Panikmache?

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Panikmache?

Von Heiner Hug, 05.02.2019

Nach dem Begräbnis des Abkommens über atomare Mittelstreckenraketen ist Europa gefordert.

Der jetzt von den USA und Russland gekündigte INF-Vertrag war schon längst aus der Zeit gefallen. Seit Jahren hat Moskau den Vertrag gebrochen und neue atomare Mittelstreckenraketen in Position gebracht. Und die USA wussten das und blieben nicht untätig. Kriege werden heute anders geführt als vor 31 Jahren, als der Vertrag in Kraft trat. Heute geht es nicht mehr um Raketen gegen Raketen, heute geht es um Satelliten-gesteuerte High-Tech-Systeme, die Raketen von irgendwo her zielgenau steuern und andere abfangen.

Die Kündigung des INF-Vertrags hat also kaum militärische Auswirkungen und öffnet nicht Türen und Tore für eine neue Aufrüstung. Diese Türen und Tore sind längst offen. Niemand ist so naiv zu glauben, die USA und Russland seien nicht dabei gewesen, neuartige Waffen zu entwickeln und teils in Stellung zu bringen. Neu ist jetzt nur, dass dies nicht mehr im Geheimen geschehen muss. Trump hat jetzt freie Hand, seine Rüstungsmaschinerie voll laufen zu lassen. Das soll auch eine Warnung an die Chinesen sein.

Putin lacht sich ins Fäustchen

Die Annullierung des INF-Abkommens hat vor allem symbolische Bedeutung. Sie ist Ausdruck dafür, dass internationale Abkommen, mit denen versucht wurde, die Welt etwas sicherer zu machen, über Bord geworfen werden. Diese Verträge und Abkommen, die oft in jahrzehntelangen mühsamen Verhandlungen von Diplomaten und Politikern ausgehandelt und an Gipfeltreffen unterzeichnet wurden, waren und sind nicht perfekt, aber sie haben die Welt etwas sicherer gemacht, oder zumindest – in halbgeordnete Bahnen gelenkt. Diese Weltordnung wird mehr und mehr beschädigt.

Die Nato bröckelt auseinander, Trump hat sich laut Washington Post gar überlegt, aus dem Nordatlantischen Bündnis auszutreten. Die USA ziehen sich unter Trump vermehrt zurück und lassen Europa im Regen stehen – und dieses Europa schaut hilflos zu. Die EU zeigt Lähmungserscheinungen und wirkt konzeptlos. Dass es ihr nicht gelang, Grossbritannien zumindest grösstenteils in der Union zu halten, manifestiert die Kurzsichtigkeit des Brüsseler Direktoriums. All das schafft Instabilität. Und wenn die Populisten bei den Europawahlen im Mai wie erwartet an Terrain gewinnen, wächst das Durcheinander noch weiter. Auf der anderen Seite lacht sich der geniale Stratege Wladimir Putin ins Fäustchen. Ein schwaches West- und Mitteleuropa ist das Beste, was ihm passieren kann.

Zurück in die Kalte-Krieg-Rhetorik?

Die Annullierung des INF-Vertrags ist ein Steinchen im Mosaik und Ausdruck dafür, dass längst ein anderer Wind weht. Nicht nur weil der INF-Vertrag Makulatur ist und weil Russland einige SSC-8-Cruise-Missiles an der Grenze zu Westeuropa stationiert hat, ist Europa verwundbar, sondern weil Trump offenbar immer weniger bereit ist, Europa zu verteidigen. Dass sich die drei baltischen Staaten mit ihrer teils russischen Bevölkerung vor Putin und einem schwachen Europa fürchten, ist verständlich.

Findet das uneinige Europa eine Antwort auf die neue Herausforderung? Werden bald wieder „kalte Krieger“ eine atomare Aufrüstung Westeuropas fordern? Oder gelingt es Europa, Putin in einen konstruktiven Dialog einzubeziehen? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch aus einer Position der Schwäche heraus verhandelt es sich schlecht.

Nach ihrem Ausstieg aus dem INF-Vertrag werden die USA Europa zwingen, US-amerikanische, gegen Russland gerichtete Mittel- und Kurzstreckenraketen auf seinem Territorium stationieren zu lassen, wobei Moskau symmetrische Maßnahmen werde ergreifen müssen.
Die Politik der USA läuft darauf hinaus, dass der Ausstieg aus dem INF-Vertrag als Vorwand für die Stationierung amerikanischer Mittel- und Kurzstreckenraketen, die gegen Russland gerichtet sind, in Europa genutzt werden kann.
Die USA werden Europa unter Druck setzen, und es wird über die Stationierung von Raketen entschieden, und Russland wird zu einer Antwort gezwungen sein. Das wird bedauerlicherweise eine neue geopolitische Realität sein. Es wird sich die Situation vom Jahr 1983 wiederholen, und zwar auf einem neuen technologischen Niveau der Rüstungsentwicklung.
Europa muss vor allem daran denken, keine Zielscheibe für einen Gegenschlag zu werden. Europa muss sich nun selbst retten.
Russland hat zu Beginn der Entwicklung seiner neuen Systeme erklärt, das es diese Systeme nicht stationieren wird, solange die Europäer keine amerikanischen Systeme bei sich aufstellen lassen. Alles liegt in der Hand Europas.

Gefordert ist auch die Schweiz nach der Kündigung des INF Atomwaffen Vertrages. – Eigentlich schon vorher wäre unser Land gefordert gewesen und hätte in der UNO zusammen mit über hundert anderen Staaten die Resolution für atomare Abrüstung unterstützen müssen.

Die Nationalbank, Banken, Versicherungen und Pensionskassen hätten auch nie ihre Gelder in Rüstungskonzerne investieren sollen die Atombomben herstellen. Atombomben sind in einem Krieg nicht einsetzbar, wenn man nicht riskieren will, dass die ganze Menschheit ausgelöscht wird. Schon der Einsatz von 100 Atombomben würde eine Abkühlung des Erdklimas bewirken, gefolgt von Ernteausfällen und Hungersnöten.

Dazu ein Text den ich vor zwei Jahren geschrieben habe:

http://ifor-mir.ch/finanziere-keine-atombomben-streubomben-anti-personen...

Geopolitische Veränderungen: Polen in der NATO, prowestliche Orientierung fast aller früheren westeuropäischen Blockstaaten bis hin zum NATO-Beitritt und die technische Entwicklung sind die auslösenden Faktoren. Die Hyperschallwaffen neuster Bauart lassen die Vorwarnzeiten auf wenige Minuten schrumpfen, auch begünstigt durch Nato-Mitgliedschaft der direkten Russland Anrainer. Diese Situation erfordert, dass die Weltmächte in ihren "Spielen" auf Waffengleichheit aufrüsten dürfen, damit sich ein Türchen für die in dieser Situation etwas paradox wirkende Entspannung öffnet. Schade um das ganze Geld. Man hätte wirklich andere gemeinsame Probleme auf dem Globus.

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