Journalistischer Mehrwert
Menu
16. Februar 2021

Oh my God

Heiner Hug's picture

Oh my God

Von Heiner Hug, 01.08.2016

Was nicht sein darf, ist nicht. Mit dieser Haltung berichten Kommentatoren seit Monaten über den amerikanischen Wahlkampf.

Trump, dieser Clown, dieser Rüpel, dieser Lügner als Präsident? Was aufgeklärte Menschen noch vor kurzem für undenkbar hielten, ist nicht mehr ausgeschlossen.

Die Abneigung gegen ihn hat unser Urteilsvermögen getrübt. Plötzlich reiben wir uns die Augen und müssen uns sagen, ja, das Unheil könnte eintreffen. Viele liessen sich beeinflussen von den gescheiten Kommentatoren der Ost- und Westküste. Dass dazwischen ein anderes Amerika liegt, ist manchen fremd. Die „Arroganz des Establishments“, nennen das die Trump-Leute.

Zwar hat Hillary Clinton in einigen Meinungsumfragen wieder zugelegt. Das war nach der perfekt inszenierten demokratischen Convention erwartet worden (siehe Artikel von Ignaz Staub). Doch wie lange hält der Aufschwung an?

Nate Silver, der fast schon legendäre Meinungsforscher und Gründer des Instituts FiveThirtyEight, hat die Siegeschancen von Hillary in den letzten Tagen stark nach unten korrigiert. Silver, der bei Präsidentschaftswahlen immer richtig lag, gibt jetzt Hillary eine Chance von nur noch 51 Prozent.

Sie kann sich in den kommenden hundert Tagen keine neuen Enthüllungrn und keine Fehler leisten, Trump kann sich alles leisten. Und das ist seine Stärke. Seine Anhänger stehen felsenfest zu ihm. Da kann noch herauskommen, was will – Trump schadet es nicht. Alles, was gegen ihn vorgebracht wird, wird als Lügen abgetan, als Verleumdung. Je mehr er von seinen Gegnern attackiert wird, desto stärker wird er. Er ist unser Idol, jede Kritik an ihm ist billige Diffamierung und vom Establishment gesteuerter Rufmord. Also: Augen zu und Trump wählen. Seine Hasstiraden elektrisieren den Mittleren Westen.

Nichts schadet ihm: Er lügt, tischt falsche Zahlen auf, ist rassistisch. Egal. Ausser kruden, populistischen Phrasen hat er nichts zu bieten. Egal, man jubelt. Seine Frau hält eine peinliche Plagiatsrede. Na und? Sie lügt einen Universitätsabschluss herbei. Na und? Und die Attacke gegen die Eltern eines toten US-Soldaten? Eine Beleidigung zuviel? Übermorgen vergessen. Trump ist unser Mann!

Argumente kommen nicht an. Seine Anhänger haben sich einen Panzer zugelegt, sich in den Hass gegen das „Establishment“ verrannt, aufgepeitscht von ihrem Heilsbringer. Attacken prallen ab. Ein Abwägen, wer der weniger schlechte Kandidat ist, findet längst nicht mehr statt. Mit geschlossenen Augen grölt man und jauchzt ihm zu.

Die New York Times und die Washington Post können noch so nachweisen, dass seine ganze Kampagne nur auf Hass aufgebaut ist und dass er vom Regieren keine Ahnung hat... Alles Ostküstenlügen, alles Verschwörung gegen ihn.

Trump kann mobilisieren. Seit 1980 nahmen nicht mehr so viele Republikaner an den Primaries teil, wie in diesem Jahr. Mobilisieren ist entscheidend in einem Land, in dem die Wahlbeteiligung traditionell tief ist.

Noch gibt es Hoffnung. Noch liegt Hillary vorn. Michael Bloomberg, New Yorks früherer Bürgermeister, traf am Parteitag der Demokraten ins Schwarze: „Sicher ist Hillary nicht perfekt, aber sie ist geistig gesund“.

Doch ob wir wollen oder nicht, wir müssen uns mit dem Gedanken befassen, dass Trump Präsident werden könnte. Könnte. Noch sitzt er nicht im Oval Office. Was nicht sein darf, ist nicht. Manchmal wird, was nicht sein darf.

Ähnliche Artikel

Heiner Hugs allgemeine politische Betrachtungen von zeitloser Anmut treffen den Kern ganz gut. Seine Analyse stimmt.
Die Chancen stehen sogar "sehr gut", dass Donald Trump US-Präsident wird. Nicht etwa weil er besonders gut wäre, sondern weil Hillary Clinton sehr schlecht ist. Die Amis erkennen, dass Hillary es nur aus Egoismus tut. Und sie blenden gekonnt aus, dass Trump genau dasselbe tut. Er ist einfach etwas ehrlicher.
Die Macht eines US-Präsidenten wird weitgehend überschätzt. Nicht nur deshalb wird sich wohl Barack Obama als einer der schlechtesten US-Präsidenten in den Geschichtsbüchern wiederfinden. Er ist ja noch jung. Trump hingegen wird maximal zwei Jahre mit harter Hand regieren dürfen und danach im Parlament nichts mehr zu sagen haben. Hatten wir ja schon ein paar Mal. In dieser kurzen Zeit wird er kaum was Schlimmes anrichten können. Hoffen wir zumindest. Seine Botschaft ist einfach: Mehr Militär, mehr Amerika und mehr Business. Der Dollar wird durch ihn erstarken. Und das mögen sogar die Chinesen. Die sitzen auf so viel USD, dass sie sich trotz aller tumben Rhetorik einen Trump herbeisehnen. Die Waffenlobby spürt Frühlingsluft, nachdem Obama mit seiner angestrengten Passivität innerhalb von acht Jahren den Militärapparat praktisch halbiert hatte. Und vergessen wir nicht; die Bush Familie war derweil ja auch nicht untätig. So gesehen wird Amerika wieder ganz normal. Und wohl auch deshalb wird Donald Trump gewählt. Vom Establishment und vom Volk. Good Luck, Restwelt.

Nichts zu den Ausführungen bezüglich Amerika. Umsomehr zu den Verhaltensweisen der classe politique in Deutschland und der Schweiz. Statt die Ängste und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger wahrzunehmen, die täglich mit der politischen Realität leben müssen (Schulen mit vorwiegend ausländischen und sich in Sippen organisierenden Schülern, Quartiere, die überflutet sind) schwatzen sie aus ihren Wohn- und Arbeitsparadiesen immer wieder die gleichen abschätzigen Worte über Warner und Besorgte. Dauernd hören wir von Integration. Wer integriert sich wohinein? Nicht mehr lange und dann sind es die einstmals ansässigen Menschen, die sich in die Kultur und Ideologie der Zuzüger integrieren dürfen. Deshalb wundere man sich nicht über Trump. Wir wissen doch, dass etwa in 10 Jahren alles Feine von Amerika zu uns kommen wird. Und nun darf man sich über mich das Maul zerreissen.

Genau: was nicht sein kann, ist nicht. Insbesondere sind die USAmerikanischen Wähler begierig, die Meinungen der Nicht-US Wähler, genauer: der europäischen Journalisten zu vernehmen. Sie sind match-entscheidend. Der Eurozentrismus hat schon seit Jahrhunderten funktioniert, warum sollte er in diesem Routinefall nicht funktionieren?

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren