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16. Februar 2021

Alles in Allem und doch nicht alles

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Alles in Allem und doch nicht alles

Von Alex Bänninger, 16.03.2015

Eine Ausstellung im Zürcher Strauhof würdigt verdientermassen Kurt Guggenheim. Zum Gelingen dürfen Zweifel geäussert werden.

In der jetzigen - dem Autor Kurt Guggenheim (1896-1983) gewidmeten - Ausstellung im Zürcher Strauhof spiegelt sich der Sieg der Vernunft über die Unvernunft. Sie bestand in der Absicht der kulturpolitisch bis zum Tellerrand denkenden Stadtpräsidentin, das hoch geschätzte Literaturmuseum zu schliessen und an seiner Stelle eine Schreibwerkstatt für Kinder und Jugendliche einzurichten. Die von allen Seiten hagelnden Proteste bewahrten das Haus der Geistesgrössen vor der Dauerbesetzung durch ABC-Schützen.

Ideale Voraussetzungen

Nach dem Wechsel von der öffentlichen zu einer privaten Trägerschaft geht es mit dem Literaturmuseum Ende Jahr weiter. Gegenwärtig handelt es sich um eine Zwischennutzung. Der Brückenschlag von der würdigen Vergangenheit zur vielversprechenden Zukunft ist erfreulich. Er zeigt, dass Literatur der Politik einheizen kann.

Andernfalls gäbe es ausgerechnet die Ausstellung zu Kurt Guggenheim nicht. Er schenkte seiner Vaterstadt mit dem vierbändigen und zwischen 1952 und 1955 erschienen Roman "Alles in Allem" ein literarisches Denkmal und wurde dafür mit dem Zürcher Literaturpreis ausgezeichnet. Das opus magnum fasziniert, verschwand gleichwohl unter dem in sechzig Jahren gewaltig ansteigenden Bücherberg und braucht immer wieder den nachdrücklichen Hinweis auf seine Existenz. Das ist das Verdienst Charles Linsmayers, Germanist, Literaturförderer und wohl profundester Kenner Kurt Guggenheims und Herausgeber dessen Werkausgabe. Der starke Schriftsteller hier, der ideale Kurator da: die Voraussetzungen für eine packende Ausstellung könnten besser nicht sein.

Die Mühsal des Lesens im Stehen

Wir sehen Guggenheims Bücher, Manuskripte, Tagebücher und Schreibtisch und flanieren vorbei an den historischen Aufnahmen der Schauplätze in "Alles in Allem". An den Wänden hängt und in den Vitrinen liegt ein Schriftsteller-Leben. Bilder, Texte, Objekte rühren an und wecken die Absicht, wieder einmal Guggenheim zu lesen - bequem sitzend und nicht im Gehen und Stehen.

Zu mehr als diesem Wunsch regt die Ausstellung nicht an. Immerhin. Aber ein visuelles Erlebnis bietet der Strauhof nicht. Sein einziges und freilich stichhaltiges Argument ist die Angemessenheit, Kurt Guggenheim ins Gedächtnis zu rufen und zu ehren. Es geschieht aufs Konventionellste. Bedient wird das Interesse jener, die den Schriftsteller und Drehbuchautor bereits kennen und eine Bestätigung ihrer Verehrung suchen. Jüngeren und neuen Lesern erleichtert die Ausstellung die Entdeckung nicht.

Angst vor dem Event?

Vielleicht ist "Literaturausstellung" ein Widerspruch in sich selber, vielleicht sind Literaturausstellungen eine faszinierende Versuchung oder eine Notlösung, um durch Veräusserlichungen an die Literatur und die Literaten heranzuführen. Die interpretierende Inszenierung könnte der erhellendere und spannendere Weg sein. Er wird aus Angst vor der "Eventisierung" gemieden. Warum auch? Wem die inszenierte Literatur missfällt, dem bleibt ja immer die reine.

"60 Jahre 'Alles in Allem'", Museum Strauhof, Zürich, bis 31. Mai 2015, www.guggenheim-ausstellung.ch

Während vielen Jahren stand Guggenheims «Selbstdarstellung» ungelesen in einem unserer Büchergestellen. Vor einigen Monaten - es ist schon wieder bald ein Jahr her - nahm ich den umfangreichen Band wieder hervor und begann darin zu lesen. Die Lektüre fiel mir keineswegs leicht. Praktisch en ganzes Leben wird hier aufgerollt. Es ist eigentlich tragisch, wie ein begabter Mensch letztlich nicht erreicht hat, was ihm zugekommen wäre, nicht nur materiell, sondern vor allem auch in der Anerkennung seines Werkes.

Ich hab die Austellung besucht, weil ich "Alles in allem" vor kurzem fasziniert und beeindruckt gelesen habe. Trotzdem bin ich im Zweifel, ob die Ausstelung nicht das Problem dieses Buches im Kern trifft und ein Beleg ist, warum es eben aus der literarischen wahrnehmung verschwunden ist. Ist das Buch nicht einfach zuercherisch bieder? Wenn man bedenkt, was in der Schweiz in dieser Zeit (Antikommunismus, Fremdenfeindlichkeit), in Europa (Wiederaufbau,Naziprozesse) in der Welt (Dekolonisierung) los war. Ganzabgesehen vom Umbruch in der deutschen Literatur. Diese
Biederkeit wird in der Ausstellung sehr gut gespiegelt. Ein nettes Aperçu ist auch das Melnitzzimmer, denn für mich ist Melnitzzimmer ein Plagiat von "Alles in allem".

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