„Karl, das kannst du!“

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„Karl, das kannst du!“

Von Carl Bossard, 07.09.2019

Erwartung ist ein wirkungsstarkes Wort. Nicht als flinke Phrase formuliert, sondern als echtes Feedback artikuliert und mit Lernhilfen intensiviert. Eine pädagogische Grundhaltung ist die Basis.

Sechste Klasse, strenge Zeit! Der Übertritt steht bevor. Doch die Welt hält noch anderes bereit als nur Unterricht. Da ist beispielsweise das Mädchen in der Parallelklasse. Schule wird zur Nebensache; Kraft und Konzentration kanalisieren sich neu. Ich weiss noch, wie ich in dieser Zeit einen schluderig formulierten Text abgegeben habe. Unser Lehrer hat jeden Aufsatz eigenhändig korrigiert – elf in der fünften, elf in der sechsten Klasse – und ihn mit jedem Einzelnen besprochen. Kurz. Klar. Konzentriert. Ich stand vor ihm am Pult. Hinter seiner Strenge leuchtete etwas. Er zeigte mir die Korrektur und sagte lediglich den einen Satz: „Karl, das kannst du!“ Mehr nicht.

Lehrererwartungen wirken

Die Aussage traf mich; die wenigen Worte wirkten: Der Lehrer traute mir Besseres zu; er erwartete mehr, als ich im Moment lieferte. Unbewusst nahm ich wahr: Er wollte den Brotkorb hoch hängen, damit sich mein geistiger Hals recke. Und er traute es mir zu; er vertraute mir.

Vertrauen ist der Anfang von allem. Auch in der Pädagogik – in diesem subtilen intersubjektiven Geschehen zwischen Lehrpersonen und ihren Kindern und Jugendlichen. Vertrauen, dieses kleine Wort mit neun Buchstaben, ist gebunden an Glaubwürdigkeit. Es bedarf kaum vieler empirischer Daten, um zu erkennen, welchen Einfluss das Vertrauen und die damit verknüpfte Glaubwürdigkeit im menschlichen Miteinander haben.

Glaubwürdigkeit als Kern einer intakten Lehrer-Schüler-Beziehung

Ohne Glaubwürdigkeit sind Kooperation und Kommunikation nur erschwert möglich. Das haben viele schon erfahren. Darum überrascht es nicht, dass John Hatties wegweisende Studie dem Faktor „Glaubwürdigkeit“ der Lehrperson eine der höchsten Effektstärken zuordnet. [1] Ihre Glaubwürdigkeit beeinflusst den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler positiv. Viele Daten zeigen es.

Glaubwürdigkeit basiert auf ehrlichem, intensivem Feedback und klarer, konkreter Sprache. Beiden Aspekten kommt – nicht überraschend – ebenfalls ein grosser Wirkwert zu. Klarheit braucht pädagogischen Mut. Fehler beschönigen oder sie gar verschweigen versperrt Lernwege und schwächt das Vertrauen. Die Lernenden wissen meist um ihre Schwächen; sie können sie aber nicht präzis benennen. Oberflächliches Feedback kratzt darum an der Glaubwürdigkeit der Lehrperson. Eine differenzierte, sachlich unerbittliche Rückmeldung, menschlich wohlwollend und zuversichtlich formuliert, stärkt die Lehrer-Schüler-Beziehung.

Lernen braucht intakte Beziehungen

Mein Text aus der sechsten Klasse war schlampig verfasst; irgendwie wusste ich es. Doch der Lehrer sagte nicht: „Das ist unbrauchbar! Das kannst du nicht!“ Er verwies mich lautlos auf die Korrektur und meinte nur: „Karl, das kannst du!“

Wie Rückkoppelungen formuliert werden und wirken, ist wissenschaftlich gut untersucht. [2] Entscheidend im Feedback-Verhalten sind Sprache und Ausdruck. Spürt die Schülerin die Zuversicht der Lehrperson? Erfährt der Schüler eine wertschätzende Haltung des Vertrauens und Zutrauens? Erkennt der junge Mensch die Differenz zwischen Sein und Sollen? Und weiss er, was der Lehrer von ihm erwartet?

Unterricht ist im Kern Beziehungsarbeit

Lernen braucht eine intakte Lehrer-Schüler-Beziehung und eine angstfreie, lernförderliche Atmosphäre der Zuversicht. Der Schlüssel dazu ist die Glaubwürdigkeit der Lehrperson. Das alles sind keine neuen Erkenntnisse.

Neu ist die viel höhere Effektgrösse, die John Hattie heute dem Faktor „Lehrererwartung“ zuordnet, dies im Vergleich zu seiner Ursprungspublikation von 2009. [3] Zahlreiche zusätzliche Studien bestätigten in der Zwischenzeit, wie wichtig dieser Aspekt ist. Sie verstärkten den Wirkwert der Lehrererwartung. Das lässt aufhorchen.

Pygmalion-Effekt mit Langzeitwirkung

Bekannt geworden ist dieser Effekt durch die berühmte Studie „Pygmalion im Unterricht“ von Robert Rosenthal und Leonore F. Jacobson. [4] Die beiden Forscher wiesen 1968 nach: Wenn Lehrpersonen ein positives Bild von Lernenden haben und viel von ihnen erwarten, fördern sie diese Jugendlichen stärker als deren Mitschülerinnen und Mitschüler. Das zeigt sich beispielsweise an der Intensität der Zuwendung oder an der Geduld bei Lernprozessen. Winfried Kronig, Professor für Sonder- und Heilpädagogik an der Universität Freiburg i. Üe., konnte nachweisen, dass die Erwartungshaltung der Lehrperson aus der zweiten Klasse die Leistung in der 6. Klasse noch immer beeinflusst – dies über eine Zeitachse von vier Schuljahren.

Der Pygmalion-Effekt zählt zu den bestuntersuchten pädagogischen Wirkfaktoren. Prototypisches Beispiel ist der Phonetiker Higgins im Musical „My Fair Lady“, verfilmt mit Audrey Hepburn und Rex Harrison. Higgins glaubt an das Blumenmädchen Eliza Doolittle und traut ihr das blütenreine Oberklassen-Englisch zu. Eliza schafft es und besteht beim Ball des Botschafters als angebliche Herzogin.

Sich der Erwartungen an die Schüler bewusst sein

Umgekehrt lässt der Pygmalion-Effekt auch den Schluss zu, dass gleichgültige oder gar negative Lehrererwartungen zu schwächeren Lernleistungen führen können. Darum müssen sich Lehrinnen und Lehrer ihrer Erwartungshaltung bewusst werden. Die „self-fulfilling prophecy“, die selbsterfüllende Prophezeiung, gilt für positive wie für negative Erwartungen.

Ob unser 5./6.-Klasslehrer den Phonetikprofessor Higgins gekannt hat, weiss ich nicht. Der Film erschien jedenfalls erst nach meiner Primarschulzeit. Ich weiss nur: Er erwartete eine bessere Lernleistung und traute sie mir zu. Mein Primarlehrer wirkte – im positiven Sinne. Noch heute höre ich seinen Satz: „Karl, das kannst du!“

[1] John Hattie & Klaus Zierer (2017), Kenne deinen Einfluss! „Visible Learning“ für die Unterrichtspraxis. 2. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 81.

[2] John Hattie, Gregory C.R. Yates (2015), Lernen sichtbar machen aus psychologischer Perspektive. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von "Visible Learning and the Science of How We learn", besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 295ff.

[3] John Hattie & Klaus Zierer (2018), VISIBLE LEARNING. Auf den Punkt gebracht. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 128.

[4] Robert Rosenthal & Leonore Jacobson: Pygmalion im Unterricht. Lehrererwartungen und Intelligenzentwicklung der Schüler (übersetzt von Ingeborg Brinkmann [u. a.]). Weinheim/Berlin/Basel: Beltz Verlag, 1983

Genau dieser Pygmalion Effekt im Positiven; sich wegen der Erwartungshaltung besser als der Durchschnitt zu entwickeln, wie im Negativen, etwa in Form des Andorra Syndroms; die negativen Erwartungen des Umfelds zwanghaft erfüllen zu müssen, sind wie auch der Rosenhahn Effekt für uns Betroffene zentral in der Erkenntnis der Kräfte des Bewusstseins, der Imagination, der Projektionen, der Veränderung der Realität und der materiellen Wirklichkeit. So funktioniert auch geistiges Heilen oder schwarze Magie, oder in der praktischen Realität erlebt; wenn es in fremdem Umfeld niemand weis und ich auch nicht daran denke, habe ich nichts, bin gesund und werde auch normal behandelt, aber sobald jemand die amtliche Diagnose und den Grund für die IV-Rente erfährt, kommuniziert und weiterverbreitet... siehe Rosenhahn und Max Frischs Andorra Effekt. Andererseits einen mit klandestiner Lobotomie vorpubertär am Gehirn verstümmelten, geistig und Willens-Halbtoten - später verdeckt noch Testosteron Unterbundenen - auf die Gesellschaft loszulassen und vor allem als eine zentrale Figur bei den lokalen Alternativen-Jungerwachsenen, seine "Kollegen" mit von allen nicht interpretierbarer, mentaler Willens- und Schaffenskraft-Dysfunktion zu ebensolchem Verhalten mit umzuprägen, ist an niederträchtiger Boshaftigkeit zur Zersetzung Nonkonformer, nicht-Rechter durch die amtliche Täterschaft nur noch in KZs, Cointelpro, Mkultra und Abu Graib etc zu übertreffen. Wir Verstümmelten, "Targeted Individuals", "Mind Control"-Opfer und "Alien Abductees" weltweit, warten bis heute auf Aufdeckung, Strafverfolgung der Täterschaften, Justiz, Gerechtigkeit und Genugtuung. Aber der Tag wird kommen!

Vom Baum der Erkenntnis.
Wenn du Glück hast lebst du als Kind für längere Zeit im Paradies, der Apfel hängt weit oben und du ahnst nicht. Zusammenhänge liegen noch tief im Nebel und das Nichts existiert überhaupt nicht. Eventuell dann, sowas wie der Streit der Eltern, erschreckende Erlebnisse aller Arten oder und aufkommende stimulierende Hormone, vieles könnte es sein, ist möglich, bremst dich aus. Du bist eben schon Mensch, erleidest Schwankungen, deine Seele dürstet nach Vertrauen aber Verunsicherung breitet sich aus. Die anderen wissen von nichts, du kannst diese Dinge niemandem erzählen. Der Lehrer staunt ob diesen auf und ab und deine Blicke verlieren öfter an Glanz, deine Leistungen erinnern eher an Ebbe und Flut. Kind im Strudel der Zeit, angewiesen auf einen gut ausgebildeten Pädagogen der selbst gelernt hat, der jenseits von Sympathie und Antipathie dir einen Rettungsring zuwirft. Kein „ Another Brick in the Wall“ sondern „Einer für alle, alle für einen“, nur so wirst du gehalten, bist du zu retten, behältst den Mumm fürs Engagement. Der Nächste bitte! Stark sein bedeutet für uns alle das scheinbar Unwirkliche, das Belastende irgendwie auszuhalten. Hey Hänschen klein und du lebenslustiges Mädchen, wir schaffen das! Einen grossen Dank an eine gut ausgebildete Lehrerschaft, die sich sichtlich bemüht und sich täglich abmüht. … cathari

Geehrter Herr Bosshard

In Ihrem Text schaffen Sie es wiedermal das Wichtigste des Lehrberufes herauszuschälen. Es ist die Beziehung Schüler/in und Lehrperson. Mehrfach habe ich in meiner Schulzeit lange Standpauken einer Lehrperson angehört. In der Erinnerung ist nichts davon geblieben. Vielmehr waren es kurze Aussagen von Lehrpersonen, die mir zum einen das Gefühl gaben „das kannst du besser“, zum anderen auch „ich (die Lehrperson) vertraue darauf, dass du zu mehr fähig bist“. Solche kurze Aussagen schaffen viel mehr Vertrauen ins eigene Können, als lange Reden, die meist nur darauf abzielen, aufzuzählen was alles nicht funktioniert.
Und so halte ich es kurz mit meinem Feedback: Vielen Dank für einen weiteren, gelungenen Artikel!

Freundliche Grüsse, Max Grob

SRF Archiv

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