„Los von Rom!“

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„Los von Rom!“

Von Heiner Hug, Rom - 20.10.2017

Separatismus auf Italienisch: Die wirtschaftlich starken Regionen Lombardei und Venetien sollen mehr Autonomie erhalten.

Acht Millionen Lombarden und vier Millionen Venetier sind an diesem Wochenende aufgerufen, darüber zu entscheiden, ob ihre Regionen mehr Selbstbestimmung erlangen sollen. Lanciert wurden diese Volksabstimmungen von der rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Lega Nord. Sowohl die Lombardei als auch Venetien werden von Gouverneuren der Lega regiert.

Die Referenden haben rein konsultativen Charakter und sind nicht bindend. Die Initianten der Abstimmungen hoffen, mit einem wuchtigen Bekenntnis zu mehr Autonomie die Zentralregierung in Rom unter Druck setzen zu können.

„Euro-Befreiung“

Wie weit die angestrebte Autonomie gehen soll, ist unklar. Matteo Salvini, der Parteisekretär der Lega Nord, will die EU-Zone verlassen und in Norditalien eine eigene Währung einführen. „Der Euro ist tot“, sagt Salvini. „Wir wollen eine eigene Währung.“ Er will zusammen mit den Rechtspopulisten Gerd Wilders, Marine Le Pen und Heinz-Christian Strache für eine „Euro-Befreiung“ kämpfen.

In Venetien wollen die feurigsten Befürworter einer Sezession gar die 1797 von Napoleon zu Fall gebrachte „Republik Venedig“ neu gründen.

In den Mafia-Strukturen versickert

Vor allem geht es ums Geld. Viele Norditaliener stören sich seit jeher daran, dass ihre Steuergelder in den Mafia-Strukturen Süditaliens versickern. Die Lombardei ist eine Region mit einem der höchsten BIP Europas. Die Initianten der Abstimmungen wollen das meiste in ihren Regionen erwirtschaftete Geld für sich behalten. Die Lombardei und Venetien überweisen jedes Jahr 80 Milliarden Euro nach Rom.

Die Befürworter von mehr Autonomie fordern eine Sonderautonomie, wie sie bereits fünf der zwanzig italienischen Regionen besitzen, so Trentino-Südtirol (Alto Adige), Sizilien, Sardinien, das Aosta-Tal und Friaul-Julisch Venetien.

Unterstützung von Berlusconi

Die Promotoren einer Mini-Sezession von Rom haben jetzt prominente Unterstützung erhalten. Diese Woche trat Silvio Berlusoni in Mailand mit Roberto Maroni, dem lombardischen Gouverneur, auf und stellte sich auf die Seite der „Sezessionisten“. Berlusconi, der die nationalen Wahlen im kommenden Frühjahr im Auge hat, ging noch einen Schritt weiter und forderte mehr Autonomie für alle italienischen Regionen.

Neben der Lega Nord und Berlusconis Forza Italia hat sich auch Beppe Grillo, der Chef der „5 Sterne“ für mehr Selbstbestimmung der Regionen ausgesprochen. Die Linke wehrt sich dagegen – mit wenigen Ausnahmen.

„Die Autonomie bringt gar nichts“

Ob die Regionen wirtschaftlich von einer Autonomie profitieren, ist sehr umstritten. Selbst Lega-Vertreter sind bei diesem Thema kleinlaut geworden.

Zu Beginn dieses Jahrtausends hat die damalige italienische Linksregierung den Regionen bereits erhebliche zusätzliche Kompetenzen gegeben. So können die Regionen vor allem das Gesundheitswesen, den öffentlichen Verkehr und den regionalen Transport selbst bestimmen. Ergebnis war nach offiziellen Angaben des italienischen Rechnungshofes eine Kostenexplosion von 74 Prozent. „Die Autonomie bringt gar nichts“ titelt deshalb die Mailänder Zeitung „Il Giorno“. Und besser geworden sei das Gesundheitswesen keineswegs – im Gegenteil.

Staatspolitische Einwände

Die Gegner von zu viel Föderalismus weisen zudem darauf hin, dass das autonome Sizilien unter der Autonomie mehr leidet als profitiert. Autonomie allein ist kein Zaubermittel.

In vielen Teilen Italiens werden die Autonomie-Bestrebungen mit wenig Freude verfolgt. Denn sollten keine Steuergelder mehr vom Norden in den Süden fliessen, müssten Regionen wie die Toskana, das Piemont, Umbrien oder die Emilia-Romagna ihre Steuern erhöhen und einspringen, um die Bedürfnisse des Südens zu befriedigen.

Gegen zu viel Selbstbestimmung werden auch staatspolitische Einwände erhoben. Wenn die Solidarität und der Finanzausgleich zwischen den Regionen nicht mehr funktioniert, könne Italien als Staat „gleich kapitulieren und einpacken“, heisst es in Kommentaren in den sozialen Medien.

„Ein Licht in der Nacht“

Die Abstimmungen werfen keine hohen Wellen. Luca Zaia, der Präsident (Gouverneur) der Region Venetien trommelt zwar unermüdlich für mehr Selbständigkeit. „Ein klares Ja ist, wie wenn in der Nacht der italienischen Republik ein Licht angezündet würde.“

Die Lega-Vertreter, die seit Jahren für ihre Anliegen kämpfen, spielen hier mit hohem Einsatz. Eine niedrige Stimmbeteiligung und ein schwaches Ja wäre eine Absage an ihr Kernthema. Und umgekehrt.

Ungewisser Ausgang

Sowohl in der Lombardei als auch in Venetien haben sich die Initianten ein Ziel gesetzt: In Venetien hofft man, dass mindestens 50 Prozent der Stimmberechtigen ihre Stimme abgeben. In der Lombardei hofft man auf mindestens 35 Prozent. Ob diese Ziele erreicht werden, ist allerdings noch längst nicht sicher.

Befragungen zeigen, dass 6 von 10 Norditalienern gar nicht wissen, dass an diesem Sonntag ein Referendum stattfindet. Die meisten der Befragten wollen gar nicht zur Urne gehen.

Die meisten, die dann zu den Urnen gehen, werden wohl ein Ja einlegen –  wohl wissend, dass sich nichts ändern wird. Ob die Querelen in Katalonien Einfluss auf die Abstimmung haben, ist unklar.

„Wahlpropaganda und sonst nichts“

Die Durchführung der Abstimmungen kostet 64 Millionen Euro. Dieses Geld müssen die beiden Regionen selbst aufwenden. Zudem hat ihnen die Zentralregierung in Rom diese Woche noch eine Rechnung von 5 Millionen Euro geschickt: „Aufwendungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“. Die Initianten der Referenden fauchen vor Wut.

Die Regierung in Rom verfolgt die Abstimmungen mit grosser Gelassenheit. Umweltminister Gian Luca Galletti sagt, das Ganze ist ohnehin nur Wahlpropaganda der Lega Nord – mit Hinblick auf die nationalen Wahlen im kommenden Frühjahr.

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