Darf der Staat umverteilen?
Die Initiative zur bundesweiten Einführung einer Erbschaftssteuer weckt Leidenschaften. Das Abwägen zwischen Pro und Kontra dürfte vielen schwerfallen, da beide Seiten überzeugende Argumente haben. Mit der neuen Studie der Ökonomen Marius Brülhart und Elodie Moreau von der Uni Lausanne über die Summen der jährlichen Erbschaften bekommt das Thema nun zusätzliches Gewicht. War bisher von 40 Milliarden Franken die Rede gewesen, so soll sich das Volumen hochgerechnet für 2015 auf 76 Milliarden belaufen.
Die Lausanner Untersuchungen scheinen nicht bestritten zu sein. Sie zeigen, dass die Summe der Erbschaften in der Schweiz viel zu tief veranschlagt war und dass sie in den letzten fünf Jahren überdies um stolze 15 Milliarden angewachsen ist. Die zwei Drittel der Erträge aus der Erbschaftssteuer, die laut Initiative in die AHV fliessen sollen, werden sich nach diesen neuen Zahlen auf rund vier Milliarden belaufen. Angesichts des wachsenden demografischen Drucks auf die Altersvorsorge dürfte das für viele ein gewichtiger Grund für ein Ja sein. Die Gegner werden sich umso mehr bemühen, die steuerpolitische Entmündigung der Kantone, die Gefährdung von Familienbetrieben und das drohende neue Bürokratiemonster zu beschwören.
Wie kommt man in der komplexen Sachfrage zu einem solide begründeten Ja oder Nein? Entscheiden kann man sich, indem man die persönlich für plausibel gehaltenen Annahmen über positive und negative Auswirkungen der Initiative bilanziert. Viele Stimmberechtigte jedoch werden ergänzend (oder alternativ) zu diesem Abwägen ihre der aktuellen Sachfrage übergeordneten politischen Überzeugungen ins Spiel bringen.
Die eine dieser Grundhaltungen meint, der Staat habe von Erbschaften prinzipiell die Finger zu lassen. Mit dem Tod müsse man diesen Moloch, dem man ein Leben lang Abgaben und Gehorsam schuldete, gewissermassen endlich los sein. Das Eigentum nach dem Ableben an Angehörige und frei bestimmte Begünstigte ungeschmälert weitergeben zu können, hat aus dieser Sicht die Qualität eines Grundrechts. Diese mit einem liberalen und teilweise auch konservativen Staatsverständnis unterlegte Überzeugung sieht in der Initiative den versuchten Übergriff eines unersättlichen Apparats.
Die gegenteilige Überzeugung ist im wesentlichen die des linken Lagers: Der Staat hat für Gerechtigkeit zu sorgen und ist deshalb verpflichtet, Güter und Lasten in der Gesellschaft ausgleichend umzuverteilen. Er tut dies auf vielerlei Weise, insbesondere mit der progressiven Einkommens- und Vermögenssteuer, mit einer breiten Palette sozialer Leistungen und neu mit der bundesweiten Erbschaftssteuer.
Kompromisslose Anhänger der ersten oder zweiten Überzeugung benötigen keine differenzierte Abwägung. Für sie ist der Entscheid von vornherein klar. Alle anderen hingegen kommen nicht darum herum, sich mit Argumenten und Einzelheiten zu befassen, Debatten zu verfolgen und allenfalls vorübergehend hinsichtlich des Entscheids unsicher zu sein. Auch das Ändern der Meinung im Lauf der Auseinandersetzung bleibt ihnen vielleicht nicht erspart.
Ich gestehe, dass ich selbst in genau dieser Lage bin. Bis kurz vor dem 14. Juni werde ich noch vieles studieren und erwägen und etliche Diskussionen führen – vorzugsweise mit Menschen, die auch am Abwägen sind. Die anderen sind oft nicht besonders interessant.
Dass man sich über diese Vorlage Gedanken macht, wenn man nicht zu den 3 Prozent Super-reichen gehört, die sie betrifft. verstehe ich nicht. Wenn der Staat nicht heute moderat eingreift, wird es mittelfristig ein Aufstand oder Bürgerkrieg von unten auf blutige Weise regulieren.
Wenn "umverteilt" werden muss, weil sonst die einen verhungern, während die anderen in Saus und Braus leben (hatten wir auch hier vor nicht allzulanger Zeit - und nicht weit im Ausland heute noch sowieso), dann heisst das doch, dass zuvor höchst ungerecht verteilt worden ist. Der demokratische Rechtsstaat muss zwar "umverteilen". Aber nur hilfsweise. Viel wichtiger ist, dass er die Regeln und Gesetze so gestaltet, dass alle gerecht am Erwirtschafteten teilhaben und davon leben können.
Was nun die Steuern anbelangt, so sind sich sämtliche ernsthaften Oekonomen einig, dass die Erbschaftssteuer eine der bestmöglichen und gerechtesten Steuern sei – viel besser jedenfalls, als die hierzulande lückenlose und auf "automatischem Informationsaustausch" (Lohnausweis!) beruhende Besteuerung des Einkommens aller Werktätigen. Besteuert sollten vor allen anderen Einkommen die leistungsfreien werden. Also Kapital- und Spekulationsgewinne aller Art. Und natürlich auch die Erbschaften. Dass sich eine (rechte) Mehrheit im Schweizer Parlament unter Druck der Lobby aller leistungsscheuen Abzocker immer wieder gegen eine minimale Kapitalgewinnsteuer durchsetzt, zeigt nur, wie viel auch diesbezüglich in unserem Land noch im Argen liegt: Diese "Volksvertreter" vertreten nicht die grosse Mehrheit der hart arbeitenden Leute im Land, sondern ein kleine Minderheit von partikular interessierten Profiteuren, welche die ihnen zudienenden Parteien teils auch noch direkt oder indirekt mitfinanzieren. Diese Kreise dürften die ebenso dringend nötige wie sehr moderate Erbschaftssteuerinitiative mit viel finanziellem und propagandistischem Aufwand wohl zu Fall bringen. Und das "Volk" wird leider einmal mehr gegen seine Interessen stimmen. Trotz allem Geschrei der rechten Deregulierer ist unser Staat jedoch kein "Moloch", sondern ein hochentwickeltes und ausgeklügeltes System, das uns seit 1848 erlaubt, selbstbestimmt und relativ zuFrieden in diesem Land zu leben. "Moloch" (nämlich Faustrecht) ist dort, wo gewalttätige Interventionisten und ihre Besatzungstruppen den Staat mutwillig zerstört haben (Afghanistan oder Irak etwa). Aber jeder halbwegs rechtmässige und gerechte Staat muss finanziert werden – am besten mit Steuern aus arbeitsfreiem Einkommen. Aus Erbschaften beispielsweise. Niklaus Ramseyer
Wenn das Erwirtschaftete oder im Besitz befindliche als Erbe an ihre Angehörigen weitergegeben werden soll. Nicht nur, daß Erben ungerecht sei, da es mit dem „Zufall der Geburt“ verknüpft ist, nein, es sei schon per se unfair, wenn „Vermögen extrem ungleich verteilt“ ist.
Die Erbschaftssteuerfrage unter dem Aspekt links-rechts zu betrachten ist nicht sehr erhellend, d.h. ncihtssagend. Sie ist einerseits eine ökonomische Frage und andererseits eine rechtsphilosophische Frage. Entsprechend informiert ist die Position sowohl aus liberaler, wie auch aus sozialer Sicht völlig klar. Zur ökonomischen Quellenlage: Thomas Piketty, Hans Kissling. Rechtsphilosophische Quelle: John Rawls "Politischer Liberalismus" oder auch die amerikanische Verfassung. Eine Ablehnung der E. ist m.E. nur möglich aus libertärer, feudalistischer oder neodarwinistischer Sicht.
Selbstverständlich darf der Staat umverteilen. Das ist eine seiner wichtigen Funktionen. Aber es ist eine Frage des Masses. Bei der Einführung der Erbschaftssteuer würde ein in einer Firma verdienter Franken zum vierten Mal besteuert: Gewinnsteuer in der Unternehmung, Einkommensteuer bei einer Ausschüttung beim Inhaber, Vermögenssteuer (jährlich wiederkehrend!) und dann eben noch die Erbschaftssteuer. Vom erwähnten Franken würde weniger als die Hälfte verbleiben. Das grenzt an Enteignung. Und ist in meinen Augen unanständig.
Obschon unsere Bundesverfassung im Namen Gottes beginnt, ist diese Umverteilerei ein klarer Verstoss gegen Gottes 10.Gebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Güter.
In dem Buch können Sie aber auch über Erlassjahre lesen "Jedes 50. Jahr nach dem siebten von sieben Sabbatjahren, also nach jeweils 49 Jahren, sollten die Israeliten ihren untergebenen Volksangehörigen einen vollständigen Schuldenerlass gewähren, ihnen ihr Erbland zurückgeben (Bodenreform) und Schuldsklaverei aufheben" (Wikipedia D)
MfG
Werner T. Meyer
>"Darf der Staat umverteilen?"
Diese Frage ist müssig, um nicht zu sagen dumm. Unser Staat macht genau dies schon seit 1848!
Ist eine (Erbschafts-) Steuer gerecht? - Auch diese Frage ist müssig, weil jede Steuer in gewisser Weise ungerecht ist.
Ist das Vermögen, welches im Todesfall vererbt wurde, nicht vorher schon als Einkommen versteuert worden? - Möglicherweise ja, jedoch nein wenn es aus steuerfreien Kapitalgewinnen stammt.
- Macht diese Vorlage Kleinfirmen im Erbgang kaputt?
Wird von den reichen Gegnern behauptet, aber nicht stichhaltig bewiesen. Erstens gibt es grosszügige Freibeträge, zweitens kann man durch eine geeignete rechtliche Gestaltung als GmbH oder AG die weitere Existenz der Firma absichern.
Aus diesen Gründen befürworte ich diese Vorlage, obschon ich sonst von linken Vorschlägen sehr wenig halte!
Ganz schön betulich dieser Artikel, "nöd znäch, nu vo wiiiiitem, sicher si, sicher bliiiibe." Angesichts der Auswirkungen eines Ja allerdings auch verständlich.
Jedenfalls handelt es sich wahrlich um eine Initiative, die es wert ist, darüber etwas Hirnschmalz zu verbrennen.
M.E. streichen die Befürworter nicht genügend klar heraus, dass sie mit ihrer Initiative nicht, eben nicht, keinesfalls Familien-unternehmen belangen wollen, was in der Tat selbstmörderisch wäre.
Ein Aspekt fehlt mir in diesem Kommentar, nämlich der, dass diese Steuer rückwirkend eingeführt werden könnte! Wo kämen wir hin, wenn Gesetze, Verordnungen, Verfassungsbestimmungen etc. rückwirkend in Kraft setzen könnten. So betrachtet, ist es schwer verständlich, dass sowohl die Bundeskanzlei als auch die beiden Parlamentskammern diese Initiative als gültig durch gelassen haben. Sollte diese Initiative gut geheissen werden, würde es mich nicht wundern, wenn das BG zur Beurteilung der Rechtmässigkeit der Ausführungsgesetze angerufen würde. Ich hoffe aber, dass die Initiative schon bei der Abstimmung Schiffbruch erfahren werde . . .