Share Economy – Teilen statt besitzen
Ob der Kapitalismus tatsächlich seinem Ende entgegengeht (Jeremy Rifkin), oder sich vielmehr „häutet“, um in neuer Form der schillernden Wertewelt, im neuen Kleid des noch unreglementierteren „Gesellschafts-Kapitalismus“ daherzukommen, darüber kann man geteilter Meinung sein. Spannend zu verfolgen ist dieser Megatrend. Den Anschluss nicht verpassen, heisst die Devise.
Schöpferische Zerstörung
Die ökonomische Entwicklung baut auf dem Prozess der kreativen Zerstörung auf. So jedenfalls erklärte vor rund 100 Jahren bekanntlich der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter das Phänomen der wirtschaftlichen Entwicklung, die eben auch Trümmerteile der alten Strukturen zurücklässt.
Wenn wir heute Zeugen werden, wie sich der (Aus-) Tauschhandel – das Mieten, Ausleihen, Teilen – von Angeboten weltweit ausbreitet, müssen wir beeindruckt sein. Plötzlich gilt die alte Devise des „Besitzens“ nicht mehr uneingeschränkt. Produkte, Wohnungen, Hilfe oder Wissen werden gratis oder für wenig Geld Interessierten zur Verfügung gestellt. Die Gratis-Wissensplattform Wikipedia steht dafür stellvertretend. Dieses Lexikon ist zu einem öffentlichen Gut mutiert. In 287 Sprachen übersetzt – von Abertausenden von Freiwilligen alimentiert.
Wo Tausende profitieren, gibt es auch Verlierer. Zerstört wird z.B. deren bisheriges Angebotsmonopol. Seit Hotelzimmer, Flugreisen, Mietwagen, Neubauten oder Ferien online angeboten werden, verlieren Reisebüros und vor allem klassische Inserateträger wie Printmedien Marktanteile. Wenn Autos kurzfristig gemietet werden können, fühlen sich herkömmliche Taxibetriebe bedroht. Dass Heilmittel und Medikamente online aus dem Ausland importiert werden, missfällt Apotheken und Drogerien. B+B (Bed-and-Breakfast) schiessen wie Pilze aus dem Boden, die traditionelle Hotellerie sieht’s gar nicht gern. Die Liste lässt sich fast beliebig verlängern.
Die Sharing-Karriere
Natürlich kennen wir seit langem Bibliotheken, die Bücher und Tonträger ausleihen. Auch die WG unter Jugendlichen hat sich etabliert. Sogar Bauern teilen sich seit Jahren in der Nutzung von teuren Maschinen und Fahrzeugen.
Doch erst seit das Internet, die sozialen Netzwerke, das Smartphone (-App) ein Millionenpublikum über alle Grenzen hinweg verbindet und Teilen kinderleicht macht, überflutet die Share Economy die Welt. Wer sein Zuhause oder Auto kurzzeitig vermietet, profitiert direkt. Das Gleiche gilt für das Teilen von Booten, Kleidern, Sportausrüstungen, Kunst, Werkzeug. Kurz: Angebot und Nachfrage steigen rasant.
Szenenbeobachter sind sich einig, dass am Anfang dieser Entwicklung die Verringerung der Informations- und Transaktionskosten liegen. Gestiegene Rechnerkapazitäten, Effizienzsteigerung der Prozesse, einfache Konzipierung eigener Homepages, die Mobiltelefonie, die Ausschaltung unnötig gewordenen Zwischenhandels, also der direkte Draht zwischen Produzent und Konsument – alle diese virtuellen Plätze, wo man sich informieren und verkaufen kann – führen dazu, dass althergebrachte Geschäftsmodelle ins Trudeln geraten. Distributionskanäle verschwinden, neue Märkte sind im Entstehen begriffen.
Die Angebotspalette (eine kleine, nicht repräsentative Auswahl)
- Name (Angebot: Tausch, Vermietung, Ausleihung)
- Wikipedia (Lexikon)
- Ricardo, Ebay (Auktions-Plattformen)
- Leihdirwas (Verleihbörse)
- Etsy (Marktplatz)
- Facebook, LinkedIn, Twitter, XING (Soziale Plattformen)
- YouTube (Inhalte, z.B. Musik)
- Napster (Musik)
- Google (Suchmaschine: Wissen, Werbung)
- Airbnb (eigenes Haus, Wohnungstausch)
- Mobility, Car2go, DriveNow (Autos)
- Uber, Zipcar, Sharoo, RelayRides, Gataround (eigenes Auto vermieten)
- Homeaway (eigenes Haus vermieten)
- Ziplock (eigenes Werkzeug ausleihen)
- Boatbound (eigene Boote ausleihen)
- Feastly (Essen beim Hobbykoch)
- TaskRabbit (Nachbarschaftshilfe)
- Thredup (Kleider)
- DogVacay, Rover (Hundeausführer)
- Prosper, Cashare (Kleinkredite, Kredite)
usw.
Eine neue Gesellschaft?
Die Meinungen über die zukünftigen Auswirkungen der Share Economy gehen meilenweit auseinander. Doch es gibt einen gemeinsamen Nenner: Wir sind Zeugen einer drastischen Umwälzung.
In seinem Buch „Die Null Grenzkosten Gesellschaft“ ortet Jeremy Rifkin das Aufkommen eines neuen globalen Wirtschaftssystems. „In dieser neuen Welt ist Sozialkapital so wichtig wie Finanzkapital. Zugang zum Benötigten ist wichtiger als Besitz.“ Er schliesst daraus: „ Aus dem Kapitalismus von gestern entsteht eine globale, gemeinschaftlich orientierte Gesellschaft.“
Nicht alle Beobachter teilen des Visionärs Rifkins Ansicht. Keine Alternative zum Kapitalismus sei im Entstehen, sondern mit dem Einfluss potenter Investoren entstünden vielmehr Plattformen, deren „Erfinder“ sich bereicherten, deren Anbieter, die besitzen, profitierten. Das Ganze entwickle sich von der idealistischen Idee zum renditeorientierten Geschäftsmodell. Menschliche Beziehungen mutierten immer rascher zu Ware und das alles bewege sich in einem noch weitgehend unreglementierten Raum, wo Arbeitsstandards und Rechtsvorschriften unterlaufen würden. Hier vertritt wohl ein gewerkschaftsfreundlicher Journalist seine Meinung?
Jaron Lanier („Wem gehört die Zukunft?“), amerikanischer Informatiker und Allrounder, ist skeptisch. „Wir geben unsere Macht und Verantwortung ab, indem wir unsere Demokratien an Technologie-Firmen auslagern, um nicht selbst zur Rechenschaft gezogen zu werden“, äusserte er sich anlässlich der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Herbst 2014. Lanier ist überzeugt davon, dass viele Technologie-Idealisten diese neue Situation falsch einschätzten: Mit dem Argument, dass Datenschutz und Arbeitnehmerrechte durch neue technologische Effizienz ersetzt würden wollten sie nicht wahrnehmen, dass genau das Gegenteil, weniger Rechte und dafür klar mehr Ungerechtigkeit im Entstehen begriffen sei.
Mikrounternehmen – eine neue Form des Kapitalismus
Wer sich bemüht, politisch bedingte Sehtrübungen oder ideologisch gefärbte Interpretationsmodelle zu umgehen, kann zur Einsicht gelangen, dass zwar ein Megatrend im Entstehen begriffen ist, dieser aber wohl lediglich eine neue Seite im Kapitalismuslexikon aufschlägt. Kleinunternehmer, Kleinunternehmerinnen haben entdeckt, dass sie ihr investiertes Kapital zu ökonomischem Nutzen (Mehrwert) einsetzen können, wo es bislang ein ungenutztes Dasein fristete. So etwa denkt Konrad Hummler („bergsicht“ 9/2014).
In dieser tendenziell wirtschaftsfreundlichen These werden auch weitere, grosse Zukunftspotenziale nicht übersehen, die sich öffnen. Privates Finanzkapital und Risikofreudigkeit – sogenanntes „Peer-to-Peer-Lending“ – dürften über Plattformen mit Kleinkreditangeboten das traditionelle Bankgeschäft tangieren. Selbst die Gewährung von Hypotheken wird vorstellbar. Oder der gute, alte Zahlungsverkehr: transaktionsfähige Smartphones führen dazu, dass den Banken dieses lukrative Geschäft entgleiten könnte.
Hummler blickt noch weiter in die Zukunft: Nach den Privaten mit vergleichsweise wenig Kapital dürften sich Firmen den Trend zu Nutze machen, wobei wesentlich grössere finanzielle Summen involviert wären. Warum die krasse Unternutzung vorhandener Maschinen oder leerstehende, viel zu grosse Lagerräume tolerieren?
Hier stehen im Moment vor allem Start-ups in den Startlöchern. Etablierte Unternehmen tun sich schwer oder stehen dem Megatrend noch eher passiv gegenüber. Sie werden im eigenen Interesse umdenken müssen.
Staat, Gesellschaft, Share Economy
Zur Beruhigung aller alarmierter Datenschützer, Gewerkschaftsvertreter oder sozialistischer Politiker: Zweifellos wird eine notwendige Voraussetzung für die Ausbreitung der Share Economy der funktionierende Rechtsstaat sein, der unsere Zivilgesellschaft absichert. Denn die revolutionäre Idee des Teilens beruht letztlich auf gegenseitigem Vertrauen – und diese Voraussetzung ist nicht überall auf der Welt gesichert.
Das heisst aber nichts anderes, als dass die politischen Verantwortungsträger sich sehr rasch und gründlich dieser Materie anzunehmen haben werden. Statt lärmigem Wahlkampftheater wünschte sich das Publikum eine sachliche Vertiefung in eine globale Entwicklung, die gerade daran ist, die Welt grundlegend zu verändern.
Fragen wie: Was bezahlen diese neuen Players an Steuern? Wer erfasst sie? Wie sehen die Mehrwertsteuerabrechnungen aus? Gibt es sie überhaupt? Bewegen sich die neuen cleveren Anbieter ausserhalb einschneidender staatlicher Reglementierungen, denen sich die etablierten Betriebe ausgesetzt sehen? Wäre es gar denkbar dass, – statt ein Heer von neuen Aufsehern aufzubauen – bestehende Vorschriften gelockert würden, um hier wie dort der Kreativität Vorschub zu leisten? Könnte dieser Share Trend sogar bewirken, dass (verbotene, aber stillschweigend tolerierte) Kartelle aufgebrochen würden, ein Kraftakt, der den Preisüberwacher bisher überforderte?
Die alten politischen Poleplayers verlieren an Bedeutung
Zwar haben sie es noch nicht bemerkt. Doch auch das an sich schon längst überholte Links-/Rechtsschema taugt nicht mehr zur Interpretation des Neuen. Fortschrittlich/liberales Agieren oder konservatives Festhalten am Alten – beides genügt allein nicht, um durchzuschauen. Dazu braucht es wohl vermehrt mutiges Handeln, das sich nicht aus Ideologien oder Machterhaltungstrieb herleiten lässt.
Sharing heisst teilen, leihen, mieten. Also eine intensivierte Zusammenarbeit auf neuen Märkten. Zusammenarbeit heisst Kooperation. Kooperation statt Fundamentalopposition als Leitbild scheint geeignet, die Welt von morgen zu gestalten.
Buchhinweis
„DIE NULL GRENZKOSTEN GESELLSCHAFT“, Jeremy Rifkin (2014)
So neu ist das System des Teilens gar nicht, als ich noch Junge war, gehörte es zum Standard jedes Dorflebens. Bohrmaschinen hatte mein Vater, als Beispiel, auch Wagenheber und Unterstellböcke, und der Nachbar hatte Dinge, die man brauchte, um zu mauern, malen und gipsen, so half man sich, im Quartier, und Dorf, die Einen den Anderen, auch mit Kinderkleidern und Schuhen, und noch vielem Anderen, es war damals das Normalste der Welt, es so zu tun.
Und wie komprimierter wir in Zukunft wohnen und leben werden, desto weniger Platz werden wir haben, um, Jeder für sich, auch im Block, eine eigene Bastlerwerkstatt zu haben, mit Allem, was Jumbo und Co. an Annehmlichkeiten zu bieten haben.
Back to the Future, oder so ähnlich, aber als Leitbild von Morgen sicher gut genug, um zumindest in diesem Bereich wieder etwas normaler zu werden, und zu kopieren, was gestern normal war.
Hoffen wir darauf, dass es nicht das Einzige bleibe...
Wie gerne möchte man Ihnen zustimmen, würde sich hinter dem Teilen nicht wieder kapitalistische Interessen regen. - Kürzlich wurde in den USA eine Bewegung ins Leben gerufen, welche die Sharing-Economy tragen und unterstützen soll, mit dem schönen Namen „Peers“. Ihre Geschäftsführerin Natalie Foster tönt schon fast wie eine Rosa Luxemburg des digitalen Zeitalters: „Wir reden hier nicht nur über Leute, die ihre Fähigkeiten, ihre Wohnungen oder Autos teilen, sondern ihre kollekti-ve Macht, die Sharing-Economy gemeinsam zu erweitern und so gegen verwurzelte Interessen anzukämpfen, die sie auf unfaire Weise behindern. Also ‚die Macht des Volkes’ oder ‚die Macht der Peers’.“
Man mag im Crowdsourcing durchaus „Grassroot“-Motive begrüssen. Es ist wunderbar, einan-der die Wäsche zu waschen, den Wagen auszuleihen, die Kinder zu hüten oder den Hund Gassi zu führen. „Nachbarn helfen Nachbarn“, wie dies TaskRabbit – ein anderes Jobvermittlungs-portal - so schön formuliert. Aber Frau Foster verschweigt die Macht des Risikokapitals und seiner „verwurzelten Interessen“ im Hintergrund. Die meisten Startups in der Sharing-Economy haben nichts am Hut mit Teilen, trotz ihrer Anti-Establishment-Phraseologie (erinnert man sich noch an Apples klassischen Werbespot „1984“ gegen den „Grossen Bruder“ IBM?) Sie reden von Nachbarn, Freunden, Genossen – von „Peers“ - und pressen im Namen von Gross-mut, Hilfsbereitschaft und universellem Benefiz den letzten Rest an Uneigennutz aus dem Teilen.
Wandel, eine Voraussetzung für lebendige Zukunft.
Wer künftige Entwicklungen voraussagen will, muss die Bereitschaft zu einer statistischen oder quantitativen Wahrscheinlichkeitsanalyse akzeptieren. Einzig die Zeit trennt uns noch von solchen Ereignissen. Aus Erinnerungen und manchen Erfahrungen sollten zudem Assoziationen abrufbar sein, um solche Entwicklungen sinnvoll einzuordnen. Von Multi-Konzernen Jahrzehnte, durch konkurrierende Preiskämpfe materiell üppig ausgestattet, gewöhnten wir uns an`s Lädelisterben, dem Verlust unzähliger „ICH“-Firmen. Nun, da wir beinahe alles im Überfluss haben, dreht sich das Rad retour und trotzdem nach vorne in Richtung „ICH“ AG. Unzählige bilden dann eine neue Art von Unabhängigen, noch nicht Bourgeoisie, noch nicht Citoyen aber auch nicht mehr Proletarier. So hat uns die Globalisierung mit ihren Grosskonzernen ungeahnt eine neue Perspektive geboten. Parteien die in Zukunft auf Familien und grössere Freiheit von Individuen mit mehr Eigenverantwortung setzen, werden profitieren. Zukunft ist jener Augenblick von Gegenwart, der Vergangenheit beinhaltet und als solches erkannt bald wieder erlebte Vergangenheit bedeuten könnte. Nur Zeit trennt uns noch vor einer Zukunft, die wir selbst gestalten könnten……cathari