Durchsetzungs-Demagogie
Die Rhetorik, mit der die Granden der SVP ihre Propaganda für die Durchsetzungsinitiative zur Ausschaffung von Ausländern betreiben, zählt seit jeher zu den Grundelementen des populistischen Verführungshandwerks: Die SVP spricht für „das Volk“ und handelt für dessen Interessen. Wer eine andere Meinung hat und für andere Problemlösungen eintritt, gehört zur „Classe politique“ (O-Ton Blocher) und vertritt die eigensüchtigen Interessen „der Elite“ (O-Text Köppel).
Souveränität heisst nicht Allmacht
Dabei wundert man sich ein wenig, wie diese Durchsetzungstrommler wohl das Unterscheidungsvermögen des „Volkes“ einschätzen. Sollte in diesem so hochgelobten Kollektiv tatsächlich niemand auf die Idee kommen, dass der Milliardär und SVP-Übervater Blocher ein Paradefall der Classe politique ist, ebenso wie der Chefredaktor und Neunationalrat Köppel zum schwammigen Club der Elite zählt?
Ja, es stimmt, in einer direkten Demokratie ist das Volk – respektive die Stimmbürger – der Souverän. Aber in einer reifen, gefestigten Demokratie, zu der auch parlamentarische Instanzen gehören, heisst Souveränität nicht Allmacht. Die Souveränität des Mehrheitsprinzips ist vielmehr eingebettet in ein gleichgewichtiges System liberaler Grundwerte wie der Gewaltentrennung (den berühmten „checks and balances“) und der unveräusserlichen Menschenrechte. Diese Grundwerte sind in der schweizerischen Bundesverfassung garantiert, in die nach dem Willen der SVP nun auch ihre ellenlange Durchsetzungsinitiative (rund 4 Seiten Text mit detaillierten Handlungsanweisungen) eingefügt werden soll.
Eine Verabsolutierung des Mehrheitsprinzips und die Ausschaltung der Gewaltenteilung aber drohen in eine „Tyrannei der Mehrheit“ zu kippen. Vor dieser Gefahr hat schon der französische Historiker Alexis de Tocqueville in seinem berühmten Buch „Über die Demokratie in Amerika“ gewarnt. Das Volk hat „nicht immer recht“ oder „immer das letzte Wort“, wie die SVP-Propagandisten gebetsmühlenartig verkünden. Selbst die stockkonservative britische Regierungschefin Margret Thatcher hatte einst geäussert, sie werde sich hüten, das Volk über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen zu lassen. Offenkundig traute sie dem Parlament, das diese Strafe abgeschafft hatte, in dieser emotionsträchtigen Frage ein differenzierteres, umsichtigeres Urteil zu.
Blocher und der „Weg in die Diktatur“
Das vom Volk gewählte Parlament hat nach der Annahme der ersten Ausschaffungsinitiative im Jahre 2010 fristgerecht ein neues Gesetz zur Ausweisung krimineller Ausländer mit wesentlich verschärften Bestimmungen verabschiedet. Die SVP ist insbesondere mit der sogenannten Härtefall-Klausel bei Landesverweisungen nicht einverstanden. Ihre Propagandisten verschweigen aber, dass diese Klausel nur in enger gefassten Ausnahmefällen vom Gericht angewendet werden kann. Ausgeblendet wird von SVP-Seite ebenfalls, dass in dem verabschiedeten Gesetz bei schweren Delikten ausdrücklich von „obligatorischer Landesverweisung“ die Rede ist. Die Härtefallklausel (die SVP-Trommler nennen sie „Täterschutzklausel“) ist damit zwar nicht restlos ausgeschaltet, aber unmissverständlich eingeschränkt.
Die SVP hat gegen das von der gewählten Parlamentsmehrheit angenommene Gesetz nicht etwa das Referendum ergriffen, wie dies der übliche Weg für eine neue Volksentscheidung gewesen wäre. Sie lancierte stattdessen ihre Durchsetzungsinitiative, deren Annahme bedeuten würde, dass das Parlament nichts mehr über deren gesetzliche Ausgestaltung zu sagen hätte. Im Abstimmungsbüchlein schreibt der Bundesrat zu diesem in der Schweiz völlig neuartigen Vorgehen: „Damit umgeht die Initiative das Parlament und schränkt die Befugnisse der Gerichte massiv ein. Sie bricht mit Grundregeln unserer Demokratie und stellt unseren Rechtsstaat in Frage.“
Mit andern Worten: Die bewährten „checks and balances“ unserer Verfassungsdemokratie sollen ausser Kraft gesetzt und Tocquevilles kluge Warnung vor der der „Tyrannei der Mehrheit“ in den Wind geschlagen werden. Blocher dagegen dreht den Spiess demagogisch um und behauptet, ohne solche Durchsetzungsinitiativen sei die Schweiz „auf dem Weg in die Diktatur“. Was eine pluralistische Parlamentsmehrheit beschliesst, ist nach dieser abstrusen Logik also der „Weg in die Diktatur“!
Manipulierte Zahlen
Zur SVP-Propaganda in Sachen Durchsetzungsinitiative gehört das Hantieren mit manipulierten Zahlen. In vielen Zeitungen erscheinen kostspielige Grossinserate mit den „Fakten“ über die Ausländerkriminalität – kräftig mitfinanziert offenbar aus den tiefen Taschen des SVP-Chefstrategen. 73 Prozent aller Gefängnisinsassen sind Ausländer, heisst es da. Die Zahl (aus dem Jahr 2014, 2015 waren es 2 Prozent weniger) stimmt sogar.
Doch falsch ist die Suggestion, dass nur mit der Ausschaffungsinitiative alle diese Kriminellen aus dem Lande gewiesen würden (nach Verbüssung der Strafe). Nur 19 Prozent aller Gefangenen sind Ausländer, die auch in der Schweiz ständig wohnhaft sind und damit von der Durchsetzungsinitiative betroffen wären. 26 Prozent sind Schweizer. Der Rest sind Asylsuchende (12 Prozent) oder sogenannte Kriminaltouristen (43 Prozent). Letztere haben auch ohne SVP-Initiative kein Anrecht, in der Schweiz zu bleiben. Die 73 Prozent Gefängnisinsassen, die nach ihrer Verbüssung vermeintlich aufgrund der SVP-Initiative des Landes verwiesen würden, sind demnach ein Etikettenschwindel.
Den Billig-Slogan „Elite versus Souverän“ widerlegen
Verschwiegen werden von den Trommlern der Durchsetzungsinitiative auch die akuten Vollzugsprobleme, die sich bei einer starken Zunahme von Landesverweisungen und Zwangsausschaffungen stellen. Schon jetzt ist es in vielen Fällen schwierig bis unmöglich, Kriminelle oder Asylbewerber, die keine Aufenthaltsbewilligung haben oder diese verwirkten, ins Ausland abzuschieben. Längst nicht mit allen Ländern ausserhalb Europas bestehen entsprechende Rücknahmeverträge. Manche Staaten sind nicht ohne weiteres bereit, solche vom Ausland abgeschobene Bürger wieder aufzunehmen.
„Weltwoche“-Chef Roger Köppel behauptet, es gehe bei der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative um einen „Machtkampf der Eliten gegen den demokratischen Souverän“. Um einen Machtkampf geht es der SVP in der Tat: Sie will beweisen, dass sie „das Volk“ verkörpert und nicht das vom gleichen Volk gewählte pluralistische Parlament, in dem die SVP-Vertreter eben nur 30 Prozent ausmachen. Falls am 28. Februar der vielzitierte Souverän, also die Mehrheit der abstimmenden Bürger, die SVP-Initiative zurückweist – stimmt dann der simplifizierende Köppel-Slogan „Volk versus Elite“ immer noch? Wird diese Behauptung von den Stimmbürgern widerlegt, darf man gespannt sein, mit welcher Rabulistik dann die Durchsetzungstrommler das komplexe helvetische Machtgefüge erklären würden.
Es ist zu hoffen, dass eine Mehrheit der an diesem Urnengang teilnehmenden Bürger sich nicht mit demagogischen Schlagworten in eine von Ideologen konstruierte Zweiklassengesellschaft auseinanderdividieren lässt. Dies umso mehr, als die SVP-Strategen noch weitere Projekte im Köcher haben, um mit der künstlichen Spaltungstaktik „Volk versus Elite“ ihre Macht zu demonstrieren und bewährte demokratische Grundregeln aus den Angeln zu heben. Eine klare Abfuhr für die Durchsetzungsinitiative könnte vielleicht die SVP veranlassen, künftig ihr populistisches Potenzial etwas zurückhaltender und mit mehr Respekt für die gesetzgeberische Rolle des vom Volk gewählten Parlaments zu nutzen.
Vielen Dank Herr Buchmann für Ihre klaren Worte. Und deshalb wird es am 28.2. auch ein JA zur DI geben.
Zu Recht werden hier zuvorderst Christoph Blocher und Roger Köppel erwähnt. Leider wird aber auch die Bevölkerung der Nordwestschweiz vom Chefredaktor der BaZ, Markus Somm (einem strammen Ziehsohn Christoph Blochers, auch er!) im gleichen Sinn desinformiert. Himmeltraurig - aber man kann am 28.02. immerhin ein wuchtiges NEIN einlegen!
Also mein Respekt für die gesetzgeberische Rolle des vom Volk gewählten Parlaments hält sich in sehr engen Grenzen. Was da schlussendlich an Vorschriften und Verordnungen produziert wird, ist eine Katastrophe sondergleichen und hat mit "gesundem Menschenverstand" in der Regel nicht viel zu tun. Kein Wunder, dass viele Bürger dieses Landes die Nase voll haben und dann Ihren Frust bei solchen Abstimmungen abreagieren. Das hat nichts mit der SVP und schon gar nicht mit deren Granden zu tun.
Die Gegner der Initiative haben in den letzten Wochen eine Kampange gestartet, die an apokalyptischer Rhetorik kaum zu überbieten ist. Kaum ein Richter, Ex-Bundesrat, Weihbischof, Rapper, VR-Präsidenten oder Schauspieler, der die DSI nicht verdammt oder ein Manifest gegen die "unmenschliche SVP-Initiative" unterzeichnet hat. Wie allergisch das Stimmvolk auf solche Moralpredigten und Zeigefinger der sog. "Elite" reagiert, hat es schon oft gezeigt.
Auch bei einem Ja zur DSI wird die Schweiz nicht untergehen. In den USA, Kanada und anderen zivilisierten Ländern dieser Erde gelten seit geraumer Zeit ähnliche oder sogar noch strengere Regeln gegen kriminelle Ausländer.
Danke!
Die Überprüfung der Verhältnismässigkeit eines Landesverweises wird durch die Durchsetzungsinitiative nicht aufgehoben.
Der Artikel 5 BV, welcher die Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns behandelt, Art. 8 BV zur Rechtsgleichheit und Art. 36 BV zu den Einschränkungen von Grundrechten bleiben in Kraft. Es gibt viele Rechtsvorschriften, die sich widersprechen. Die Abwägung durch die Gerichte bleibt bestehen. Die Aufgabe der Gerichte ist es, widersprüchliche Rechtsvorschriften gegeneinander abzuwägen Das wäre beim Thema "Verhältnismässigkeit bei angedrohtem Landesverweis" anspruchsvoll aber lösbar, sofern das Bundesgericht nicht die lex posterior-Regel anwendet, was es aus rechtlichen Gründen nicht darf. Gewisse Grundsätze der Verfassung sind revisionsfest, müssen es sein. Die Bestimmungen in der Durchsetzungsinitiative dürften allerdings zur nötigen Verschärfung der Praxis beim Landesverweis führen.
Herr Alex Schneider, betreffend "Verhältnismässigkeit bei Landesverweis" wird eben das Bundesgericht ausgeschaltet und dieses Unwissen Ihrerseits zeigt mir, dass Sie den Text nicht mit der nötigen Sorgfalt gelesen haben. Die obersten Kantonalen Gerichte sind Endstation. Und der Automatismus in dieser stümperhaften Initiativ-Vorlage schaltet den Spielraum aus. Weiter sind auch Staatsanwaltschaften verpflichtet, Landesverweise zu fordern. Aussprechen müssen diese aber die Migrationsämter. Die nötige Verschärfung? Damit sprechen Sie das Grundübel an. Die ASI von 2010 ist umgesetzt. Durch den Druck der SVP sogar sehr viel härter, als dies Rechtsstaatlich eigentlich möglich war und ist. Deswegen habe ich eine Frage an SIE: Warum bin ich als Auländerin mit 36J. Aufenthalt/C-Bewilligug/ sauberem Strafregister-Auszug und einwandfreiem Leumund plötzlich eine Kriminelle Ausländerin? Nur weil ich einmal Ausgesteuert war und nun bald wieder davon betroffen bin? Ich bin nicht kriminell, aber die SVP macht Menschen wie mich dazu!
Herr Schneider,
"die Bestimmungen in der Durchsetzungsinitiative dürften allerdings zur nötigen Verschärfung der Praxis beim Landesverweis führen", sagen Sie. Kein Mensch ist dafür, dass die straffällig gewordenen Ausländer bei uns bleiben dürfen, aber die vorhandenen Gesetze genügen. Und wenn die Länder, in welche die Leute zurückgeschafft werden sollen, diese nicht zurücknehmen, was nützen dann diese Bestimmungen?
Die DI und die SVP will nichts anderes als die schweizerische Demokratie umbauen, und zwar auf eine ganz perfide Art, indem sie die vordergründigen Probleme der Stimmenden mit populistischen Sprüchen anspricht, aber keine wirklichen Lösungen vorschlägt.
Hoffentlich merken es noch genügend Personen aus dem von der erwähnten Partei gerühmten "Stimmvolk" (und der übrigen Schweiz), dass wir so in eine Sackgasse geraten, und es keine andere Möglichkeit gibt als ganz deutlich NEIN zu stimmen.
"Rechtlich kann der Verfassungsgeber am 28. Februar 2016 der Justiz aber weder mit einem Ja noch mit einem Nein zur Durchsetzungsinitiative abschliessend vorschreiben, was im konkreten Anwendungsfall Recht sein soll. Der Verfassungsgeber kann die Justiz nicht zur Anwendung des Ausweisungsautomatismus zwingen." (Matthias Bertschinger im Blog „Mein Senf dazu“: „Sozialmissbrauch“ führt zu automatischer „Ausschaffung“ – darf das Volk alles? vom 13. Dezember 2015, zitiert bei Infosperber „Die Grenzen der Demokratie vom 9. Februar 2016). Aber mit der Durchsetzungsinitiative und etwas weniger mit der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative dürfte die Härtefallklausel etwas restriktiver zur Anwendung kommen.
Hervorragender Artikel, ohne die üblichen Schweizuntergangsszenarien und Moralpredigten und ohne Nazi-Keule. Nur ein Punkt: Dass die Initianten kein Referendum gegen das Gesetz ergriffen haben, ist nachvollziehbar; sie waren mit dem Gesetz mit Ausnahme der Härtefallklausel ja einverstanden.
Wunderbarer Artikel. Spricht mir aus dem Herzen. Die ELITE der SVP verbreitet bewusst Halbwahrheiten und führt ihre Schäflein (weisse?) bewusst an der Nase herum. Fernziel ist, neben Marketinglärm, Rache des verletzten abgewählten BR, ganz eindeutig
die Aushebelung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das Fussvolk wird in seiner Grundwut angestachelt und feuert gegen alles Fremde, gegen die Ausländer und namentlich die EU. Ich habe einige Leserbriefe in den Foren analysiert: das SVP-Fussvolk weiss eigentlich nicht über was es abstimmt, haben den Text der DI nie gelesen, sich noch nie mit der Bundesverfassung auseinandergesetzt und als Tüpfelchen auf dem i, schimpfen gegen die EU. Dieses Unwissen, diese aufgeheizte Stammtischwut wird vom Herrliberger, dem Chefredaktor und den Mörgelis & Co. gezielt für ihre Zwecke missbraucht:warnende Bundesrichter und andere besonnene Juristen und Wissenschafter haben selbstverständlich keine Ahnung von der Materie, weil sie ja Elite und alle links sind (Ironie wird als solche hoffentlich wahrgenommen).
Danke, Herr Meier, luzid und durchdacht wie immer. Auch Sie sind Volkes Stimme.
Die SVP beschädigt die liberalen, weltoffenen Errungenschaften der Schweiz aus reinem Machtkalkül.