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Am 29. November 1970 lief der erste Krimi der "Tatort"-Reihe in der ARD: "Taxi nach Leipzig" mit Walter Richter als Kommissar Trimmel nach einer Vorlage des bereits damals nicht ganz unbekannten Friedhelm Werremeier. Ein Film, der ursprünglich gar nicht für eine Reihe gedacht war. Das ist vierzig Jahre her. Höchste Zeit für ein Jubiläum. Rüdiger Dingemann hat in einer großen Fleißarbeit alle "Tatort"-Folgen bis 30. Mai 2010 (es sind 765) katalogisiert und ausgewertet. Mit Fug und Recht nennt er das Werk "Tatort-Lexikon". Nicht nur jede einzelne Folge ist dort chronologisch mit einer kleinen Inhaltsangabe aufgeführt (der Sortierungsschlüssel ist einfach: fortlaufende Folge und nach dem Schrägstrich das Erstausstrahlungsjahr). Man findet auch Angaben zur Quote bzw. zum Marktanteil, den Drehbuchautor, Regisseur, die Hauptdarsteller und eine kurze Inhaltsangabe. Urteile und Wertungen fehlen natürlich genau so wie die Auflösung. In zahlreichen Tabellen kann man die Sortierungen nach Ermittlungsteams, Regisseuren, Schauspielern, Gastauftritten und Drehbuchschreibern nachschlagen. Und man erfährt von einem "Giftschrank" – Folgen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr ausgestrahlt werden. Zu Beginn unternimmt Dingemann in einem knapp 30-seitigen Essay eine kleine Zeitreise in die "Tatort"-Geschichte und entdeckt zahlreiche Kuriositäten. Hervorgegangen aus der "Stahlnetz"-Reihe, die sich, im Gegensatz zu den "Tatort"-Folgen, an Originalfällen orientierte, sollte eine Art Gegengewicht zur seit 1968 im ZDF erfolgreichen Krimireihe "Der Kommissar" geschaffen werden. Der Gedanke, den ARD-Föderalismus sozusagen an diversen Schauplätzen mit unterschiedlichen Ermittlern zu spiegeln, erwies sich als Glücksgriff. Neben dem Lösen des Kriminalfalls (meistens war es Mord) spielten auch soziale und berufliche Konflikte sowie das Privatleben der jeweiligen Ermittler eine immer größere Rolle. Das Verhältnis von Kommissar Haferkamp zu seiner geschiedenen Frau, die jeweilige Dame an der Seite des Schmalspurgigolos Kressin (Sieghart Rupp), der Beschäftigungsstatus Schimanskis, dessen viriles Gehabe einem nach kurzer Zeit langweilte oder welches Liedchen nachher Stoever und Brockmöller trällerten. Das Verhältnis von Thiel, dem spröden Hamburger Kommissar in Münster und dem extrovertierten Gerichtsmediziner Börne. Borowskis Verhältnis zur schönen Psychologin (Axel Milberg und Maren Eggert). Da war Kommissar Finke, gespielt vom unvergesslichen Klaus Schwarzkopf, Mitte der 70er Jahre noch von anderem Kaliber und kongeniale Entsprechung zum "Kommissar" (bis in die Optik hinein). Er, der zu gleicher Zeit (fast folgerichtig) Inspektor Colombo die deutsche Stimme gab wie später nie mehr jemand, war einer der seltenen Kommissare, die nicht nur Understatement zeigten, sondern auch nicht der Versuchung erlagen, dies zu inszenieren. Die Tat und deren Aufklärung rückte hier nochmals in den Vordergrund. Später trieben wahlweise bohrende oder sich zierende Vorgesetzte, Staatsanwälte oder Kollegen die Handlung an. Die Widerständigkeit des jeweiligen Ermittlers gegen bestehende Meinungen wurde zu einer Art Qualitätsmaßstab. Manchmal ging einem diese Besserwisserei in ihrer Eindimensionalität auf die Nerven. Schlechte Tatorte erkennt man übrigens daran, dass die eigentliche Krimi-Handlung zur Nebensache wird. Als zweites Kriterium seit einigen Jahren: beim Kommissar oder seinem Gehilfen klingelt immer in dem Moment das Mobiltelefon, wenn es ansonsten nicht mehr weitergeht. Die schwedischen Autoren Maj Sjöwall und Per Wahlöö banden Mitte der 60er Jahre gesellschaftspolitische Themen in ihre Kriminalgeschichten ein. Die beiden verstanden sich als explizit politische Autoren, was bei deutschsprachigen Autoren des Krimi-Genres erstaunlicherweise kaum aufgenommen wurde. Die Milieu- und Gesellschaftveränderungen in deutschen Krimis zeigten sich nie revolutionär, sondern höchstens evolutionär. Die Verbrechen "passten" sich der jeweiligen Zeit an; Kindesmissbrauchsfälle gab es in den 80ern eben noch nicht, während Zolldelikte heutzutage eher unzeitgemäß wirken. Erstaunlich, wie das Genre des anspruchsvollen Wirtschaftskrimis nach wie vor kaum vorkommt. Da fehlen wohl die Autoren. Wenn man heute "Tatort"-Filme aus den 70er oder 80er Jahren anschaut scheint einem ein anderes, längst vergangenes Land entgegen – und damit sind nicht die Kulissen gemeint. Diese Fremdheit überkommt einem bei den statischen Reinecker-Kammerspielen ("Der Kommissar", "Derrick") viel weniger, was diesen eine erstaunliche Zeitlosigkeit, ja fast Universalität verleiht. Insofern sind die meist ins Epische gehenden "Tatorte" Zeitgeschichte einer sich gewandelten Republik. Hierüber weiß Dingemann Erstaunliches zu erzählen und es ist schade, dass schon nach 30 Seiten Schluss ist. Inzwischen werden "Tatort"-Folgen fast wie am Fließband produziert. Es sind mehr als 30 Folgen im Jahr (bis 1994 gab es nur 15-18 Folgen, danach stieg die Produktion kontinuierlich an). Hinzu kommen die zeitlich immer schnelleren Wiederholungsintervalle besonders in den Dritten Programmen. Zusätzlich hat sich das Kriminalfilm-Angebot im Fernsehen enorm ausgedehnt (damit sind noch nicht einmal die amerikanischen Serienproduktionen gemeint). Der Ereignischarakter eines "Tatort" ist außer bei den hartgesottenen Fans fast ganz verschwunden. Natürlich werden Marktanteile von mehr als 60% wie in den 70er Jahren aus bekannten Gründen nicht mehr erreicht. 2008/2009 erreichte man 18% und 23% pro Folge (von Mai 2009 an gibt es diese Angaben nicht mehr im Buch), das waren noch zwischen 6,5 und 9 Millionen Zuseher.
Dingemann hat recht wenn er konstatiert, der "Tatort" sei eine "Mainstream-Serie".
Diese Massenkompatibilität war immer angestrebt. Kultische Verehrung einiger
Kommissare trat fast immer retrospektiv ein, wenn der Zeitgeist nachträglich
betrachtet besonders gut getroffen schien. Problematisch wird es immer dann,
wenn die Protagonisten nur noch als Typen funktionieren und von einer Regie
derart in ihre Rollenklischees gepresst werden, dass sie nur noch zu ihren
eigenen Darstellern werden. Dies gilt auch für die immer mehr in Beliebige
abdriftende Regionalisierung. Die Orte sind reine Kulissen. In den letzten
Jahren häuften sich die Versetzungen "ortsfremder" Kommissare: beispielsweise
ermittelt im Saarland ein Bayer oder in Münster ein Hamburger. Regional- oder
Lokalkolorit wird dabei fast nur noch als skurril-possierliche Folklore
inszeniert – falls überhaupt. Man mag diese Überwindung des in Deutschland eher
schlecht beleumundeten Provinzialismus goutieren. Andererseits ist der Trend zur
Regionalisierung in Europa in Anbetracht des Moloch EU immer sichtbarer und
wirkungsmächtiger. Insofern könnte man vom "Tatort" noch einiges erwarten.
Gregor Keuschnig |
Rüdiger Dingemann |
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