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Der um einen Tag verspäteten Öffnung des Berliner Reichtagsgebäudes sei, so die in New York lebende Anne Nelson, ihre jetzt auch in deutscher Sprache vorliegende Monographie über die so genannte Rote Kapelle zu verdanken. Anstatt unter Normann Fosters imposanter gläserner Kuppel zur Spitze des Reichstages empor zu steigen, gelangte die Amerikanerin an ihrem letzten Abend in Berlin zufällig in die ehemaligen Gestapokeller der nahe gelegenen Prinz-Albrechtstasse Nr. 8, wo gerade eine Ausstellung Dokumente des deutschen Widerstandes gegen die Nazidiktatur zeigte. Für die engagierte Journalistin war es damals, im Jahre 1999, eine anregende Überraschung zu erfahren, dass es außer dem militärischen Kreis um Graf v. Stauffenberg oder der Weißen Rose noch andere deutsche Widerstandsgruppen im Dritten Reich gegeben hatte. Insbesondere zwei Frauen aus dem inneren Kreis der so genannten Roten Kapelle mit engen Bezügen zu Amerika fanden sogleich ihr Interesse. Die eine hieß Mildred Fish, stammte aus Milwaukee und war die Ehefrau des deutschen Juristen Arvid Harnack, dem Spross einer weit verzweigten Intellektuellenfamilie, die zweite war Greta Lorke-Kuckhoff, eine der wenigen Überlebenden der Gruppe, die später in der DDR vergebens dagegen kämpfte, dass der Widerstand ihres hingerichteten Mannes, Adam Kuckhoff und seiner Freunde, als kommunistische Ruhmestat propagandistisch ausgeschlachtet wurde. Anne Nelsons ersten Recherchen über die beiden Frauen folgte bald der Entschluss, die Geschichte dieser in Wirklichkeit nur lose zusammenwirkenden Gruppen und Kreise zu schreiben, zu denen zuletzt mehr als 150 Personen gehörten und die ihren einprägsamen Namen „Rote Kapelle“ der deutschen Funkaufklärung und den Vernehmungsakten der Gestapo verdankte. Herausgekommen ist dabei ein durchaus lesenwertes Buch, das aber vor allem einem amerikanischen Publikum gewidmet ist, für dessen Mehrheit offenbar immer noch alle Deutschen unter dem Dritten Reich schlicht Nazis waren. Geschickt versteht es die Autorin, die verschiedenen Lebenswege ihrer Protagonisten zu einem geschlossenen Erzählstrang zu verdichten und in den zeitlichen Kontext einzufügen. Dabei gelingt es ihr, ein lebendiges Panorama des avantgardistschen Berlins der Weimarer Zeit und seines abrupten Untergangs in den ersten Jahren der Naziherrschaft zu entwerfen. Über manche historiographischen Unschärfen muss man allerdings hinwegsehen. So etwa schreibt Anne Nelson, Hitler habe 1919 der schwarzen Reichswehr angehört oder Wilhelm Canaris, der Abwehrchef der Deutschen Wehrmacht, habe persönlich im Jahre 1940 General Franco davon abgehalten, an der Seite des Dritten Reiches in den Krieg gegen Großbritannien einzutreten. Auf 440 Seiten erzählt die Autorin die beklemmende Geschichte einer Gruppe meist junger Leute, die sich, politisch und literarisch stark engagiert, über den raschen Verfall der ersten deutschen Demokratie sorgten und schließlich mit Entsetzen erfahren mussten, wie eine angeblich zivilisierte Nation in der Mitte Europas den Nationalsozialisten in breiter Mehrheit willig in die Barbarei folgte. Für viele von ihnen war die Entscheidung, in Deutschland zu bleiben und sich der wachsenden Gewalttätigkeit des Regimes zu widersetzen, ein bewusster Entschluss, getragen von der allerdings nur vagen Hoffnung, es ließe sich irgendwann doch noch ein breiter Widerstand der Anständigen gegen Hitler organisieren. Entgegen dem bisher vor allem in der DDR gepflegten Bild waren die Oppositionellen um den Luftwaffenoberleutnant Harro Schulze-Boyson, einem Großneffen des kaiserlichen Admirals Alfred v. Tirpitz sowie dem Dramatiker und Romanschriftsteller Adam Kuckhoff in erster Linie keine kommunistischen Agenten, sondern politisch engagierte Bürger aus höchst unterschiedlichen Milieus, die zuallererst bemüht waren, ihren noch verbleibenden politischen Spielraum unter einer sich rasch festigenden Diktatur auszuloten. Dazu zählte die Herausgabe von Untergrundzeitungen ebenso wie die Verteilung von regimekritischen Flugblättern und da, wo es möglich war, auch die Unterstützung bedrohter jüdischer Bürger. Auch wenn angesichts der sichtbaren Exzesse eines im liberalen Geiste entfesselten Börsenkapitalismus viele Angehörige der Widerstandsgruppe durchaus offen für eine staatliche Lenkung der Wirtschaft waren, darunter auch der überwiegend in konservativen Kreisen verkehrende Arvid Harnack, so ergab sich daraus jedoch noch keineswegs eine geistige Nähe zum Kommunismus. Tatsächlich gehörten Kommunisten wie der Deutsch-Amerikaner John Sieg, der sich später in einer Gestapozelle erhängte, zum aktiven Kreis der Gruppe, doch ideologisch prägend war seine Mitwirken nicht. Alle einte nur der Abscheu vor Hitler und sein verbrecherisches Regime. Nelson beschreibt anschaulich, wie sich die führenden Köpfe der Gruppe über die noch offenen Kanäle verzweifelt um Akzeptanz von Seiten der Westmächte bemüht hatten, dort aber nur auf britische Arroganz oder amerikanische Gleichgültigkeit stießen. Als schließlich die Vereinigten Staaten sich doch entschlossen, im November 1942 mit dem für konspirative Kontakte offenen Allan Dulles, dem späteren CIA-Chef, eine geheimdienstliche Anlaufstelle in der neutralen Schweiz aufzubauen, war es für den Kreis um Schulze-Boysen, Harnack und Kuckhoff längst zu spät. Zu diesem Zeitpunkt warteten sie bereits in Gestapohaft auf ihren Prozess. Die Zusammenarbeit mit Stalins Terrorreich war ihnen schließlich als der einzige Weg erschienen, Hitlers weltpolitische Ambitionen noch zu vereiteln. Tatsächlich aber mochte der andere Diktator, von Schulze-Boysen noch am 17. Juni 1941 eindringlich gewarnt, nichts von einem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wissen und empfahl, den angeblich zweifelhaften Informanten zu seiner „Hurenmutter“ zurückzuschicken. Fünf Tage später hatte sich jedoch die Sichtweise der Sowjets radikal geändert. Verzweifelt bemühte man sich nun in Moskau um die Mitarbeit der offenbar ergiebigen Berliner Gruppe und ließ sogar zwei Funkgeräte in die Reichshauptstadt schmuggeln. Zwar konnte damit nicht ein einziges Wort nach Moskau übermittelt werden, doch das blutige Ende der Berliner Hobbyagenten war damit bereits besiegelt. Den entscheidenden Fehler begingen indes die Sowjets, die offen Namen und Adressen der Beteiligten nach Brüssel funkten, damit sich ihr dortiger Agent, Leopold Trepper, um die offenbar defekten Sender in Berlin kümmern sollte. Mit ihrer stümperhaften Aktion lieferten sie die „Rote Kapelle“ buchstäblich ans Messer. Innerhalb weniger Wochen wurden im Sommer 1942 76 Angehörige der Gruppe verhaftet und im Dezember vor ein Reichsgericht gestellt. Bis Januar 1943 endeten 40 ihrer führenden Mitglieder auf dem Schafott oder an Fleischerhaken, die eigens zur qualvollen Ermordung der männlichen Angeklagten in der Vollzugsstätte Plötzensee angebracht worden waren und später auch zur Tötung der Verschwörer des 20. Juli benutzt wurden. Unter den Ermordeten war auch die 40-jährige Mildred Fish-Harnack die einzige Amerikanerin, die unter der Hitlerdiktatur aufs Schafott musste. Mehr als ein verzweifeltes Zeichen, ein moralisches Signal an die Welt, dass Deutschland nicht nur von Nazis bewohnt war, blieb von den Angehörigen der „Roten Kapelle“ wie auch anderer Widerstandsgruppen nicht übrig. Die tatsächliche Wirkung des Widerstandes auf den Lauf der Ereignisse war marginal, darüber kann auch der Respekt vor dem persönlichen Mut der Beteiligten, die fast alle wussten, worauf sie sich einließen, nicht hinwegtäuschen. Dass aber auch die westlichen Siegermächte nach dem Krieg im Zeichen des sich rasch verhärtenden Kalten Krieges nicht bereit waren, den hohen Einsatz der Angehörigen der „Roten Kapelle“ zu würdigen, sondern ihn als kommunistische Spionage abtaten, kommt tatsächlich einer zweiten Exekution gleich.
Auf den ersten Blick hat
Anne Nelson ein facettenreiches und engagiertes Buch über eine im Westen noch
lange diffamierte Widerstandsgruppe geschrieben. Ihre mangelnde Distanz zu ihren
Protagonisten wirkt jedoch als fühlbarer Makel, denn man könnte durchaus
kritisch anmerken, dass sich andere Widerstandsgruppen wie etwa der so genannte
Kreisauer Kreis keineswegs auf eine halsbrecherische Zusammenarbeit mit den im
Vergleich zu den Nazis um keinen Deut besseren Stalinisten eingelassen haben.
Offenbar waren doch Helmuth James Graf v. Moltke und Adam Graf v. Trott zu Solz
von anderem Kaliber als ein sprunghaft agierender Leutnant in Görings
Ministerium oder einige beschäftigungslose Literaturkritiker, die mit ihren
amateurhaften Aktionen nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Verwandten und
Freunde in Lebensgefahr gebracht haben. Anne Nelsons wiederholte Betonung, dass
es sich bei Harro Schulze-Boyson und Arvid Harnack um hochrangige
Persönlichkeiten innerhalb der Ministerialbürokratie gehandelt haben soll, kann
daher nicht wirklich überzeugen. Es wäre in diesem Zusammenhang interessant
gewesen, auch einmal den Versuch einer Klärung zu unternehmen, welche Wirkung
Flugblätter im Zweiten Weltkrieg überhaupt hatten. Die Alliierten warfen sie
millionenfach ohne erkennbare Wirkung ab. Für ihre kühne Behauptung, dass die
mühevoll von Mitgliedern der „Roten Kapelle“ vervielfältigten und heimlich
verschickten Reden des Münsteraner Bischofs Clemens v. Galen dazu beigetragen
haben sollen, das Euthanasieprogramm zu stoppen, bleibt die Autorin indes den
Beleg schuldig. Irritierend erscheint bei Nelson auch ihre häufige Nutzung von
Internetquellen, deren ständige Veränderbarkeit eine seriöse Nachprüfung ihrer
Angaben fraglos erschweren dürfte. Auch wird bei Anne Nelson nicht wirklich
klar, weshalb sich Greta Kuckhoff, die angeblich keine Kommunistin war, später
von Funktionären der SED ihre Memoiren zensieren ließ. Als Rentnerin hätte sie
doch jederzeit den „Arbeiter- und Bauernstaat“ verlassen können, um sich im
Westen einen Verleger zu suchen. |
Anne Nelson |
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