Ende der SRG?

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Ende der SRG?

Von Stephan Russ-Mohl, 28.11.2017

Unter dem Titel „Ende des Gebühren-Rundfunks in der Schweiz?“ erklärt der Autor im Berliner „Tagesspiegel“ den Krach um die im März bevorstehende Abstimmung.

In Amerika sind am Dissens über Donald Trump bereits Ehen gescheitert. In der Schweiz könnte die ein oder andere Beziehungskiste oder langjährige Freundschaft demnächst an „No Billag“ zu Bruch gehen. Es geht um Sein oder Nichtsein des öffentlichen Rundfunks, der SRG/SSR, denn eine wachsende Zahl von Bürgern möchte per Volksabstimmung die Gebührenpflicht für Radio und Fernsehen kippen. Die Billag zieht in der Schweiz die Rundfunkgebühren ein und ist damit das Äquivalent zum Beitragsservice in Deutschland, der die Haushaltsabgabe eintreibt.

Am 4. März 2018 entscheidet das Stimmvolk in der Schweiz über die Initiative. Bereits jetzt, Monate vorher, tobt darüber in den Medien und in den sozialen Netzwerken eine heftige Auseinandersetzung. Dabei ist die Schweiz als kleine, viersprachige Nation wohl weit mehr auf funktionierende, verlässliche öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehangebote angewiesen als grössere Länder – schon um eine minimale Integration der verschiedenen Sprachregionen zu sichern, aber auch, um die Bürger mit Nachrichten und Hintergrundwissen angemessen zu versorgen. Andererseits geht es, gerade weil Angebote in vier Sprachen gemacht werden müssen, mit bisher 450 Franken (rund 385 Euro) und künftig 365 Franken (rund 313 Euro) pro Jahr auch um den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa. In Deutschland zahlt ein Haushalt 210 Euro pro Jahr für ARD, ZDF und Deutschlandfunk.

De-facto-Steuer empört viele Bürger

In Rage gebracht hat viele Bürger, dass die Gebühr – ganz ähnlich wie in Deutschland – in eine De-facto-Steuer umgewandelt wurde: Jeder muss bezahlen, ganz egal, ob er das Service-Public-Angebot nutzt oder ein TV-Totalverweigerer ist.

Bei rückwärtsgewandter Betrachtung sind inzwischen die Gründe obsolet, die vor knapp 100 Jahren zur Institutionalisierung des öffentlichen Rundfunks führten: Damals waren die Frequenzen knapp, heute ertrinken die Nutzer dank des Internets in einer Flut von Informations- und Unterhaltungsangeboten. Mündige Bürgerinnen und Bürger sollten nicht nur am Wahltag und bei Abstimmungen als mündig gelten, meinen die Initiatoren. Sie sollten eben auch selbst entscheiden dürfen, welche Medienangebote sie wahrnehmen und bezahlen wollen.

Nach vorne gewandt, könnte es allerdings sein, dass alle mehr denn je auf öffentlich finanzierte oder bezuschusste Medienangebote angewiesen sind – gerade weil der Einzelne nicht hinreichend zahlungswillig ist. Mit Blick auf hochwertigen Journalismus und Medienvielfalt ist es nämlich in der Schweiz, die vielen als „Insel der Seligen“ gilt, inzwischen zappenduster geworden. Seit Plattformen wie Google und Facebook den alten Medienunternehmen ihre Werbeerlöse entziehen und sich im Internet die Gratiskultur durchgesetzt hat, werden Redaktionen fast schon im Akkord zusammengelegt oder ausgedünnt. Wenn Nutzer für journalistische Angebote nicht mehr bezahlen wollen, lässt sich unabhängiger Journalismus kaum refinanzieren. Und wenn Medienunternehmen sich nicht mehr rentieren, werden sie entweder von den Grossen der Branche geschluckt oder von Oligarchen aufgekauft, die dann politische Ziele verfolgen.

Es droht: „Blocher-TV“

Die Gegner der „No Billag“-Initiative malen deshalb bereits an die Wand, „Blocher TV“ werde demnächst die Schweiz dominieren. Gleichzeitig weitet der Übervater der rechtspopulistischen SVP sein Medienimperium auch auf dem Printmarkt systematisch aus, weshalb bereits das Schreckgespenst eines Schweizer Berlusconi kursiert. Jedenfalls ist bisher die Frage ungelöst, wie sich Medienvielfalt erhalten lässt.

Obendrein war das Musterland der direkten Demokratie selten so polarisiert: Für die einen geht es bei der SRG/SSR um ein Nationalheiligtum, für die anderen schlicht um eine Institution, die sich im digitalen Zeitalter überlebt hat. Die moderaten Stimmen der Vernunft werden dazwischen aufgerieben. Denn natürlich braucht das kleine Land den öffentlichen Rundfunkanbieter, und er sollte sich auch im Internet ungehindert entfalten dürfen. Er liesse sich jedoch fraglos verschlanken. Werbeverbote könnten helfen, um einerseits die journalistische Unabhängigkeit zu sichern und um andererseits nicht den notleidenden kommerziellen Wettbewerbern die Butter vom Brot zu nehmen. Die SRG/SSR könnte auch weit mehr tun, um die vier Sprachregionen zusammenzuhalten und um ihren Kernauftrag zu erfüllen – also um guten Journalismus, zum Beispiel in der Auslands- oder Wissenschaftsberichterstattung, zu sichern, statt mit den Privaten um Sportrechte und Unterhaltungsshows zu konkurrieren. Dass öffentlicher Rundfunk unentbehrlich ist, um Marktversagen zu korrigieren, würde auch in der Schweiz deutlich glaubwürdiger, wenn er seine anspruchsvollen Programme nicht spätabends versteckte.

Kippt das exzellente Mediensystem?

Libertäre und Rechtspopulisten sind drauf und dran, ein duales Mediensystem zu kippen, das unter Fachleuten einen exzellenten Ruf geniesst: Das gilt nicht zuletzt im Blick auf die hochentwickelte Journalismuskultur bei der SRG. Sie erinnert an die BBC zu ihren besten Zeiten, also bevor sich diese mit mehreren Medienskandalen herumschlagen musste, die ihre Reputation beschädigten.

Immerhin gibt es in der Schweiz einen lebhaften öffentlichen Diskurs um die Medien-Zukunft. Obendrein stupst die Eidgenössische Medienkommission unter Führung des Medienforschers Otfried Jarren die Regierung in Bern immer wieder mit klugen Impulsen zur Gestaltung des Mediensystems. Somit besteht auch ein Hoffnungsschimmer. Wie nahezu alle Medienexperten, ist auch Jarren gegen „No Billag“. Er und seine Kommission lassen allerdings auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass es gilt, in einer digitalisierten Welt neue, innovative Formen öffentlicher Journalismus- und Medienförderung zu entwickeln. Damit tut sich die Regierung in Bern noch erkennbar schwer. Andererseits scheinen in Deutschland die Beinahe-Jamaika-Koalitionäre noch nicht einmal gemerkt zu haben, welchen Handlungsbedarf es gibt. In ihren Sondierungspapieren widmeten sie den Medien gerade mal eine halbe Seite.

Dieser Artikel erschien am 25. November im Berliner „Tagesspiegel“.

Auf dem linken Auge blind?

"Es droht Blocher-TV"?!

Aber natürlich kein "Oeri-TV" oder "Gebrüder Meili-TV"?

Und wenn dann wäre das ja nicht so schlimm, weil diese die "richtige" Meinung vertreten, gell!?

Es ist fatal, die Legitimation der SRG ex negativo zu bestimmen: dass ein Marktversagen vorliege. Dem entspricht auf der anderen Seite die Rede von Zwangsgebühren. Es ist daher viel wichtiger, darauf hinzuweisen, dass der Markt und der Staat zwei verschiedene Verteilungssysteme sind mit ihren Vor- und Nachteilen. Der Markt bedient eher die Interessen von "System 1", wie Kahneman sagen würde, und der Staat ermöglicht auch, dass Güter mit Anspruch bereitgestellt werden. Zwänge sind hier beim System 1 zu verorten, das auf der Logik der Triebe und Vorurteile beruht. Freiheit und Selbstbestimmung werden dagegen durch das System 2, das Reflexionsvermögen, ermöglicht. Geistige Güter mögen auf dem "freien Markt" punkto Nachfrage das Nachsehen haben (d.i. Marktversagen), für die Demokratie sind sie jedoch eine unverzichtbare Voraussetzung. Und auch jeder Mensch, ob gebildet oder nicht, möchte im Leben auch langfristige Ziele erreichen. Dies jedoch wird durch eine Mediokratur, die uns mittels Neuromarketing und Algorithmen zu beeinflussen versucht, sabotiert. So gesehen profitiert auch der einfache Bürger davon, wenn er nicht ständig manipuliert wird. In diesem Bild liegt der Zwang auf der Seite des freien Marktes, die Selbstbestimmung und Aufklärung wird hingegen durch das Verteilungssystem des Staates ermöglicht, der die Güter von der Zweckgebundenheit entlastet. Das Positive ist also, dass öffentlich-rechtliche Medien die Fähigkeiten von Menschen besser zur Entfaltung bringen als die dem Preismechanismus und den Zwängen der Logik der Klickraten und der Algorithmen unterworfenen Privatmedien.

Dass die "no Billag"-Befürworter von "Staatsradio oder -fernsehen" sprechen ist gezielte Irreführung. Fakt ist, dass die SRG als Verein organisiert ist. Das wurde bewusst so gehalten um frei von jeglicher staatlicher Einflussnahme journalistisch unabhängig zu sein. Der Verein ist per Statuten zur politischen Neutralität verpflichtet.
Die bevorstehenden Abstimmung verschafft uns somit die Gelegenheit die Gebühren-Frage zu klären. Eine Ablehnung der "no Billag" Initiative setzt dem Thema "Zwangsgebühr" ein definitives Ende und stärkt die SRG als eine solidarisch von der Mehrheit der Stimmbürger getragenen Institution, die ihre journalistische Aufgabe für Randregionen und sprachliche Minderheiten seriös und im notwendigen Umfang wahrnehmen kann.

Wenn die No-Billag-Initiative hochkant abgelehnt wird, wird sich der Koloss SRG keinen Millimeter bewegen. Es braucht eine Schuss vor den Bug, um das Abspecken der SRG voranzutreiben. Die Verfassung müsste dann halt erneut geändert werden. RASA hat ja auch eine Aufhebung des MEI-Verfassungsartikels innert kurzer Frist verlangt. Es ist nicht verboten, gescheiter zu werden. Das liegt vor allem daran, dass das Parlament kaum mehr einen mehrheitsfähigen Kompromiss zustande bringt. Und übrigens: Seit wann setzt das Bundesparlament oder der Bundesrat eine angenommene Initiative sofort 1:1 um?

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