Halt in der Haltlosigkeit

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Halt in der Haltlosigkeit

Von Stephan Wehowsky, 20.01.2020

Greta Thunberg reist nach Davos. Ein Spektakel der Ratlosen.

Ursprünglich hat sie wie kein anderer den Weckruf symbolisiert: Die Welt steht am Abgrund, und niemand darf so weitermachen wie bisher. Dieser Ruf ist nicht einfach nur laut und schrill, sondern Greta Thunberg drückt durch ihre Person die ganze Not aus, die sich insbesondere für ihre Generation mit den absehbaren Katastrophen verbindet.

Man kann sich aber fragen, warum aus ihr mehr und mehr eine Erlöserfigur geworden ist. Denn zu einer Lösung der Problematik hat sie ausser dem Weckruf nichts beigetragen. Von ihr kommen keine politischen oder technischen Konzepte. Sie lebt lediglich etwas vor, sie verkörpert eine Haltung, mehr nicht.

Nun wird sie in Davos erwartet, und manche Beobachter spekulieren, dass es dort zu einer Begegnung mit Donald Trump kommen könnte. Wem das Umweltthema auf der Seele brennt, kann nur fragen: Was soll das?

Zyniker aber könnten darin eine glänzende Parodie ihres Anliegens sehen. Der Weckruf wird vom Spektakel in Davos positiv aufgenommen und bestens verdaut. Auch Trump klopft Greta Thunberg auf ihre schmale Schulter und signalisiert damit, dass selbst ihr Anliegen in seiner inkonsistenten Welt irgendwo auch noch Platz hat – sofern sie damit nicht allzu sehr stört. An seiner Haltung und an seiner lobbygetriebenen Politik wird er ganz sicher nichts ändern.

Überhaupt hat sich die Politik in jüngster Zeit als äusserst flexibel präsentiert. Die neue EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen hat einen „New Green Deal“ präsentiert, der unendlich viel Geld kosten soll und den sie mit dem amerikanischen Programm für die erste bemannte Mondlandung verglich. Und die deutsche Bundesregierung hat gerade den „Kohleausstieg“ beschlossen. Das aber ist blosse Rhetorik.

Denn keiner kann konkret erklären, woher die gigantischen Energiemengen herkommen sollen, die die Vorgaben der Null-Emissionen erfüllen können. Man hofft, dass rechtzeitig irgendwie irgendwas erfunden wird und dass zum Beispiel Windkraftgegner eines Tages jene Windkraftwerke und Stromtrassen bejubeln, die sie derzeit erbittert ablehnen.

Die Politik ist faktisch ratlos und verdeckt ihre Ratlosigkeit mit grosssprecherischen Ankündigungen. Es fehlen technische Konzepte, die überzeugen und begeistern. Und so bleibt nur das mulmige Gefühl, dass wir uns auf einer abschüssigen Bahn befinden, dass sich dringend Grundlegendes ändern muss, aber keiner einen wirklichen Ausweg weiss.

In ausweglosen Situationen neigt man zu Ersatzhandlungen. Die Verehrung von Greta Thunberg ist eine davon. Sie bietet einen Halt in der Haltlosigkeit.

Wie wunderbar ist es doch, die Weltpolitik auf ein einziges Problem zu reduzieren: das Klima. Wenn der Weltuntergang kurz bevorsteht - wie Greta Thunberg und ihre Jünger verkünden - dann muss ich mich nicht mehr mit den tausend mühsamen Sachproblemen der Alltagspolitik beschäftigen, sondern kann mit dem ganz dicken Pinsel die grossen Klimateufel an die Wand malen. Coole Sache, da kann selbst der Kaspar im Puppentheater grosse Politik machen und rufen: Seid ihr alle da? Jaaaaaaaaaa, schreit die Menge...

Ich hoffe, Greta lernt genug um sich später selbst zu ernähren. Wenn sie das einmal erreicht hat, wäre immer noch Zeit um der Welt zu sagen, was zu tun ist.
Dieselbe Empfehlung geht auch an ihre Follower.

Wenn ich Allgemeinplätze wie: «... keiner kann konkret erklären, woher die gigantischen Energiemengen herkommen sollen...» lese, wird mir übel, denn erstens merkt man sofort die ablehnende, ja komplett defätistische Haltung des Autors und zweitens ist dies Unfug, denn es existieren sehr wohl Konzepte, nur müssten diese umgesetzt werden.
So beackern die Journalisten dann lieber Personen, um selber keine Stellung zum Problem beziehen zu müssen und dies wird immer mehr zum Ritual der Medien und Journalisten, die es verlernt haben, Fakten aufzuarbeiten und diese für den Leser klar darzulegen.
Greta Thunberg wird so zur Hassfigur für all jene hochstilisiert, die sich lieber um den Überbringer der Nachricht kümmern, als sich dem Problem zu stellen.
Die 4. Gewalt tut daher plötzlich pikiert, weil sie feststellen muss, dass eine sechzehnjährige ihre Position eingenommen hat, da sie über Fakten und nicht über Personen spricht und das schlimmste für die Schreibenden ist doch, dass ihr die Menschen sogar zuhören.
Insgeheim schreit doch die ganze Journaille quasi "Hochverrat", weil ein junges Mädchen die Aufgabe übernehmen musste, die ihre ganze gekaufte Gilde nicht mehr wahrnimmt. - Die Mächtigen zu kritisieren!

Infantilisierung der Gesellschaft
„Ich liebe Greta. Nicht wegen ihrer Zöpfe, nicht wegen ihres Mondgesichts, nicht weil sie an Asperger leidet und auch nicht, weil sie das Schulschwänzen zu einem moralischen Imperativ erhoben hat. Ich liebe Greta, weil sie es – wenn auch ungewollt – geschafft hat, die westliche Gesellschaft als das zu entlarven, was sie ist: abergläubisch, dekadent, dumm, hysterisch, infantil und süchtig nach Erlösung. Eine beachtliche Leistung für eine Sechzehnjährige aus einer schwedischen Mittelstandsfamilie.“ (Henryk M. Broder in der Weltwoche 35/2019)

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