Der Papst und sein Nein

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Der Papst und sein Nein

Von Stephan Wehowsky, 29.11.2013

In seinem Sendschreiben „Evangelii gaudium“ geisselt Franziskus die Herrschaft des Geldes. Er hat seine Worte gut gewählt.

Die Kritik am Reichtum, an Geiz und der Hartherzigkeit der Herrschenden ist so alt wie die Schriften der Bibel. Wenn der Papst sie jetzt erneuert, ist das aber mehr als die blosse Wiederholung des längst Bekannten. Denn er baut unauffällig, aber höchst wirksam moderne Gedankengänge ein.

Welcher Preis?

Zunächst beschreibt er die prekäre Situation der Angst und Unsicherheit, die auch in den Wohlstandsgesellschaften um sich greift. In diesem Zusammenhang spricht er von einem „epochalen Wandel“, der mit den durchaus positiv zu bewertenden Fortschritten in Wissenschaft und Technik verbunden ist.

„Wir befinden uns im Zeitalter des Wissens und der Information, einer Quelle neuer Formen einer sehr oft anonymen Macht.“ Das klingt ein bisschen gestelzt, trifft aber genau das Dilemma aller, die mit diesem Wissen und den Informationsmöglichkeiten umgehen. Welchen verborgenen Preis zahlt man an wen?

“Diese Wirtschaft tötet“

Im nächsten Absatz, der überschrieben ist: „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschliessung“, findet Franziskus Worte, die in ihrer Schärfe nicht mehr steigerungsfähig sind. Er erinnert an das Gebot,“du sollst nicht töten“, und stellt fest: “Diese Wirtschaft tötet“. Wir haben es also mit einer tötenden Wirtschaft zu tun.

Geradezu sarkastisch fährt Franziskus fort: Wenn ein alter obdachloser Mann auf der Strasse erfriere, interessiere das niemanden, aber der kleinste Kurssturz an der Börse sei allemal Schlagzeilen wert. Und dann folgt in ganz knappen Sätzen ein Gedankengang, der, ohne es direkt auszusprechen, die Wirtschaft mit den übelsten totalitären Staatsformen von rechts und von links gleichsetzt.

Staatlich verordneter Mord

Die Armen seien nicht nur arm, sie seien von der Wirtschaft aus unserer Gesellschaft „ausgeschlossen“. Das ist ein Terminus, der eine erschreckende Tiefendimension hat. Er bedeutet nämlich in der neueren Geschichte, dass mit dem Ausschluss einzelner Menschen oder ganzer Gruppen der staatlich verordnete Mord nicht weit ist.

Diejenigen, die in Rom dem Papst bei der Formulierung dieser Sätze zur Seite standen, wussten ganz offensichtlich, worauf sie sich beziehen: die Theorie der Ausschliessung, wie sie unter anderem in dem Werk des italienischen Philosophen Giorgio Agamben - „Homo sacer“ - dargelegt worden ist. In diesem Buch setzt sich Agamben mit dem Phänomen auseinander, dass der moderne totalitäre Staat des Nationalsozialismus, aber auch des Stalinismus auf der Vernichtung derjenigen beruht, die aus ethnischen, rassischen oder politischen Gründen aussortiert werden. Agamben wiederum stützte sich dabei auf Analysen von Hannah Arendt und Michel Foucault.

Wer aus der Gesellschaft ausgeschlossen ist, verfügt über keinerlei Rechte. Massenvernichtung und Konzentrationslager sind die Folgen. Wie um zu unterstreichen, dass er nur zu genau weiss, was er sagt, beendet der Papst den betreffenden Passus mit dem Satz: „Die Ausgeschlossenen sind nicht `Ausgebeutete`, sondern Müll, `Abfall`.“

Kaufsucht

In den Augen des Papstes ändert daran auch nichts die schöne Theorie, dass trotz aller Ungleichheit die unteren Schichten auf die Dauer vom Luxus der oberen profitierten: trickle-down. Selbst wenn dieses den Grenzen der Fall sei, bleibe doch die Tatsache bestehen, dass ein grosser Teil der Menschheit auch von diesem Effekt nicht profitieren könne. Ganz im Gegenteil werde dadurch eine Mentalität erzeugt, die nach immer mehr verlangt: „ Die Kultur des Wohlstands betäubt uns, und wir verlieren die Ruhe, wenn der Markt etwas anbietet, was wir noch nicht gekauft haben.“ Darüber, so fährt der Papst fort, vergessen wir vollständig die „fehlenden Möglichkeiten unterdrückten Lebens“.

Die Finanzkrise ist eine logische Folge dieser geistigen Verarmung. Der Mensch als blosser Konsument und entsprechender Produzent im Rahmen dieses Systems verfügt nicht über die geistige Widerstandskraft, um aus diesen Zirkeln auszubrechen. Das gilt auch für die Wirtschaft als Ganzes: Die immer höheren Zinslasten schnüren, so Franziskus, den wirtschaftlichen und politischen Handlungsspielraum ab.

Grosse Angriffsfläche

Gegen die „Vergötterung des Geldes“ setzt der Papst ein unmissverständliches „ Nein zu einem Geld, das regiert, statt zu dienen“. Dahinter steht der Aufruf, mittels der Ethik das bisherige System mit seiner „tief verwurzelten Korruption“ zu überwinden. Es versteht sich von selbst, dass der Papst diese Ethik als Ausdruck des Willens Gottes ansieht.

Der Papst äussert sich nicht zu der Frage, wie die Ethik in Wirtschaft und Gesellschaft konkret umgesetzt werden soll. Er selbst stellt in seinem „apostolischen Schreiben“ fest: „Dies ist kein Dokument über soziale Fragen.“ Entsprechend gross ist die Angriffsfläche. Auf der einen Seite wird bemängelt, dass der Papst die Freiheit in den westlichen Gesellschaften nicht akzeptieren könne und letzten Endes nur ein Ressentiment zum Ausdruck bringe. Dazu kommt das nahe liegende Argument, dass die Wirtschaft anders ticke als die Ethik und die besten Absichten an den Klippen wirtschaftlicher Notwendigkeiten zerschellen würden.

Verachtung gegenüber der Ethik

Diese Argumente aber sind bei weitem nicht so gut wie sie klingen.Denn der Papst behauptet nicht zu wissen, wie Wirtschaft und Gesellschaft im einzelnen neu gestaltet werden müssen. Er setzt sich lediglich mit einer Geisteshaltung auseinander, die sich ganz den Mechanismen des Marktes hingibt. „Die Ethik wird gewöhnlich mit einer gewissen spöttischen Verachtung betrachtet.“ Demgegenüber fordert er, dass die Ethik gegenüber den „Kategorien des Marktes“ ein Gegengewicht bildet, um daraus „ein Gleichgewicht und eine menschlichere Gesellschaftsordnung zu schaffen“.

Diejenigen, die nach wie vor der Meinung sind, dass die Wirtschaft und ihr Markt frei von solchen subjektiven Einstellungen wie ethischen Maximen seien, sollten einmal erklären, warum seit Jahren beträchtliche Summen mit den Büchern und Seminaren zum Thema Motivation verdient werden. In der Motivation wird der wichtigste Faktor dafür gesehen, dass ein Einzelner es an die Spitze schafft und Unternehmen Märkte erobern. Ist es dann so naiv, die Frage zu stellen, ob zur Motivation nicht auch anderes als die Maximierung des Gewinns gehören könnte?

Ohne Ausweg

Und ist es wirklich weltfremd, ethische Werte einzufordern, ohne gleich genau sagen zu können, wie diese sich mit den Mechanismen der Wirtschaft im einzelnen in Einklang bringen lassen? Sind denn die reine Theorie der Wirtschaft und die Theorie der Finanzmärkte so viel weiter? Es wäre kein Fehler, wenn es nicht nur diverse sich widersprechende Ansätze gäbe, sondern auch Antworten auf die Frage, wie Wirtschaft und Finanzen wieder aus dem Schlamassel herausfinden wollen, die unter den Bedingungen der freien Märkte weltweit angerichtet worden sind.

Es ist weder zu erwarten noch zu wünschen, dass der Papst und die katholische Kirche den Ausweg weisen. Aber etwas anderes ist von grosser Bedeutung: Mit seinen Worten bringt der Papst Defizite zum Ausdruck, die zu leugnen ein gewaltiges Mass an Ignoranz erfordert. So traditionsverhaftet Papst Franziskus auch ist, so genau hat er etwas auf den Punkt gebracht, das nicht nur katholische Gläubige empfinden.

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Bin ganz gewiss kein Fan vom Vatikan, in der Geschichte lief da einiges ganz falsch, wie die selbsternannten Vertreter Gottes wüteten. Die Katolische Kirche hat direkt und indirekt mindestens eine Milliarde Menschen auf dem Gewissen. Ich will jetzt nicht alle Schandtaten aufzählen. Auch die Bank des Vatikan spielt(e) eine dubiose Rolle.

Gerade deshalb sticht der aktuelle Papst hervor, weil er sich auf die tatsächlichen Werte des Gründers beruft.
Seine Kritik am Kapitalismus hätte er natürlich auf den Zins und Zinseszins sowie Giralgeld herunter brechen können, so hätte er die eigentlichen Übeltäter der aktuellen Krise beim Namen genannt.
Die Excesse der Elite sind nicht unbedingt die Ursache, sondern Symtome einer zuende gehenden Dekade. Einer Elite, die weiss dass es dem Ende zugeht, man weiss nur noch nicht genau wann, so lässt man es noch richtig krachen.
Und gerade da ist ein wirklich glaubwürdiger Vorsprecher so wichtig, der die moralischen Werte hervorhebt. Ich wünsche dem Mann dabei alles gute.

".........dass mit dem Ausschluss einzelner Menschen oder ganzer Gruppen der staatlich verordnete Mord nicht weit ist."
Es wäre doch nicht das erste Mal!
Nur weil man sich etwas so durchtriebenes, grauenhaftes und langfristig Geplantes nicht vorstellen kann, heisst es nicht das es nicht geschieht.
Man sehe sich um, möglichst ohne ideologische Brille auf der Nase, dann erkennt man ohne Probleme wohin wir wie blinde Kälber getrieben werden.

Der Mensch ist ein Konstrukt Gottes. Um eine bessere Welt zu schaffen, müsste der Papst zuerst den Menschen ändern. Bin gespannt, wie er das auf die Reihe kriegt...

Danke an Herrn Wehowsky für den sehr guten Artikel. Im Gegensatz zu anderen Journalisten erkennt er glasklar den Kern der Botschaft. Franziskus kümmert sich nicht nur und nicht in erster Linie um die Kirche, sondern um das Wohl der Menschen. Hartnäckig und unbequem. Franziskus übertreibt nicht, wenn er von den Ausgeschlossenen spricht. Der Verwaltungsratspräsident der Firma Nestlé, Helmut Maucher, sagte 1996 in einem Interview: “.... Wir haben einen gewissen Prozentsatz an Wohlstandsmüll in unserer Gesellschaft. Leute, die entweder keinen Antrieb haben, halb krank oder müde sind, die das System einfach ausnutzen ...” Das wurde zum Unwort des Jahres 1997.

Ich glaube nicht, dass Papst Franziskus ein einsamer Rufer in der Wüste ist, wie dies Christian Hofstetter schreibt. Tatsächlich glaube ich das Gegenteil: Franziskus spricht aus, was Millionen von Menschen ebenso denken und empfinden. Lediglich eine sehr kleine Minderheit von geld- und einflussmächtigen, aber leider von Hochmut und Gier getriebenen Menschen, setzen dieses diabolische System eines unbegrenzten Marktes durch. Goebbels fragte seinerzeit: Wollt ihr den totalen Krieg ? Heute ist die Frage: wollt ihr den totalen Markt ? Beide JA führen zum selben tödlichen Ziel.
Mehr denn je sind die Menschen heute gefragt, auf welcher Seite sie denn stehen wollen. Einige haben sich mit der Rolle des Zynikers abgefunden, andere retten sich in die Rolle des unbeteiligten, jedoch klügeren Beobachters, wieder anderen gehen diese lebenswichtigen Fragen schlich 'am Arsch' vorbei.
Eine sehr grosse Anzahl Menschen aber hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Für diese ist Papst Franziskus und sein Vorgänger, der Jude aus Nazareth, ein Hoffnungsträger, auf den es sich lohnt, zu hören.

Lieber Herr Schwab: Wenn die Mehrheit der Menschen nach Gerechtigkeit, Konsumverzicht, Chancengleichheit, Erhaltung des Planeten mit einhergehendem Verzichtsverhalten dürsten würden, hätten wir doch eine andere Welt. Oder etwa nicht? Wieso kann global so ausbeuterisch gewirtschaftet werden, wie in diesen Zeiten? Nein Herr Schwab, das mörderische System hat viele Freunde. Es kommt in den besten Familien vor. Oder wieso wählen wir und andere Staaten nicht Politiker, die sich an menschlichen und überlebenswichtigen (Planet + Menschheit) Werten orientieren? Das ganze System beruht auf Ausbeutung, Resourcen- und Energieverschwendung. Eine ganze Dienstleistungs- und Freizeitindustrie schafft Angebote, die ein mündiger, ganzheitlich denkender und handelnder Mensch gar nicht braucht. Kommt hinzu, dass der Dienstleistungsblödsinn entweder gar nicht funktioniert oder wenn er nach mehreren Anläufen funktioniert, reinste Abzockerei ist. Ein Diskurs über Werte, die einen Menschen über den Tag hinaus nachhaltig beeinflussen, stärken und lebenstüchtig machen, findet nicht statt, Wenn er stattfinden würde, könnten einige Gewinnler ihren Laden dicht machen. Wenn es so viele Menschen gibt, die vom herrschenden Klassensystem genug haben, was sie glauben Herr Schwab, wäre es Zeit, dass diese Menschen Farbe bekennen würden.

Lieber Herr Hofstetter, Sie mögen sicher recht haben mit Ihren Ausführungen über die Schwachheiten der Menschen. Meinerseits ziehe ich es vor, das Gute (und nicht das Schlechte) vor Augen zu haben im Sinne von: Sei Du selbst so, wie Du Dir die Welt wünschest. Eine wichtige Richtschnur für mein Denken und handeln sind die Seligpreisungen in der Bibel. Dort werden wir ermutigt, Kranke, Trauernde und Gefangene zu besuchen. Wir werden ermutigt, Frieden zu stiften und barmherzig zu sein. Wir werden aufgefordert, keine Gewalt anzuwenden und uns für die Verfolgten einzusetzen und denjenigen Nahrung zu geben, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.
Gemäss Bericht der Entwicklungsbank leben nicht nur Millionen, sondern 1,4 Milliarden Menschen ist schwerer Armut. Glauben Sie nicht auch, dass diese dürsten nach Gerechtigkeit ?
Jeder Mensch kann seine Fähigkeiten (Talente) und seine Kraft einsetzen, die Welt gerechter und friedvoller zu machen. Ein persönliches Engagement, z.B. bei der Pfarrer Sieber Stiftung, der Heilsarmee, der Nachbarschaftshilfe, im Asylwesen, bei Spital- und Gefängnisbesuchen verändert die Welt zum Guten. Der Sinn für Gerechtigkeit und Frieden wird bei mir selbst entwickelt und gestärkt. Ich freue mich über jeden und jede, welche auf diese Weise Farbe bekennen.

Auch sie, lieber Herr Schwab, haben in vielem recht. Natürlich fängt eine bessere Welt bei einem selbst an. Es ist nicht so, dass mir die Helferrolle nicht bekannt wäre. Ich habe in meiner beruflichen Tätigkeit mit arbeitslosen Menschen zu tun. Und sie stehen weiss Gott nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Auch Gratisarbeit ist mir nicht fremd. Viele Menschen sind derart unter Druck (Beruf + Privat), haben Probleme und Nöte, keine Bezugspersonen, Freunde etc., dass es einem nicht schwer fallen würde, Tag und Nacht helfen zu können. Gratis - wohlverstanden! In diesem Land hat sich eine Selbstbedienungsmentalität breitgemacht, die ich für gefährlich halte. Irgend jemand zahlt immer. Unter diesem Motto wird auf Pump gelebt, werden Häuser gekauft, Freizügigkeitsguthaben geplündert und im Alter Ergänzungsleistungen bezogen, die der Steuerzahler berappt. Rund um uns herum ist das Kartenhaus vielerorts schon zusammengebrochen. Damit Menschen empfänglicher wären für Wärme und Zusammenhalt, reicht ein Eigenheim aus Glas und Beton nicht aus. Ich habe heute den Film Master of Universe gesehen. Ein Investmentbanker packt aus. Allerdings erst dann, als er den Reibach bereits gemacht hatte und in Zukunft wohl nicht darben muss. Ein Film von gespenstischer Entfremdung menschlicher Existenz und ein Einzelschicksal, das für die heutige Zeit exemplarisch ist. Und das ist das Erschütternde: es geht weiter, als wäre nichts geschehen.

Die heutige Wirtschaftsordnung hat mit Krieg zu tun. Erfolg um jeden Preis, auch wenn man über Leichen gehen muss. Der Papst ist ein einsamer Rufer in der Wüste. Wobei das Wüste vor seiner Haustüre passiert. Der Vatikan ist den standardisierten, ausbeuterischen Marktprinzipien unterworfen. Ohne Ethik ist ein menschliches Leben eigentlich undenkbar. Das gilt in besonderem Masse für den Vatikan. Wasser predigen und Wein trinken kann auch besoffen machen. Aber eines muss man dem Papst lassen: Er scheut sich nicht davor, auch seine Kirche zu reformieren. Ob seine Gefolgschaft (Kardinäle) ihn dereinst an den Pranger stellen?

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