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John Glasscos leidenschaftliche, farbenprächtige und stimmungsvolle
Liebeserklärung an Paris, die 1920er Jahre und die Literatur. Ein junger Mann aus Montreal begibt sich Ende der 1920er Jahre gemeinsam mit einem Freund nach Paris. Die beiden wollen Schriftsteller werden und suchen deshalb die Bekanntschaft mit der europäischen Literatur- und Kunstszene, die sich in jenen Jahren in der französischen Metropole aufhält: Joyce, Hemingway, Man Ray, Gertrude Stein, Picabia, Duchamp und andere. Sie sprechen bereits in London mit Georges Moore, dem irischer Schriftsteller und Kunstkritiker, einen Tag vor der Weiterfahrt nach Paris. Glassco gesteht Moore, ihn habe insbesondere das 1916 erschienene The Brook Kerith beeindruckt. Moore spielt darin mit dem Gedanken, Christus sei nicht gestorben, vielmehr habe man ihn nach der Kreuzigung rasch gesund gepflegt. Der Roman stieß bei seiner Veröffentlichung auf heftige Proteste. In „Die verrückten Jahre“ vermutet Glassco, Georges Moore sei fast 90 Jahre alt. Tatsächlich starb er 1933 im Alter von 81 Jahren in London. Demnach wäre er bei dem Treffen etwa 76 Jahre alt gewesen. John Glassco schildert die Goldenen 20er Jahre in einer Mischung aus autobiografischer Skizze und lebhafter Fiktion. 1970 zum ersten Mal erschienen, liegt dieser wundervoll poetische Bericht nun auf Deutsch vor und breitet ein Tableau skurriler, mitunter melancholischer Geschichten aus. Wirklich, es sind verrückte Jahre (Memoirs of Montparnasse), in denen auch Ezra Pound auftaucht, obwohl er zu dieser Zeit Paris eigentlich schon den Rücken gekehrt hat. Derweil ziehen die beiden jungen kanadischen Talente, neben Glassco dessen Freund Graeme Taylor, ohne Aufenthaltserlaubnis gut zwei Jahre durch die Cafés, Bars und Brasserien, nach eigener Auskunft unfähig, „aus Büchern noch etwas zu lernen.“ In der französischen Hauptstadt lernen sie den Surrealismus kennen, aber auch Jazz, Ginfizz, Akkordeonmusik, zerlumpte Clochards und zwei Freunde, die besonderen Einfluss auf sie haben werden: den amerikanischen Schriftsteller Robert McAlmon und eine gewisse Mrs. Quayle, in die sich Glassco unsterblich verliebt, nachdem seine kurze, doch intensive Affäre mit Kay Boyle beendet ist. Die beiden Abenteurer machen zudem Bekanntschaft mit Adolf Dehn kurz vor dessen Rückkehr nach Amerika, sowie mit dem seinerzeit in Italien ansässigen Kunstsammler Leo Stein. In Paris locken sie die Luxusbordelle: „Ah, les jolies pou-poules, fi-filles de joie de Paris! Achetez, achetez le Guide Rose! Toutes les jolies petites pou-poules des Paris! Dix francs, dix francs!“ sowie die schnellen Autos, vor allem die Bugattis. Zusammen mit Taylor besucht Glassco das Hotel Jules César, Les Noctambules, das Café le Dôme und selbstredend - das Falstaff: „All diese Bars waren amüsant und komfortabel, aber der besondere Reiz des Falstaff bestand im Kontrast zwischen der altmodischen Holztäfelung und den gepolsterten Sitzen und der eigenwilligen Art von Barmann Jimmy Charters, einem ehemaligen Preisboxer, und Kellner Joe Hildesheim, der aus Brooklyn kam und nur Joe the Bum hieß. Das Falstaff gehörte zwei Belgiern, die sich zudem eine Geliebte teilten, Madame Mitraine, eine recht mollige hübsche Frau mit grauen Augen. Die drei saßen jeden Abend in der Kaminecke, ohne sich in irgendwelche Dinge einzumischen, und beschränkten sich darauf, bei Geschäftsschluss um zwei Uhr morgens Kasse zu machen.“ Gemeinsam unternehmen Glassco und Taylor auch eine Reise ins benachbarte Luxemburg, ehe sich Glassco selbst prostituiert, um an Geld zu kommen, da sein Vater ihm zusehends die Mittel streicht. All diese Erinnerungen schreibt er nach eigener Auskunft zwischen 1928 und 1933, kurz vor seiner Tuberkulose-Operation in Montreal. Vom März 1967 stammt ein Postskriptum, das auf gut einer Seite die letzten Monate bis zu seiner Heimreise im Frühjahr 1930 rekonstruiert. Tatsächlich dürfte nahezu das gesamte Buch aus dieser Zeit stammen. Denn obwohl Glassco drei Monate nach der Überfahrt mit einem kanadischen Frachter, im Mai 1928, nachweislich mit seinen Aufzeichnungen beginnt, weist Louis Begley zu Recht im Vorwort auf Michael Gnarowskis 1995 dargelegte Erläuterungen zur Entstehungsgeschichte des Romans hin, die besagen, dass die Memoirs ganz bestimmt aus den späten 1960er Jahren stammen. Aufmerksame Leser werden sich gewiss auch rasch über Formulierungen wie „damals“ (in Kapitel 2) wundern, da Glassco doch nur über seine drei Monate zurückliegende Überfahrt schreibt. Aber auch über die kurze Zeit später verfasste Passage „Wir haben Paris umso mehr genossen, da wir fast immer nach Lust und Laune essen und trinken konnten“ muss stolpern, wer davon ausgeht, Glassco habe das Buch noch in seiner Pariser Zeit geschrieben.
Es war also nicht der
Zwanzigjährige, hochtalentierte Schriftsteller, der über ein enzyklopädisches
Wissen der Literatur verfügte und dieses Buch verfasste, sondern der drei Mal so
alte, nahezu unbekannt gebliebene Glassco. Nichtsdestotrotz sind seine
Erinnerungen eine leidenschaftliche, farbenprächtige und stimmungsvolle
Liebeserklärung an Paris, die 1920er Jahre und die Literatur.
Jürgen Nielsen-Sikora |
John Glassco |
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