Humorvoll - Kopf an Sonett
Die Wege des Sonetts sind unergründlich. Selten ist eine lyrische Form so schwer und so leicht zugleich, durchlebt so viele Metamorphosen, ohne sich selbst zu verlassen, selten wurden einem Gestaltungsprinzip über so breite Zeiträume so viele verschiedene Ausdrucks- und Inhaltsabsichten unterlegt, untergeschoben, unterstellt. In Deutschland entfaltet sich das Sonett erst spät: nirgends ist der Petrarkismus so verzögert und bereits so verschoben eingeschlagen wie hierzulande. Schon die ersten Musterbeispiele, die Martin Opitz (lange Zeit apostrophiert als Vater der deutschen Dichtung und seinerseits Sohn eines Metzgers) gibt, entstammen der Petrarca-Satire im Geiste eines Francesco Berni. Humorvoll, lächelnd, scherzend nimmt auch Michael Hüttenberger die Form, angereichert mit viel Sprachspiel und einer Prise Lettrismus, in seinem neuen Band „So nette Köpfe“ auf. 24 versiert gebaute und formal beherrschte Sonette versammelt der im darmstädter Druckwerkstatt Kollektiv Verlag erschienene Band. Stilecht schleicht sich hier die satirische Wendung in die kanonische Form des selbstreflexiven Schreibenvorgangs über die Liebe. Das letzte Sonett „Fingerspitzengefühl“ etwa spannt die Szene eines amourös und amouröser werdenden Chat-tête-à-têtes auf. Die geschriebene und digitale Distanz, die hier herrscht, ist auch in der gedichteten Vergegenwärtigung deutlich, weicht aber mehr und mehr veritabler Ergriffenheit. Das lyrische Ich erschreibt sich die Erotik und das präsente Bettgeflüster, während es unter der Anwesenheit der abwesend Angebeteten bebt – zeigt sich aber schließlich schelmisch als Weltkind vor dem Bildschirm. Der letzte Vers des Bandes, reimend auf den „lauten“ Herzschlag des Gegenübers, reißt in der Pointe alles herum: „Und dann hats mir die Tastatur versaut.“
Die Sonette der vier Kapitel stellen also komische Dichtung. Begleitet werden sie von grotesken, karikaturistischen Tuschezeichnungen aus der Feder Ingrid Freiholds: jedem Sonett steht ein Kopf gegenüber, aus wenigen virtuosen Strichen hingestellt. Die Spannung die sich zwischen Text und Kopf herstellt, löst natürlich und vom Titel des Buches angespornt die Frage auf, ob diese Köpfe die Sprecher seien. Aber zumeist können sie zueinander nicht kommen – nicht wegen der Tiefe des Wassers, sondern weil mit fortschreitender Lektüre die Vielfalt der Köpfe und die relativ gleichmäßige Disposition des lyrischen Ichs auseinandertreiben. Aber man fängt dann an, den Hörer des Ichs zu vermuten, seine Beobachter, seine schweigenden Nachbarn.
Der Pointenreichtum und das Augenzwinkern der Gedichte und dieser Bildkombinationen täuscht nicht über einige vertracktere Verspannungen und Aufstellung der Gedichte hinweg, die sich nicht recht mit der Kategorisierung „komische Dichtung“ erledigen lassen. Und wie stets: je mehr Gedichte einen problematisierenden Zugriff auf Welt und Weltwahrnehmung ausagieren, desto mehr Probleme und Schwierigkeiten schaffen sie sich auch selbst. Sprichwörtlich bleibt hier das Lachen in dem Hals stecken, in dem sich die Sprach formiert.
Die thematische Spanne des Bandes reicht von der Natur- zur Liebeslyrik, einige Male wird Zeitgeschichte angedeutet, das lyrische Ich erinnert und erlebt. Die inhaltliche Struktur des Sonetts (so es eine solche denn grundsätzlich tatsächlich gibt) bleibt hierbei oft im Hintergrund – oft aber tritt sie auch zu angestrengt in den Vordergrund. Das Gedicht „Vom Christentum, vom Buddhismus und von der Gartenkresse“ spielt das Schema von These-Antithese-Synthese doch etwas zu offensichtlich durch.
Eine unausräumbare Geschmackssache stellt sich also zuweilen gerade vom Thema her: ob nämlich das poetische Spiel und die ironisierte Form sich nicht doch zuweilen an der Alltäglichkeit des Gegenstandes, den sie besingen und erhöhen wollen, einen Bruch heben. Diese Frage entsteht zuallererst aus der großen handwerklichen Beherrschung der Form, die Hüttenberger demonstriert. Oft wird der Anschluss an Markierungen der Erlebnisdichtung gesucht (besonders deutlich etwa im Titel des Kleist-Reflexes „Über das allmähliche Verfertigen von Sonetten beim Joggen“ oder in den halben Dialogen mancher Liebesbeziehungsgedichte), aber der nonchalante Sprachgestus des lyrischen Ich tritt hier nicht vermittelnd zwischen Form und Inhalt, sondern betont deren Kontrast. Sei es das Erleben, der Inhalt, oder sei es die hohe Künstlichkeit der Form: das Gefühl bleibt, das hier etwas in Mitleidenschaft gezogen wird. Oft ist es dem letzten Vers oder einem Schlusscouplet vorbehalten, die Ergriffenheit der vorhergehenden Verse zu ironisieren, zu entlarven, mit der Pragmatik und Prosa der Verhältnisse zu konfrontieren. Je länger man liest, desto weniger weiß man, ob das Buch für oder gegen die Sonettform geschrieben ist. Dieser Konflikt könnte der Form nur gut tun: den sie bleibt in den lavierenden sozialen Beziehungen und den in Veränderbarkeit dargestellten Landschaften die selbstherrliche, fixe Größe. Auch die häufig aufscheinende, auf sich selbst zurückgebogene poetologische Reflexion kann sie nicht beugen.
Die komische Muse wirkt in diesen Gedichten nicht nur als schelmischer Unterstrom, sondern tritt auch immer wieder an die Oberfläche, zeichnet gleichsam die formale Haut der Texte, zeigt gelingend, dass die Zusammenhangsstiftung des Reims mehr ist als ein linguistisches Phänomen. Das Proömialgedicht des Bandes, vor die vier Kapitel gerückt, kommt in freien Versen daher, metrisch unruhig, aufgelöst. Es spricht von der Schwierigkeit, ja der zunehmenden Unmöglichkeit, Sonette zu schreiben: „Mir dringen Versagensängste bis ins Hirn.“ (hier ahnt man ein Echo aus Robert Gernhards „Unnützen Bemerkungen zu einer wundervollen Formidee italienischen Ursprungs“, wo es ganz ähnlich heißt: „Ich hab da eine Sperre.“) Und dann entpuppt sich Hüttenbergers Eröffnungstext auf den zweiten Blick doch als Sonett. Statt „auf den zweiten Blick“ könnte man auch sagen: beim lauten Lesen. Dass so bereits am Eingang des Bandes eine implizite Lanze für die akustische Sinnlichkeit aller Lyrik gebrochen wird, ist nur einer der sympathischen Züge dieser verspielten Texte.
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