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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Das Poetische, dieses Licht!

Ein Versuch, dem Ereignis des Gedichts auf die Schliche zu kommen.
Hamburg

„Die Stimme des Dichters ist und ist nicht die seine“, zitiert Michael Krüger den Dichter Octavio Paz. „Wie heißt, wer ist es, der meine Rede unterbricht und mich Dinge sagen lässt, die ich gar nicht sagen wollte?“

Dieser Frage spürt Krüger in seiner Rede zur Poesie nach, die er am 1.10.2014 im Lyrik Kabinett München hielt und die nun als schmales Bändchen vorliegt. Der Lyriker und ehemalige Verleger Krüger beginnt jedoch nicht mit dieser Frage, sondern mit einer Verteidigung der Dichtung gegen die akademische Zunft und abgeklärte Profis des Gegenwartsgeschäfts, die „das ganze Dichten und Trachten für eine im Zeitalter der neuen Medien längst überständige Beschäftigung“ hielten.

In erster Linie ist es der Germanist Heinz Schlaffer mit seinem Buch „Geistersprache“, an dem sich der Redner reibt. Schlaffer versus Krüger, Zitat und Widerrede lesen wir auf den ersten Seiten über Begriffe wie Realitätstauglichkeit von Poesie, Dichterstammeln oder Spezialsprachen des modernen Gedichts, das sich, so Schlaffer, „der Gemeinschaft (entziehe), der die Lyrik einst diente“, „sich nicht einmal dem einzelnen, um Verständnis bemühten Leser zu(wende)“, sondern nur mehr „zu einem Selbstzweck“ werde. Es ist ein Sammelsurium an quasi dogmatischen Sätzen Schlaffers, die der Redner auswählt, um ihnen empört entgegenzutreten. Mag sein, dass jener nach Krügers Ansicht den vielen Platz in dieser Rede verdient, doch ist er für nun Nachlesende berechtigt? Nein, meine ich, denn wenn wir jede schlichte Meinung parieren, uns eingehend damit beschäftigen müssten, hätten wir viel zu tun, so viel, dass wir nicht mehr zum Eigentlichen vorstießen, dem Dichten und den interessanteren Fragen nach dem „Woher“, dem „Wie“, dem Mysterium der Inspiration und dem Gelingens eines guten Gedichts, denen Michael Krüger im zweiten Teil seiner Rede nachforscht. Denn, so John Keats, es ist leichter, darüber nachzudenken, was Dichtung sein sollte, als Gedichte zu schreiben.

Was aber ist dichterische Inspiration? Und wie schafft sie durch die Hand von DichterInnen ein vollkommenes Gedicht? Durch Arbeit, Fleiß und Wille? In Auseinandersetzungen mit Lyrikern wie Adam Zagajewski, Paul Valéry oder Hugo von Hoffmansthal sowie Philosophen, etwa Hans Blumenberg oder Peter Bieri, versucht Michael Krüger, sich einer Antwort  zu nähern. Fest stehe, dass die Poesie nicht der Kontrolle durch die aktiven Kräfte des Geistes unterworfen sei und ihre Geburt ... keine notwendige Beziehung zum Bewusstsein oder zum Willen habe. Es brauche offenbar die beständige poetische Praxis, eine lebenslange Aufmerksamkeit gegenüber den Worten und ihren Bedeutungen, um das Tor für den Einbruch des Ungeplanten, für das plötzliche Erscheinen der Epiphanie offen zu halten. Wie dieser unangemeldete Gast zum Dichter findet und wann er erscheint, ist weder dem Bewußtsein bekannt noch der Planung zugänglich. Selbst die Bereitstellung von Lockmitteln ... hat die Inspiration nicht überreden können, in der Sekunde, da sie so dringend gebraucht wurde, aus einer Ansammlung schön geformter Wörter ein Gedicht zu machen.

Und der Züricher Germanist Peter von Matt weiß:

Vollkommen kann das Gedicht nur in dem Maße sein, als es den planenden Willen übersteigt.

Er also das Ungeplante zulasse, sagt (nicht nur) Krüger, diesen Stromschlag des Numinosen, diesen Einbruch des Plötzlichen. So werde das Gedicht dem Autor zuteil, es werde ihm unverhofft geschenkt.

Was ein Gedicht gelingen lässt, ist keine Sache des Willens, notierte Philip Larkin. Ähnliche Sätze u.a. von Robert Creeley und Durs Grünbein zitiert Krüger in seiner Rede. Wer würde da nicht zustimmen können und wollen? Und Dylan Thomas meint:

Kein Dichter würde intensiv der komplizierten Kunst des Dichtens nachgehen, hoffte er nicht, dass sich plötzlich der Zufall der Magie ereignen werde.

Hinter dem Gedicht, so Peter von Matt, steht der Stachel einer einzigen Idee: Der Vollkommenheit.

Diese paradiesische Vorstellung ... ist das ausgesprochene oder verborgene Zentrum des Gedichts, sagt Krüger. Vollkommenheit jedoch sei unerreichbar, man könne sich ihr als Dichter nur annähern. Wir wissen nicht, wie die großen Gedichte entstanden sind, resümiert er. So ist diese Rede eine Bestandsaufnahme ohne letztgültige Antworten, weil es diese nicht gibt, ohne Wissen nicht geben kann. Doch gibt Krüger ein paar Denkanstöße mehr zur Komplexität dieser Fragen.

Michael Krüger · Holger Pils (Hg.) · Frieder von Ammon (Hg.)
Das Ungeplante zulassen. Eine Verteidigung des Dichterischen
Münchner Reden zur Poesie
Buchgestaltung und Typographie von Friedrich Pfäfflin (Marbach). Lektorat Frieder von Ammon
Lyrik Kabinett
2014 · 262 Seiten · 12,00 Euro
ISBN:
978-3-938776-37-7

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