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Der höchst bizzare Vorgang hätte unangenehmste Konsequenzen haben können, wenn es nicht dem Vater, einem erfolgreichen New Yorker Geschäftsmann mit deutschen Wurzeln gelungen wäre, die Universitätsleitung von einer Anzeige abzuhalten. Oppenheimer durfte auf Probe bleiben, musste sich aber in die Behandlung eines bekannten Londoner Psychiaters begeben. Der angehende Physiker sollte noch einige Zeit unter seiner extremen Jugendkrise leiden, von der ihn auch ein auf Betreiben der besorgten Mutter konsultierter Pariser Arzt nicht befreien konnte. Der diagnostizierte recht obskur eine „crise morale“ und empfahl eine Kur mit Aphrodisiaka, ein eindeutiger Hinweis auf die sexuelle Dimension des Problems. Bezeugt ist ein weiterer seltsamer Vorfall, ein vielleicht nicht ganz ernst gemeinter Mordversuch, den der außergewöhnlich schmächtige Oppenheimer ausgerechnet an seinem damals besten Freund, Francis Fergusson, verübte, indem er ihm unvermittelt einen Gürtel um den Hals schlang. Verständlicherweise hielt das überraschte Opfer, das Oppenheimer in diesem Augenblick eher beiläufig eröffnet hatte, bald eine gemeinsame Bekannte zu ehelichen, vorerst einige Monate Abstand von seinem so unberechenbaren Freund. Für erste Hilfe aus der emotionalen Sackgasse sorgten dann ein Korsikaaufenthalt und die Lektüre von Proust. Endgültig aber brachte wohl den verwirrten Oppenheimer erst ein Studienaufenthalt bei Max Born in Göttingen auf jenen Weg, der schließlich über eine Professur in Berkeley in eine der bemerkenswertesten Wissenschaftskarrieren des 20. Jahrhunderts münden sollte. Zu völliger emotionaler Normalität hat der sich nun zum Protagonisten der neuen und revolutionären Quantenphysik entwickelnde Oppenheimer jedoch offenbar nie gefunden. Schon beinahe auf der Höhe seines Ruhmes als Leiter des Manhatten-Projektes soll er ein befreundetes Ehepaar, dass sich einige Zeit um seine kleine Tochter gekümmert hatte, im vollen Ernst gefragt haben, ob sie das Kind nicht adoptieren wollten. Neben diesen eher befremdenden Seiten ihres Protagonisten erzählen Bird und Sherwin virtuos und mit profunder Quellenkenntnis die Geschichte eines einzigartigen Mannes, der als erster Naturwissenschaftler einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden sollte und dem es auch gelang, zumindest zeitweise Einfluss auf die Politik seines Landes zu gewinnen. Man kann diese gewichtige Biografie eines genialen Physikers, die zugleich auch eine bemerkenswerte Epoche der Wissenschaftsgeschichte wiederaufleben lässt, nicht genügen loben. Den Autoren ist es gelungen, die komplexe Persönlichkeit ihres Protagonisten im Verlauf seines wechselvollen Lebens hervortreten zu lassen, wobei sie sich mit ihren Deutungen oder Wertungen eher zurückhalten und lieber Zeitzeugen zu Wort kommen lassen. Gewiss hat ihre Darstellung auch dadurch gewonnen, dass sie die Vitae und Charakteristiken der für Oppenheimer maßgeblichen Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Privatleben geschickt in den Text eingefügten, ohne dass man sich als Leser abgelenkt fühlt. Entstanden ist somit nicht nur eine fast perfekte Biografie, sondern auch ein beeindruckendes Stück Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, in der die revolutionären Entdeckungen einer Jeunesse Dorée selbst den Altmeister der theoretischen Physik, Albert Einstein, zu der unwilligen Bemerkung reizten, dass der „Alte“ eben doch nicht würfele.
Der
bemerkenswerte politische Siegeszug der Quantenmechanik in der Person Robert
Oppenheimers endete schließlich jäh in dem paranoid inquisitorischen Klima der
Eisenhower-McCarthy Ära. Dramaturgisch geschickt legen Bird und Sherwin bereits
in der Phase seines Aufstiegs all jene zunächst noch unbedeutend erscheinenden
Fallstricke, die in den 1950er Jahren zu Oppenheimers tiefen Sturz führten. In
einem gewandelten politischen Klima aus Furcht und übersteigertem
Sicherheitsbedürfnis war Oppenheimer nicht bereit, die ihm zugedachte Rolle des
Kalten Kriegers zu übernehmen. Auch wenn er den Bau der Atombombe nie bereut
hatte, so wie es ein in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik erschienenes
Drama aus der Feder Heinar Kipphardts nahe legen will, machte er sich doch nach
den sinnlosen Massakern von Hiroshima und Nagasaki für einen offenen Umgang mit
der nuklearen Technik stark. Nur so ließe sich ein verhängnisvolles Wettrüsten
mit der Sowjetunion auf Dauer verhindern. Oppenheimers Tragik bestand darin,
dass seine Gedanken zur Offenlegung des atomaren Potentials der vereinigten
Staaten erst zwei Dekaden später aufgegriffen wurden, um dann zumindest
ansatzweise in den SALT Vereinbarungen verwirklicht zu werden.
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Kai Bird/
Martin J. Sherwin |
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