Machtmensch Putin als Gnadenbringer

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Machtmensch Putin als Gnadenbringer

Von Reinhard Meier, 20.12.2013

Die Entlassung von Russlands prominentestem Gefangenen Chodorkowski stärkt innenpolitisch Putins Aura als Herrscher, von dem alles abhängt. Chodorkowski bestätigt, ein Gnadengesuch gestellt zu haben, aber kein Schuldeingeständnis.

Man muss es Putin lassen: er versteht sein Geschäft. Ganz im Stil eines allmächtigen Potentaten  gab er am Donnerstag nach einer vierstündigen Pressekonferenz scheinbar beiläufig bekannt, dass Michail Chodorkowski – Russlands prominentester Gefangener -  ein Gnadengesuch gestellt habe und dass dieser nach zehnjähriger Haft wohl in kurzer Zeit entlassen werde.  Gesagt getan,  schon am nächsten Tag ging die Nachricht um den Globus, Chodorkowski  habe das Lager im Norden Kareliens, unweit der finnischen Grenze, bereits als freier Mann verlassen.

Byzantinische Szenen

Vieles an diesem schlagzeilenträchtigen Vorgang  mutet byzantinisch an – und passt gerade deshalb gut zur absolutistischen russisch-zaristisch-sowjetischen Machttradition. Schon  die Art der Ankündigung von Chodorkowskis bevorstehender Freilassung hat obskure Züge: Da spricht Staatspräsident Putin geschlagene vier Stunden lang vor der Presse und beantwortet deren vorwiegend devote Fragen in epischer Länge. Ein  Fragesteller will  wissen, ob es eventuell zu einem dritten Gerichtsprozess gegen den früheren Ölmagnaten kommen werde. Putin entgegnet, das denke er eher nicht – sagt aber kein einziges Wort zur bevorstehenden Begnadigung.

Erst nachdem die Pressekonferenz schon beendet ist, wird Putin beim Verlassen der Veranstaltung von einem russischen Journalisten gefragt, ob Chodorkowski eventuell vorzeitig entlassen werden könnte.  Erst jetzt lässt der Kremlherr die Nachrichtenbombe platzen.  War das ein zufälliger Auslöser und war dieses Szenario schon im Voraus so geplant?  Die Vermutung ist nicht ganz abwegig, dass der erfahrene Manipulator Putin solche Dinge nicht dem Zufall überlässt.

Chodorkowski: Kein Schuldeingeständnis

Wie auch immer - wenn Putin die Öffentlichkeit im eigenen Lande und rund um die Welt mit dieser Nachricht überraschen wollte, so ist ihm das vollkommen gelungen. Auch die Anwälte oder die Angehörigen Chodorkowskis wussten nichts von einem Gnadengesuch des Häftlings an den Präsidenten. Inzwischen ist Chodorkowski überraschend in Berlin eingetroffen. In einer Erklärung hat er bestätigt, dass er aus familiären Gründen ein Gnadengesuch gestellt habe. Bisher hatte wer ein solches Gesuch hartnäckig abgelehnt, weil dies als ein Schuldeingeständnis interpretiert werden könnte. Dazu war er nicht bereit. Laut Chodorkowskis Aussage enthält sein Gnadengesuch kein Schuldeingeständnis

Putins Sprecher hat demgegenüber in einer Erklärung in Moskau mit Nachdruck betont, Chodorkowski habe mit dem Gnadengesuch seine Verfehlungen eingestanden. Es steht also Aussage gegen Aussage – und darüber dürfte noch viel geredet werden.

Putins Kalkül

Bis auf weiteres herrscht der Eindruck vor, dass Putin mit der überraschenden vorzeitigen Entlassung seines bekanntesten Häftlings mit wenig Aufwand ein schlaues Manöver vollzogen hat. Der Preis ist für Putin tatsächlich gering, denn im August des kommenden Jahres wäre Chodorkowskis Haftfrist ohnehin abgelaufen – es sei denn,  die vom Kreml bei diesem Verfahren offenkundig gegängelte Justiz hätte gegen den früheren Öl-Tycoon ein drittes Strafverfahren eröffnet.  Über diese Möglichkeit ist in Russland in den letzten Monaten viel spekuliert worden, doch nun scheint man diese Variante in Putins Machtkreis begraben zu haben. Sie hätte den angeschlagenen Ruf der russischen Justiz noch verheerender ramponiert,  was dem Kreml  vor allem im Hinblick auf das wenig  attraktive Investitionsklima durchaus  nicht gleichgültig sein kann.

Vorteilhaft ist die vorzeitige Haftentlassung Chodorkowskis für Putin auch deshalb, weil dieser Schritt geeignet scheint, die Märtyrer-Aura, die sich der illustre Gefangene während seiner zehnjährigen  Lagerhaft wenigstens in Teilen der russischen und internationalen Öffentlichkeit erworben hat, zu neutralisieren. Ein Gefangener, der den Präsidenten in aller Form um Begnadigung bittet und damit laut offizieller Lesart seine Schuld eingesteht, dürfte jedenfalls mehr Mühe haben,  in der Öffentlichkeit als Opfer von politischer Willkürjustiz anerkannt  zu werden.

Strenger Zar mit Edelmut

Dabei darf nicht vergessen werden, dass Chodorkowski in weiten Teilen des russischen Publikums keine populäre Figur war. Viele Russen halten die sogenannten Oligarchen für rücksichtslose Profiteure, die nach dem Kollaps des Sowjetregimes mit dubiosen bis kriminellen Methoden die lukrativsten  Branchen des Volkseigentums unter ihre Kontrolle gebracht hatten.  Doch  Chodorkowski ist es während seiner zehnjährigen Haftzeit gelungen,  durch seine erstaunlich vielseitigen und nachdenklichen publizistischen Einlassungen aus der Gefängniszelle heraus breiteren Respekt für seine Person und seine Ideen zu gewinnen.  Wie scharf und emotional die Meinungen über Chodorkowski  zusammenprallen können, zeigt ein Blick in Leserdiskussionen in russische Gazetten nach Putins Entlassungs-Ankündigung.

Putin und sein Apparat wiederum können nun die vorzeitige Freilassung seines prominentesten Gefangenen als grosszügige humanitäre Geste stilisieren, die den sonst raubeinigen Kremlchef für einmal in milderem Licht erscheinen lässt. Gewiss nicht zufällig hat Putin bei der Bekanntgabe seiner Begnadigungsabsicht nach der Pressekonferenz vom Donnerstag darauf verwiesen, dass Chodorkowski  eine kranke Mutter habe. Solche Demonstrationen  von zaristischer Allmacht und  gelegentlichen Gesten humanen Edelmuts dürften nicht wenige Russen in ihrer Überzeugung  bestärken, dass genau der richtige Mann im Kreml die Zügel der Macht in der Hand hält.  Innenpolitische Konsolidierungen dieser Art werden  für Putin mehr zählen, als aussenpolitische  Entspannungspunkte im Vorfeld  der Sotschi-Olympiade.

Eine Momentaufnahme

Das ist allerdings nur eine Momentaufnahme. Im heutigen Russland sind die Stimmungen und Popularitätsschwankungen von Politikern nicht weniger labil als in demokratisch gefestigteren Weltregionen.  Noch ist es erst zwei Jahre her, dass nach der manipulierten Duma-Wahl Zehntausende von Demonstranten in Moskau und St. Petersburg  gegen die Putin-Partei protestierten und die Popularität des neu-alten Kremlchefs ernsthaft abzubröckeln schien.  Und noch weiss niemand, ob Chodorkowski  künftig im öffentlichen Leben Russlands wieder eine Rolle spielen wird – und falls ja, in welchem Sinne.

Vorerst ist er in Berlin gelandet, offiziell um seine Mutter zu treffen, die dort wegen einer Krebserkrankung behandelt wird,  aber für kurze Zeit nach Russland zurückgekehrt ist. Es gibt manche offenen Fragen.

 

Putin hat mittlerweile weltpolitisch ganz schön Punkte gemacht. Die Menschen im Westen sehen den pösen Agenten Putin Wladimir ein bisschen anders als früher. Man erkennt in Putin einen cleveren Schachspieler der weiss welche Züge er wann machen muss. Das muss gewissen Regierungen weh tun. Darum legt man sich jetzt ganz gehörig ins Zeug um ihn herunterzumachen.
Immerhin ist Chodorowski jetzt frei, während Snowden immer noch ohne Pass in Russland hockt und kein Land sich traut ihm Asyl zu gewähren (warum wohl nicht?) - ausser wenn auch vorläufig zeitlich begrenzt - der pöse Putin.
Es war auch der ganz pöse Putin der Obama daran gehindert hat in Syrien "business as usual" zu veranstalten und das sogar auf eine Weise die Obama geholfen hat sein Gesicht vor der Welt nicht ganz zu verlieren.

Denkende Menschen sehen übrigens den amerikanischen Heiligen Obama ebenfalls anders, allerdings negativ. Man bewertet jetzt die Verleihung des Friedensnobelpreises eher skeptisch. Der Mann lässt hoch offiziell töten und die "Kollateralschäden" sind ihm dabei egal. Ausserdem hat er ihn seiner Amtszeit Gesetze erlassen, die es ihm erlauben in Amerika Zustände einzuführen die man in Russland "Gulag" nennt und die in Nordkorea anscheinend ständig weiter ausgebaut werden. Ach ja und was ist mit Guantanamo, NSA, CIA, Wirtschaftskrise und zunehmendes Elend im "Land der Freien"? In USA ist man mit der Freiheit und den Rechten der Bürger mittlerweile wohl näher bei Russland als man es sich je hätte albträumen lassen.

Was sagt uns das? Putin nur böse und Restwelt - vor allem EU und USA ganz lieb? - gilt schon lange nicht mehr. Dieses alte Kleinkindchenschema, einst liebevoll aufgebaut, stimmte noch nie.
Man sollte dringend anfangen seine eigene Festplatte auf Reste dieser alten Naivitäten zu überprüfen und sie gegebenenfalls auszuwechseln.

Putin beschreibt wie es ist mit Obama zu diskutieren:
"Mit Obama zu sprechen ist, als ob man mit einer Taube Schach spielt. Erst schmeisst sie alle Spielfiguren um, dann scheisst sie aufs Schachbrett und anschliessend stolziert sie darauf herum als ob sie die Partie gewonnen hätte."
Diese Aussage ist nicht bestätigt - aber sie ein Brüller und es ist zu hoffen das sie wahr ist.

http://de.kushnirs.org/makrookonomie/gdp/gdp_russia.html

BIP pro Kopf in Russland
1990 3841 $
2000 1765 $
2010 10618 $
2012 14179 $

http://derunbequeme.blogspot.ch/search/label/Chodorkowski

"(...) Im Grunde verstehe ich Putins Situation in seiner Anfangszeit als Präsident so: auf der einen Seite sind da die gierigen Oligarchen, die nicht nur nach Geld, sondern auch nach politischer Macht lechzen. Ihr Einfluß gehört dringend beschränkt, will Russland nicht weiterhin im korrupten und ruinösen Sumpf der 90er Jahre verfaulen. Auf der anderen Seite darf das recht flotte und optimistisch stimmende Wirtschaftswachstum nicht abgewürgt werden. Denn das Dringendste, was der todkranke Patient Russland in diesem Situation brauchte, war nicht die verdiente Abstrafung der Oligarchen, sondern Stabilisierung. Ohne Stabilisierung und wirtschaftlicher Erholung wären solche Aktionen im zerfallenden Land Russland brotlose Kunst. Und so entschied sich Putin für einen Mittelweg, einen Kompromiss zwischen zwei gegenläufigen Tendenzen. Er schnappte sich den reichsten und den frechsten von den Oligarchen, der außerdem noch drauf und dran war, die ergatterten strategischen Ressourcen Russlands an die Amerikaner zu verscherbeln, und statuierte an ihm ein Exempel. Und die Botschaft ist in der Tat angekommen. Die meisten haben diese Lektion gelernt und eingesehen, dass die Spielchen der 90er im heutigen Russland nicht mehr möglich sind. Wollen sie keinen Ärger, haben sie ab nun brave Bürger und Mäzene zu sein.

Nur mit solch einem großen und prominenten Mann wie Chodorkovsky war dieser Effekt zu erreichen gewesen. Sicherlich war dies kein lupenreines und rechtsstaatliches Vorgehen, doch realpolitisch war dies das einzig Richtige. Und auch die ausländischen Investitionen in Russland, denen erboste westliche Zeitungen dramatische Einbrüche prophezeiten, haben sich gänzlich unbeeindruckt gezeigt."

Guter Bericht von Gast/00:21, gratuliere! Möchte nur noch folgendes beifügen: Nach der Sowjet-Ära konnte Russland nichts Besseres passieren als “Zar“ Putin als Präsidenten zu bekommen. Alle diese Oligarchen, auffallend viele jüdischer Abstammung darunter, die durch die Privatisierung der Staatsbetriebe zu sagenhaftem Reichtum gekommen waren, hätten sich so oder so den Reichtum des Landes unter Ausschluss des russischen Volkes untereinander aufgeteilt. Der zweite Schritt wäre mehr politische Macht und mehr Kontrolle über die Medien gewesen. Der dritte, das Land an die USA zu verschachern – des Geldes wegen. Putin hat diesem Treiben ein Ende gesetzt. Man kann von ihm halten was man will, aber er macht in meinen Augen nicht alles falsch. Mit der Verurteilung Chodorkowskis wollte er allen Oligarchen einen Denkzettel verpassen.

Danke,
leider "vergass" Putin die restlichen Mafia-Oligarchen ebenfalls in den Knast zu stecken.

Ich hoffe für Russland, oder den Rest dieses Planeten nicht, dass Chodorkowski je eine Rolle spielen wird. Das wäre das selbe, wie wenn man den Milliardenbetrüger Bernard L. Madoff politisch eine Rolle spielen lassen würde. Wenn man den Zahlen glauben darf, hatte Chodorkowski den russischen Staat um über 160 Milliarden Dollar betrogen. Dabei ist eine Strafe von 14 Jahren noch grosszügig.
Als Putin zu ersten Mal ins Amt kam, wollte Chodorkowski die russischen Erdölfirmen illegalerweise an die Amerikaner verscheppern, da wurde er von Putin verhaftet.
Ab diesem Moment begann eine mediales Mobbing gegen Putin. Hat er doch den Banken ein mieses Milliarden Betrugsgeschäft durchkreuzt. Ja, so ein Mann ist gefährlich und muss weg.
Tatsache ist, Putin hatte dem Volk das Öl zurückgegeben, das die USA oder England klauen wollte. Somit ist er mir wesentlich sympathischer als fast alle westlichen Politiker. Gerade in der EU hat man längst aufgehört fürs Volk zu regieren. Selbst unser Bundespräsident ist der Meinung dass die EU auseinanderfällt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Auch wenn ich kürzlich sehr direkt vor der russischen Armee und deren Plänen gegen einen Blitzangriff warnte, halte ich Putin aktuell für den Strategisch geschicktesten Staatsmann, der in einigen Jahren sein Land wieder als Weltmacht Nr.1 aufstellen kann. Denn die Chinesen sind noch nicht ganz soweit.

In der aktuellen Berichterstattung über Chodorkowski und Putin muss ich mich ernsthaft fragen, ob die Reporter, die so einseitig berichten, von den Amerikanern erpresst oder geschmiert werden. (Damit meine ich nicht den J21 Autor, sondern die Welt, Zeit, Spiegel usw.)
Man wertet den Milliardenbetrug als Menschenrechtsverletzung Putins, während man Obama völlig ungerechtfertigt wie einen Heiligen behandelt. Ich mag mich erinnern, wie der Kriegsverbrecher bei Mandelas Beerdigung grossartig über Freiheit sprach, gerade der, der über die NSA den Planeten versklaven will.
Nur zu Erinnerung, Obama hat 4000 Menschen nur durch Drohnenabschüsse mit seiner Unterschrift auf dem Gewissen. Die meisten davon Zivilisten. Darunter kürzlich eine friedliche Hochzeitsgesellschaft in Jemen. Für Obama existieren Menschenrechte nur, wenn sie ihm gerade passen. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass man die Menschenrechte nur zu dem Zwecke erfand, dass man andere Staaten besser einseitig verurteilen kann. Wenn man es genau nimmt, achten höchstens zehn Länder die Menschenrechte im vollen Umfang. Und die USA gehört in der Liste ganz nach hinten.

Wenn die hiesige Presse nicht langsam beginnt, objektiv über Obamas zahllosen verabscheuungswürdigen Kriegsverbrechen zu berichten, müsst ihr euch nicht wundern, wenn niemand mehr eure miese, einseitige Propaganda abkauft und ihr bald keinen Job mehr habt! Die Leute wissen was abgeht und informieren sich auf Blogs. Und ich will jetzt auch nicht, dass man nichts mehr über Putin schreibt, mit Sicherheit hat auch der massenhaft Leichen im Keller. Schreibt einfach, was wirklich abgeht, ohne Filter.
Übrigens Obama geht in Wahrheit nicht nach Sotschi, weil die Saudis Putin im Juli erpressen wollten. Wenn er eine gemeinsame Kontrolle des Ölbusiness einlenkte, würden sie keine tschetschenischen Terroristen auf die Olympiade loslassen oder zurückhalten. Da Putin nicht darauf einging, weiss Obama, dass es da zu Anschlägen kommen kann/ wird. Deshalb hat Putin kürzlich Antiterrorgesetze verschärft. Eines ist sicher, wenn die Saudis einen Anschlag durchziehen, wird Russland gnadenlos zurückschlagen, weiss er doch, wer dies veranlasste.
http://alles-schallundrauch.blogspot.ch/2013/08/saudi-arabien-droht-russ...
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/08/31/schmutzige-deals-w...
http://www.neopresse.com/politik/naherosten/syrienkonflikt-russland-droh...

Nachtrag, ich möchte mit obigem Beitrag nicht der Eindruck erwecken, dass Putin weniger korrupt ist, als die anderen Obligarchen, hat er doch selbst eine nette Villa für 150 Millionen aufgestellt.

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