Eine Partei zerlegt sich

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Eine Partei zerlegt sich

Von Heiner Hug, 15.01.2018

Parteichef Schulz kämpft für etwas, das er vor kurzem noch energisch bekämpft hat. Ein Kommentar.

Die SPD ist als Verliererin aus den Vor-Verhandlungen zur Bildung einer Grossen Koalition hervorgegangen. Eigentlich hätte sie der ebenfalls darbenden CDU den Tarif erklären können, denn die CDU braucht jetzt die SPD. Doch nichts dergleichen. Parteichef Schulz liess sich über den Tisch ziehen. Fast nichts konnte er durchsetzen. Das merkt die Partei erst jetzt. Nun verlangt sie Nachbesserungen. Und nun sagt die CDU: Kommt nicht in Frage.

Seit langem stecken die deutschen Sozialdemokraten im Tal der Tränen. Die einst stolze Partei, die die deutsche Politik über Jahrzehnte massgeblich prägte (oder zumindest mitprägte), liegt wie eine zappelnde Verletzte auf der Bahre. Auf 20,5 Prozent kam sie noch bei den Bundestagswahlen – historischer Tiefstand. Und dies, weil sie in der Grossen Koalition – angekettet an Angela Merkel – jedes sozialdemokratische Profil verloren hat. Die Partei politisiert an ihrer einstigen Kundschaft vorbei.

Die 20,5 Prozent hätten ein Weckruf sein sollen, ein schriller Pfiff: eine Aufforderung zur Regenerierung. Das sah zunächst auch Parteichef Schulz so, als er kategorisch eine neue GroKo ausschloss. Doch nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen brach er ein. Plötzlich fabulierte er von „Verantwortung für das Land“, deren man sich nicht entziehen könne.

Jetzt, diese Woche, muss Schulz die Parteidelegierten überzeugen, dass eine Grosse Koalition eben doch das einzig Richtige ist. Und schon beginnt ein weiterer Akt des Trauerspiels: schon zerfleischt sich die Partei. Die Jusos kämpfen energisch gegen eine dritte Auflage der GroKo. Der Landesverband Sachsen-Anhalt hat schon dagegen gestimmt. Auch in andern Landesverbänden ist die Begeisterung nicht gewaltig.

Selbst wenn dann am Schluss eine GroKo durchgezwängt wird: die SPD steht da wie ein begossener Pudel. Der Vertrauensverlust ist enorm. Parteichef Schulz darf für sich in Anspruch nehmen, seine SPD zu einer Krümel-Partei zu degradieren. Sollte die GroKo erneut zustande kommen, muss die Partei befürchten, dass sie bei den Wahlen in vier Jahren weit unter die 20-Prozent-Marke rutscht. Vielleicht wird sie dann von der AfD überholt.

Nur in der Opposition könnte sich die Partei erneuern – sofern sie es denn kann. Als fünftes Rad am Wagen einer Grossen Koalition wird die Agonie nur verlängert. Ginge sie in die Opposition, hätte das zudem den Vorteil, dass sie im Bundestag die Oppositionsrolle nicht allein der lauten AfD überlassen würde.

Eine Demokratie ist dann stark, wenn mindestens zwei grosse Lager um die besten Lösungen ringen. Deshalb ist es wichtig, dass die SPD wieder eine starke Partei wird. In einer GroKo wird sie das nicht. Die SPD braucht dringend neues Personal und vor allem einen neuen Parteichef.

Aber auch der CDU täte es gut, wenn die Grosse Koalition zerbräche; denn auch die CDU ist ausgelaugt und erschöpft und sollte dringend über die Bücher.

Es wird vermutlich nicht zu einem Bruch kommen. So stehen den Deutschen denn müde politische Jahre bevor. Die Frage ist natürlich, was bei einem Platzen der GroKo geschehen würde. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: eine CDU-Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Keine schönen Aussichten.

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Von Gisbert Kuhn, 14.09.2020

Das zweitklassige Ergebnis hätte die SPD auch schon vor drei Monaten haben können. Jetzt ist es nur noch drittklassig zu nennen.
Von linker SPD-Politik ist kaum mehr etwas zu sehen. A. Merkel hat es anscheinend geschafft, ihre CDU zu befrieden und gleichzeitig die SPD-Grossen zu zahnlosen Mehrheitsbeschaffern zu machen.
Vielleicht erkennt das die SPD-Basis noch und beendet das ganze Schauspiel eines Untergangs einer würdelos gewordenen Parteiführung.

Gerade weil eine Minderheitsregierung in Deutschland dem Parlament mehr Mitsprache und Macht einräumen müsste, wäre sie wichtig, weil demokratischer. Aber, wie Herr Ramseyer richtig bemerkt, wird auch in Frankreich meist am Parlament vorbei und per Dekret regiert.
Auch in der EU wird von 27 oder 28 nicht gewählten Kommissaren und einer Art Direktorium regiert. Eine totale Demokratie.

Super Analyse! Merci. Es hat ja schon mit SPD-Schröder (inzwischen Gasprom) und seinen staatlich subventionierten Hungerlöhnen begonnen. Aber die Debatten um eine Minderheitsregierung hat viel tiefer liegende Probleme offengelegt: Merkel wollte diese (wie auch Jamaika) partout nicht. Wieso? Weil vorab eine Minderheitsregierung dem Parlament (Bundestag) viel mehr Macht gegeben hätte: Wie bei uns in der Schweiz ganz selbstverständlich, so hätte eine deutsche Minderheitsregierung für alle ihre Gesetzes-Projekte wechselnde Mehrheiten im Bundestag suchen müssen. Das ist man sich da nicht gewohnt. Da macht faktisch die Regierung auch die Gesetze (keine Gewaltentrennung!) und diese werden im oft fast leeren Parlament (mit Stimmzwang vorab in den Regierungsparteien) einfach durchgewunken. In Frankreich ist es jetzt mit all den ahnungslosen NichtpolitikerInnen von "En Marche" in der Assemblée Nationale noch viel schlimmer: Da herrscht der "Président des riches" E. Macron fast absolutistisch - oft gar mit Dekreten am Parlament vorbei.
Was mitunter vergessen geht: Die "Magistral-Sozialisten" in der SPD vollen eben auch ihre Ministerposten mit grossem Büro und Fahrbereitschaft (grosser Mercedes mit Chauffeur) verteidigen. Die Macht eben. Niklaus Ramseyer

Ja, Sie haben recht. Ich möchte noch etwas positives sehen können: die SPD der Kohleförderung und -Verbrennung, der Betriebsräte der grossen Konzerne, der Duldung der prekären Arbeits- und Werkverträge, der schwarzen Null, der Wertaufgabe für den Erhalt von jeder Art von Arbeitsstellen, et j'en passe, hat sich geopfert um die Verfolgung der europäischen Reform von Emmanuel Macron zu unterstützen. Ich weiss: möglicherweise bis es ums Geld und um Solidarität geht... Un tout petit peu de rêve encore avec ce parti ni de gauche, ni de droite, bien au contraire...

SPD-Parteichef Martin Schultz ist nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen nicht einfach so von sich aus in seiner Ablehnung zu einer neuen Auflage der GroKo eingebrochen, sondern er wurde förmlich von seinem Parteikollegen und Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier dazu "weichgeklopft".

Lieber Hr. Hug. Als CH-Bürger in den NL lebend verfolge ich die Politik in D intensiv. Auffallend ist für mich, dass die echte Alternative für mehr direkte, parlamentarische Demokratie, nämlich eine Minderheitsregierung, gar nicht mehr diskutiert wird. Was ist den eine Regierung wert, die sich in einen engen Rahmen mit Koalitionsverträgen bindet und somit den Spielraum für "die beste Lösung" einschränkt. Das ständige Gesabber, sich dem Wählerauftrag verpflichtet zu fühlen, ist doch nur eine faule, bequeme Ausrede! Das Grundgesetzt verlangt doch vom Parlament und Regierung "zum Wohle des Landes" zu agieren. Mit einer MhReg müsste im offenen Dialog und mit dere Opposition gerungen werden. Die Oppositon hätte damit auch eine Chance auf Mitbestimmung. - Logisch, D ist für eine solche Form absolut nicht reif, die "Lernkurve" würde harzig verlaufen. - Aber, es wird die Zeit kommen, wo dem nicht mehr ausgewichen werden kann. Denn die Zersplitterung der grossen Parteien wird immer zügiger voranschreiten. Nicht zu letzt wegen genau dieser Frage. Was in den skandinavischen Staaten, sogar in der Schweiz funktioniert, müsste endlich auch in D angestrebt werden. Sehen Sie das nich auch so ? Beste Grüsse aus Holland

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