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16. Februar 2021

Restrisiko

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Restrisiko

Von Alex Bänninger, 26.08.2016

Wie das Amen in der Kirche, hören wir in jeder Sicherheitsdebatte das Mantra vom Restrisiko. Es ersetzt Gottes Willen.

Das Restrisiko, in einer Diskussion über die Sicherheit mit dem Begriff „Restrisiko“ erstickt zu werden, ist gross. Ob es sich um die Atomkraft, den Strassenverkehr oder den Terror handelt, nie fehlt die Bemerkung zur Unmöglichkeit der totalen Sicherheit. So lange es um die Selbstgefährdung mit einem Büchsenöffner geht, um einen Parkschaden oder einen Absturz des Computers, können wir das Restrisiko schicksalsergeben hinnehmen. Aber bei Gefahren auf Leben und Tod ist der Hinweis aufs Restrisiko, das so harmlos klingt wie Restposten und Restsüsse, denn doch eine zu häufig verabreichte und geschluckte Beruhigungspille.

Sie scheint zu wirken. Zu selten fragen wir die Experten gründlich genug nach den abschätzbaren und unbekannten Faktoren des Restrisikos, zu selten bohrend nach dessen Unterscheidung in beherrschbar und unbeherrschbar, zu selten insistierend nach den Anstrengungen zur Senkung des Restrisikos, und noch seltener, ob es bloss eine vorweggenommene Entschuldigung ist für den Fall, dass etwas leider und sehr bedauerlicherweise schrecklich dumm laufen könnte.

Das auf einen Rest begrenzte Risiko vermindert auch die Angst vor einem Rest, weil uns ein Rest von Chance bleibt. Da können wir nur hoffen, es greife nicht das Restrisiko des gewaltsamen Ablebens, sondern die Restchance des heilfrohen Weiterlebens. Angesichts dieser Ungewissheit sei die Vermutung gestattet, dass die Sicherheitsexperten über Strohhalme reden.

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Es liegt in der Natur der Sache, dass Sicherheitsexperten immerzu von Restrisiken reden. Die genaue Abschätzung eines Risikos würde bedeuten, klar Stellung zu beziehen. Doch das will kaum ein Experte. Obwohl er gut honoriert wird. Wenn man die Experten in Schutz nehmen möchte, kann man entgegnen, dass manch ein Risiko nicht mehr und nicht weniger als Kaffeesatzlesen ist. Gerade in Bezug auf den Terror. Denn zu behaupten, in der Schweiz würde sich nie ein Selbstmordattentäter mit anderen zusammen in die Luft jagen, wäre grobfahrlässig. Also reden Experten von einem Restrisiko. Bei einem GAU von Restrisiko zu sprechen, ist in Anbetracht der Tatsache, dass ein grosser Teil der Schweiz verstrahlt wäre, geradezu zynisch. Das Leben besteht aus lauter Restrisiken. Somit stellt sich die Frage, wieso leisten wir uns zuhauf teure Sicherheitsexperten? Denn der Mensch, die Wirtschaft, die Gesellschaft werden immer danach trachten, Risiken zu suchen, sie sogar in Kauf zu nehmen - ob nun ein Restrisiko besteht oder nicht. Die ganzen Risikoanalysen können wir uns mehrheitlich sparen, weil der Mensch ein Verhalten zeigt, das sich immer wieder auch dem eines Restrisikos entzieht.

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