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16. Februar 2021

Eine Regierung in der Krise

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Eine Regierung in der Krise

Von Hans Woller, 27.08.2014

Nur fünf Monate nach der letzten Regierungsumbildung hat Frankreich schon wieder ein neues Kabinett. Die politische Krise ist damit aber nicht beendet.

Zweieinhalb Jahre lang hat sich François Hollande gewunden, seit Dienstagabend und der Bekanntgabe der neuen Regierung Valls II sind die Dinge nun endlich klar.

Der Sozialist Hollande macht auf Tony Blair. Der Mann, der im Wahlkampf 2012 noch getönt hatte, die Finanzwelt sei sein Feind, hat jetzt einen Spross der Finanzwelt zum Wirtschaftsminister bestellt. Emmanuel Macron, ein brillanter Ökonom aus Frankreichs Eliteschulen, der einst auch Philosophie studiert hatte und Assistent von Paul Ricœur war, kam vor zwei Jahren vom Bankhaus Rothschild direkt in die grosse Politik.

Luxus-Sherpa des Präsidenten

Als stellvertretender Generalsekretär im Elyséepalast und wirtschaftspolitischer Berater des Präsidenten war Macron seitdem die «rechte Hirnhälfte» von François Hollande. Macron ist ein bekennender Wirtschaftsliberaler und Befürworter einer strikten Sparpolitik.

Der 37-Jährige war seit 2012 der führende Man hinter den Kulissen bei G8, G20 und allen EU-Gipfeln, der Merkel-kompatible Luxus-Sherpa des Präsidenten, der auch in der vorhergehenden EU-Kommission hohes Ansehen genoss. Hollandes viel diskutierte Reichensteuer von 75 Prozent für Einkommen, die über einer Million liegen, kommentierte er einst lakonisch mit den Worten: «Das ist wie Kuba, nur ohne Sonne.»

Kurzum: Macron ist das strikte Gegenteil seines Vorgängers an der Spitze des Wirtschaftsministerium, Arnaud Montebourg.

Montebourgs folgenloses Pathos

Montebourg – er ist das Chamäleon aus dem linken Lager der Sozialisten, das masslos in sich selbst verliebte Enfant terrible der Partei, das in den letzten zwei Jahren erst als Industrie- und dann als Wirtschaftsminister den Wirtschaftspatriotismus auf seine Fahnen geschrieben hatte, von einer schliessenden französischen Fabrik zum nächsten angeschlagenen Unternehmen eilte, sich mit Pathos in Übernahmeschlachten zwischen Grosskonzernen einmischte, ständig so tat, als könne der Staat noch etwas retten und letztlich doch so gut wie nie etwas bewerkstelligen konnte.

Dieser gelernte Rechtsanwalt mit überdurchschnittlichem rhetorischem Talent hatte am letzten Sonntag bei einem traditionellen Sozialistenfest in der französischen Provinz die schwere Regierungskrise ausgelöst. Als amtierender Wirtschaftsminister hatte er – aufgeräumt, in sommerlicher Feststimmung und ein Champagnerglas in der Hand – in einer Art Medienshow die Wirtschaftspolitik seiner eigenen Regierung ausgesprochen harsch kritisiert.

Rote Linie überschritten

Ein wohl einzigartiges Paradox: Montebourg, der amtierende Wirtschaftsminister, sprach von einer Wirtschaftspolitik, mit der man das Land an die Wand fahre und nahm erneut das aus Deutschland kommende Spardiktat aufs Korn, welches jedes Wachstum im Keim ersticke. Eine andere Wirtschaftspolitik sei möglich, eine grundlegende Kursänderung nötig, so Montebourg.

Für Präsident Hollande und Premierminister Valls war damit eine rote Linie überschritten, wobei sich alle Welt fragt, warum der Präsident diesen Montebourg vor fünf Monaten überhaupt zum Wirtschaftsminister ernannt hatte. Denn die Positionen des Parteilinken waren hinlänglich bekannt. Vor zwei Jahren schon hatte er Angela Merkel eine bismarcksche Imperialpolitik vorgeworfen und seitdem keine Gelegenheit ausgelassen, die orthodoxe Politik der Kommission in Brüssel zu geisseln.

Parteichef wuchs nicht zum Staatschef

Die Antwort auf diese Frage fällt für Präsident Hollande nicht gerade schmeichelhaft aus. Der Staatschef wollte es, wie so oft, wieder mal möglichst allen Recht machen und erneut einen im Grunde unmöglichen Kompromiss finden. Er hoffte mit Montebourg im Wirtschaftsministerium den zusehends aufmüpfigeren linken Flügel der sozialistischen Partei und der Fraktion im Parlament ruhigstellen zu können.

Diese Rechnung ist, wie so viele andere, nicht aufgegangen, ja der Schuss ging nach hinten los. Auch im Fall Montebourg, wie schon bei anderen Gelegenheiten, hat Hollande gehandelt nicht wie ein Präsident der Republik, sondern wie der Vorsitzende der sozialistischen Partei, der er einst über ein Jahrzehnt lang gewesen war, bemüht um das Gleichgewicht zwischen verschiedenen Strömungen. Denn im Grunde hatte Montebourg, nach dem klaren arbeitgeberfreundlichen Kurswechsel Hollandes Anfang 2014, im Wirtschaftministerium wahrlich nichts verloren.

Nun, mit der Nominierung eines ehemaligen Bankers zum Wirtschaftsminister, ist auch den Letzten in Frankreich klar geworden: Präsident Hollande verfolgt eine Wirtschaftspolitik, die zwar die grundsätzliche Zustimmung von Brüssel und Berlin finden wird, für die aber er und seine sozialistische Parlamentsmehrheit vor mehr als zwei Jahren nicht gewählt worden sind.

Risiken des Kurswechsels

Damit geht Frankreichs Staatsoberhaupt jedoch ein beträchtliches Risiko ein, und es ist alles andere als sicher, dass Hollande gestärkt aus dieser Regierungsumbildung hervorgeht, bei der neben Montebourg noch zwei weitere Minister vom linken Flügel der Sozialisten das angeschlagene Schiff verlassen haben. Denn die Frage ist schlicht, ob der Präsident für diese Politik in den kommenden Monaten im Parlament noch eine Mehrheit hat.

Linkspartei und Kommunisten hatten ihm 2012 quasi von Anfang an die Zustimmung verweigert. Die Grünen machten sich vor fünf Monaten aus der Regierung davon, und selbst die alte linksliberale Radikale Partei droht regelmässig, die Gefolgschaft aufzukündigen. Die sozialistische Fraktion alleine verfügt mit 291 Sitzen gerade noch über eine Mehrheit von einem einzigen Sitz.

Aufstand bei den Sozialisten

Vor allem aber formieren sich seit Monaten innerhalb der sozialistischen Fraktion die Kritiker vom linken Flügel, die sogenannten «Aufständischen». Mehr als dreissig von ihnen hatten sich bei jüngsten Parlamentsabstimmungen bereits geweigert, für Gesetzesvorlagen ihrer Regierung zu stimmen. Nun, nach dem Rauswurf von Arnaud Montebourg und der Ernennung eines Anti-Montebourg zum Wirtschaftsminister, dürften es sogar noch mehr werden.

Einer der Aufständischen bezeichnete die Nominierung des ehemaligen Geschäftsbankiers Macron zum Wirtschaftsminister prompt als «erbärmliche Provokation», ein anderer drohte, jedes künftige Parlamentsvotum werde jetzt zu einem russischen Roulette für Regierung und Präsident. Die erste Nagelprobe für die neue Regierung Valls steht schon im Oktober an: Dann muss der Haushalt 2015 verabschiedet werden.

Die Krise beginnt erst

Aller Wahrscheinlichkeit nach beginnt die Krise, in der Frankreichs Präsident und seine Regierung stecken, jetzt erst richtig. Und es könnte sich sogar um eine Krise der Fünften Republik handeln. Denn die Verfassung dieser Republik bietet für die aktuelle Situation, für die tiefe Vertrauenskrise der Franzosen gegenüber ihrem Präsidenten und den regierenden Sozialisten praktisch keinen Ausweg.

Das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben würde – wie die Dinge zur Zeit liegen – bedeuten, dass der Präsident künftig mit einer gigantischen konservativen Mehrheit im Parlament und mit einer Regierung der Rechten zusammenleben müsste. Womit Frankreich für die nächsten zweieinhalb Jahre definitiv gelähmt wäre. Ganz zu schweigen davon, dass von den 290 sozialistischen Abgeordneten angesichts des Mehrheitswahlrechts dann vielleicht nur noch 50 übrigbleiben würden.

Sollte es in den nächsten Monaten bei einer der zahlreichen wichtigen Abstimmungen im Parlament aber tatsächlich dazu kommen, dass die Regierung keine Mehrheit mehr hinter sich hat, bliebe dem Präsidenten der Republik nichts anderes übrig, als das Parlament aufzulösen. Die Nationale Front, die Linkspartei und Teile der konservativen UMP jedenfalls werden seit 48 Stunden nicht müde, dies zu fordern: Dem französischen Wähler sei wieder das Wort zu erteilen.

Rückzug wie De Gaulle 1969?

Als zweite und letzte Möglichkeit, auf die Krise zu reagieren und die restlichen zweieinhalb Jahre seines Mandats nicht einfach auszusitzen, bliebe Staatspräsident Hollande nur noch der Weg des Rücktritts. Ein, trotz allem, nicht sehr wahrscheinlicher Schritt.

Ein Präsident der Fünften Republik hat dies jedoch schon einmal vorexerziert, wenn auch formal hinter einem Referendum versteckt, bei dem er von vorneherein wusste, dass die Franzosen es abschmettern würden: Charles De Gaulle, 1969. Als dem General nach dem Mai 68 klar geworden war, dass er mit der Mehrheit der Franzosen nicht mehr im Einklang stand und nicht mehr in der Lage war, der Politik neues Leben einzuhauchen, zog er sich auf diese verschnörkelte Art zurück.

François Hollande wird das wohl kaum tun. Also wird der Unmut in der französischen Bevölkerung mehr als zwei Jahre lang weiter gären, weil die Mechanismen der Fünften Republik für eine Situation, wie sie heute in Frankreich herrscht, kein Ventil vorgesehen haben und somit keine Kompromisslösung ermöglichen.

Le Pen wartet geduldig

Dabei ist heute schon glasklar, wem diese verfahrene, blockierte Situation am Ende quasi unausweichlich dienen wird: Marine Le Pen und der rechtsextremen Nationalen Front.

Der französische Karren steckt inzwischen so tief im Dreck, dass man heute nur hoffen kann, die völlig ramponierte, von Skandalen und Grabenkriegen gebeutelte UMP Partei möge in den nächsten Monaten zumindest wieder einigermassen auf die Beine kommen, damit ihr Kandidat bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2017 in der Lage ist, gegen Marine Le Pen in die Stichwahl zu gelangen.

Denn sollte es ein Kandidat der Linken sein, der es in den entscheidenden zweiten Durchgang schafft, möchte man bei der heutigen Stimmung im Land nicht mehr die Hand dafür ins Feuer legen, dass Marine Le Pen in diesem Fall nicht zumindest gefährlich nahe an die Fünfzig-Prozent-Marke heran rückt. Dass die rechtsextreme Kandidatin 2017 nach dem ersten Wahlgang aller Voraussicht nach sogar an erster Stelle liegen wird, erscheint schon heute von Monat zu Monat immer wahrscheinlicher. 

Gratuliere. Très bon article!

@cathari: Voilà: Liberté, Égalié, Fraternité! Ein Teil von Russland gehōrt sowieso kulturell und geografisch zu Europa. Aber wie "rechtsEXTREM" ist denn heute Marine Le Pen? Ist die Frage ūberhaupt erlaubt? Und wie toll, sauber, demokratisch ist die UMP? Oder sind das Tabufragen?

@ Sarah
Ja es sind Tabufragen und ich denke, gefährlich rechts! Fragen kann man ja aber die Antworten sind immer beschönigend….cathari

Ja die Frage nach der Ausrichtung ist erlaubt, nicht ohne Grund wurde Le Pens Vater immer runtergedrückt, damit er ja nicht an die Macht kommt. Viele Juden ca. 3000 verlassen übrigens gerade Frankreich nach Israel - was vcermutlich auch wirtschaftliche Gründe hat.
Die Le Pen-Tochter scheint einen anderen Weg zu gehen, der eher in Richtung Mitte- Links tendiert und ähnlichkeiten mit Peppe Grilo hat. Was Ausländer betrifft versteht sie sich vermutlich mit der SVP sehr gut. Frankreich hat rund um Grossstädte mittlerweile Gettos die an amerikanische Zustände erinnern.

Das Problem ist, dass heute Linke und Rechte Extreme fast dasselbe wollen. Die Links - Rechts Diskusion ist überholt. Meines Erachtens sollte man sich intensiver über Inhalte unterhalten.

Ich befürchte, dass Le Pen zwar viel Gutes im Sinn hat, aber ihre Ideen nicht duchsetzen kann. Oder sie legt sich mit allen an und es kommt zum Bürgerkrieg, der aber durchaus kommen kann ohne dass sie an der Macht ist. Für Frankreich und somit für die Eu rechne ich in den nächsten Jahren echt mit dem Schlimmsten.

Alles scheint wie eine Verkettung von Zufällen und ist es nicht und das nicht nur in Frankreich. Die Politik von Brüssel, der EU-Staaten fördern eventuell ungewollt den Unmut in ihren Völkern. Eine sehenden Auges geschaffene Finanzkrise, den sogenannten Krieg gegen den Terror, die Flüchtlingswellen durch Eingriffe in recht gut funktionierende Länder, die neo-liberalen Arbeitsverhältnisse die als Rettung der Wirtschaft verkauft werden. Die gigantischen Gewinnmaximierungen der Grosskonzerne bei sinkendem Realeinkommen des kleinen Mannes. Hatz gegen Steuersünder aber keine Aufsichtspflicht gegen Steuerverschwendung und permanenten Märchen ex güsi Medienbetrug durch Verschweigen von Tatsachen. Das alles ist nicht europäisches Gedankengut. Ich erahne jedoch, der Rechtsrutsch ist gewollt, wird durch eine Finanzoligarchie angestrebt. Rechts braucht nur Geduld zu haben, die heutige Führung arbeitet ungewollt für sie. Nun die gute Zukunftsperspektive. Es fährt ein Zug von China nach Duisburg, irgendwann ein Güter-Express (Hoch Geschwindigkeit) Europa braucht diesen Anschluss über Land. Es ist die neue Seidenstrasse und wir bräuchten auch die Freundschaft zu Russland, erst dann ist Europa, Europa! Ein 800 Millionen Binnenmarkt würde entstehen der sich selbst finanzieren könnte und durch echte gelebte Demokratie ein Segen für alle Teilnehmer. Auch für das gebeutelte Frankreich! Liberté, égalité, fraternité…. cathari

Kann ich alles unterschreiben. Vor allem das mit Russland und der Seidenstrasse.
Wenn dieser Zug wirklich kommt, kann er aber auch schneller russische Truppen und schweres Gerät nach DE transportieren.
(Wie es Aloise Irlmaier voraussagte)

Was die EU angeht, wenn sie den Euro - der ja eine französische Bedingung an Deutschland für die Wiedervereinigung war - halten wollen, muss die Währung runter auf ca. 20 Rappen oder noch tiefer, wo sie von Beginn weg hingehört hätte.

Das hätte für die Schweiz natürlich Auswirkungen, schätze man müsste wieder Schutzzölle erlassen, damit die Leute im Inland einkaufen und wir nicht von EU Ware überschwemmt würden. Aber Zölle waren meines Erachtens sowieso besser als Freihandelsabkommen, da diese nur die Globalisierung vorantreiben und die Wirtschaft im Land schwächen und längerfristig ruinieren. Man sieht es am besten bei der Metallindustrie, die seit den 90er Jahren zusammenschrumpfte wie ein Eis in der Sonne.

So wie das aktuell in der Eu läuft, rechne ich mit einem baldigen Bürgerkrieg. In Frankreich fackeln sie nicht so lange wie in Deutschland, der französische Mopp zeigte schon mehrfach, dass er richtig loslegen kann.
Die neue Regierung Hollande wird nichts auf die Beine stellen, was die anderen nicht auch hätten tun können. Das Hauptproblem der einzelnen EU-Staaten ist, dass sie die Währung nicht kontrollieren können.

Tatsāchlich: Zōlle waren besser als Freihandelsabkommen! Aber die Wirtschaftslehre ist eine Religion, ein Glauben, meist auch nur ein hartnāckiger Aberglauben.

Häää? Ziemlich wirr zu lesen...

@ Gast 2: Nichts war wirr zu lesen! Alles absolut klar und verstāndlich. Aber man kann anderer oder gleicher Meinung sein.

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