Averroës und Assassiniden

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Averroës und Assassiniden

Von Ulrich Meister, 26.11.2015

Alles hat schon einmal vor zehn Jahrhunderten stattgefunden. Aber die Opfer sind heute Unschuldige und der zerbrechliche 'Dialog der Kulturen'.

Alles hat schon einmal vor zehn Jahrhunderten stattgefunden. Aber die Opfer sind heute Unschuldige und der zerbrechliche 'Dialog der Kulturen'.

Seit 22 Jahren finden in Marseille die "Rencontres Averroës" statt, die dem Mittelmeer, dem römischen "mare nostrum" im weitesten Sinn, gewidmet sind. Von der Theologie bis zur Meeresverschmutzung und zum kommunen Kommerz wird da nichts ausgelassen - in der idealistischen Hoffnung, dem totgeborenen "Prozess von Barcelona" von 1995 wieder Leben einzuhauchen. Frankreich wollte mit diesem Projekt den südlichen Anrainerstaaten (seinen ehemaligen Kolonien) EU-Gelder zuhalten und gleichzeitig den Nahostkonflikt lösen.

Am 13. November 2015 wurde im alten geschichtsträchtigen Hafen von Marseille am ersten Rundtischgespräch über die historischen Wurzeln des islamistischen Terrorismus diskutiert. Eine bange oder naive Zuhörerfrage blieb im Raum hängen: "Muss man den Islamistischen Staat denn ernstnehmen?" Nur eine  Stunde nachher gingen in Paris die ersten Schüsse los. Die Mörder vom IS kannten Averroës sicher nicht. Und wussten auch nichts vom "Orden der Assassiniden", die der italienischen und französischen Bezeichnung für 'Mörder' Pate standen.

Diese fanatische Sekte aus dem 11. Jahrhundert schickte Mordbuben, mit Dolchen bewaffnet und von Haschisch beflügelt, für religiös verbrämte Selbstmordattentate nach Syrien, dem Irak und Iran. Die Terroristen sollten schon damals das Kalifat für einen reinen Islam wieder herstellen. Das ist heute genau das Programm des IS. Es gibt dazu in Syrien sogar eine 'Warteliste für Märtyrersoldaten', obwohl der Islam den Selbstmord verbietet.

Averroës (1126 bis 1198) hatte als Hofarzt der berberisch-andalusischen Dynastie der Almohaden in Südspanien und als Philosoph den Obskurantismus der islamischen Orthodoxie bekämpft. Mit seinen Kommentaren zum Werk von Aristoteles wollte er den fundamentalistischen Missbrauch des Korans durch eine rationalistische Exegese ablösen. Es war dies einer der ersten gescheiterten Versuche zur Aufklärung im Islam - während der andalusischen Hochkultur. Zehn Jahrhunderte später morden die Terroristen wieder, manipuliert von Mächten, die ihre eigene Religion verraten und die Kultur fürchten. Fürchten müssen.

Sind denn alle "Kulturen" auf Augenhöhe? Sind die Organisationen in offenen Gesellschaften gleichwertig wie jene der geschlossenen Gesellschaften? Sind die Menschenrechtsbrecher auf derselben Kulturstufe wie die Menschenrechtsbeachter? Früher, zu Zeiten vor der political correctness, sprach man noch von Unkulturen.

Wenn man die Leute Assassinen statt Assassiniden nennen würde, konnte man nachschlagen ob etwas an der Story stimmt. Nicht viel- es waren zum Beispiel Schiiten, nicht Sunniten, wie der IS. Der einzig bedenkenswerte Bezug zu heute ist, dass auch sie in der Folge des Einfalls von Kreuzrittern entstanden.

MfG
Werner T. Meyer
Quelle: Der Assassinen-Scgmöker von Bernard Lerwis (Vorsicht, nicht gerade DER Muslimversteher)

Nur eine Literaturangabe: die heutige historiographisch begründete Sicht der Assassinen (Assassiniden gibt es nicht) findet man bei :

Marshall G.S. Hudgson: The Order of the Assassins, The struggle of the Early Nizari Ismailis against the Islamic World. Mouton, The Hague 1955,

und in Einzelheiten vervollständigt in Kap.5 der Cambrige History of Iran, verfasst vom gleichen Autor.

Eine kurze Darstellung auch in Band zwei der dreibändigen Islam Geschichte des gleichen Verfassers: The Venture of Islam, Conscience and History in a World Civilisation. Vol. 2 Univ. of Chicago Press. 1974. p.58-61 und später, s. Stichwort :Nizari, für die Darstellung der späteren Geschichte der Assassinen bis zu ihrem Ende in der Mongolenzeit.

Sie waren Schiiten, aber gehören nicht zu dem Stamm der heute gewichtigsten 12er Schiiten, sondern zur Familie der Siebener, die einst in Ägypten die Fatimiden Dynastie bildeten. Ihre Politik der Meuchelmorde von hervorragenden Gegnern hatte nichts mit den Massenmorden der IS Sekte zu tun. Ihre Theologie - sie besassen eine solche wohl artikulierte - schon garnicht.

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