Mit allen Sinnen, in allen Zeiten
Die Schifffahrt als Topos des Lebens wie des Schreibens hat eine Tradition so lang wie die schriftliche Überlieferung selbst. Das Feld scheint unbegrenzt und randlos wie sein Leitbild. Der große Hans Blumenberg schrieb: „Das Repertoire dieser nautischen Daseinsmetaphorik ist reichhaltig. Es gibt Küsten und Inseln, Hafen und hohes Meer, Riffe und Stürme, Untiefen und Windstillen, Segel und Steuerruder, Steuermänner und Ankergründe, Kompaß und astronomische Navigation, Leuchttürme und Lotsen.“ Nun gibt es auch Treibbojen.
Unter diesem Titel erweitert der neue Band von Asmus Trautsch das Bildfeld an sensibler Stelle. Nicht nur wird der Band aus dem Berliner Verlagshaus J.Frank diesen Beziehungen gerecht, insofern er eine Reserve von weiten Strecken der Kulturgeschichte spürbar macht, ja offensiver als die meisten gegenwärtigen Neuerscheinungen thematisiert und an den Textoberflächen greifbar werden lässt. Das aber, das sei gleich gesagt, erzeugt keine Intertextualität, die selbstzweckend an sich selbst sich sonnt, sondern die ein Leben aufruft, das selbst längst intertextuell geworden ist. Der Unterschied, ob bei Trautsch auf Averroes oder anderswo auf einen Neuköllner Straßennamen angespielt wird, ist so fein wie ausschlaggebend – führt aber in eine enge Irre, wenn er unter Kampfbegriffen wie Welthaltigkeit, Aktualität oder Unmittelbarkeit herausgezogen wird. Das Gedicht „Sich einstellender Sinn“ spricht dieses Schwanken, von Ferne aufgehängt an Fäden aus Druckerschwärze, an: „Dann bist du – auch in dem Satz, den andere hobeln, / wer weiß, auf welchem Eiland und wann – / mit Haut und Haar du.“
Das Leitbild der Treibboje nun bezeichnet Bojen, die nicht verankert sind, sondern den Strömungen des Meeres überlassen werden. Sie tauchen ab und auf, sammeln ihre Daten und funken sie nach Hause, verbinden in sich eine wissenschaftliche Zweckausrichtung mit der meerischen Kontingenz der Wellen, die sie bewegen. Das eröffnende Gedicht formuliert, ebenfalls unter dem Titel „Treibbojen“, entsprechend ein poetologisches Programm, dessen Bilder so viel körperlicher Lebendigkeit wie historisches Bewusstsein zeigen. Es beginnt: „sprechen schreiben verknüpfen / wenn das bewusstsein über mir / zusammenschlägt den krill der kultur / in den kiemen“ und schließt: „jedes wort / unschuldig und zugleich heillos / durch geschichten gespannt“ Die Spur des beweglichen Heers von Metaphern wird hier im freien Flotieren aufgenommen. Das erzeugt eine doppelt Dynamik, die eine Ebene des Bandes weithin prägen wird: die Dokumentation verhält sich in aller gebotenen Strenge, aber die Sinnenorgane dieses datensammelnden Körpers selbst sind ein Flaneur. Anwesend und abwesend: hier geht es nicht (mehr oder nur) um den Bürger in zwei Welten, sondern um den Augapfel als Zeitgenosse aller Zeiten. Die Treibboje findet ihr Relief im Abwesenden, wie sie selbst keinen Ort hat und ihre Begegnungen nur in Zeichenkasskaden meldet. Dies wird von Trautsch mit einer Sinnlichkeit des Wortes, Verses und des stilsicher ergriffenen Sprachbildes dargestellt, die klar macht, dass es nicht nur ein theoretischer Überbau ist, den die Verse aufspannen, entfesseln und antasten, sondern dass es gerade um eine Sondierung des Unterbaus geht.
Auch ein komplementärer Topos aus dem Bereich der Nautik wird auf den Wellenkämmen poetologischer Überlegung im Gedicht sichtbar: die Flaschenpost (seit Grünbein wieder virulent, und so gewendet, dass sie nicht mehr das Herzland vermüllt). Sie taucht im Zyklus der „Ansichtskarten“ auf, plötzlich entdeckt an einem sizilianischen Strand. Aber bevor noch klar wird, ob hinter dem grünen Glas tatsächlich ein Zettel wartet oder es nur ein Lichtreflex ist, reißen im Gedicht Brand und Diebstahl verschiedene Datenträger mit sich. Die Flaschenpost erhält die neue Facette der Freiheit vom fixierten, geordneten Dokumentenbalast, die neue schwere Übung des Vergessens und Entleerens in der Datenüberfülle: „alle Postkarten verschickt kein Souvenir / mehr endlich sagt sie / jetzt komm“
Ein weiterer Zug des Bandes ist die Verweisung des Kunstgebildes auf andere Kunstgebilde, um der Welt nahe zu kommen und beide Ufer erreichen zu können. Diese bukolische Lektion, so könnte man es nennen, ist tief in die Gedichte eingeschrieben. „das Laub vorm neonbeleuchteten Kiosk / beansprucht ein Bleiberecht wie das / getrocknete Öl stiller Leben.“ Die Texte nehmen Bezug auf die stille Künstlichkeit aller gesellschaftlichen Gegenwart, die doch noch nicht zur nature morte versteinert ist. Die Szenerien kommen hier oft mit höchster Sparsamkeit aus, wie etwa in „Erinnerung, unangebahnt“. Da genügt, ein Wir, ein Theater, ein Theater im Theater, ein Maler. Die Offenheit der Syntax und der streckenweise Verzicht auf Satzzeichen erzeugen hier oft ein feines Sfumato.
Der zuweilen aufblitzende Widerspruch zu diesem offenen, schlierenziehenden Sfumato, namentlich das scharfe disegno der Fach- und Wissenschaftsbegriffe, die sich immer wieder einschleichen, wird von Trautsch ironisch oder sinnlich zurückgenommen. Der Inhalt, den die „seminarvokabular (ungereimt mit / postrukturalistischer präzision)“ liefern, scheint zwar zuweilen unverzichtbar, aber sie kommen nicht ungeschoren davon. Am Gedicht „Tage im März“, ein Hohelied der Sinnlichkeit, lässt sich die Ambivalenz des Fachworts, dieses gefährlichen Verbündeten, ablesen. Schlägt die zweite Strophe unhintergehbar lyrisch in die Sinne durch („Zwei Silben für Protuberanzen / aus Klängen, / nach Hertz zu verorten, / und Lärm, / Stimmengeschlechter, die sich weich / unter Maschinen- / und Vögelfugati heben (...)“ ) scheinen andere Verbindungen wie „Windhauchtangente“, „olfaktorischer Springflut“ oder „Reizrhapsodie“ zu präzise der Prosa der Wirklichkeit zu Leibe zu wollen – und prosaisieren sich dabei unversehens selbst.
Asmus Trautschs Gedichte nehmen eine schwere Arbeit am Topos vor. Gewiss ist da viel Bildungsgut und ein spezielles Vokabular, das viel Vorwissen verlangt. Das geht für den Leser nicht leichtflüssig. Aber das geschieht und das Wissen wird mobilisiert, wie einleitend bereits bemerkt, in einer Form und Geste als Bestandteil des direkten, sinnlich denkenden Lebens. Die Zeit spielt da keine Rolle, denn hinter der sog. Aktualität oder Authentizität verbirgt sich oft das Missverständnis, ein Neubau ginge mich tatsächlich mehr an als ein Altbau; oder, ins Lyrische gewendet, derjenige, ich sei einem Gedicht bereits näher gekommen, weil mir sein Sprach- und Informationsregister nahe liegt. Hier kommt beides zur Sprache, eine synästhetische Wahrnehmung, die auch einen Zeitsinn mit einschließt. „Es sind ja nicht Pollen nur, / Steine sogar, weißt du, / auch die der römischen Apsiden / rühren wie ein Akkord an den Cilien.“
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