Revolution mit dem Stimmzettel?

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Revolution mit dem Stimmzettel?

Von Urs Meier, 09.05.2016

Das unklare Projekt eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) erfordert eine klare Antwort.

Worüber wird am 5. Juni eigentlich abgestimmt? Gemäss Initianten über eine Idee, einen Kulturimpuls für die Schweiz, eine neue Wirtschaft und Gesellschaft. Auf ihrer Website nennen sie als Zeithorizont für die Umsetzung das Jahr 2050. Mitinitiant Oswald Sigg ist sogar der Meinung, eine Einführung des BGE sei im nationalen Alleingang unmöglich. Davon steht jedoch nichts im neuen Verfassungsartikel.

Dieser legere Umgang mit der eigenen Initiative verrät, dass die Urheber an einen Sieg in der Volksabstimmung nicht nur nicht glauben, sondern diesen anscheinend nicht einmal erhoffen. Sie betrachten das Plebiszit als Etappe auf dem langen Weg der Verwirklichung einer kühnen Idee. Da sie freimütig zugeben, Ausgestaltung und Finanzierung des BGE seien erst noch zu erfinden, brauchen sie sich einstweilen mit den Kontra-Argumenten nicht gross zu beschäftigen. Auch eine Bereinigung der bisher sogar bei ihnen selbst konträren Ansätze – Finanzierung mit Mehrwertsteuer oder Finanztransaktionssteuer – scheint sich bislang nicht aufzudrängen.

Vor dem Hintergrund von «Industrie 4.0» und «Künstlicher Intelligenz» gibt es sicherlich Gründe, Ideen wie das BGE zu entwerfen und zu prüfen. Wissenschaftlich-technische Entwicklungssprünge haben stets die Welt verändert – wenn auch meist nicht so, wie von den Visionären angekündigt. Die menschlichen Verhältnisse sind zu komplex und lebendig, als dass sie sich kontrolliert umkrempeln liessen. Ehrgeizige Eingriffe haben die Gesellschaft eigentlich stets nur zugrunde richten können. In der Idee des BGE steckt die Utopie vom neuen Menschen, mit der man in der Geschichte nicht die besten Erfahrungen gemacht hat.

Doch selbst ein denkbarer Erfolg der BGE-Vision wäre kein Anlass zur Beruhigung. Im Versprechen der Befreiung vom Zwang zur Erwerbsarbeit und der bedingungslosen lebenslangen Existenzsicherung stecken auch Gefahren. Mit dem BGE befreit der Staat die Menschen nicht nur; er hat sie auch in der Hand. Politische Mehrheiten können die Bedingungen der bedingungslosen Daseinssicherung jederzeit ändern. Der dadurch mögliche politische Durchgriff auf die Existenz der Menschen ist eine ungemütliche Vorstellung.

Nun werden wir also abstimmen. Wer ein Ja einlegt, glaubt vielleicht, ein BGE sei die Lösung für bestehende und kommende Probleme; vielleicht soll es aber nur zum Ausdruck bringen, die Gesellschaft benötige eine Grundlagendebatte und einen Aufbruch.

Das Nein wiederum kann die grundsätzliche Absage an die Idee eines BGE bedeuten; es kann aber auch signalisieren, dass man die Zweckentfremdung des Instruments Volksinitiative ablehnt. Denn in der Tat wird es hier missbraucht für die Lancierung eines in den Kinderschuhen steckenden Jahrhundertprojekts.

Von den genannten Bedeutungsvarianten ist die letzte die einzig solide. Es empfiehlt sich daher ein Nein aus eben diesem Grund.

Initiative „Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)“: Es gibt genügend sinnvolle Arbeit!

Beim bedingungslosen Grundeinkommen besteht der Verdacht, es gebe nicht genügend Arbeit. Das ist natürlich ein Irrtum. Im Umwelt-, Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Sicherheitsbereich gibt es genügend sinnvolle Arbeit Die Eingliederung in den Arbeitsprozess ist insbesondere für die Jungen zentral und sollte nicht durch die Suggestion "free lunch" unterlaufen werden. Minimallöhne sind daher zweckmässiger als das bedingungslose Grundeinkommen.

Natürlich gibt es genügend sinnvolle Arbeit. Das Problem liegt bei der angemessenen Bezahlung und der Tatsache, dass sich das Geld durch die Lohnabhängigkeit wie Wasser verhält und dorthin fliesst, wo es schon (zu) viel hat.

Sie schreiben, dass wir mit dem BGE in den Händen von politischen Mehrheiten sind. Jetzt sind wir in den Händen von Firmenbossen, immer häufiger auch in den Händen von Finanzjongleuren oder Konzernchefs aus dem fernen Amerika, die niemanden anders als dem Profit verpflichtet sind.
Da bin ich lieber in den Händen von Politikern, die ich mitwählen kann und erst noch einer demokratisch legitimierten Verfassung verpflichtet sind.

Geht es Ihnen nicht auch so?

Geschätzter Herr Meier
Utopien von Heute sind der Alltag von Morgen. Ob beim Bauern, im Supermarkt oder in der Produktion, ob bei den Dienstleistungen im Verkehr oder anderswo, Maschine, Roboter, Programme ersetzten uns Menschen und teilweise übernehmen wir selber, was vor kurzer Zeit noch andere für uns gemacht haben, wie das Zahlungswesen bei Banken und Post, das Reparieren im Haushalt dank Youtube Anleitungen, das Einscannen von Waren im Kaufhaus etc..Dazu kommt eine Geldwirtschaft zum Selbstzweck, die längst nicht mehr mit Gütern und realen Dingen handelt, die Zinseszinsproblematik, die wachsende Kluft zwischen superreich und bodenlos arm. Wollen wir die notwendige Kaufkraft in einem grossen Teil der Bevölkerung erhalten, wird ein bedingungsloses Grundeinkommen zweifellos einer der wichtigsten Ansätze für die Zukunft werden. Mein Zeithorizont ist dabei weniger grosszügig als der von Oswald Sigg. Ich glaube fest, dass uns die Thematik vor 2030 in bedrängender Art beschäftigen wird und wir die Weichen jetzt, wo der Druck noch erträglich ist, mit einem überzeugten Ja stellen sollten.

Sehr geehrter Herr Meier
Auch ich bin eine regelmässige Besucherin des journal21. Auf einen Verständnisfehler möchte ich Sie aufmerksam machen: Es geht mitnichten darum, Arbeit als menschliche Betätigung abzuschaffen.
Es geht darum, Existenz minimal abzusichern und auf dieser Basis neben Erwerbsarbeit individuelle, gesellschaftsrelevante Aufgaben und Dienstleistungen zu ermöglichen und am Laufen zu halten.
Vorteil: Kosten sparen, die ein Überbau an Administration in den bestehenden sozialen Netzwerken bindet für dessen Aufrechterhalten, bevor ein Rappen bei einem Berechtigten ankommt.
Care Ökonomie, die gesellschaftserhaltend ist, aber als zu teuer bewertet wird, weiterhin zu gewährleisten. Ältere qualifizierte Fachkräfte mit ihrem Potential dem Generationenvertrag zu erhalten statt durch Arbeitslosigkeit vor der Rente die Sozialkassen, Gemeinden, Kantone an den Rand der Finanzierbarkeit führen. Die Einführung der uns heute vertraute Sozialversicherung, das Frauenstimmrecht, die AHV waren einst ebenfalls Utopien und evolutionär. Die breite öffentliche Information und Debatte am 5. Juni abzubrechen mit einem NEIN, wäre illusorisch.
Freundliche Grüsse
Birgit Barth, IG Gerontologie beim SBK, Sektion beider Basel

Sehr geehrter Herr Meier,
Ich bin ein freudiger Leser des Journal21 und auch Ihrer Artikel. Bei Ihrer Analyse über die kommende Abstimmung zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) stolpere ich allerdings gewaltig über Ihre mangelhafte und kurzschlüssige Beurteilung. Das BGE ist tatsächlich etwas grundsätzlich Neues welches unsere Gesellschaft nachhaltig (meiner Meinung nach positiv) verändern könnte. Es wird viel dazu geforscht und experimentiert (die Stadt Utrecht in den Niederlanden, der Staat Finnland spezifisch und in Canada noch in Planung) und es gibt sehr aufschlussreiche und umfassende Befunde und Empfehlungen. Einer der Autoren des in 1972 vom Club of Rome beauftragten Artikel "Grenzen des Wachstums", Prof Dr Jurgen Randers, ist erst vor Kurzem anlässlich des Swiss University Sustainability Day an der Universität Lausanne als Hauptredner ausführlich und eindeutig positiv auf das bedingungslose Grundeinkommen eingegangen. Ich sehe es als Stärke wenn die Initiaten die zu wählende Finanzierung des BGE noch offen lassen - dazu gibt es mehrere interessante und mögliche Optionen die sich der politischen und ökonomischen Gegebenheiten auch anpassen dürfen. Oft sind ja gerade vorschnell definierte Lösungsansätze bei solchen Volksabstimmungen das eigentliche Problem, welche sonst interessante Vorschläge zum Scheitern zwingen.
Ich erhoffe mir eine breiterenund ausgegliechene Beurteilung dieser wichtigen - wenn auch etwas fortschrittlichen - Initiative und würde mich über eine besser fundierte und recherchierte Analyse sehr freuen.
Mit freundlichem Gruss
Katrin Muff PhD
Business School Lausanne

Der Teufel wird im Detail stecken. Dazu einige Fragen: Woher kommt das Grundeinkommen? Wer bringt es auf? Wer erhält es? Wer profitiert davon? Wie gross ist der administrative Aufwand dafür? Was bleibt letztlich davon, wenn man alle Elemente zusammengebracht hat?

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