Der Worte sind genug gewechselt
Einführungsproseminare bringen mit sich, daß man über Grundsätzliches reden muß. Aber in Wahrheit: darf. Denn natürlich ist man da schnell dort, wo’s wehtut, dort, wo nicht Experten über das Wesentliche sich schon – scheinbar? zurecht? – einig sind, sondern Fragen gestellt werden, die man nur ab und an beiseite läßt, weil man sonst aus ihnen nie ganz fände.
So entsteht manche „categoria non grata”, etwa Inhalt. Was ist der Inhalt von Literatur? Sind Literaturdozenten zurecht über Inhaltsangaben bei Gedichten entsetzt? Ist Inhalt etwas, das sich überhaupt anders als akkurate Formenbeschreibung denken ließe? Verlangt insbesondere Klopstock „eine philologische Methode, die nicht nur danach fragt, was gesagt wird, sondern auch, wie etwas gesagt wird”, wie Socha in ihrem sonst sehr gelungenen Beitrag fragt, oder nicht in Wahrheit jeder Text, der Literatur ist und als solche analysiert wird..?
Die zweite Antwort liegt nahe, auch ist sie die Grundlage der meisten Studien im Band, wobei die Kategorie, um die es geht, mehr Konturen gewinnen könnte – ist Inhalt denn nun die Interaktion von Werk und Leser, der Thematisches extrahiert oder imaginiert, also „Verfahren” – oder wären der Text und seine Lektüre das „Ritual”, das der Autor bestimmte und dem der (ideale) Leser entsprechen muß? Ist Inhalt die Intention des Autors? Ist Inhalt das, was mit dem Leser geschieht? „Entscheidend ist das Begehen” der Wege, sagt Schmid – doch wer bahnt die Wege? Wer bestimmt ihre Topik, sind es Rhizome, worin man sich verirrt oder reorganisiert, was man lesend durchstreift? Welche Rechte hat gar die Übersetzung, die ja die Form, um die es geht, gleichwohl ganz abstreift? Gehört Unbestimmtheit dann belassen, die „der Sprachlichkeit des Textes geschuldet” dessen Problem und Pointe sein mag? Was wäre die „Nachreife” eines Texts, die bei Dueck als Problem eine markierte Auslassung der Theorie Benjamins bleibt? Und: Ist Inhalt nicht auch etwas, das die Popliteratur selbst verdrängt, nicht allein die Philologie?
Immerhin dieser Aspekt wird von Schumacher behandelt, ansonsten ist der Band nicht so provokant und theorieaffin, wie man es sich wünscht. So seriös und fein die Aufsätze sind, als Band hätte sich eine Konstellation ergeben dürfen, wonach man nicht das Gefühl hat, daß auch hier dieses Problem namens Inhalt zuletzt nur gestört hätte und also bloß in einem Bezug thematisiert wird, der sich von Anfang an womöglich verstand.
Dabei aber, auch das sei gesagt, wurde wirklich gut gearbeitet, manchmal ist das Thema schon da: die „Individualisierung der einzelnen Texte” im schon erwähnten Klopstock-Aufsatz ließe doch sogleich die Frage zu, ob das Fallen des Textes aus dem Werk nicht auch eines aus den Diskursen ist, die ihn deuten, aber an seiner Individualität scheitern. Etwas mehr Mut, dann wäre aus einem Band, der so Philologen zu ihren Themen oft trefflich informiert, einer geworden, den man auch außerhalb dieses Kontextes empfehlen könnte.
Anmerkung der Redaktion zu den Autoren und Herausgebern:
M. Kundert: Inhalt. Überlegungen zu einem schwierigen Begriff – E. S. Martinez: Über die Bedingungen des herrschenden Formalismus im philologischen Diskurs – B. Peric: Toter Text und leere Form. Zum Inhaltsbegriff in der Literaturwissenschaft – A. Krause / S. Hendel: Phantomschmerzen. Über die Konstruktion und Bewältigung des Form- Inhalt-Problems – C. Socha: „[…] verirrter / Tritt er einher, wenn er gar anwandert gegen den Inhalt.“ Klopstocks Poetik des Mitausdrucks – D. Alder: Innehalten. Johann Wolfgang von Goethes Auf dem See – G. Hedin: Jean Pauls Kutschfahrt ins Erzählen. Die unsichtbare Loge und der „innere Stoff“ der Literatur – M. Schmid: Verfahren schlägt Inhalt. Eine Auseinandersetzung(,) mit Kleists Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten – M. Christen: „Es fehlt nur noch das […] Amen“ Zum Umgang mit Inhalt in Georg Büchners Leonce und Lena – C. aus der Au: Interdependenz von Form und Inhalt in Theodor Fontanes Kunstkritiken – E. Dück: Inhalt und Form in Mallarmés Crise de vers und seinen deutschen Übersetzungen – J. Heller: Ohne Inhalt? Das expressionistische „Schreidrama“ – S. Fuchs: Schillernde Konturen. Narration und Subjektivität in Rilkes Malte Laurids Brigge – D. Gorenstein: Entomologische Horizontverschmelzung. Ernst Jüngers Hermeneutik der Käfer – N. Busch: Form, Inhalt - oder Ideologie? Die Analyse von Literaturproduktion in der Althusser- Schule – C. Bartl: Thomas Bernhard und der Inhalt der Krankheit – Y. Schumacher: Allegorische Oberflächen. Der verdrängte Inhalt der Popliteratur. Die Herausgeber Daniel Alder, Markus Christen, Jeannine Hauser und Christoph Steier forschen am Dt. Seminar der Univ. Zürich im FB Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. (Quelle: Verlag Königshausen & Neumann)
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