Joseph Stiglitz hat nicht recht
Der Grundirrtum von Joseph Stiglitz liegt in seiner Annahme, Europa sei wirtschaftlich eine zwar geographisch verbundene, aber sonst völlig unabhängige Gruppe von Staaten. Früher konnten unabhängige Staaten tatsächlich frei über Zinsen und Wechselkurse entscheiden. Heute ist dies auch für formell souveräne Staaten nicht mehr möglich. Die Schweiz ist das beste Beispiel. Zinsniveau und vor allem Wechselkurs sind fremdbestimmt, auch für uns. Zu eng sind die gegenseitigen Abhängigkeiten, die transnationalen Wertschöpfungsketten und Finanzflüsse, welche die globale Wirtschaft charakterisieren.
Diese Verflechtungen waren der erste von drei Hauptgründen, warum die Einheitswährung innerhalb der EU eingeführt worden ist. Für international tätige Unternehmen erleichtert der Euro den Zahlungsverkehr, eliminiert das Wechselkursrisiko und erlaubt klare Vergleiche zwischen nationalen Tochtergesellschaften im Euro-Raum. Dem Einzelnen, eingeschlossen Touristen, hilft er beim europaweiten Lohn- und Preisvergleich und erleichtert den Aufenthalt in anderen Euroländern.
Symptome unbewältigter Vergangenheit
Der Euro ist zweitens unbestechlicher Massstab, was von nationalen Regierungen gemacht oder eben nicht gemacht wird. Dies mit Bezug auf nationale Budgets, also auch – strukturell, nicht konjunkturell bedingte – Defizite. Solche sind oft Symptom unbewältigter Reformen, wie sie vornehmlich in süd- und osteuropäischen Volkswirtschaften weiterhin notwendig sind. Die entsprechenden Probleme reichen von Klan- und Günstlingswirtschaft bis hin zur Korruption.
Das im Moment im Euroraum bestehende Gleichgewicht zwischen der – von einem Italiener geführten und eine expansive Geldpolitik verfolgenden – europäischen Zentralbank auf der einen Seite und der speziell in Deutschland, dem gegenwärtigen EU-Vorort, ausgeprägten Tendenz zur Fiskaldisziplin auf der anderen, scheint sich recht gut eingependelt zu haben. Wo nach wirtschaftlichem Schiffbruch in der Folge der grossen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 wirkliche Reformen durchgeführt werden (Irland, Portugal, teilweise Italien und Spanien) verbessert sich die Wirtschaft langsam, aber beharrlich.
Auf Augenhöhe mit globalen Schwergewichten
Der dritte Grund für den Euro ist schliesslich politischer Natur, und darum auch der wichtigste. Allein die geballte Wirtschaftsmacht der EU erlaubt es Europa, in der grundsätzlich anderen Welt des 21. Jahrhunderts zu bestehen. Einer Welt, an deren Nabel nicht mehr länger einzelne europäische Staaten hängen – wie bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, sondern wo sich das globale Schwergewicht in den asiatisch-pazifischen Grossraum verlagert. So ist es beispielweise allein der Marktkraft der EU zu verdanken, dass Europa im gegenwärtigen Ringen rund um die sogenannten „Mega-Regionalen“ (Freihandelsverträge der dritten Generation praktisch zwischen Kontinenten) seine eigenen Interessen verteidigen kann. Nebenbei gesagt wird sich die Schweiz den entsprechenden Resultaten anzuschliessen haben ohne jede Mitsprache, insbesondere bei der Formulierung der erwähnten Interessen.
Aber auch politisch, eingeschlossen sicherheitspolitisch, kann sich die EU nur als – eben auch durch den Euro – geeinte Macht auf Augenhöhe mit anderen globalen Schwergewichten bewegen. Dies im Verkehr einschliesslich Auseinandersetzung mit der immer deutlicher werdenden Achse autoritärer Staaten von Beijing über Moskau nach Ankara. Ebenso als Ordnungsmacht in der mittelöstlichen und maghrebinischen Nachbarschaft Europas, wo die „democratic burden“ immer ausgeprägter von den USA auf unseren Kontinent übergehen wird.
Anti-deutsches Vorurteil von Stiglitz?
Alle drei dieser Gründe für den Euro haben weiterhin Gültigkeit. Schwierig zu sagen, warum der sonst klar denkende, mit einem normalerweise unfehlbaren moralischen Kompass ausgerüstete Stiglitz hier so falsch liegt. Gewisse Experten vermuten ein anti-deutsches Vorurteil.
Vielleicht liegt auch nur eine klassische Verwechslung vor, von Ursache und Wirkung. Die Euro-Krise in verschiedenen, nicht allen EU-Ländern ist eine Folge der erwähnten, dort verschleppten Reformen sowie der mannigfaltigen Herausforderungen, welche die wirtschaftlich und soziale Verflachung der Welt mit sich gebracht hat. Vom Export von Arbeitskräften von industrialisierten Ländern zu Schwellenmärkten über den digitalisierten Zugang zum Weltgeschehen für alle bis hin zu den Migrationsbewegungen, ausgelöst durch Krieg und sichtbarer werdende Ungleichheit.
Und was ist der Preis für diese Grossmachtsgelüste (die sich ja nicht realisiert haben): Ein Heer von Arbeitslosen in den Südländern, Junge, die keine Chance haben, je einen Job in ihem Land zu bekommen. Um den Euro zu retten, wird ausserdem der Kontinent mit Milliarden von Geld geflutet. Auch die Auswirkungen dieses Geldpolitik sind verheerend: Zinsen bei Null oder darunter, was für Pensionskassen und Sparer eine Katastrophe darstellt. Und all dies, nur damit wir in Europa frei reisen, am Zoll keinen Pass zeigen und die Währung nicht wechseln müssen? Die übrigen hochtrabenden Ziele haben sich ja alle in Luft aufgelöst, der Kontinent ist zerstrittener denn je.
Der Euro ist ein politischer und wirtschaftlicher Spaltpilz erster Klasse.
Ach Gott, Stieglitz ist eine Meinung, es gibt aber noch einige Millionen ebenso kompetente Meinungen, Allein, die Meinungen der Macher, als da sind die Zentralbankleiter, sind von Relevanz. Siehe Thomas Jordan, kein Meiner, sondern ein Macher.
Lieber Daniel,
7 Kommentare,alle negativ.
Viel Feind - viel Ehr.
Die Frage bleibt ob die Schweizerlein mit ihrem Wärungskrieg langfristig besser fahren?
Wir kaufen Lachsfarmen und die Norwegische Nationalbank dafür Nestlé. Was finden den Deine Kritiker zu diesen Spielchen?
Der norwegische Staatsfonds, nicht die Zentralbank, kauft Nestlé. Die SNB führt keinen Währungskrieg, sondern eine weiterhin stabilitätsorientierte Geldpolitik. Ohne Fremdbestimmung hält sie sich, im Gegensatz zur EZB, von offener oder versteckter Staatsfinanzierung fern.Unter erschwerten Bedingungen. Wobei die Geldduschen der EZB wohl an erster Stelle stehen. Sie richten Schaden an. Insbesondere, indem sie längst fällige Strukturreformen in vielen EU-Ländern, darunter die zwei 'Kernländer' Frankreich und Italien, unattraktiv erscheinen lassen. Deutschland soll 'es' richten. Wie lange noch ?Bundeskanzler Kohl meinte in der Frühzeit des Euro, es gehe um Krieg oder Frieden. Krieg hat die Eurokrücke glücklicherweise nicht mit sich gebracht, aber sehr viel Zwist. Bei der Einführung und Weiterentwicklung des Euro handelt es sich um den mit Abstand gravierendsten, wirtschafts- und währungspolitische Fehlgriff seit dem Zweiten Weltkrieg. Nicht fremdbestimmt. Sondern gemeinsam. Von Machbarkeitsgläubigen. Gegen Massen von Expertenratschlägen und ohne Berücksichtigung von Volksmeinungen. P.S. Die Kommentare sind kritisch, nicht negativ.
sehr geehrter Herr Heini,dass die Norweger auch noch einen Staatsfonds haben,hab ich vergessen.Scheinbar haben wir nicht dieselben Informationsquellen.Ich wiederhole,die Norwegische Nationalbank kauft Schweizer Aktien,um ihre Währung zu drücken.Das die Schweizer Nationalbank für 130 Milliarden ausländische Aktien kauft,hat den selben Grund.Für mich nennt man das Währungskrieg.
Folglich sollte Autor Wocker anstelle von Stiglitz den Nobelpreis erhalten....
Da ersieht man den Unterschied zwischen einem renommierten Nationalökonomen und einem politischen Internationalisten! Wenn letztere nur schon das Wort "national" hören, brennen ihnen die Sicherungen durch. Aber überlassen wir es der Zukunft, wer hier recht haben wird. Kaum vorstellbar jedenfalls, wie wirtschaftsschwache Länder wie Griechenland, Portugal oder Zypern "durchgefüttert" werden können, wenn sie das Joch des Euro nicht abschütteln können.
EU: Nord-Süd-Gefälle fatal für den Euro!
Es zeigt sich, dass die überhastete Einführung des Euro für die wirtschaftlich schwachen Länder der Euro-Zone ein grosser Fehler war. Die Senkung von Nominallöhnen müsste parallel zur Senkung der Preise für Inlandgüter und -dienstleistungen stattfinden. Dies ist politisch weit anspruchsvoller als es eine Beibehaltung der eigenen Währung gewesen wäre. Heute ist es dazu wohl zu spät. Man hat den Eindruck, dass die EU mit ihrer Vereinheitlichungspolitik viel zu rasch voranschreitet. Ist dies ein Zeichen dafür, dass sich alternde Politiker in den EU-Gremien noch rasch ein Denkmal setzen wollen?
der kommentar passt zur EU-grundhaltung: alles nur "schön-wetter-verträge", die alle nur immer auf vorwärts und vermehrte integration abzielen, völlig egal, was in der wirklichkeit passiert und was alles schief läuft.
eine gemeinsame währung kann ja eigentlich nur funktionieren, wenn auch die fiskalpolitik harmonisiert ist. wenn man aber die schuldenzunahme z.b. in griechenland nach der einführung der euros betrachtet, dann muss es einem übel werden. da der euro-vertrag aber keine sanktionen oder ausschluss aus dem euro vorsieht, ist das chaos total.
Nachtrag: (1) Daniel Woker verwechselt 'gross' (big) mit gut ('great'). Das ist EU-Mainstream. Nicht zum Wohle des Kontinents. (2) Wer schlimme bis deprimierende Auswirkungen der Eurokrücken-Uebernahme bzw. der damit verbundenen Gratiszinssenkung über Nacht ganz konkret erleben will, tut dies 'am besten' mit einer Fahrt durch die mit Bausünden geschändeten Küsten Südspaniens. Wer meint, solcher, durch die Eurokrücke ausgelöster Unfug habe nur im Süden Europas stattgefunden, kann sich in Irland eines Schlechteren belehren lassen. Unfassbar, aber realer Schrott.
Wow, das ist aber ein echter Argumentensalat! Ich weiss nicht, ob Sie Stieglitz damit überzeugen und er ist mit seiner Meinung weissgott nicht allein. Sehr anschaulich hat auch z.B. Wolfgang Streeck, immerhin Direktor emeritus des Max-Planck-Instituts für Wirtschaftsforschung, wieso der Euro in einem demokratischen Europa nicht funktionieren kann (Gekaufte Zeit, Suhrkamp). Oder ist das auch ein Antideutscher? So oder so- Jedenfalls ist es ein billigstes Argument jemandem nationale Ressentiments zu unterstellen.
Die im letzten Abschnitt erwähnten 'verschleppten Reformen' sind eine direkte Folge der Eurokrücke. Bei der Uebernahme der Gemeinschaftswährung wurden ohne Gegenleistung und in mindestens einem Fall auch auf der Basis von getürkten Grundlagen eigentliche Geschenke verteilt. In der Form eines über Nacht massiv gesenkten, allgemeinen Zinsniveaus. Damit wurden die Anreize für dringend notwendige Strukturreformen gesenkt, ja eliminiert. Derselbe, kontraproduktive Effekt ergibt sich in jüngerer Zeit durch die Geldschwemme der EZB, die in grossen und steigenden Teilen einer monetären Staatsfinanzierung gleichkommt. Das alles hat mit 'sozialer Verflachung der Welt' nichts zu tun, sondern mit Zwängerei. Gut gemeint, jedoch gar nicht gut. Daniel Woker selbst verwechselt Ursache und Wirkung. Klar sind seine Wünsche. Diffus seine Methode. In diesem Sinne darf man auch ihn zu den 'grossen Europäern' zählen.
So ist es, danke an Herrn Heini. Und wenn jemand implizit einen "unfehlbaren moralischen Kompass" für sich in Anspruch nimmt wie Herr Woker, liegt er von vornherein falsch, nicht nur faktisch.
Was er zudem völlig negiert, ist die ungeheure Zunahme von Ressentiments in Europa, die der "unbestechliche Massstab" namens Euro gebracht hat. Und daran wird die EU zerbrechen, hoffentlich nicht mit einem zu lauten Knall. Das "Primat der Politik" vor der Ökonomie (sprich Markt sprich Selbstorganisation) führt wie immer in den Ruin.