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Zur Leere der neuen politischen Philosophie
Anmerkungen zu Slavoj
Žižeks und
Jacques Rancières Bemühungen der
Wiedergeburt des Subjekts aus dem
Frust der Theorie.
Von Goedart Palm
»Das Private ist das Politische«
In
der grassierenden Politik- und Demokratieskepsis artikulieren sich Widerwillen
und offene Ablehnung, die antik geprägten und tausendfach überformten,
hochtönenden Formeln von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie noch länger dem
Gehalt realer gesellschaftlicher Prozesse zu unterlegen. Kann Politik überhaupt
theoretisch mit fein ziselisierten Instituten erfasst werden, die auf dem
Reißbrett des Philosophen more geometrico konzipiert werden? Könnte man nicht
„Politik“ das allgemeinste Instrument nennen, das erst der Verwender für seine
je spezifischen Zwecke formt, so wie es eine Theologie der Offenbarung gibt, der
dann eine Theologie der Befreiung oder eine Theologie „von unten“ konfrontiert
werden. Und doch soll nur ein Gott sämtliche Zuständigkeitsprobleme lösen. Aber
bekanntlich kam es ja in irdischen Angelegenheiten noch schlimmer: „Das Private
ist das Politische“. Ob Dieter Kunzelmann seine Orgasmusprobleme öffentlich
aufdrängte oder Studentinnen in den 1970ern „Mein Bauch gehört mir“ skandierten,
diese Politiken verlassen die aristotelischen Markierungen zwischen Heim und
Marktplatz zugunsten der politischen Totalität aller Lebensverhältnisse. In der
globalen Oikopolis kann kein Gegenstand noch länger reklamieren, nicht politisch
zu sein, während klassische Politik als symbolschwaches Inszenierungstheater
oder arkane Machtpolitik pervertiert.
Die
Wiedergeburt des Subjekts aus dem Frust der Theorie
Nach Jacques Rancière
eignet sich die tradierte Philosophie das Politische so an, dass dessen
skandalöse Praxis geleugnet werde. Einfach, aber paradox gefasst: Die politische
Philosophie wird zum Exorzismus des Politischen. Louis Althusser dekretierte
zuvor noch, dass die Philosophie Klassenkampf in der Theorie sei, was die
Theorie zu einer Unterabteilung des politischen Handelns machte. Der zentrale
Angriff der postmarxistischen Linken richtet sich zuvörderst gegen
„Post-Politik“, die Ideologie(n) und offene Konflikte verabschiedet, um sie in
Kollaborationen von aufgeklärten Technokraten und Multikulturalisten in einer
Fassaden-Demokratie zu ersetzen. Nach Colin Crouch heißt "Post-Democracy" unter
anderem, dass global agierende Phantomunternehmen ohne Orts-, Kunden- oder
Warenbindungen den Staat verdrängen. Gibt es, wenn wir Jacques Rancière folgen,
noch ein rebellisches Dorf, vielleicht in Gallien, das gegen das globale
römische Reich transnationaler Unternehmen den Aufstand wagen könnte: „Die
politische Handlung hält sich immer im Dazwischen auf, zwischen der
´natürlichen´ Gestalt, der polizeilichen Gestalt der Verkörperung einer
funktionsmäßig geteilten Gesellschaft und der Grenzfigur einer anderen, archi-
oder metapolitischen Verkörperung“ (Jacques Rancière). Den von Ernesto Laclau,
Jacques Rancière, Slavoj Žižek, Alain Badiou und anderen präsentierten
Verortungen einer neuen linken Politik ist gemeinsam, nur mit Mühe und
metaphorisch oft fragil, zwischen den Positionen des klassischen Marxismus, der
Post-Politik und tradierten bürgerlichen Demokratiekonzeptionen zu manövrieren,
um nun unter globalen Wetterbedingungen in das gelobte kommunistische Land zu
gelangen. Entsprechend surreal fallen die Topografien aus, wenn etwa Alain
Badiou von der „Leere der Situation“ oder der Leere als dem eigentlichen „Sein
des Ortes“ spricht so wie Ernesto Laclau vom „leeren Signifikanten“, dem folgend
Slavoj Žižek „Das Ding und die Leere“ untersuchen möchte. Ist dieser
postmarxistische „Leerlauf“ das semantische Symptom einer zutiefst verstörten
Theorie, die verzweifelt um ihre „raison d'être“ kämpft, ohne den Hiatus
zwischen Theorie und Praxis, Subjekt und Massen, Proletariat und Intellektuellen
– auch das alles Leeren! – zu überwinden. Ist die „Leere“ der geheime Nichtort
dieser Theorie?
Wenn
die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert haben, es aber darauf
ankommt, sie zu verändern, sollten solche philosophisch idiosynkratischen
Diskurse Marginalien sein. Folgen wir Ernesto Laclau ist die Dekonstruktion des
klassischen Marxismus allerdings ein schwieriges Unterfangen: „Das heißt, was
wir erkannten, ist, dass das Subjekt durch eine Vielfalt der Subjektpositionen
konstruiert wird, dass eine wesentliche Uneinheitlichkeit zwischen diesen
Positionen existiert und dass es fortwährende Praktiken der Reartikulation
gibt.“ Wenn sich Identitäten nicht mehr längerfristig homogenisieren lassen,
begegnen wir wechselnden Bündnissen, die nicht mehr auf eingeschworene
Mitglieder rekurrieren, die jederzeit ein identisches
Weltanschauungsmarschgepäck mit sich herumtragen müssen, wie das bei aller
Diversifikation unabdingbar für marxistisch-leninistische Klassenkämpfer war.
Slavoj Žižeks Hinweis auf die konkrete Erfüllung von partikularen Forderungen,
ohne dass der doch notwendig zu erwartende Befriedungseffekt eintritt, macht
dieses überschießende Potential des vorgeblich neuen Geschichtssubjekts in
hegelianischer Manier deutlich. Es geht um die „konkrete Totalität“ des
spekulativ entfalteten Begriffs, in dem jedes seiner Momente zugleich das Ganze
ist. Das Atomkraftwerk wird nicht gebaut, also geht jetzt nach Hause! Politische
Subjektivität hat eine unbefriedete Tendenz, wenn das Ausgeschlossensein sich an
Forderungen festmacht, deren Erfüllung nicht den universalen Anspruch
befriedigt. Jacques Rancière führt das auf die Subjektkonstitution selbst
zurück: Es geht um „Subjekte, die sich immer von sich selbst unterscheiden.“ Das
ist jenseits der postmodernen Schizo-Formulierung zunächst die Wiederkehr des
Klassenbewusstseins als revolutionäre Totalität, die „nicht vom Denken usw. des
Einzelnen bestimmt ist und nur aus diesem Bewusstsein erkennbar ist“ (Georg
Lukács). Insbesondere die Klasse der "déclassés" ist ein alter Wiedergänger der
linken Theorie, von dem theorieungläubigen Louis-Auguste Blanqui als der
„geheime Gärungsstoff“ im proletarischen Kampf gefeiert. Zum Faszinosum des
Neoblanquismus werden daher Irritationsformeln, die der Partikularität auf die
paradox universalistischen Sprünge hilft: „Wir sind alle deutsche Juden“, „Wir
sind alle Fremdarbeiter“ etc. Die revolutionäre Minorität definiert sich als
diskriminierte Minderheit und vollzieht das, was Georg Lukács als proletarischen
Bewusstwerdungsprozess des gesellschaftlichen Charakters der Arbeit beschrieben
hat: „die abstrakte Allgemeinheit der Erscheinungsform des gesellschaftlichen
Prinzips immer mehr zu konkretisieren und zu überwinden.“
Internationale Solidarität
Wie
soll eine globale Subjektivität als politisch solidarische Ressource „neu
erfunden werden“ (Slavoj Žižek)? Das „Subjekt“ bleibt eine diffuse
Schnittstelle, wenn nicht ein kategorialer Fehler, immer am Abgrund der Systeme,
jedoch augenscheinlich mit einer Kraft, die den theoretischen Glauben an seine
ewige Wiederkehr nährt. Denn „das Stabilitätsgeheimnis der Subjektkategorie ist
ihre Überdeterminierung“ (Wolfgang Fritz Haug), wenn hier nicht nur alle
Weltmomente transzendental und reflexiv zusammenlaufen, sondern auch kollektive
Standpunkte oder gar epistemisch-ontologische „Parallaxen“ Meta-Subjekte
gebären.
Hier wie anderenorts
besteht der Verdacht, dass die Theorie selbst das eigentliche Subjekt des neuen
Klassenkampfs ist, so flickenhaft auch ihr Überwurf über die unbotmäßigen
Verhältnisse ist. Žižek redet vom politischen Kampf, der konkret sei gegenüber
vormaligen idealistischen Solidaritäten. Politik heute sei dagegen nur die
Aushandelung von Kompromissen zwischen einzelnen Standpunkten. „Entscheidend ist
jedoch, dass es zu einer neuen Art transnationaler Massenmobilisierung kommt,
auch wenn ich nicht weiß wie.“ Toyota weiß vielleicht mehr. In einem Werbespot
im Frühjahr 2010 wird gezeigt, wie das neue Auto aus den Werkstätten und
Fabriken dieser Welt in qualifizierten Teilleistungen Einzelner entsteht. Alle
diese engagierten über das Produkt und ihre Motivation solidarisierten Arbeiter
reklamieren emphatisch bis energisch in ihrer jeweiligen Landessprache: „My
Toyota.“ Das ist „internationale Solidarität“ und zugleich die hochmotivierte
Eigensinnigkeit des Subjekts, das sich der konkreten Totalität einer effektiven
Technik in einer globalen Produktionsgemeinschaft verpflichtet weiß. „Ihr Toyota
ist auch mein Toyota“ lautet folglich das radikalegalitäre Fazit. Die Pointe
dieser kapitalistischen Negation der Entfremdung liegt in der Adaption der
marxistischen Freiheitserzählung, die Gemeinschaft und Subjektivität vermittelt.
Es ist kulturkritisch müßig, das als Ideologie zu denunzieren, wenn doch gerade
in der marxistischen Realpolitik eben dieses Ideal ebenso leicht verfehlt wird.
Slavoj
Žižek ist frustriert über die „Attitüde der Beschwichtigung“, in der Wirtschaft
eine bloße Folge des Daseins ist, demgegenüber er für eine „Repolitisierung der
Ökonomie“ plädiert: „Die Erbsünde für mich ist, dass die Linken die
Entpolitisierung der Wirtschaft zugelassen haben.“ Die Ausgeschlossenen sollten
nun das rechte Maß festlegen – was sich dann nicht nur terminologisch eigenartig
dem von John Rawls entwickelten, egalitär liberalen Differenzprinzips annähert,
den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft den größten Vorteil
zu bringen. In Gesellschaften, die das Maß halten predigen, wäre Maßlosigkeit
das rechte Maß, hatte dagegen noch Jacques Derrida empfohlen.
»Hey,
was geht ab?« (»Die Atzen«)
Ist etwa „Youtube“ eine
Form direkter Kulturdemokratie oder der schlimmste Exponent einer
kulturindustriellen Wahrnehmungsunterwanderung und perfiden
Aufmerksamkeitsdiffusion? Zuvörderst gilt, dass „Youtube“ und die anderen
kommerziellen Visionen des Cyberspace die Demontage einer symbolischen Ordnung
sind. Im Zuge der reflexiven Modernisierung gilt nicht mehr, was der Vater sagt,
der Staat will, der Lehrer weiß. Slavoj Žižek beschreibt, wie dieses von der
„zweiten Moderne“ vorgestellte vorgeblich autonome und potentiell freie Subjekt
im Verfall der symbolischen Ordnung ein obszönes Supplement benötigt. An sich
müsste die Abwesenheit des großen Anderen zur Befreiung führen, zu einer neuen
Heiterkeit, fröhlicher Alltagspraxis vielleicht gar Wissenschaft. Stattdessen
entsteht eine „Kultur des Jammerns“. Das reflektierte, autonome Subjekt beklagt
die Abwesenheit des Gesetzes, der Regeln und heteronom verordneten Sicherheiten.
Der Ruf nach dem „großen Anderen“ wird je nach dem pathologischen Status des
Subjekts unterschiedlich vehement. Es ist auch das kein ganz neues Jammern,
sondern ähnlich der ältesten Wut und Enttäuschung, von Gott (Hiob apokryph), dem
Gesetz (Michael Kohlhaas), dem König (Vegetativer Tod des in Ungnade gefallenen
Untertans) etc. im Stich gelassen zu werden. Wenn der Sonnenkönig einen Untertan
fallen ließ, verschwand die Sonne, was bis zum vegetativen Tod des Ausgestoßenen
führen konnte. Verschwörungstheorien und andere Orientierungssurrogate werden
nach Slavoj Žižek zum gegenwärtigen Versuch, „ein Minimum von dem zurück zu
gewinnen, was Fredric Jameson ´cognitive mapping´ nennt.“ Auch Computerspiele
lösen in ihren Ersatzwirklichkeiten dieses Kontingenzproblem im Algorithmus von
Spielen, die „railed“ sind, also festgelegt, ohne die subversive Entscheidung
des Spielers zuzulassen, das universale Schema bzw. das „dramatic mapping“ des
Spiels zu durchdringen.
Politische Universalität
Politische Sprengkraft
geht nach Žižek, Badiou und Rancière von den Parias, Unterdrückten, im Elend
lebenden Massen aus, weil sie alleine die Universalität des Politischen
reklamieren können. Universalität des Politischen ist ein Schlüsselbegriff
dieses Denkens: „Ich glaube an die Universalität. Ich glaube aber nicht an eine
Universalität a priori fundamentaler Regeln oder Vorstellungen. Die politische
Universalität ist die einzige, zu der wir Zugang haben. Das ist keine abstrakte,
idealistische Solidarität, sondern Solidarität im Kampf.“ Das in der Theorie
wiedergeborene Subjekt, dem nun erneut die politische Artikulierungsanstrengung
aufgebürdet wird, ist eine enttäuschte Hoffnung, eine politische Nostalgie, eine
wider den Strich gebürstete Resignation, die immer nach den richtigen Massen
sucht. „Der Sprung in die Praxis kuriert den Gedanken nicht von der Resignation,
solange er bezahlt wird mit dem geheimen Wissen, dass es doch nicht gehe."
(Theodor W. Adorno). Während die herrschende Doktrin nur den Antagonismus
zwischen Freiheit, Liberalismus, Menschenrechte auf der einen Seite und
Totalitarismus Fundamentalismus, Terror auf der anderen Seite kennt,
unterscheidet Slavoj Žižek mit Jacques Rancière zwischen globalem Kapitalismus
und den Ausgeschlossenen ("(la part des sans-part"), denen Merleau-Ponty „le
pouvoir des sans-pouvoir (die Macht der Machtlosen)“ attestierte. Die
Menschenrechte als Ermächtigungsgrundlage „humanitärer Interventionen“ wären
gegen diese wechselnden Besetzungen von konkreter Universalität der
Ausgeschlossenen mit einer nicht antizipierbaren politischen Praxis
auszutauschen. Die Kritik der Menschenrechte als Universalismus einer Klasse ist
seit Marxens Kritik zur Zeit der deutsch-französischen Jahrbücher klassisch. Der
dieser Kritik verpflichtete Diskurs hat inzwischen viele Varianten, die zur
Kernaussage nicht viel hinzugefügt haben. Vor "Empire" von Michael Hardt und
Antonio Negri (2000) oder "Homo Sacer" von Giorgio Agamben (1995) war es Frantz
Fanon („Die Verdammten dieser Erde“), der sich gegen den universalen Humanismus
seines Lehrmeisters Sartres richtete: „Ich bin keine Potentialität von irgend
etwas, ich bin voll und ganz das, was ich bin. Ich brauche das Universelle nicht
zu suchen.“ Das löst das revolutionäre double-bind nicht auf, einerseits gemäß
der „Deutschen Ideologie“ „die wirklichen Individuen, ihre Aktion und ihre
materiellen Lebensbedingungen“ empirisch zu beschreiben, andererseits eine
globale Subjektivität zu konstituieren, die zukünftige
Solidarisierungsressourcen bereithält. Nach Alain Badiou ist nichts „wichtiger,
als die Leidenschaft der Ideen wiederzufinden und sich der Welt, so wie sie ist,
mit einer allgemeinen Hypothese, der antizipierten Gewissheit eines ganz anderen
Laufs der Dinge, entgegenzustellen.“ Das Skript ist schon aus Hollywood bekannt:
George Bailey (James Stewart) entdeckt mit providentieller Unterstützung Gottes
respektive Frank Capras, wie wichtig seine biografische Subjektivität ist, um
eine ganze Kleinstadt vor dem kapitalistischen Moloch zu bewahren. Der Vorteil
dieses Molochs ist seine personale Konkretisierbarkeit, während sein
lebensspendendes Medium des „freien Wettbewerbs“ nicht entsorgt werden muss, um
das Leben wieder „schön“ werden zu lassen. Spätestens hier wird klar, dass die
postmarxistische Politik der Subjektivität unter Erklärungsdruck steht, von
welchen Formen der Emanzipation sie genau redet, weil die längst zwischen
affirmativer Egalitäts- und Demokratiekritik bis hin zur Proletariatsromantik
diffus geworden sind.
Der permanente Weltuntergang
Gegenüber dem bösen, alle
guten Kräfte absorbierenden Kapitalismus könnte jeder universale und
subjektive Masterdiskurs ein Zeichen der Schwäche sein, ob er sich nun
substantialistisch, prozedural oder kämpferisch-aktivistisch wie bei Slavoj
Žižek geriert. Insofern bleibt das von der postmarxistischen Linken restaurierte
Subjekt ein armes Wesen, das desubstantialisiert wird, aus göttlichen
Heilsperspektiven verschwindet und selbst nicht einmal mehr auf das
Kommunikationsapriori seiner deklassierten Höhlengenossen vertrauen darf. In
dieser Berauschung am neu erfundenen Subjekt gerät diese Philosophie-Politik zu
einem voluntaristischen „Man-sollte-Ethos“, das streng egalitären Selbstverzicht
predigt, Rechtsbrecher streng bestraft, kollektive Entscheidungen fordert und
dem „Volk“ Vertrauen entgegenbringt. „Bietet die ökologische Herausforderung
somit nicht die einmalige Gelegenheit, die „ewige Idee“ des egalitären
Schreckens neu zu erfinden“ fragt Slavoj Žižek. In dieser Katastrophentheorie
der etwas anderen Art wird also das Blow-up des Erdbebens von Lissabon zur
Letztbegründung gegen die soziale Perfidie des Missbrauchs der Produktionsmittel
und der sie bedingenden Verhältnisse. Katastrophen als Kapitalismuskiller! Slavoj
Žižek verkennt, dass man sich auch an den Weltuntergang gewöhnt, ob nun jener
eschatologischer oder dieser ökologischer Provenienz. „Es genügt nicht, dass der
Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muss sich selbst zum
Gedanken drängen." (Karl Marx). Slavoj Žižek will indessen das neu „erfinden“,
was zuvor als zum Gedanken drängende, unabdingbare Wirklichkeit galt. Sollte das
Paradigma dieses Kampfs nichts anderes als eine weitere spätsozialistische
Selbsttäuschung sein, ein weiterer, folgenloser Voluntarismus der revolutionären
Morgenröte? Goedart Palm
|

©
Andy Miah
Lektüretipps
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Jean-Baptiste Farkas
Alien, Marx & Co. -
Slavoj Žižek im Porträt
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100 Minuten. Farbe DVD mit mit einem Essay von Jens-Christian Rabe
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Slavoj Žižek
Die
Tücke des Subjekts
Suhrkamp
Verlag, Frankfurt a. M. 2001 (Taschenbuch 2010)
ISBN-978-3-518-29561-8
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Slavoj Žižek
Auf
verlorenem Posten
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M.
2009
ISBN-978-3-518-12562-5
Slavoj
Žižek
Parallaxe
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006
ISBN-10 3518584731
Jacques Rancière
Das Unvernehmen.
Politik und
Philosophie.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
ISBN-10 3518291882
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