Gegen Selbstgefälligkeit

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Gegen Selbstgefälligkeit

Von Heiner Hug, 29.01.2014

Die Schweiz igelt sich ein, zelebriert ihre Mythen und wird immer mehr zur Insel. In seinem neuen Buch fordert Journal21-Autor Christoph Zollinger ein radikales Umdenken.

Findet die Zukunft ohne die Schweiz statt?, fragt Zollinger. Der Westen treibe das Land vor sich hin. Oft könne die Schweiz nicht mehr selbst handeln. Sie könne nur noch auf Wünsche und Forderungen von aussen reagieren.

Die Schonfrist gehe zu Ende. Noch vor kurzem sei der Bankenplatz Schweiz ein Fels in der Brandung gewesen.“ Jetzt bröckelt der Fels. Das Bankgeheimnis ist faktisch gefallen. Die Schweiz wird immer mehr als Rosinenpicker bezeichnet und kommt mehr und mehr unter Druck.“

„Allein gegen Europa, allein gegen die Welt“

Der Autor fordert, dass sich die Schweiz den neuen Herausforderungen stellt. Doch statt dies zu tun, würden wir uns verhalten, als habe sich die Welt nicht verändert. „Wir betreiben eine Kirchturmpolitik und pflegen den Kantönligeist“, sagte Zollinger an der Buchpräsentation in Zürich. Das Land brüste sich mit seinem Alleingang und beschwöre den „Sonderfall Schweiz“. „Allein gegen Europa, allein gegen die Welt“.

Zollinger, Publizist und Unternehmensberater, verlangt: „Die Schweiz muss sich neu erfinden“. Sie müsse zurückfinden zu Innovation und Flexibilität. Politische, wirtschaftliche und institutionelle Reformen dürften nicht länger auf die lange Bank geschoben werden. „Packen wir die heissen Eisen an! Warten wir nicht, bis das Dach über uns zusammenbricht“.

Seit Mitte der Achtzigerjahre analysiert Zollinger die Veränderungen in der Schweiz, in Europa und der ganzen Welt. Mit seinen Kolumnen, die zum Teil auch im Journal21 erscheinen, will er einen Beitrag zur Veränderung leisten – „bevor wir zu Veränderungen gezwungen werden“.

Gegen die Idealisierung vergangener Zeiten

Unsere Sicht sei ständig nur nach innen gerichtet. Tatsächlich aber laufe „what happens“ draussen in der globalisierten Welt ab. Rechtsnationale Kreise würden unermüdlich die Fahne hochhalten:  „Wir gegen die Vögte, gegen fremde Richter, gegen ausländische Bedrohung“.

Das sei einst ein bewährtes und erfolgreiches Geschäftsmodell gewesen. Doch heute sei das romantische Klischee von wehrhaften Männern in den Bergen und dem Reduit-Mythos überholt. Der Widerstand gegen die Welt draussen sei wirkungslos. Ebenso die Idealisierung der vergangenen Zeiten.

Die „Milch Party“

Die Wirtschaft diktiere heute der Schweiz, inklusive dem Bundeshaus, wo es lang gehe, sagt Zollinger in einem Gespräch während der Buchvernissage. Er will kein Miesmacher sein. Er kritisiere, „weil ich unser Land sehr gern habe. Ich finde sogar, es geht uns vergleichsweise gut. Doch damit das auch in Zukunft so bleibt, müssen wir aus der Schockstarre erwachen“.

Eine Breitseite kriegen auch Christoph Blocher und seine Kumpanen ab. In den USA sei die „Tea Party“ Symbol des rückwärtsgerichteten Denkens. In der Schweiz müsste man sie „Milch Party“ nennen. Zollinger wirft der SVP vor, dass sie beanspruche, die alleinige Partei zu sein, die Recht habe und behaupte, ihr Weltbild sei „das einzig richtige“. Demagogisches Auftreten, leidenschaftliche Reden, um das Volk aufzuwiegeln – dazu brauche es rhetorische Fähigkeiten und ein dickes Portemonnaie.

Sanierung von Grund auf

Statt Reformen anzupacken, würden wir in Strukturen verharren, die längst Rost angesetzt haben. Unser „Schweizerisches Haus des Föderalismus“ müsse nach 160 Jahren von Grund auf saniert werden.

Analysieren ist das eine – konkrete Massnahmen vorschlagen das andere. Was sollte seiner Meinung nach konkret angepackt werden?

Napoleon sei der letzte gewesen, der der Schweiz eine tiefgreifende Erneuerung aufoktroyiert habe. Die zerstrittene Schweiz sei aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage gewesen. „Heute brauchen wir keine Revolution, um ein zeitgemässes Modell der Schweiz zu etablieren. Wir sind dazu selbst in der Lage“.

Das Ständemehr – ein Bremsklotz

Zollinger plädiert für grundlegende institutionelle und konstitutionelle Reformen. Das Ständemehr sei zum „verrosteten Strukturerhaltungssystem degeneriert“. Es sei vor 160 Jahren eingeführt worden zum Schutz der kleinen katholischen Kantone, die im Sonderbundskrieg unterlegen waren. Heute gebe es in der Schweiz mehr Katholiken als Reformierte. Das Ständemehr sei heute zu einem Bremsklotz geworden.

Im Weiteren sagt der Autor dem „Kantönligeist“ den Kampf an. Es brauche neue, Kantonsgrenzen überschreitende Kompetenzzentren. „Da sich die Kantone nicht einigen können“, könnte er sich sechs grosse Regionen mit eigenen Kompetenzzentren vorstellen.

Plädoyer für einen Thinktank

Warum würde in der Schweiz, so fragt er, in 2400 Gemeinden  noch immer mit Strukturen von 1848 gewerkelt? Es brauche Gemeindefusionen und lokale Verwaltungs- und Exekutivzentren.

Weiter wendet er sich gegen die Pauschalbesteuerung für Ausländer. „Warum müssen Ausländer bei uns einen Bruchteil an Steuern bezahlen, die wir Schweizer selbst berappen müssen“, fragt er.

Seit 20 Jahren sei jeder Versuch einer Regierungsreform im Sande verlaufen. Zollinger schlägt die Schaffung eines Thinktanks vor. Bereits bestehende Thinktanks stehen seiner Meinung nach allzu sehr im Dienste der Wirtschaft.

Für den Thinktank, den er vorschlägt, hat er bereits einen Namen: „Svizzeravanti“. Beteiligt daran sollten Hochschulen sein, aber auch die Politik und die Wirtschaft. Ziel wäre es, Szenarien zu erarbeiten, um „ein modernes helvetisches, der Nachhaltigkeit verpflichtetes Geschäftsmodell“ zu erarbeiten.

Christoph Zollinger: Mythen, Macht + Menschen – Gegen Populismus und andere Eseleien, Conzett Verlag Zürich, ISBN 978-3-03760-031-3

Zollingers Buch liefert viele Denkanstösse. In vielen Punkten ist er mir aber zu radikal.

Das Ständemehr z.B. ist nicht nur ein unhaltbarer Bremsklotz zu Gunsten der Katholiken sondern auch zu Gunsten der ländlichen Bevölkerung.

Es verhindert gelegentlich die sofortige Einführung moderner Neuerungen, bewahrt uns aber auch davor jeden Modeschrei ungeprüft erdulden zu müssen.

Die Fragen sind zu komplex um so einseitig abgehandelt zu werden.

Herr Zollinger, ich mag Ihre Texte in J21. Aber Ihre Schlüsse zur Schweiz kann ich leider nur sehr bedingt teilen. Für Reformen ist die heutige globale Situation gar nicht geeignet. Sie können sich ja mal in München umhören, was an der Sicherheits-Konferenz diskutiert wird.

Eine Nachhaltige Schweiz kann zur Zeit nur eine sein, die sich einigelt. Und eine, die politisch so bleibt, wie sie immer war und vergessene Traditionen (Selbstversorgung) sogar wieder hervorholt. Man sollte nur Dinge ändern, die nicht funktionieren (Banken) und etwas was sich 160 Jahre bewährte, kann besser nicht sein, auch wenn es manchmal langsam erscheint.
In der Schweiz gibt es andere Dinge, die wir zuerst ändern müssten. Zuerst mal das Geldsystem, da liegt der große Fehler. Ich habe es in J21 oft genug geschrieben. Es wird echt Zeit, dass man dieses Thema aufnimmt.

Der Grund für meine äußert pessimistische Sichtweise: Ich sehe die Schweiz heute vor derselben Situation wie 1914 oder 1939. Und ich bin nicht der Einzige der dies so sieht. Es gibt zahlreiche Staatspräsidenten (Junker, Merkel) oder auch gut informierte Journalisten die sich ähnlich äußerten.
Wir haben Länder um uns, die sich von Banken und Ratingagenturen dermaßen in eine finanzielle Falle locken ließen, dass sie bald in Bürgerkriegen zerbröseln, oder sie gehen in ein Vereintes Europa auf (EUDSSR :-), wie von der EU Elite gewünscht. (siehe kommendes Buch Joska Fischer).
Das globale Finanzsystem ist am Boden und reißt alles mit sich. Und dies ist durchaus so gewünscht, man hatte sogar mit dem Geldsystem darauf hingearbeitet. Durch solche manipulierten Krisen kann man Dinge einführen, die das Volk sonst nicht will.
Man spekuliert als Beispiel in den deutschen Medien nicht mehr darüber, ob man das Bürgervermögen der EU abrasiert, sondern wann. Ich tippe Februar - März. Und dann Aufstände, Bürgerkrieg?
Wenn sich die EU Bürger dies einfach so gefallen lassen, haben die eine Schraube locker. Es wäre mir als Schweizer eigentlich egal, aber wenn die Leute und KMUs plötzlich 3 Billionen weniger auf der hohen Kante haben, wird sich dies extrem negativ auf die Schweizer Wirtschaft auswirken.
In Asien wird China von den Amerikanern von allen Seiten bedrängt. Wirtschaftlich, Finanziell, Rohstoffe (Öl) und dann noch militärisch. Ich warte nur darauf, dass der erste Schuss fällt. Und dann knallt‘s richtig. Die Chinesen haben ebenfalls ein Bündnis mit Russland. Und alle Parteien dort unten verfügen seit neuestem über Atomwaffen.
Syrien ist auch noch nicht geklärt. In der Türkei gab es Anschläge. Die Schwellenländer gehen durch die gestrige FED Politik in die Knie und zwar alle. Auch dies ist gewollt. Und die betroffenen Regierungen wissen dies genau.
Unter den gegebenen Situation ist einigeln, mit gleichzeitiger diplomatischer Offenheit das Beste. Aber wir sollten keinesfalls das ganze Land öffnen, indem eine Abkehr der bewährten Politik noch mehr Unsicherheit ins Land bringt, als wir heute schon haben.

Das die Schweiz Innovativer werden muss, das sehe ich ganau so. Aber dazu muss uns die Regierung auch vor den zahlreichen ausländischen Geheimdiensten schützen, die auf der Lauer liegen, um unser Wissen zu klauen. Es gab beim Parlament eine Eingabe für einen Wirtschaftsgeheimdienst, aber ich hörte leider nichts mehr davon.

Ich bewundere den Buchauthor, das er einen weiteren Bestseller geschrieben hat, lauter Themen die uns alle Betreffen. Bei Reformen muss man immer im Auge haben, dass das was Abgeschaft wird, in der Regel nicht mehr wieder eingeführt wird. Ich habe mich oft gefragt, wie wäre es wenn die Exekutive gar nicht mehr wählen dürfte, wenn es um Initiativen ginge, die das Volk betrift(nicht Autovignette und so), mit anderen Worten, der Staatsapparat hätte keine Chance sich in die Vorlieben der Bevölkerung einzumischen. Staatsangestellte sind fleissige Wähler und das sind hunderttausende. Aber eben, die Schweizer Mythen müssen ja von jemandem gepflegt werden, sowieso bei 30 bis 40 % Stimmbeteiligung. Seit längerem bin ich auf der Suche nach Kapitalgebern, aber das scheint schwierig zu sein, denn niemand will sich an einer Abstimmung beteiligen, die die Parteien dazu zwingt im Bundeshaus vermehrt zu arbeiten, und die Volksabstimmungen den Bürgern zu überlassen. Aber das wäre so eine richtige Reform, besonders wenn die Kosten die die Parteien sowieso verursachen, für die eröffnung jener Abstimmungen des Volkes benützt würden (ohne Parteien). Aber eben, ein tolles Thema, vielleicht müsste ich den Buchauthor um Rat fragen, der kennt sich aus, und berät sie sicher gerne...

Nichts für Ungut, aber mir erscheinen die gemachten Aussagen allesamt unglaublich "naiv".
Ich kann nicht glauben, dass Sie und Herr Zollinger tatsächlich von Ihren Begründungen überzeugt sind. Die Realität zeigt in brutaler Offenheit das die Gesellschaft in der die von Ihnen propagierten Massnahmen nützlich hätten sein können weit hinter uns liegt.
Die berühmte kritische Masse ist überschritten. Die Systeme sind ausgereizt und brechen zusammen. Unser Land befindet sich quasi im Zentrum, im Auge des Hurrikans. Da wo es angeblich am ruhigsten ist, wärend rund um uns die Fetzen fliegen. Das wird aber sicher nicht mehr lange so bleiben, Die Schweiz wird mit in das sich manifestierende Chaos gerissen werden.
Die Zeiten wo man sich gepflegt und in geschütztem Rahmen der Entwicklung von theoretischen Gesellschaftsmodellen und der Verbesserung von politischen Strukturen hingeben konnte ist vorbei.

Ausserdem beginnen die offiziell unabhängigen und mehrheitlich von Steuergeldern finanzierten Spitzenvertreter der Wissenschaft, darunter die Rektoren der Universitäten und Fachhochschulen, die Präsidenten der Akademien der Wissenschaften Schweiz, sowie die Leitung des Schweizerischen Nationalfonds SNF nun ihrerseits Front gegen die Initiative zur Begrenzung der Einwanderung zu machen. Die heere Wissenschaft wird wie gesagt mehrheitlich vom Steuerzahler finanziert und sollte sich deshalb respektvoll aus Abstimmungskämpfen heraushalten. Zudem haben die Vertreter der Wissenschaft (aus welchen Sie gerne die Denker in den Tanks rekrutieren wollen) dieselben leicht wiederlegbaren Angst-Argumente als Begründung zur Ablehnung der Initiative wie die Wirtschaftsvertreter und die SP.
Daraus schliesse ich das es letztlich egal ist, ob Wissenschaftler (und auch Politiker, sowie Journalisten) offiziell im Sold der Wirtschaft denken, oder ob sie dies nur inoffiziell tun. Für den Bürger inmitten des freiflottierenden politischen und wirtschaftlichen Wahnsinns spielt das keine Rolle, er wird aus allen Richtungen auf seine Kosten angelogen.
Ich frage mich also was Sie mit der Veröffentlichung dieses Buches, resp. der Werbung dafür erreichen wollen und bei wem.

Diese Schweizer Think-Tank`s müssten zuerst lernen die Gesetze des Dschungels zu begreifen. Ein aktuelles Beispiel: Wie kann man den Italienern ihre Seele rauben? In dem man den FIAT-Chrysler STEUERSITZ und ZENTRALE nach Holland verlegt, (Fiat-Chrysler oder doch eher Chrysler-Fiat?) und sowas einem Italien antut, das sich sonst schon nicht gut auf den Beine hält. Solches tun fördert Rechtsrutsche in Politlandschaften. (Was passiert sollte in Italien der Wunsch nach einem starken Führer aufkommen, einer wartet ja schon)? Gut für wen? Da agieren nun internationale Finanzkräfte zu ihren Gunsten. Solche Kräfte versuchen und versuchten ständig auch der Schweiz ein Bein zu stellen. Banken, Steuerstreit, Informationsaustausch, Datenklau, Swissair-Erlebnis usw.) Forderungen die von aussen gestellt werden sollten immer sehr genau mit dem Eigenverhalten dieser Länder abgeglichen werden. Was wenn bedingungsloses empathisches Verhalten gegenüber scheinheiligen Hochstaplern in die Irre führen? Ich rufe euch allen zu: bleibt auf der Hut, die wollen euch aufs Kreuz legen! Wer zu spät erwacht, den bestraft das Leben…..cathari

Ich verstehe Ihr Argment durchaus, doch beim "Swissair-Erlebnis", dass Sie da erwähnen, war für die Hunter-Strategie nicht auch der Swissair-VR verantwortlich?

@G,Castagnoli Genau! Diese Hunter Strategie bekommt nun ein Pendent in Europa. Rumänien, Bulgarien und eventuell die Ukraine usw. Sie alles schwer bezahlbare Problemfälle. Erinnert an die unerklärbaren Verhaltensweisen von VR`s! Hintergrundfragen stellen….was war genau vor Hunter und zwar sehr genau, das wäre angesagt! Damals flotierten hunderte von vorhandenen Millionen der Swissair in unbekannten Bereichen und die Rolle der texanischen Finanzchefin? … die Rolle von Delta?... die Rolle von BP? Wird nun Italien eventuell auch demontiert?....cathari

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