Eine silberne Kackwurst

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Eine silberne Kackwurst

Von Eduard Kaeser, 17.01.2015

An einer Elektronik-Ausstellung in Las Vegas präsentierte Mercedes-Benz jüngst das autonome Fahrzeug F015 Luxury.

Es sieht aus wie eine Isolationskammer auf vier Rädern oder wie ein Gefährt aus „Alien“. Man könnte es sich gut auf dem Mars vorstellen. Der amerikanische Publizist Nicholas Carr nennt es „silberne Kackwurst“ („silver turd“).

Im uterinen Interieur von F015 lässt sich schwelgen, komfortabel von der Welt abgeschirmt. „Eine zentrale Idee des ganzen Konzepts ist der stetige Austausch von Information zwischen Fahrzeug, Passagier und Aussenwelt,“ schreibt ein Journaist in „Motor Authority“ allen Ernstes, als hätte Mercedes-Benz das gerade erst entdeckt. - „Für die Interaktion im Innern sorgen sechs verteilte Displays. Die Passagiere interagieren auch mit dem Fahrzeug über Gesten, Augenbewegungen oder Berührungen der hochempfindlichen Bildschirme. Draussen benutzt F015 Laserprojektion, Radiosignale und Leuchtdiodenanzeigen, um mit der Umgebung zu kommunizieren.“

Im Vergleich zu unserer natürlichen Gangart beruht Autofahren immer schon auf einem reduzierten Einsatz unseres Körpers. Wir brauchen unsere Füsse, Hände, wahrscheinlich auch unsere Köpfe, auf ganz spezifische, dem Gerät adaptierte Weise. Unsere körperlichen Aktivitäten sind in dieser sesshaften Mobilität eingeschränkt auf einige wenige Automatismen, unser Blick hat primär die Funktion der Signalregistrierung zwecks angemessener Reaktion. In diesem Sinn hat das Auto unsere Bewegungspraxis, unsere Wahrnehmung von Räumen und Distanzen, tiefgreifend verändert. Die Ironie dieser Entwicklung zeigt sich am dialektischen Umschlag: Wir fahren nicht Auto, das Auto fährt uns. Es transformiert unsere Auto-Mobilität in Hetero-Mobilität, das Sich-selber-bewegen in ein Fremdbewegtsein.

Nicht dass daraus kein Reiz resultieren würde, wie er etwa im Genre der Road-Movies immer wieder neu variiert wird. Wir haben es hier mit einer für die heutige urbanisierte und mobilisierte Lebensform typische Art der „Einleibung“ von Gerät zu tun. So schreibt die englische Soziologin Mimi Sheller: „Fahrgefühle zeigen (..), wie Emotionen nicht nur in zwischenmenschlichen Beziehungen verkörpert sind, sondern auch in der Beziehung zu materiellen Dingen (..)  Solch ‚automotive Emotionen’ - die in Fleisch und Blut übergegangenen Dispositionen von Fahrern und die Bauch- und andern Gefühle, die mit dem Benutzen eines Automobils verbunden sind -, sind für das Verständnis von Auto-basierten Kulturen ebenso zentral wie sozioökonomische Faktoren.“ Die Industrie ist dazu übergegangen, das Fahrzeug zu einer Art von Erweiterung des menschlichen Körpers auszubauen. Ein Grossteil der Forschung und Entwicklung gilt heute nicht so sehr dem Fahrzeug selber, als vielmehr seiner Humanisierung, d.h. einer immer ausgeklügelteren Sensorik und Software, welche es sozusagen in ein „sensibles“ Quasi-Organ mit künstlichem Zentralnervensystem verwandeln. Eines, das zum Beispiel selber „wahrnimmt“, ob seine Geschwindigkeit zu hoch oder seine Distanz zu vorderen Wagen zu gering ist. Das Auto ist in dem Masse „bei Sinnen“, in dem sein Insasse „von Sinnen“ ist.

„Wer nur den Blick auf die Technologie fokussiert, hat noch nicht begriffen, wie autonome Fahrzeuge unsere Gesellschaft verändern,“ hebt Daimler-Vorstandvorsitzender Dieter Zetsche hervor: „Das Auto entwächst seiner Rolle als blossem Transportmittel, und es wird zum mobilen Lebensraum.“ Man könnte auch sagen: Wir erleben hier die konsequente Weiterentwicklung des Automobi­lismus zum mobilen Autismus. 

Ich bin nicht überzeugt. Jede verkaufende Firma versucht ihr Sortiment gedanken- und gefühlsmäßig zu überhöhen, besser zu Verschwurbeln. Auch das Auto ist nur ein Tool; klar gibt es schöne Autos, aber die stammen nicht aus dieser Zeit. Und im Grunde ist es der Widerspruch zwischen gewünschter und notwendiger Individualität und Effektivität die das Ganze - halt dann eben mit 134 Steuergeräten - ineffizient macht. Das eierlegende Wollmilch- Gefährt steht zu lange in der Garage herum um für mich dem o.g. Anspruch erfüllen zu können.

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