Ich-Deutsch

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Ich-Deutsch

Von Alex Bänninger, 02.06.2017

Egoisten drängen sich auch schreibend vor. Ihr Gassendeutsch wird zur fünften Landessprache.

Das Ich-Deutsch breitet sich aus. Es handelt sich um das fehlerhaft geschriebene Deutsch von Menschen jeden Alters und in jeder Position, die entweder auf Regeln pfeifen, diese nicht kennen oder nie kapiert haben. Das Ich-Deutsch passt zu den Ich-Welten, in denen mit Absolutheitsanspruch nur die selber gesetzten Normen gelten.

Werden Regeln mit Fesseln und die Selbstbestimmung mit Egoismus verwechselt, ist auch die Allgemeinverbindlichkeit der Grammatik, Syntax und Orthographie im Eimer. Die Entsorgung reicht weit über die Regelmissachtung als kleine Ordnungswidrigkeit hinaus. Es bedeutet, dass die Schreibenden das Wort geringschätzen und sich nicht daran gebunden fühlen.

Die Verlässlichkeit der schriftlichen Mitteilung nimmt ab. Kann der Sinn von Sätzen und Texten nur noch ungefähr erahnt und nicht mehr mit Sicherheit richtig interpretiert werden, herrschen babylonische Zustände. Auch für Fremdsprachige, die Deutsch lernen wollen. Sie begegnen einer Halt und Orientierung verlierenden Sprache.

Die Sprachregeln sind die Verkehrsregeln der Kommunikation. Sie müssen nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Gewährleistung des gegenseitigen Verstehens beherrscht werden. Das Ich-Deutsch führt zur Fremde in der eigenen Sprache.

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Nun kann man einwenden, die Menschheit bediene sich erst in der letzten, relativ kurzen Phase ihres Daseins (also seit wenigen tausend Jahren) einer genormten Form der schriftlichen Kommunikation, die in ihren Anfängen auch nicht dem ganzen "Volk" zugänglich war. Der fixierte Ausdruck war überdies einem steten Wandel unterworfen, wer liest heute noch problemlos die Kalligrafie unserer Urahnen? Die Anpassung des Ausdrucks an die jeweilige zeitläufige Konstellation kann also auch als Zeichen gedeutet werden für eine Metamorphose zum Zweck des kommunikativen Überlebens. Dafür erfinden und erlernen wir - parallel oder als Substitut - auch völlig neue Symbole für den Austausch von Information. Mich stimmt dies eigentlich optimistisch.

Seit der unsäglichen Rechtschreibreform bin ich ebenfalls Egoist und schreibe so wie es mir passt!

ganz richtig, Herr Bänninger. Sprachlich und damit gesellschaftlich kommt alles in Wanken.

Bitte bringen Sie das nun in kausalen Zusammenhang mit den Faktoren Zuwanderung, Jugendemanzipation/Popkultur, Digitalisierung, Dialektwelle, Schulreformitis, Neue Rechtschreibung. Wo müssen wir ansetzen? Das einzige, was aus meiner Sicht unumkehrbar ist, ist die Digitalisierung.

lieber michael wolf,

bei Ihrer Suche nach den Gruenden des neuen Phaenomen "Ich-Deutsch", amuesante Wortschoepfung des Autors, vermisse ich die neue Sprache D-Englisch, die zunehmend auch in den Medien anzutreffen ist.

Fuer mich ist es eine bunte Mischung von allem, die zu Sprachverluderung fuehrt, sicher nicht unbedeutend der Anteil der Streit auch unter den Lehrern ueber die Rechtschreibreform, die gar dazu fuehrte, dass Verlagshaeuser ihre eigenen Regeln aufstellten, wie etwa die "alte Tante" NZZ. Da soll dann die Jugend oder ich mit 81 Jahren noch den Durchblick behalten ;-)

Danke für den Hinweis auf das "Denglisch", Herr Fröhlich. Geht wohl zusammen mit der Popkultur und der Globalisierung.

Was ich auch noch vergessen habe: Die Gendersprache für all die Korrekten und Korrektinnen. Und die "Einfache Sprache" für die einfacheren Gemüter, die auf Parataxe und Redewendungen zu verzichten hat.

Der NZZ gebührt hingegen mit ihrer Sprachregelung ein Krönchen. Sie stellt heute einfach wieder den Normalfall dar, nachdem die Neue Rechtschreibung still und heimlich zu 90% versenkt wurde. Die NZZ war immer lesbar geblieben, auch in den schlimmsten Zeiten von Getrennt Schreibung...

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