Bünzli und Gottfried Kellers Seldwyla

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Bünzli und Gottfried Kellers Seldwyla

Von Reinhard Meier, 24.05.2019

Der Begriff «Bünzli» ist eine schweizerdeutsche Spezialität. Verdanken wir ihn Gottfried Kellers Geschichte von den «Drei gerechten Kammmachern»?

Beim Besuch der Gottfried-Keller-Ausstellung zum 200. Geburtstag des grossen Schriftstellers im Zürcher Strauhof erfährt man neben vielen anderen Fakten und Zusammenhängen, dass der im Schweizerdeutschen geläufige Begriff «Bünzli» wohl in Kellers Leuten von Seldwyla seinen Ursprung hat. In der Erzählung «Die drei gerechten Kammmacher», die der Literaturspezialist Peter von Matt übrigens als besonders kostbare Perle im Kellerschen Kosmos würdigt, spielt die Wäscherin Züs Bünzlin die Rolle einer Art Femme fatale.

Die drei deutschen Kammmacher, die in Seldwyla ihr Brot verdienen, trachten alle danach, das Geschäft ihres Patrons zu übernehmen. Sie hoffen, dass ihnen  dabei der Sparbatzen der nicht unattraktiven, aber auch durchtriebenen Wäscherin Züs Bünzlin zum Ziele verhelfen werde. Dem jüngsten der drei Gesellen gelingt es schliesslich nach allerhand grotesken Verwicklungen, Züs und das Kammmachergeschäft im Wettbewerb gegen seine zwei Rivalen zu gewinnen.

Weshalb aus der Kellerschen Züs Bünzlin aber das schweizerdeutsche Äquivalent für engstirnige Spiessbürger oder Philister abgeleitet worden sein soll, wird zunächst nicht ganz klar. Zum einen ist der Name Bünzlin und das Schimpfwort Bünzli ja schon lautmässig nicht völlig identisch. Zum andern würde man die Wäscherin nicht spontan als kleinkarierte und etwas dümmliche Spiesserin einstufen, sondern eher als ein ziemlich berechnendes Weibsbild. Sie inszeniert nämlich allerlei listige Tricks und Ränke, um schliesslich den jüngsten Kammmacher-Gesellen und unerwarteten Erwerber des Seldwyler Kammmachergeschäfts in ihre Fänge zu bekommen.

Vielleicht ergibt sich der Zusammenhang zwischen der schweizerdeutschen Bünzli-Vokabel, die durchwegs abschätzig gemeint ist, mit der Wäscherin Bünzlin durch den Schluss der Kellerschen Erzählung. Dort heisst es nämlich über den schwäbischen Kammmacher Dietrich, den vermeintlich glücklichen Wettbewerbsgewinner, der Erfolg habe ihm «nicht viel Freude» beschert. «Denn Züs liess ihm gar nicht den Ruhm, regierte und unterdrücke ihn und betrachtete sich selbst als die alleinige Quelle alles Guten.» Bei dieser Beschreibung muss man sich über den Konnex zwischen Kellers Züs Bünzlin und dem schweizerdeutschen Schimpfwort Bünzli schon weniger den Kopf zerbrechen.

Jäno so dä!
Ein Besuch bei fernen Bekannten begann im Treppenhaus. Die teilweise gläsernen Eingangstüren der Stockwerke mit Postkarten be und verklebt. Lugano, Paris, St. Petersburg, Tell mit Sohn aus Altdorf usw. Es roch nach Bohnerwachs! Klingeln und Schuhe ausziehen, das ist OK, aber dann! Nicht besenrein sondern antiseptisch und klinisch sauber. Optisch eher einer Möbelhausausstellung der 70er ähnelnd. Enkelkinder Mucksmäuschen still sitzend in Polstersesseln traf ich an, den frisch gepflückten Blumenstrauss aus dem Schrebergarten betrachtend. Wie geht`s? Gut wie immer, stimmt zwar nicht, aber was soll`s? Aus dem Radio, sehr leise eingestellt, die Stimme von Jean Ziegler bei seinem Interview, alle fünf Sekunden verhungere ein Kind auf dieser Welt, meint er und die von uns Besuchten? „Schon no veruckt, oder need?“ Heutzutage ist alles so kompliziert, murmelte der Mann, aber gut die Unseren wissen sicher wie man damit umgeht und sonst so? Eine dichte Leere, so kam es mir vor, eine sich selbst zersetzende Spannung, so etwa. Wie muss das früher schön gewesen sein als man den Raum abdunkelte, den Diaprojektor hervor nahm und gezwungen wurde stundenlang Rimini, den gedeckten Tisch, den Strand am Morgen, am Abend, den Hund von hinten und von vorne anzusehen? Bünzli und Spiessigkeit könnten doch Kult werden, ein neuer HIP sozusagen, gespielt wäre es dann fast auszuhalten, oder nicht? …cathari

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