträge rund um Literaturblogs, Social Media für Autoren und Verlage sowie Online Marketing an Universitäten und für verschiedene Firmen in der Buchbranche. Ich kommuniziere sehr gerne und fast ohne Unterbrechung online und Literatur ist mein Herzensthema – in diesem Fall kommt Beruf tatsächlich von Berufung.

54books: Wir müssen über ihn sprechen: Denis Scheck! Du warst in letzter Zeit nicht immer seiner Meinung, viele Dinge stoßen Dir unschön auf. Was genau?

Karla Paul: Denis Scheck hat sich ohne Zweifel in vielen Jahren einen Namen gemacht. Er kennt sich sehr gut aus und ich liebe seine Interviews, seine wunderbare Art mit dem Anzug ganz als Gentleman seine Autoren dann selbst noch in die Sauna oder auf dem Pferd zu begleiten. Nicht ganz so ein Gentleman ist er dann aber, wenn er Bücher verreißt und das oft auf eine sehr einseitige Art und Weise. Manche Genres liegen ihm einfach nicht und das macht er recht deutlich klar. Als Literaturkritiker sollte man das aber sachlich unterscheiden können – viele Romane können mir vom Thema her nicht liegen und dennoch für genau diese spezielle Zielgruppe gut geschrieben sein. Außerdem sehe ich das etwas massentauglicher: was immer Dich begeistert – lies es! Ich halte es für arrogant den Menschen vorzuschreiben was sie lesen sollten – ich bin froh, wenn sie es überhaupt tun.

54books: Ist die Zeit der Literaturkritik der gesetzten Herren und Feuilletonnisten vorbei? Wenn ja: Wer kommt jetzt?

Karla Paul: Grundsätzlich gilt: je mehr Menschen über Literatur reden und tolle Bücher empfehlen, desto besser. Mir ist dabei völlig egal, ob das Menschen mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund oder Hobbyliteraturblogger sind. Manch ein Leser legt Wert auf das Feuilleton – andere Leser schätzen dafür die Empfehlungen von Freunden mehr. Für viele hauptberufliche Kritiker bedeutet dies aber Probleme, weil nun jeder etwas zu Büchern sagen kann und ihre Meinung automatisch weniger Wert ist – es gibt ja so viele Alternativen. Dies gilt aber nur, wenn man keinen USP, also kein Alleinstellungsmerkmal hat. Manch einer hat dies verstanden und nutzt die Möglichkeiten nun zur weiteren Vernetzung und um sich nicht nur in der Zeitung, dem Radio oder dem Fernsehen einen Namen zu machen, sondern auch im Netz.

54books: Fällt Dir jemand ein, der die sozialen Medien hier besonders gut nutzt?

Karla Paul: Ein gutes Beispiel hierfür ist mein Freund Peter M. Hetzel von Sat.1, der seine Kritiken nicht nur auf YouTube hochlädt, sondern sie auch auf Facebook und Twitter verbreitet und dort ebenfalls mit Autoren und Verlagen Kontakt hält. So nutzt man die Möglichkeit, um auch neue Leser auf die eigenen Rezensionen aufmerksam und zu Fans zu machen. Wer dies verstanden hat, der hat heute eine ebenso gute Chance wie vor 10-20 Jahren, wenn nicht sogar bessere. Wer dies nicht verstanden hat, das Internet weiterhin für eine seltsame Laune der Jugend hält und die vielen Möglichkeiten nicht sieht, dessen Zeit ist tatsächlich vorbei. Außerdem muss man neben den gesetzten Herren Reich-Ranicki, Denis Scheck usw. auch die vielen Frauen wie Elke Heidenreich, Thea Dorn, Amelie Fried, Felicitas von Lovenberg oder den Nachwuchs wie Dana Buchzik erwähnen. Das Ungleichgewicht liegt vielleicht eher in der mangelnden Aufmerksamkeit für als in der fehlenden Anwesenheit von spannender junger Kritik.

54books: Überblickt man im Schnelldurchgang die Kritikerszene im Internet, fällt schnell auf, dass das Gros der Besprechungen nur solche der Unterhaltungsliteratur sind. Wer übernimmt die Arbeit des Feuilletons, wie sollen die Besprechungen die Generation erreichen, für die das Internet immer noch „Neuland“ ist?

Karla Paul: Welche Generation meinst Du? Mein Vater ist über 70 Jahre alt und surft auf dem iPad. Die Frage solltest Du vielleicht auch eher dem Feuilleton stellen. Ich provoziere mal weiter – ist die Arbeit der Feuilletonisten denn wirklich nötig? Wer ist schuld, wenn die Liebhaber von Unterhaltungsliteratur im Internet aktiver sind? Manch ein hauptberuflicher Literaturkritiker sieht nicht die Notwendigkeit für eine Anwesenheit im Netz – das ändert sich aber stetig. Ich könnte auf Anhieb ein Dutzend Blogger und Journalisten nennen, die online aktiv sind und sich der gehobenen Literatur verschrieben haben. Stefan Mesch schreibt für die Zeit und bloggt und postet täglich Facebook-Postings, Stefan Möller postet Buchtipps auf Tumblr, Mara Giese liest und bespricht mit anderen Bloggern gemeinsam die Shortlist des Deutschen Buchpreises, „Herbert liest“ ist ein sehr beliebtes YouTube-Format – davon könnte ich viele weitere Beispiele aufzählen. Wie immer online: das Problem ist nicht die Masse oder die Art der Information, das Problem ist Dein Filter!

Dein Leben als öffentliche Person

54books: Zwangsläufig wird jeder Literaturblogger auf einem der Netzwerke mit Dir Berührungspunkte bekommen. Jeder heißt, dass auch diejenigen, deren Arbeit Du schlecht findest, mit Dir interagieren wollen. Musst Du viele Leute vor den Kopf stoßen?

Karla Paul: Ich bin ehrlich. Das hat mich in den letzten 30 Jahren schon viele Pluspunkte gekostet – dafür kann man auf meine Meinung vertrauen und ich versuche mir für jeden Zeit zu nehmen. Wem es nur um halbherziges Lob geht, der kann sich dies gern woanders abholen und wer mit ernsthafter Kritik nicht umgehen kann, der wird in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen ebenfalls Probleme bekommen. Mich mag ja auch nicht jeder – je höher die Reichweite ist, desto mehr Kritik erhält man auch und das muss man irgendwie verarbeiten können. Ich diskutiere und streite gern über Literatur, aber nein, ich hoffe, dass ich nicht viele Leute vor den Kopf stoße.

54books: Noch schwieriger wird das wahrscheinlich bei lovelybooks, musst Du Dich „fürs Geschäft“ mit Deiner Meinung zurückhalten?

Karla Paul: Zu manchen Dingen kann ich mich deswegen nicht äußern, ja. Über viele Entwicklungen weiß ich vielleicht schon eher Bescheid, man hat Insiderwissen und dementsprechend auch Verantwortung und Pflichten – dies wächst ebenso wie die Möglichkeiten in einer entsprechenden Position. Deswegen verkaufe ich mich aber nicht, d.h. das Marketing bei LovelyBooks ist immer unabhängig von meiner Meinung und ich setze mich auf meinen privaten Accounts nur für die Bücher und Autoren sowie Projekte ein, die ich wirklich auch persönlich unterstützen möchte.

54books: Die NEON kürte Dich zur „Literaturpäpstin“. Was überwog: Zuspruch, Neid oder Anfeindungen?

Karla Paul: Zu 99 Prozent gab es viele Glückwünsche und jede Menge Zuspruch. Neid muss man sich erarbeiten und das gehört eben dazu. Anfeindungen gab es glücklicherweise bisher nie oder evtl. bekomme ich davon auch einfach nichts mit. Ein bisschen seltsam war natürlich das Timing – ich werde als neuer Reich-Ranicki gekürt und eine Woche später stirbt der wohl bekannteste Literaturkritiker im deutschsprachigen Raum. Da kamen dann schon ein paar Kommentare, die musste ich mir natürlich gefallen lassen.

Die Autorin

54books: War das Schreiben von „Das Alphabet der Bücher“ eine Zwangsläufigkeit oder musste der Verlag auf Dich zugehen?

Karla Paul: Der Verlag kam auf mich zu als meine Präsenz noch weit weniger groß war – das war damals aufgrund einer kleineren Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung. Allerdings arbeite ich noch immer daran und bin sehr froh, dass mein Verlag so geduldig mit mir ist. Also schreibe ich lieber mehr dazu, wenn es denn dann wirklich fertig gestellt und in den Läden erhältlich ist.

54books: Wird die Social-Media-Königin als Autorin alle ihr möglichen Register ziehen um die Werbetrommel für das eigene Werk zu rühren, oder willst Du Dich bedeckt halten?

Karla Paul: Das werde ich gemeinsam mit dem Verlag entscheiden. Aber die ein oder andere Idee werde ich mir sicherlich nicht verkneifen können.

Entwicklungen auf dem Buchmarkt

54books: Alle sprechen über das E-Book. Du stehst (wahrscheinlich) aufgrund Deiner Internetaffinität auch diesem nahe. Hand aufs Herz, glaubst Du an eine Zukunft des Papiers oder bist Du vielleicht sogar der Meinung, dass dessen Zeit einfach vorbei ist?

Karla Paul: Das gedruckte Buch ist das erfolgreichste Medium überhaupt und ich sehe keinen Grund, warum sich das ändern sollte. Das E-Book ist lediglich eine neue Möglichkeit die Inhalte wiederzugeben und eine Alternative der Nutzung, kein Ersatz. Ich passe die Literatur meinen Lesemöglichkeiten an: beim Joggen höre ich ein Hörbuch, in der U-Bahn lese ich auf dem Reader ein E-Book und daheim im Bett genieße ich das Blättern zwischen Papierseiten. Je mehr Möglichkeiten dazu kommen, desto mehr lese ich und desto mehr Geld gebe ich dafür aus. Es werden in Zukunft sicherlich weniger gedruckte Bücher verkauft – viele Leser nutzen lieber die oft günstigere Möglichkeit des E-Books – zumal es innerhalb von Sekunden verfügbar ist und Platz spart. Vieles spricht aber auch dagegen – viele Menschen lieben ihre Bücher im Regal, wollen Seiten umblättern, der Besuch in der Buchhandlung ist ein sozialer Austausch und nicht nur Konsum. Literatur wird aber auch nicht schlechter, nur weil sie als Datei wiedergegeben wird.

54books: Interaktionen mit dem Leser im E-Book, im Internet, immer mehr Autorenmarketing – hat ein gutes Buch das nötig oder kann man sonst in der Flut der Neuerscheinungen nicht mehr auf sich aufmerksam machen?

Karla Paul: Auch ein gutes Buch muss irgendwie entdeckt werden. Das beste Produkt nutzt Dir nichts, wenn Du keine Werbung dafür machst. Nur in den wenigsten Fällen (wie z.B. bei „Tschick“ des kürzlich verstorbenen Autors Wolfgang Herrndorf) wird ein Buch tatsächlich von Lesern entdeckt und per Mundpropaganda so oft empfohlen, dass es auf der Bestsellerliste landet. Wie soll das Gespräch über Bücher entstehen, wenn niemand anfängt darüber zu reden? Da muss man oft nachhelfen. Trotzdem ist dies keine Garantie – viele gute Bücher bleiben trotz viel Werbung Geheimtipps, manch anderes Buch wie Shades of Grey verbreitet sich auch ohne Marketing. Es gibt da kein Wundermittel.

54books: Nicht jeder ist Autor, nicht jeder kann schreiben, viele tun es trotzdem. Wird die Flut abebben?

Karla Paul: Wer beurteilt denn genau, wer sich als Autor bezeichnen darf und wer nicht und wer schreiben kann und wer nicht? Das soll der Leser entscheiden und beliebte Bücher werden sich durchsetzen.

Deine Empfehlungen

54books: Magst Du für uns Deine drei liebsten Klassiker küren?

Karla Paul: „Der Proceß“ von Kafka. „Es waren Habichte in der Luft“ von Lenz. „Schöne neue Welt“ von Huxley. Alle toll geschrieben, der Inhalt bleibt (leider) immer aktuell und trotzdem fassen sich die Autoren bemerkenswert kurz.

54books: Hast Du einen Geheimtipp, der bis jetzt in der Flut der Internetrezensionen untergegangen ist oder vielleicht gar nicht beachtet wurde?

Karla Paul: Da verweise ich gern auf meinen Beitrag und meine fünf Empfehlungen hier: http://fuenfbuecher.de/karla-paul/ Und Scarlett Thomas mit „Troposphere“ oder aber „Shakespeare & Company“ oder aber … ach, wer mir online folgt, der sollte das eigentlich immer mitbekommen und ich kann mich nicht entscheiden. Lest einfach, lest viel und gern und alles was Ihr finden könnt!

54books: Ich danke Dir sehr herzlich für Deine Zeit und die ausführlichen Antworten.

Moderne Literaturkritik, 54books, JVM

Kaum hatte ich meine ersten Gespräche mit Scheck, Martenstein und Hilmes im Kasten kam eine Redakteurin von den Jungen Verlagsmenschen auf mich zu und frug, ob ich nicht ihr ein Interview geben wolle. Also haben wir uns letzte Woche auf der Buchmesse getroffen und sie schrieb einen Artikel über moderne Literaturkritik, die Erben MRRs und – ähh – mich. Mit dabei außerdem Denis Scheck und Herbert von Herbert liest. Den ganzen Artikel von Dominique Conrad findet ihr HIER. Den Part über mich beim Klicken auf

Vom Stapel ungelesener Bücher zum Blog
Beruflich ist Tilman Winterling nicht in der Buchbranche zu Hause. Er hat Jura studiert, ist im Moment Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter. In seinem Bücherregal zählte der leidenschaftliche Leser vor einem Jahr noch 54 ungelesene Bücher, vornehmlich Klassiker. Als Ansporn diesen Stapel ungelesener Bücher abzubauen, begann er den Blog www.54books.de zu schreiben, rezensiert dort jede Woche neben Klassikern auch anspruchsvolle moderne Literatur. Die 54 Bücher hat er allerdings noch nicht gelesen, zu oft stößt er auf neue Titel: in Literaturverweisen, über Freunde, in Buchhandlungen oder durch Empfehlungen über seinen Blog. Mit „54books“ hofft Tilman Winterling Leser mit gleichen Interessen anzusprechen; literaturferne Menschen glaubt er nicht erreichen zu können. Insbesondere für die Genres Jugendbuch, Fantasy und Krimi seien Blogs jedoch eine gute Plattform, die oft vor dem Buchkauf konsultiert werden. Den großen Vorteil von Blogs sieht er darin, dass sie Berührungsängste mit der Literatur abbauen, denn im Gegensatz zur Besprechung im Feuilleton seien Blogs frei zugänglich, es müsse nicht erst eine Zeitung gekauft werden. Trotzdem glaubt Winterling nicht an ein Aussterben der klassischen Feuilletonkritik. Für den Rezensenten bedeute eine Besprechung in einer Zeitung eine höhere Reputation als eine Besprechung in einem Blog. Letzterer biete hingegen mehr Freiheit bei der Titelauswahl und der Meinungsäußerung.
Für die Zukunft von „54books“ hofft Tilman Winterling genug Zeit zu haben, um in gleicher Häufigkeit zu rezensieren, mehr Bücher zu lesen und bessere Besprechungen zu schreiben. Seine Buchempfehlung ist ein Klassiker der deutschen Literatur: Erich Kästners „Fabian“.

Brandstatt von Anousch Mueller

Da es keine Liebe ist, wird alles sehr bemüht sein! Es wird ein einziger Krampf.

anousch mueller brandstatt1993 Die Protagonistin, die nach eigenen Angaben viele Züge der Autorin trägt, wächst in der ehemaligen DDR auf und fühlt sich in der Pubertät zu dem rätselhaften Jan Pajak hingezogen, der auf einem angeblich verfluchten Anwesen, eben der Brandstatt, lebt und vormals, unausgesprochen, der Liebhaber der Mutter war. Neben Gesprächen über das Reparieren von Fahrrädern und Taschenuhren und einer sich entwickelnden Obsession für den rätselhaften Mann, folgt die Entjungferung der Erzählerin und das Verschwinden eines Mädchens aus dem Dorf, für das der nun geliebte Jan verantwortlich gemacht wird und dieser flieht. Schnitt.

2009 Annie ist aus dem Dorf nach Berlin und verliert sich in der Großstadt, wie die Autorin in ihrer Geschichte. Man sieht förmlich wie die Dörflerin sich staunend dem Kaff durch den Ortswechsel allein enthoben fühlt, die immer bei der Nennung jeder Berliner Heimstatt das Viertel angeben muss. Als sie zurück nach Hause kommt, trägt sie extra den Rollkoffer, weil ihre Absätze schon den städtischen Besuch ankündigen. Dass die Zeiten, in denen alles aus, an und um Berlin per definitionem angesagt  und hipp sind, vorbei sind, scheint sich zu dem in der Stadt lebenden Dorfmädchen noch nicht rumgesprochen zu haben, dass man aus eigenen Neurosen durch einen Wohnortwechsel ausbrechen kann, ebenfalls nicht.

Statt Verliebtheit rumorte die Qual der Ungewissheit, ob nach dem letzten Fick jemals wieder ein Anruf folgen würde, der die erlösende Aussicht auf einen weiteren Coitus Infernale bot.

Dazu kommt die nun über den Leser hereinbrechende Obsession zu Leo, dem Weltmenschen und Intellektuellen, zu dem sich die kleine Bäuerin hingezogen fühlt. Wie Kaugummi zieht sich diese Abhängigkeit, die Beschreibung der Sex Szenen dagegen sind derartig gewollt, dass sie schlicht plump sind. Zeiten, in denen der Gebrauch der Wörter ficken und Schwanz ausreichte um zu schocken, amüsieren oder hinter dem Ofen vorzuholen, ja auch die sind, für Anousch Müller leider, vorbei.Stattdessen verliert sie sich in Belanglosigkeiten und dem Versuch modern zu schreiben, ihr Selbstmitleid langweilt. Nota bene: Jan taucht im Gewühl der Großstadt wieder auf und stellt das Leben von Annie auf den Kopf, aber das kann den Roman an dieser Stelle auch schon nicht mehr retten.

Die Zeit verstrich, zäh, dumpf, bleiern.

Und so geht auch die Lektüre voran. Die Geschichte bleibt belanglos, die Autorin zu bemüht, von angepriesener schöner, bildhafter Sprache ist außer der Beschreibung von Klischees nichts zu entdecken. Das Dorf scheint nicht nur im Kopf der Erzählerin, sondern auch der Autorin fest verankert zu sein. Lächerliches Namedropping (z.B. von Davidoff Cool Water!) runden den Erstlingsroman einer schwärmenden Fünftklässlerin ab. Ein belangloses Buch ohne Mehrwert!