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16. Februar 2021

Nie wieder! Wirklich?

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Nie wieder! Wirklich?

Von Gisbert Kuhn, Bonn - 03.11.2015

Zur innenpolitischen Stimmung wegen des Flüchtlingsansturms in Deutschland. Besorgte Gedanken unseres in Bonn lebenden Mitarbeiters Gisbert Kuhn.

Es sind nur zwei Worte. Aber sie gehörten 60 Jahre, also bis zu diesem Frühjahr, zum politischen, moralischen, gesellschaftlichen und damit auch geistigen Fundament Deutschlands nach dem Krieg. Nie wieder! Gilt das noch? Die Stimmung ist angespannt.

Nie wieder Und zwar in einem doppelten Sinne: Nie wieder sollen Aggression und Gewalt von Deutschland ausgehen. Und nie wieder dürfen (und wollen!) die Deutschen agitatorischen Verführern und deren Hetzparolen gegen andere Menschen oder gar andere Völker verfallen und ihnen folgen.

Eine Erfolgsgeschichte

Damit sind wir gut gefahren. Mehr noch – die sechs Jahrzehnte seit dem in einer Katastrophe geendeten Hitlerreich waren eine (zumindest für Westdeutschland) durchgehende Erfolgsgeschichte. In einer, aus damaliger Sicht, kaum für möglich gehaltenen kurzen Zeit wurde die Bundesrepublik auch von der Mehrzahl der vorherigen Kriegsgegner wieder aufgenommen in den Kreis der zivilisierten, demokratischen Staaten. Und dies, obwohl von deutschem Boden aus zuvor die halbe Welt in Brand geschossen worden war und die mit dem Namen Ausschwitz nur symbolhaft beschriebenen Völkermorde den deutschen Namen eigentlich auf ewig jeglichen Glanzes beraubt zu haben schienen.

Wiederaufbau des total zerstörten Landes, „Wirtschaftswunder“ in den „50-ern“ (ohne das die Aufnahme und Integration der 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen unmöglich gewesen wäre) und noch immer ökonomisch-technisch Weltklasse. Schließlich auch noch das völlig unverhoffte Wunder der Wiedervereinigung vor 25 Jahren einschließlich der Tatsache, zum ersten Mal in der Geschichte jenseits der eigenen Grenzen keinen einzigen Feind mehr zu haben.

Ein Volk, dem so viel Gutes widerfuhr und das auch selbst so viel Gutes schuf, müsste - jedenfalls sollte man das meinen – eigentlich glücklich sein. Und wenn schon nicht rundum, so doch wenigstens einigermaßen. Zumal es ja durchaus stolz sein könnte auf das Geschaffene.

Grenzen des Anstands

Wie gesagt – sollte man meinen. Doch nichts davon ist in diesen Tagen bei uns zu verspüren. Im Gegenteil: Der (zugegeben besorgniserregende) extrem massive Zustrom von Flüchtlingen aus Nah- und Mittelost sowie Asylsuchenden aus diversen Balkanländern hat bei Teilen der Bevölkerung nicht nur Sorgen, sondern teilweise panische Ängste ausgelöst. Und keineswegs nur das. Bei eben jenen Teilen herrscht inzwischen eine Stimmung (und wird verbreitet), die nur noch von Hass und Feindschaft getragen wird. Dies in einer Sprache, die längst alle Grenzen des Anstands überschritten hat.

Das sind längst nicht mehr nur die üblichen Dumpfbacken und Gewaltsuchenden, die es links und rechts an den Rändern jeder Gesellschaft gibt. Nein, mittlerweile haben sich davon auch Gruppierungen in der so genannten Mitte anstecken lassen - Zeitgenossen also, die normalerweise friedlich und unauffällig ihren Tagesgeschäften nachgehen. Das zu beobachten, macht unruhig. Wohin bloß steuert unser Land, wohin unsere Zivilisation?

Es ist ja unbestreitbar, dass die noch immer praktisch unkontrolliert einströmenden Menschmassen Unbehagen bis Beklemmung auslösen können. Es ist, weiter, eine Tatsache, dass beim Versuch der Krisenbewältigung auf den politischen Entscheidungsebenen erhebliche Fehler begangen wurden und noch immer mehr Hilflosigkeit als Entscheidungsstärke nach außen vermittelt wird.

Es wäre daher kein Wunder, sondern ein in einem demokratischen Staat ganz normaler Vorgang, wenn sich in einer solchen Situation Protest formierte und in Demonstrationen manifestierte. Doch solche Vorstellungen sind offensichtlich veraltet, Massendemos wie früher (lautstark, aber friedlich) anscheinend out und uncool. Was Woche für Woche in Dresden, mehr noch täglich im Internet bei facebook und anderen (un)sozialen Netzen geschieht und verbreitet wird, ist schlicht unanständig. Ja, es erfüllt nicht selten den Tatbestand der Volksverhetzung. Und es sind – deprimierend genug – eben immer mehr so genannte einfache, „normale“ Leute darunter.

Natürlich: Die Sorgen ernst nehmen

Klar, und überhaupt keine Frage: Bei weitem nicht alle, die in Dresden vor der Semper-Oper oder in Erfurt auf dem Domplatz dabei sind, gehören zu den Hassbürgern. Viele fühlen sich schlicht überrollt angesichts der täglichen Bilder von den Flüchtlingstrecks und haben vor allem Sorge vor der „Andersartigkeit“ der Zuströmenden. Und sie fühlen sich vor allem von der Politik allein gelassen mit ihren Befürchtungen.

Dazu kommt diese unsägliche Neigung nicht zuletzt links-grüner Kräfte, solche Kritiker der aktuellen Flüchtlings- und Asylpolitik in die rechte Ecke zu stellen. Welch ein Unsinn! Auf der anderen Seite müssen sich die (nennen wir sie mal so) gutwilligen Mitläufer die Frage gefallen lassen, warum sie beispielsweise nicht ihrer Empörung lautstark Ausdruck verleihen, wenn in Dresden Galgen mit den Namen der Kanzlerin und des SPD-Vorsitzenden mitgeführt werden. Denn das ist wahrlich nicht nur eine Frage des guten Geschmacks, sondern eine klare Aufforderung zu handeln. Zu welchen Taten wohl?

Völlig überschritten sind längst die Grenzen des Geschmacks, des Anstands und einer Erziehung bei dem, was gegenwärtig vor allem Politikern an Beschimpfungen, Schmähungen, ja sogar unmissverständliche Drohungen widerfährt. Mittlerweile sind offensichtlich sogar die letzten Grenzen der Scham gefallen. Sonst wäre überhaupt nicht erklärbar, dass Abertausende etwa in den „sozialen“ Netzen unter voller Angabe ihres Namens übelste Tiraden loslassen, bei denen Ausdrücke wie „Pack“, „Gesindel“ oder „Lumpen“ sogar noch unter „gemäßigt“ abgebucht werden können.

Sprachliche „Anleihen“ an das „Tausendjährige Reich“ sind längst gang und gäbe – „Lügenpresse“, „Systemparteien“, „Vaterlands-Verräter“… Gerade erst wurde in Charlottenburg Helmut Schümann, ein kritischer Mitarbeiter des Berliner „Tagesspiegel“ von hinten attackiert und niedergeschlagen. Zufall, oder waren vorher rhetorische Brandstifter am Werk? Und wie groß ist die Zahl derer, die beim Abfackeln von Unterkünften für Flüchtlinge klammheimliche, vielleicht sogar offene Freude empfinden?

Wohin steuern wir?

Damit sind wir wieder bei der Eingangsfrage: Wohin steuert eigentlich unser Volk? Und Volk, das sind wir alle hier in Deutschland. Wer Häuser in Brand steckt, nimmt logischerweise von vornherein den Tod von Menschen in Kauf. Als die Deutschen „Nie wieder“ schworen, da hatten ganz sicher viele auch die brennenden Synagogen vom 9. November 1938 in der Erinnerung.

Wenn heute in wahrscheinlich nicht einmal unbedeutenden Gruppen der Gesellschaft im Umgang miteinander bereits die Sprache keine Scham- und Anstandsgrenzen mehr kennt – wie lange wird es dann wohl dauern, bis der verbale Hass sich in Taten verwandelt? Müsste das Attentat auf die neue Kölner Oberbürgermeisterin nicht eigentlich wie ein Fanal gewirkt haben, wie ein innerer Befehl zur ideologischen Umkehr? Gilt das Versprechen „Nie wieder“ wirklich immer noch…?

 

 

 

 

 

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In den nächsten Wochen wird die deutsche Grenze ganz geschlossen. Dann werden alle ohne Asylgrund ausgewiesen, denn der Druck der Strasse wächst. Als nächstes wird dann der Familiennachzug abgeschafft. Nach dem Kürzen von Sozialleistungen wird sich dann die Kolonne weitermachen auf den Weg nach Schweden, Dänemark und in die Schweiz. Es bleibt spannend!

Das was Sie in Nebensätzen nach dem Motto "Klar und überhaupt" unterbringen, gehört in HAUPT-Sätze. Denn es sind eben keine Nebensächlichkeiten! Und das was gerade passiert ist auch eine längst überfällige Emanzipation des Bürgers gegenüber Parteipolitik und Staat. Leider zum völlig "falschen" Zeitpunkt beim völlig "falschen" Thema. Noch vor wenigen Wochen hat der SOZIAL-Demokrat Gabriel sinngemäss gesagt: "Wir fragen doch nicht das Volk bei einer solchen Frage". Schöner kann man das Verständnis zwischen Bürger und Politik nicht auf den Punkt bringen.

Sehr geehrter Herr Kuhn,

Mein indischer Freund fragte mich vor einigen Wochen, was läuft bei euch in Deutschland falsch? Warum gibt eure Kanzlerin einen freifahrtsschein für alle "Flüchtlinge" und ich lebe in einem Land mit vielen wirklich Immigranten und im Gegensatz zu Deutschland sind das nicht Leute von der Straße sonder Menschen mit uni Abschlüssen etc.
Meine Antwort auf die Frage war: don't ask!
Wer eine echte Antwort haben möchte, und das richtet sich an Sie, Herr Kuhn:
1. wer sich ein wenig mit der Geschichte befasst, wird feststellen, dass nichts aus reinem Zufall geschieht! Und das vor allem in Deutschland. Einem Land in dem immer noch Militär kasernen von fremdem Mächten besetzt sind.
2. Integration Deutschlands, sprechen Sie mal mit involvierten Soldaten über die Unabhängigkeit Deutschlands. Sobald ein Land, es sei denn es ist vermietet, Militär kasernen eines fremdem Staates beherbergt und dafür noch bezahlt spricht man von einem besetzen Land.
3. volksverhetzung: ich stimme zu das ist ein ernstes Thema, wenn die eigene Politik sich gegen das Volk und seinen Willen stellt. Der eid ist für das deutsche Volk! Nun könnte man fragen, aber das Volk hat doch mit recht gewählt?
Haben wir? Ich las, dass Stimmzettel in der Mülltonne gefunden wurde und wenn ich recht informiert bin müssen Neuwahlen stattfinden wenn Wahlbetrug nachgewiesen wurde. Also wählten wir wirklich in dieser Scharade?
Fragen Sie mal pensionierte Richter über DEUTSCHES RECHT und wie es ausgehebelt und das Volk hintergangen wurde!
4. Mittelschicht: besonders die alte Generation in Deutschland wurde als Bückling erzogen und ich bin sehr glücklich darüber, dass die Generation vor 30 Jahren darauf nichts mehr gibt, denn Vergangenheit ist passé.
WICHTIG: Doch wenn Flüchtlinge in Kasernen untergebracht werden, die Kasernen nicht mehr gut genug für Fremde sind, aber immer noch gut genug für das eigene Volk ist, dann beginne ich sehr sehr wütend zu werden.
30 Euro am Tag: wenn ein Fremder und diesem Land 30 Euro Taschengeld am Tag für nichts erhält (900 Euro) im Monat, dann ist das mehr als alle deutsche in Deutschland im Schnitt haben wofür SIE auch bezahlen dann ist das betrug am deutschen Volke!
Wenn Sie immer noch nicht verstehen was hier in Deutschland geschieht und wenn Sie immer noch glauben, dass die Wiedervereinigung ein Wunder war und Europa von Politikern erschaffen wurde, dann schreiben Sie bitte weiter und verkaufen es an den Blog von Walt Disney denn was hier geschieht ist geplant oder was denken Sie warum es in KEINEM europäischen Land Volksabstimmung zu diesem Thema gibt! Aber in diesen un sozialen Netzwerken Videos von Demonstration gegen dieses Bullshit gibt.
Gedanken zu haben ist ein frei, darüber kritisch nachzudenken sollte Pflicht sein! Also bitte in Rente gehen oder hinterfragen und denken! Die halbe Welt schüttelt über uns den Kopf! Und es ist sehr gefährlich was man mit uns gerade macht... Sehr...

Sie haben sich die Mühe gemacht, hier eine ausführliche Fragerunde einzustellen. Gerne möchte ich Ihnen bei einigen Fragen weiterhelfen - entschuldigen Sie aber bitte, dass ich mich etwas kürzer fasse:
zu 1) Diese fremden Mächte waren ursprünglich Besatzungsmächte, richtig. Während des kalten Krieges wurden aus Besatzern allerdings Garanten der deutschen Freiheit. Seit dem Zerfall der Sowjetunion wurden französische, britische und amreikanische Kasernen zu großen Teilen geschlossen.
zu 2) Siehe Punkt 1. Alle Kanzler der Nachkriegszeit und besonders die Lokalpolitiker haben aus unterschiedlichen Motiven versucht die Präsenz der Westmöchte im Land zu halten (Sicherheitsinteressen auf Bundes-, finanzielle Interessen auf lokaler Ebene.
zu 3) Das eine hat mit dem aneren nichts zu tun. Die Wahlzettel im Mülleimer sind zum großen Teil ein lächerlicher Versuch das demokratische System zu unterminieren und in den Teilen, in denen es zutreffend war, wurden entsprechende Konsequenzen gezogen.
zu 4) Bitte verwenden sie belegbare Zahlen - nein, "Freunde von Freunden von Freunden haben aber gesagt" ist keine verlässliche Quelle. Selbst wenn Sie die von Ihnen aufgerufenen Zahlen nutzen würden, kämen Bezieher von Hartz 4 - also diejenigen, die es Ihrer Meinung wirklich verdient hätten, inklusive aller Zahlungen immer noch auf mehr. Genau aus diesem Grund beschäftigt sich gerade der europäische Gerichthof mit diesem Thema.

So, ist doch etwas länger geworden. Vielleicht wollen Sie ja noch ein paar mehr Medien, wie Journal 21 lessen. Dies würde sicherlich zu belastbaren Ausagen führen, die anderen Menschen helfen Ihre Argumente ernst zu nehmen.

Lieber Herr Kuhn, es ist nicht die Angst vor den Flüchtlingen oder braunes Gedankengut, was die Leute auf die Straße treibt. Es ist die Angst vor der Unfähigkeit der Staatsbürokratie, die anstehenden Probleme zu lösen, welche die Leute um treibt. Wir halten fest, das der Vater Staat lediglich mehr schlecht als recht durch Papierkram und endloses Gelaber in Erscheinung tritt. Die wirkliche Hilfe leisten die freiwilligen Helfer. Die haben aber keine Möglichkeit für ausreichend richtige Wohnungen und genügend Arbeitsplätze zu sorgen. Und Lehrpersonal, welches sich mit den mitgebrachten Kindern verständigen kann, können sie auch nicht beschaffen. Kurz gesagt, es ist die Angst vor dem programmierten Chaos, welche für den heftigen Unmut sorgt. Parolen wie z. B. "wir schaffen das" ohne tatsächlich etwas zu schaffen, sind keine Lösung.

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