Die … versenken das Schiff
Die Ratten, sagt man, verlassen das sinkende Schiff. Das ist kein schöner Satz, immerhin werden damit ja – in der Regel – doch nicht Ratten gemeint, sondern Opportunisten, die ein Unternehmen aufgeben und verraten, das ihnen wenig erfolgversprechend erscheint. Menschen als Ungeziefer: keine rhetorische Tradition, in die ich mich einreihen werde.
Man bedenke aber den Vorwurf: Damit er sinnvoll ist, bedarf es …
1. … des Anliegens. Es geht um Opportunisten, die ein Unternehmen aufgeben und verraten, das ihnen wenig erfolgversprechend erscheint, aber ihnen offenbar ein Anliegen sein sollte. Ohne dieses moralisch aufgeladene Anliegen wäre der Vowurf unsinnig.
2. … der Option, etwas zu retten. Ratten können das Schiff schwerlich retten, ihnen wird man beim Schiffbruch nicht vorwerfen können, diesen nicht vermieden zu haben.
Wer also heute vertritt, daß wir auf einer Scheibe im Zentrum des Seins leben, kann nicht behaupten, alle anderen hätten das sinkende Schiff seines Weltbildes als Ratten verlassen. Lernunfähigkeit und Fatalismus sind keine Tugenden.
Immerhin, das Anliegen gibt es – und in der Politik könnte das allererste sein, daß man Anliegen einräumen möge, nämlich statt absolut gesetzter Alternativlosigkeit (nicht nur seitens Merkels vorgetragen), die dann einem Anliegen allein in Wahrheit verpflichtet ist: dem Anliegen der Anleger. Und daraus ergibt sich, daß man andere Anliegen schon deshalb vertreten muß, damit das möglich bleibt, da ungenutzte „demokratische Mittel […] nutzlos” werden, wie Helmut Seethaler schreibt, daß dagegen eine Gesellschaft ohne Anliegen auch nichts zum besseren Navigieren mehr leisten kann – jenen Ratten immerhin darin ähnlich. Wenn man die Bildung eines Pöbels zuläßt oder sogar fördert, ist es dann vernünftig, aber aufgrund dessen, daß man ihn zuließ noch immer skandalös, diesen vom Steuerrad fernzuhalten, statt zu vermeinen, die Gruppe unter den Wahlberechtigten, die neben den Kostgängern von AfD & Co. die bildungsfernste ist, gäbe, wenn man sie nur an die Wahlurne bringe, Anlaß zu irgendeiner Hoffnung.
So weit, so schlecht. Was tun? Drei bescheidene Vorschläge hätte ich:
Erstens sollte man, um die Diskurse in Gang zu halten, solche von der Kapitänsbrücke fernhalten, die behaupten, daß sich Anliegen nur situativ und aus dem Hausverstand ergeben, weshalb es keines Programmes bedürfe.
Die Absenz eines Programmes ist gegenwärtig ein Problem fast aller Parteien, das stimmt. Das ist für die Sozialdemokraten zu konstatieren, die ein Appendix der Christdemokraten geworden sind; das ist für die alternativlosen Christdemokraten zu befinden, vor allem in Österreich, wo sie nun statt schwarz türkis und statt einer Partei eine „Bewegung” sein wollen, aber sich zu ihrem Anliegen bedeckt halten … bislang ist hier nur zu erkennen, daß man (Quasi-)Promis rekrutiert, die meist in der Sache weder Wissen noch Herzblut erkennen lassen. Einzelne Willensbekundungen wie höhere Strafen bei Sexualdelikten bedienen die Regungen derer, die auch rechtsaußen stehende Parteien wählen würden, wobei der Kanzlerkandidat dann vage bleibt:
„Die Strafen bei Gewaltdelikten hat der Nationalrat auf Antrag der Regierung eben erst erhöht. […] Um wie viel höher soll da die Strafe sein?
Der Justizminister hat 2016 einen Schritt in die richtige Richtung zustande gebracht, mehr war damals mit der SPÖ nicht möglich. Die letzten Urteile gerade bei Vergewaltigungsfällen oder Gewalt gegen Kinder zeigen, dass es hier eine weitere Veränderung braucht.
Wie viel?
Der Justizminister wird dazu Vorschläge machen.Nochmals konkret. Bei Vergewaltigung etwa drei Jahre Mindeststrafe?
Sie sind nicht der Justizminister, auch wenn Sie ähnlich heißen. Ich warte auf die Vorschläge von Wolfgang Brandstetter.”
Das ist also konkret Programm: eine Art Namenswitz mit Helmut Brandstätter.
Kein Programm: Das gilt sowieso für die rechten Parteien, die einen Neofeudalismus propagieren und den Sozialabbau „sachlich” begründen: mit Sündenbocktheorien, die, damit die Propaganda funktioniert, durch erfundene oder verzerrte Fakten untermauert werden – Lüge als Prinzip. Am linken Rand hat man vor der eigenen Radikalität Angst, aber auch vor dem, was einem an sich unsympathisch ist, etwa, daß man – jedenfalls vor der kommunistischen Weltrevolution – Grenzen brauchen wird … und ja, danach auch, schade eigentlich… Oder man betreibt grün eine Klientelpolitik mit heterogener Klientel, ein paar Kommunisten, die ihre Solidarität bis auf den Löwenzahn ausdehnen wollen, und ein paar Neoliberale, die zwar Afrika ausbluten, aber dem Eisbären seine Scholle gönnen wollen, weshalb diese Partei nur populistisch à la Kretschmann (dys-)funktioniert … die österreichischen Grünen implodieren gerade: Prognose 5% mit da schon den Einzug ins Parlament bedrohender Schwankungsbreite…
Dennoch, besonders unappetitlich ist die Partei, die sich als Ende der Parteien feiert, ohne Programm antritt und aus 50 Bereitwilligen die Abgeordneten per Losverfahren ermittelte, die dann ihr Abstimmungsverhalten vielleicht auch erwürfeln … oder doch nach Hausverstand entscheiden, der aber ein „gesundes Volksempfinden” sein könnte?
Stattdessen: Diskussion. Reden wir über die Begriffe, zum Beispiel, was denn nun „Wirtschaftskompetenz” sei, die allen wichtig zu sein scheint, von der man aber wie vom Ungeheuer von Loch Ness bislang nur gehört hat. Reden wir aber noch mehr davon, was kommen soll, damit nicht alles kommt, was kommen kann und unsere Zeit als Korridor in eine Dystopie erinnert werden wird … falls jemand dann sich erinnert.
Zweitens wird es dann aber auch Zeit, jene zu ignorieren, die mit großer Geste verwerfen, was sie einst mit Weggefährten konstituierten (oder konstituiert zu haben vorgeben) – das alleine ist weder eine bemerkenswerte Leistung, noch diskreditiert es das, was aufgegeben wurde, zwingend. Natürlich besteht bei den österreichischen Grünen ein Grund für die Implosion, aber ob darum Peter Pilz, dort intern abgewählt (ja, dumme Entscheidung, ja, formaliter auch fragwürdig), nun etwas Sinnvolles tut, indem er ein Konkurrenzunternehmen gründet – wie auch die KPÖ+ (Kommunisten mit jungen Grünen, die aber als Agenda bloß mehr Einfluß in ihrer indes verlassenen Partei vorbringen konnten) –, das darf man bezweifeln.
Das gilt auch für jene Psychoanalytikerin sowie Bezirksrätin und Landtagskandidatin der österreichischen Sozialdemokraten, die gerade mit großer Geste geht, weil aus ihrer Partei eine Frage gestellt worden war, und zwar in Richtung Christdemokraten mit wie erwähnt dubiosem Promiaufgebot statt eines Programms; es war dies die offenbar entsetzliche Frage, „welche politischen Konzepte eine Miss Burgenland, eine Ex-Miss Austria oder eine Weinkönigin einbringen können” – diese Frage ist im Kontext womöglich nicht bloß Ausdruck von Sexismus… Niedermühlbichler, der die böse Frage nach der Glaubwürdigkeit von Kompetenz und Anliegen gestellt hatte, bedauerte seine Aussagen, aber blieb bei dem, was daran auch nicht einfach vom Tisch zu wischen ist: „Es steht mir selbstverständlich fern, den drei Kandidatinnen ihre berufliche Qualifikation abzusprechen, die Frage nach der politischen Qualifikation muss aber gestattet sein”. – Dagegen fragte die Psychoanalytikerin, für wie dumm man sie denn halte. Besser, sie fragt das nicht mich.
Drittens wird man gerade an dem letzten Beispiel sehen, daß Reflexe vielleicht nicht geeignet sind, Politik zu gestalten. Eine Weinkönigin ihrer Qualifikation wegen zu befragen muß einem nicht gefallen, aber ob ein Unbehagen zu einem Diskursverbot werden darf, das dann die political correctness zu etwas verkehrt, wonach Spracharmut im Namen des (zum Beispiel) Neoliberalismus dann die einzige Sprache ist, das erscheint doch fraglich.
Aber nicht nur den Reflex sollte man für nicht zu wichtig nehmen, sondern auch die Reaktion: Sonst wird die Politik – und das heißt: sonst werden wir – vom Faktischen vor sich her getrieben, egal, wie man das Faktische bewertet.
Insofern kann man schließlich noch denen, die die Reaktion zur Position machen, sein Mißtrauen aussprechen – etwa abgehalfterten Pseudo-Politikern wie jenem, der 1999 der rechtspopulistischen FPÖ beitrat, zum scheinbar moderateren BZÖ 2008 wechselte, bis sich ihn 2012 das Team Stronach leistete, nach dessen Untergang er wieder zur FPÖ kam: Schiff um Schiff verlassend, wenn es jeweils sank…
Navigieren wir besser!
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