Er gilt als Friedensengel

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Er gilt als Friedensengel

Von Heiko Flottau, 01.10.2016

Der Friedensnobelpreisträger hat sich von den Hardlinern distanziert. Doch nicht immer hat er sich für den Frieden eingesetzt.

Die Welt hat Abschied genommen von einem israelischen Staatsmann, der sein Leben für den Frieden in Nahost und für die Versöhnung mit den Palästinensern gearbeitet hat. Das ist die offizielle Version, jene welche die meisten Politiker und die meisten Medien verkünden.

Doch betrachtet man die politische Vita von Shimon Peres, kommen ganz andere Details ans Licht. Der an der Universität Exeter lehrende israelische Historiker Ilan Pappe – bekannt durch sein Buch „The Ethnic Cleansing of Palestine“ – kommt zu einem ganz anderen Schluss. Er schreibt, Peres habe viele politische Positionen in seinem Leben ausgefüllt, so etwa den Posten des Generalsekretärs im Verteidigungsministerium, die Position des Verteidigungsministers, den Posten für die Entwicklung der 1967 im Sechstagekrieg eroberten Gebiete; schliesslich sei er Premierminister und Präsident gewesen. „In all diesen Rollen“, so schreibt Professor Pappe, „trugen seine Entscheidungen und die Politik, welche er verfolgte, zur Zerstörung des palästinensischen Volkes bei. Peres tat nichts, um den Frieden zu fördern, und er trug nicht zur Versöhnung zwischen Palästinensern und Israelis bei.“

Sich als harter Kämpfer beweisen

Ein vernichtendes Urteil. Doch vollkommen ungerecht ist es nicht. Im April 1996 besuchte der Autor dieses Beitrages den kleinen Ort Qana im Südlibanon. Als Nachfolger des von einem militanten Siedler, Yigal Amir, im November 1995 ermordeten Premier Yitzhak Rabin befahl Shimon Peres die Bombardierung des Südlibanon, wo sich die Hisbollah seit langem gegen die israelische Besatzung wehrte. In Israel standen Parlamentswahlen bevor. Shimon Peres wollte sich, so lautete damals die allgemeine Einschätzung, als harter Kämpfer gegen die Islamisten der Hisbollah beweisen.

Daher ordnete er die grossflächige Bombardierung des Südlibanon an. Auf einen UN-Posten, der mit Soldaten aus Fidschi besetzt war, hatten sich Hunderte Palästinenser geflüchtet, vor allem Frauen und Kinder. Versehentlich, wie die Israelis später erklärten, habe eine Bombe am 18. April 1996 den UN-Posten getroffen. 106 Menschen starben, darunter viele Kinder, 116 wurden verletzt. Ein paar Tage später wurden die Toten in Qana begraben, Tausende, darunter viele Journalisten, wohnten der Trauerfeier bei.

Ewiger Friedensfreund?

Politisch hat das Bombardement Shimon Peres nichts genutzt. Bei den späteren Wahlen wurde nicht er, der harte Kämpfer gegen die Hisbollah, sondern Benjamin Netanjahu zum Premier gewählt. Das Massaker von Qana war nur eine Station im politische Leben von Peres, welche die Legende vom ewigen Friedensfreund ein wenig in Frage stellt.

Schon 1947, ein Jahr vor der offiziellen Staatsgründung, war Shimon Peres vom späteren Premier David Ben Gurion in westliche Länder entsandt worden, um Waffen zu kaufen – Waffen, die dann im Krieg von 1948/49 gegen die Palästinenser eingesetzt wurden.

Abgeblasener Krieg

Nachdem der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser 1956 den noch in britischem Besitz befindlichen Suezkanal verstaatlicht hatte, kam es zu einer bezeichnenden Koalition der damals schon geschwächten Kolonialmächte England und Frankreich zusammen mit dem Siedlerstaat Israel. Alle drei überfielen Ägypten, Israel besetzte z.B. die Halbinsel Sinai, Nasser schien verloren.

Doch zwei Ereignisse machten den Ägypter plötzlich zum Sieger. US-Präsident Dwight D. Eisenhower wehrte sich vehement gegen den von der Dreierkoalition gegen Ägypten angezettelten Krieg. Und: Zur gleichen Zeit walzten sowjetische Truppen den ungarischen Volksaufstand nieder. Politische Folge: Der Westen konnte nicht einerseits in Nahost Krieg führen und andererseits das sowjetische Vorgehen in Ungarn verurteilen. Die drei Interventionsmächte Frankreich, England und Israel mussten ihren Krieg abblasen. Und die Rolle von Shimon Peres? Peres war damals stellvertretender Generaldirektor im israelischen Verteidigungsministerium. Den Forschungen von Ilan Pappe zufolge hatte Peres 1956 die Invasion Ägyptens unterstützt und hatte, sozusagen als Gegenleistung für diese Kooperation von Frankreich, das Wissen zur Entwicklung der israelischen Atombombe bekommen.

Gegen die israelische Invasion in Libanon

Nach dem Krieg von 1967, in welchem Israel Ost-Jerusalem, das Westjordanland und die Sinaihalbinsel eroberte, wurde Shimon Peres Minister für Einwanderung und Integration. Als solcher war er auch verantwortlich für die gerade eroberten Gebiete. In dieser Zeit begann der später immer intensiver werdende Siedlungsbau. Zwar hat ihn Peres oft nicht aktiv unterstützt. Aber viele Siedler stellten die Regierung vor vollendete Tatsachen und forderten nachträglich die Legitimierung ihrer ohne Genehmigung gebauten Siedlungen. Meistens gab Peres nach. Aktiv gegen den Siedlungsbau hat er sich kaum gewendet.

Immerhin aber kam Peres im Laufe seiner politischen Laufbahn zu der Erkenntnis, dass der Konflikt mit den Palästinensern nicht militärisch gelöst werden könne. Und er wandte sich auch gegen die israelische Invasion in Libanon im Jahre 1982, infolge derer unter der Leitung von Ariel Sharon Israel bis nach Beirut vordrang und die PLO unter Jassir Arafat aus dem Libanon nach Tunis vertrieb. 1985 befahl er als Premierminister den Rückzug der meisten israelischen Truppen aus dem Libanon.

Schwache Position Arafats

Schliesslich bekam Shimon Peres sogar den Friedensnobelpreis, zusammen mit Jassir Arafat und Yitzhak Rabin. Das war im Jahr 1994. Zuvor hatten Israelis und Palästinenser in Geheimverhandlungen in Oslo einen, damals sagte man „Friedensvertrag“, ausgehandelt. Israel sollte sich aus den städtischen Gebieten wie etwa Ramallah mit seiner vollkommen palästinensischen Bevölkerung zurückziehen und diese Regionen einer neu zu gründenden Palästinensischen Autonomiebehörde unterstellen. Dieser „Zone A“ wurde eine „Zone B“ zugesellt, welche unter gemeinsamer israelisch-palästinensischen Kontrolle stehen sollte. Aber über 60 Prozent des Landes, die so genannte „Zone C“, stehen bis heute unter vollkommen israelischer Verwaltung. Die Hoffnung damals: Im Laufe der Zeit sollte sich aus dieser verquickten geographischen Aufteilung ein palästinensischer Staat entwickeln.

Wie die Geschichte zeigt, wurde das Modell ein vollkommener Fehlschlag.

Politiker wie Benjamin Netanjahu, Ariel Sharon und Ehud Barak (Premier von 1999 bis 2001) waren niemals Unterstützer des Plans. Und Shimon Peres? Jedermann wusste damals, dass Jassir Arafat in Oslo aus einer sehr schwachen Position gehandelt hatte. Im Golfkrieg von 1991, in welchem die USA den Irak aus Kuwait vertrieben hatte, hatte Arafat Saddam Hussein unterstützt. So musste Arafat, kurz gesagt, in Oslo akzeptieren, was man ihm bot. Und das war nichts, oder jedenfalls nicht viel. Man darf annehmen, dass die israelischen Friedensnobelpreisträger Rabin und Peres dies wussten.

Distanzierung von den Hardlinern

Durch sein zivilisiertes, westlichen Vorstellungen und politischen Friedenerwartungen angepasstes politische Gebaren gelang es Peres in späteren Jahren, sich von Hardlinern wie Yitzhak Shamir, Menachem Begin und Benjamin Netanjahu zu unterscheiden. Er präsentierte sich, sozusagen, als das westliche Gesicht Israels. Man darf annehmen, dass er in seinem Herzen gewiss einen friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern suchte. Doch viele seiner politischen Taten, die im Westen kaum wahrgenommen oder aus dem Bewusstsein verdrängt werden, haben nicht zu dieser Versöhnung beigetragen. Ob das dennoch von Peres aufgebaute und im Westen bereitwillig akzeptierte Image eines Friedensfürsten zukünftigen historischen Forschungen standhalten wird, ist die spannende Frage, deren Beantwortung die Aufgabe zukünftiger Historikergenerationen ist.

Bei Auge um Auge, Zahn um Zahn könnte die Welt erblinden!

Ein grosser Mann, stramm stehend im Laufe der Zeit, verwandelte sich. Kennt man auch im Christentum als Saulus von Tarsus, aus ihm wurde Paulus. Erleben, Agieren, Erkennen, zur Einsicht kommen, sich wandeln. Er wurde leuchtendes Beispiel für Hoffnung und Weitsicht! Die Welt trauert um ihn… cathari

Statt einem Nachruf nur ein paar Bemerkungen zu Flottau’s Artikel. Nicht das erste und bestimmt das letzte Mal, wenn die Gelegenheit besteht Negatives eines Menschenlebens aufzuzeigen, wird in Archiven gesucht und Negatives gefunden. Gelegentlich stimmen solche alte Geschichten, auch wenn sie völlig aus dem Kontext gerissen sind, wie bei Flottau’s pereskritischem Aufsatz.
Was ist dieser hier bestehende Kontext: er ist die Situation des jüdischen Staates Israel, der zwar erst seit 1948 besteht, dessen Bewohner sich aber schon seit über hundert Jahren mit arabischem, (bis heute noch nach klassischem deutschen Nazivorbild), Terror auseinandersetzen müssen. Nun wird Shimon Peres vorgeworden, er sei nicht immer ein Friedensengel gewesen. Das stimmt, doch macht Selbstverteidigung niemanden zum Verbrecher. Wäre es so wären „Kriegsengel“ wie Churchill, Roosevelt, Eisenhower und weitere Staatsmänner des Krieges gegen die Nazis das auch. Mit Recht werden sie noch heute als grosse und erfolgreiche Staatsmänner und Soldaten gesehen. Anwesenheit und Worte der Vertreter aus 80 Ländern zeigten, dass Shimon Peres auch dazu gehört. Auch Peres war nicht Pazifist wie sein Nobelpreisträgerkollege Carl von Ossietzky, der eben deswegen schon 1938 von den Nazi ermordet wurde. Er wusste zu kämpfen, auch ohne je ein Gewehr in der Hand gehalten zu haben.
Peres tat das, wofür er die Verantwortung trug. Auch wenn man im Einzelfall, da denke ich nur gerade an die Sinai- und Suezkampagne, über die man über die Richtigkeit der Aktion verschiedener Meinung sein kann. Doch als Ganzes gesehen waren die heute hervorgekramten „Verfehlungen“ nichts anderes als die Pflicht Israel vor arabischem Angriffskrieg, Mord und Terror zu schützen. Aus eigener Erfahrung weiss ich: Krieg ist nichts Schönes, doch leider manchmal unumgänglich, wenn man überleben will. Israel wird und wurde von seiner Region mit Feindschaft überschwemmt – ohne seine Wehrhaftigkeit wäre es schon längst verschwunden.
Heiko Flottau tat sich selbst einen Bärendienst. Nicht nur versäumt er den Hintergrund der israelischen Besetzung der Westbank als Folge des von der arabischen Welt ausgelösten Sechstagekrieges zu erwähnen. Zudem versucht er, um die Richtigkeit seiner Informationen, einen sehr zweifelhaften Zeugen aufzurufen, nämlich den israelischen Historiker Ilan Pappe, der heute an der englischen Universität Exeter lehrt, weil er aus der Universität Haifa in Israel herausgeflogen war. Flottau hätte genauso Julius Streicher oder Alfred Rosenberg als Fachmann für das jüdische Israel heranziehen können.
Die Familie von Shimon Peres wurde im Holocaust ermordet. Das mag die hauptsächliche Motivation sein, die ihn stählte Israel lebenslang bedingungslos zu verteidigen, sei es als Mitglied der israelischen Regierung oder im Alter für seinen unbelohnt gebliebenen Einsatz für den Frieden mit der arabischen Welt. Seine Entäuschungen über den mangelnden Erfolg mit der palästinensischen Führung konnte er überwinden – er gab sein langes, 93 Jahre langes Leben nie auf, sich dafür einzusetzen. Peres selbst hatte, so Obama, immer wieder gesagt „das jüdische Volk ist nicht geboren um über ein anderes Volk zu herrschen“. Womit er völlig recht hatte - doch es braucht eben zwei zum Tango. Doch, so denke ich, die Musik dazu hat bereits begonnen noch wird aber nicht getanzt.

Durch Sie, Herr Flottau, erfahren wir wenigstens im J21 die Wahrheit über die wirklichen Verdienste des Friedensengels Shimon Peres! In der weiten Presse- und Medienlandschaft gab es ja sonst, wie zu erwarten war, nur Lobhudeleien!
Auch Leïla Shahid (dass sie Palästinenserin ist, darf hier wirklich ausser Acht gelassen werden) gibt im Interview mit dem "L'Orient Le Jour" - siehe nachstehender Link - treffend wieder, wie es um die Verdienste von Peres in der Friedenssuche mit den Palästinensern wirklich bestellt ist. Deren sind nämlich keine auszumachen, da dem vielen Friedensgerede nie Taten folgten. Zu bedenken gibt doch auch, dass Peres in den 60 Jahren politischer Tätigkeit sechs Kriege erlebte und sich keinem davon entgegenstellte!

http://www.lorientlejour.com/article/1009934/leila-shahid-peres-cest-le-...

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