Schon oft habe ich mir vorgenommen, ein Lesetagebuch zu schreiben, am Ende des Jahres hat man ja oft vergessen, was man an seinem Anfang gelesen hat. Ein bisschen ist der Blog natürlich so eine Erinnerungsliste, aber hier tauchen nur selten die Bücher auf, bei denen ich stecken geblieben bin oder die ich gar nicht mochte und auch längst nicht alle, die ich mit Genuss gelesen habe. Daher hier noch ein paar last-minute-Nachträge für dieses Jahr:
Ein Buch, das mich komplett kalt gelassen hat, war der internationale Bestseller der Südkoreanerin Han Kang „The Vegetarian“. Das hatte ich auf eine Dienstreise nach Seoul im März mitgenommen, konnte aber mit dieser kühlen Sezierung von Sexualität und Wahnsinn und Familienverflechtungen nichts anfangen. Oder die „Sieben Nächte“ von Simon Strauss: ein junger gebildeter, wohlstandssatter Mann auf der Suche nach dem großen Gefühl und voller Angst vor der Konformität. Sieben Todsünden will er in einer Woche begehen, aber das Ganze bleibt arg brav und konstruiert: Es ist bestimmt hart, der Sohn von Botho Strauß zu sein. Nicht zu Ende gelesen habe ich Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“, aber aus ganz anderen Gründen. Dieser Roman über 4 Freunde in New York fängt großartig an und ist fabelhaft geschrieben, aber ich hatte einfach Angst vor der Schilderung der Grausamkeiten, über die alle Freunde berichtet haben. Aber das Buch läuft mir ja nicht davon….

Und nun noch schnell Hinweise auf drei Bücher, von denen ich zwei ziemlich gut und eines ganz herausragend fand: Husch Josten hat mit „Hier sind Drachen“ ein kleines, feines und philosophisches Buch über Zufall und Schicksal geschrieben. Sehr aktueller Text, der einen Tag nach den Terroranschlägen 2015 in Paris auf dem Flughafen in Heathrow spielt, mit einer klugen Journalistin und einem weisen Unbekannten in den Hauptrollen. Ebenfalls gut hat mich Theresia Enzensberger mit „Blaupause“ unterhalten. Eine „straight forward“ und etwas konventionell erzählte Emanzipationsgeschichte über eine junge Frau, die sich in den 20er Jahren als Schülerin am Bauhaus in Weimar und dann Dessau einschreibt. Vor allem lernt man viel über das Bauhaus selbst, seine charismatischen Lehrer und die unruhige Weimarer Moderne. Und dann noch ein Buch, über das ich nächstes Jahr, wenn es auf Deutsch rauskommt, sicher mehr sagen werde: Alan Hollinghursts neuen Roman „The Sparsholt Affair“. Ich habe dieses Buch noch mehr geliebt als sein letztes. Dies ist ein ganz groß angelegtes Sittengemälde Englands von den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts bis heute. Es geht wie immer bei Hollinghurst um schwule Biographien, um die Londoner Intelligentsia, um die Liebe zur Kunst, um das Leben im Allgemeinen und um das Älterwerden im Besonderen. Es geht darum, was im Leben wirklich zählt und von einem Leben bleibt. Schöneres Englisch als das von Alan Hollinghurst kann man sich kaum vorstellen und ebenso schön wie die Sprache ist die irre Konstruktion der Geschichte, die mit großen Sprüngen durch die Jahrzehnte schreitet und dadurch nicht nur eine lange Zeitspanne, sondern einen großen schillernden Kosmos von Figuren präsentieren kann.
Aber nun ist 2017 fast vorbei und der Blick geht nach vorn: Wenn man am Ende des Jahres Geburtstag hat, hat man den Vorteil, dass man gleich jede Menge Lektüre für das neue Jahr bekommt. Es gibt zwar viele Freunde, die es aufgegeben haben, mir Bücher zu schenken, weil ihnen das zu gefährlich ist. Die schenken mir dann zum Beispiel Alkohol oder andere leckere Dinge oder Kunst oder Konzertkarten oder einen fabelhaften Fahrradhelm, den ich euch nicht vorenthalten will:

Und dann gibt es die, die mich auf bestimmte Autoren hinweisen oder einfach Entdeckungen teilen wollen. Oder die mit viel Feingefühl versuchen, genau meinen Geschmack zu treffen (den ich selbst ja gar nicht so genau kenne). Und am Schluß ist dann da meist eine wilde Mischung auf dem Gabentisch. In diesem Jahr gehören zum Beispiel Edward St. Aubyns Neufassung des King Lear-Stoffs „Dunbar“ ebenso dazu wie die Predigten des katholischen Paters Josef Schulte „Auferstehen jetzt“. Oder Bildbände von Annie Leibowitz und Ron Jude. Oder oder….Und da ich durch Dalrymples wilden Trip durch die Geschichte und Gegenwart der orthodoxen Kirchen „From the Holy Mountain“ (Folge 34) noch immer mental völlig im Nahen Osten bin, habe ich mir die beiden nahöstlichen Titel ganz oben auf den Lesestapel gelegt: Mathias Enards „Kompass“, die Erinnerungen eines schlaflosen Orientalisten, für das er den Prix Goncourt bekommen hat, und Shida Bazars „Nachts ist es leise in Teheran“. Noch lieber als über Teheran zu lesen würde ich ja auch mal nach Persien fahren, aber das ist ein anderes Thema…

Genug geschwätzt: einen guten Rutsch euch allen und ein tolles Jahr 2018 mit vielen großartigen Leseerlebnissen!