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16. Februar 2021

Ein Boulevard-Boykott wäre eine Option

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Ein Boulevard-Boykott wäre eine Option

Von Reinhard Meier, 21.07.2011

Rupert Murdochs Boulevard-Blätter werden von einem Millionenpublikum gekauft, weil diese den Stoff bringen, den die Leute wollen. Die oft skrupellosen Boulevard-Methoden sind bekannt. Bei Medien-Skandalen könnte ein gelegentlicher Konsumenten-Streik zur Besserung beitragen.

Empörung kostet nicht viel, schrieb ein Leitartikler im Hamburger Wochenblatt „Die Zeit“ im Zusammenhang mit dem Skandal um die kriminellen Machenschaften von Murdochs Boulevard-Postille „News of the World“. Der Kommentar legt damit den Finger auf eine Schwachstelle der öffentlichen Empörung über die oft skrupellosen Praktiken des Bouelevard-Journalismus bei der Fabrizierung seiner Klatsch- und Enthüllungsgeschichten.

Jetzt sind alle entsetzt

Denn natürlich ist das Publikum nicht völlig ahnungslos, wie diese Stories mit den fetten Schlagzeilen häufig zustande kommen. Schliesslich ist der Skandal um illegale Abhör-Methoden von Murdochs „News of the World“ seit längerem bekannt. Das Anzapfen von Telefon-Beantwortern bei Mitgliedern der Royals hatte schon vor Jahren Schlagzeilen gemacht und einzelne Akteure sind dafür auch gerichtlich verurteilt worden. Erst die Enthüllungen, dass die Combox eines ermordeten Mädchens abgehört und damit eine schmierige Story zusammengekocht worden ist und dass Polizisten für Auskünfte bestochen wurden, hat das Fass zum Überlaufen gebracht und das britische Parlament in Trab versetzt.

Nun geben sich alle entsetzt über so viel schmutzigen Boulevard-Sumpf. Aber die Frage muss erlaubt sein: Hat das Publikum, das bis zur letzten Ausgabe millionenfach das Weekend-Blatt „News of the World“ kaufte und weiterhin in Massen täglich das ebenso unseriöse Sex-and-Crime-Tabloid „The Sun“ konsumiert, aus dieser Empörung konkrete Konsequenzen gezogen? Wird nun in Grossbritannien spürbar weniger seichte Boulevard-Kost konsumiert?

Die Jäger werden zu Gejagten

Dabei geht es nicht allein um die erwähnten Murdoch-Blätter. Niemand zweifelt ja wohl im ernst daran, dass auch in andern Boulevard-Medien mitunter ähnlich üble Machenschaften im Schwange sind, wie sie nun im Falle von „News of the World“ an den Pranger gestellt werden. Und das gilt gewiss nicht allein für das britische Königreich.

Dazu zunächst zwei Klarstellungen. Erstens muss betont werden, dass Murdoch und seine eifrigen Adlaten, die in den Abhör- und Korruptionsskandal um das „News of the World“ verwickelt sind, am Ende doch nicht ungeschoren davon kommen. Der mächtige Medien-Mogul sah sich genötigt, sein am übelsten beleumdetes Revolverblatt einzustellen. Er und seine engsten Spiesgesellen (auch eine Spiessgesellin ist dabei) mussten sich im britischen Unterhaus einem peinlichen Verhör unterziehen. Sein grosser Deal, die Mehrheit des britischen Bezahl-Fernsehers BSkyB zu übernehmen, ist geplatzt. Die Aktien seines Konzerns sind abgesackt.

Die „Jäger sind zu Gejagten geworden“, wie Maureen Dowd, die scharfzüngige Kolumnistin der „New York Times“, feststellte. Ausserdem mussten die beiden obersten Chefs der Londoner Polizeibehörde zurücktreten. Die Mühlen demokratischer Kontrollinstanzen (konkurrierende Medien, die Justiz und schliesslich das Parlament) mahlen beim Murdoch-Skandal zwar langsam, aber sie mahlen nun immerhin.

Klatsch- und Sensationsmedien sind legitim

Zweitens soll hier nicht ein moralinsaures Pamphlet zur Ächtung oder gar zur Abschaffung der Boulevard-Medien verbreitet werden. Das wäre nicht nur weltfremd, sondern auch undemokratisch. Geschäfte mit der Verbreitung von Klatsch und Sensationen zu machen, sollen nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden.

Für Unterhaltung mit grell aufgeschminkten Grusel- und Schlüsselloch-Geschichten, Sex und Crime und andern mehr oder weniger prickelnden Stories besteht nun einmal seit eh und je eine breite Nachfrage. Das wussten schon die Märchenerzähler im Altertum und im Mittelalter, als die Mehrheit der Menschheit nicht lesen konnte und noch niemand vom Fernsehen träumte. Und die Nachfrage nach solchem Stoff wird in erster Linie von der menschlichen Neugierde angetrieben – einem Motor, dem wir in manchen Lebensbereichen wie etwa in der Wissenschaft grossartige Fortschritte verdanken.

Die Macht der Leserzahlen und Einschaltquoten

Doch Neugier auf Menschlich-Allzumenschliches und rücksichtsloser Voyeurismus ist nicht das Gleiche. Und wo die voyeuristischen Interessen im Publikum vom Boulevard erst noch mit kriminellen Methoden bedient werden, hätten die Konsumenten, die diese Praktiken nicht billigen, es in der Hand, selber ein wirkungsvolles Stopp-Zeichen zu setzen: Sie könnten diejenigen Medien, die die Grenzen des Tolerierbaren überschreiten, boykottieren. Falls bei einer solchen Empörungs-Aktion genügend Konsumenten mitmachen, würde dies den Verantwortlichen in den Medienhäusern schnell und tief unter die Haut gehen – das gilt für die Leserzahlen beim gedruckten ebenso wie für die Einschaltquoten beim elektronischen Boulevard.

Wer aber soll solche Boykott-Aufrufen organisieren? Sie könnten zum Sanktionsarsenal von nichtstaatlichen Presseräten oder von andern privaten Institutionen und Stiftungen gehören. Aufrufe mit genauerer Begründung zum Boykott krass fehlbarer Medien liessen sich bei Skandalen, wie sie jetzt Grossbritannien in Wallung bringen, jedenfalls verhältnismässig einfach verbreiten.

Man kann etwas tun

Schwieriger könnte es werden, die notwendige kritische Masse von Medienkonsumenten dazu zu bewegen, bei einem gezielten Konsumenten-Streik mitzumachen. Zwar kämpfen viele unter den grossen traditionellen Boulevard-Blättern (vom „Blick“ über „Bild“ bis zu den britischen Tabloids) wie andere Print-Medien auch unter Auflageschwund. Doch das hat kaum mit einer krtischeren Einstellung der Leser, als vielmehr mit der Konkurrenz im Internet zu tun.

Dennoch hat die Idee einer Boykott-Bewegung als Reaktion auf extreme und kriminelle Missbräuche im Sensationsgeschäft der Boulevard-Medien etwas Bestechendes. Sie hat nichts mit staatlicher Zensur zu tun. Aber sie könnte dem Publikum schärfer ins Bewusstsein bringen, dass zwischen den Machenschaften, wie sie jetzt im Falle von „News of the World“ an den Pranger gestellt werden, und den Konsumenten eine gewisse Komplizität besteht – und dass man dagegen etwas tun kann. Die Empörug würde immer noch nicht viel kosten, aber sie bekäme Gewicht.

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"Dennoch hat die Idee einer Boykott-Bewegung ... etwas Bestechendes."

Die Idee ist seeeeeeeehr alt und hat noch nie funktioniert. Ich finde es im Gegenteil oft ein Unding, wie die Verantwortung immer auf den Verbraucher abgewälzt wird mit dem Argument, dass ohne den entsprechenden Markt so etwas ja nicht möglich wäre. Man baut sich eine Argumentationsschleife der Form "der Markt regelt alles -> wir regeln einfach den Markt -> wir können alles regeln, wenn wir nur wollen".

Wenn das dann nicht klappt mit dem Boykott dann haben eben die Verbraucher das nicht genügend gewollt. Also kann man ja weiter machen mit den entsprechenden Missständen.

"Nun geben sich alle entsetzt"? Wirklich? Ich befürchte, zumindest hierzulande geht den meisten Boulevard-Konsumenten die Affäre am Allerwertesten vorbei.

Ihr Menschenbild in Ehren, aber es fällt möglicherweise etwas zu positiv aus. Ein sehr großer Teil der Bevölkerung ergötzt sich offenbar am Sumpf - vielleicht hat diese Beschäftigung sogar eine katharsische Wirkung. Ein Boykottaufruf würde - wenn überhaupt - nur eine kurzfristige Wirkung erzielen.

Einen negativen Trend mag ich dabei nicht auszumachen - die Sensationslust hat eine lange Tradition: Öffentliche Hinrichtungen und Hexenverbrennungen, die Reichspogromnacht.

Vor genau 40 Jahren gab es ein schweres Zugunglück im südbadischen Rheinweiler. Helfer berichteten, dass Schaulustige zu den Tragen liefen, auf denen die Toten weggetragen wurden, und die Abdecklaken hochhoben, um die sich die teils verstümmelten Leichen anschauen zu können - siehe http://t.co/0DTn7Bu

"Schwieriger könnte es werden, die notwendige kritische Masse von Medienkonsumenten dazu zu bewegen, bei einem gezielten Konsumenten-Streik mitzumachen."

Die Geschichte hat gezeigt, dass es praktisch unmöglich ist, eine solche kritische Masse zu bewegen. So etwas "einzufordern" hieße, von den Römern damals erwartet zu haben, etwas gegen die damalige Dekadenz zu unternehmen und zu erkennen, dass ihr Verhalten in den Untergang führt. Natürlich gab es auch damals schon Warner, die ungehört blieben. Der Mensch passt sich jedoch den Gegebenheiten an - im Guten wie im Schlechten. Wenn nur Aas zur Verfügung steht, lernt der Mensch, mit Aas zufrieden zu sein, und dann spezialisiert er sich darauf. In Zeiten von Internet, Smartphones und allgegenwärtigen Mobiltelefonen mit Rufnummerspeichern merkt sich der moderne Mensch ja auch immer weniger Inhalte, sondern vermehrt nur die Wege zum Auffinden. Wenn sich also eine Masse damit arrangiert, niveaubefreite Meldungen zu erhalten, weil die Zahl dieser Meldungen immer größer wird, dann ist das historisch gesehen ein unumkehrbarer Prozess. Bis entweder der große Knall kommt (wie der Untergang des Römischen Reiches) oder sich die Medien ob der großen Konkurrenz und fehlender Unterscheidungsmerkmale zur Umkehr ihrer wirtschaftsgetriebenen Verdummungspolitik bewegen. Ersteres halte ich allerdings für wahrscheinlicher. Nicht umsonst wird Europa wirtschaftlich von aufstrebenden ehemaligen Drittweltländern langsam ein- bis überholt.

"Dennoch hat die Idee einer Boykott-Bewegung als Reaktion auf extreme und kriminelle Missbräuche im Sensationsgeschäft der Boulevard-Medien etwas Bestechendes."

Die Idee besticht mich eher wenig. Die Vorstellung von Boykotts als Sanktionsmittel ist ein alter Hut.

Autofahrer könnten die hohen Spritpreise durch Tankstellen-Boykott sanktionieren. Kranke könnten die hohen Medikamentenpreise durch Apothekenboykott abstrafen. Palistinenser könnten die Israelis boykottieren indem sie für diese nicht mehr die Billigarbeitskräfte sein wollen.

Bei solchen Boykott-Überlegungen sollte man erst einmal schauen, inwiefern sie auch durchführbar sind und wie die Chancen stehen, dass der Boykott auch tatsächlich eintrifft. Insofern finde ich den Gedankengang des Autors ein wenig einfältig.

Den meisten "gläubigen" Lesern von Boulevardblättern geht es doch gerade darum, dass dumpfe Vorurteile, Klischees oder Feindbilder von dieser Journaille formuliert oder sogar erst ins Leben gerufen werden.

Die Kampagne der deutschen BILD-"Zeitung" unter dem Motto "BILD erklärt Ihnen, was die Griechen für Betrüger & faule Säcke sind" ist ein aktuelles Beispiel. Diese Kampagne war so erfolgreich, dass deren Macher sogar eine renomierte Auszeichnung dafür erhalten haben.

Der These des Autors stelle daher die These "Boykottiert die Leser/Käufer dieser Blätter!" gegenüber. Denn den Machern der Boulevard-Blätter kann man eigentlich nicht vorwerfen, dass Sie ein erfolgreiches und beliebtes Produkt vermarkten.

Und es funktioniert doch.Nach der Hillsborough-Katastrophe wurde die "SUN"rund um Liverpool konsequent boykottiert.verdientermaßen.Und die Liverpooler haben mehr als 16 Jahre durchgehalten.Es geht wohl nur so.

Ich kann dem Artikel nur zustimmen, sehe es aber wie Gast: Es ist doch gerade das schäbige, was die Leser dieser Blätter wollen und dann mit dem Finger drauf zeigen und Pfui rufen. Mal ehrlich, wer wird denn jetzt auf seine BLÖD verzichten? oder würde es tun, wenn derartige Praktiken auch hier in D aufgedeckt würden? Ist doch alles egal, solange vorne Titten und hinten das Wetter zu sehen sind und zwischendrin irgendein (erfundener) Murks über Fußball.

Sehr guter Artikel. Stimmt schon. Nur eines wurde vergessen: Die vielen Menschen, die täglich an den Kiosken stehen und ihr Ersatzleben in diesen widerlichen Heftchen und Zeitungen suchen, werden einen ... darauf geben, ob ihr Kauf etwas mit Moral zu tun hat oder nicht. Und so wäre es wohl ehrlicher und realistischer zu sagen: Nach kurzer Zeit wird diese Drecksgeschichte vergessen sein und der Wahnsinn wird weitergehen!

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