Sparen mit der Abrissbirne
"Das Theater ist dazu da, Feste hervorzubringen, damit das Gute, Wahre und Schöne gefeiert werde." Der Winterthurer Stadtrat arbeitet daran, diese Feste und das Feiern zu beenden und Claus Peymanns Bekenntnis zu einer Freude stiftenden Kultur als unzeitgemäss zu entsorgen. Das ist die freundliche Zusammenfassung des Projekts, das Theater am Stadtgarten ersatzlos abzureissen und an seiner Stelle ein Kongresszentrum zu bauen.
Auf dem Weg nach Seldwyla
Wie hinter allen Verrücktheiten steckt auch hinter dieser ein Grund, der sich als derart zwingend anführen lässt, dass er jede Tat zu rechtfertigen und zu entschuldigen scheint. Ja, Winterthur muss auf Teufel komm heraus sparen, greift darum zum spitzen Rotstift und droht mit der Spitzhacke. Der starre Blick in den Abgrund der roten Zahlen verwirrt und enthemmt.
Ginge der offene Blick auf Winterthur als Kulturstadt, würde auch der Regierung die Fehlplanung sofort klar. Die Museen, Orchester, Theater, Festivals und das private Mäzenatentum besitzen eine stolze Tradition und sichern der Stadt eine Lebendigkeit mit sogar internationaler Ausstrahlung. Was als kulturelles Engagement im 17. Jahrhundert begann, wäre vergeblich gewesen, würden die Bagger gegen das Theater am Stadtgarten auffahren. Das Signal, der Krämergeist sei doch stärker als der Kreativgeist, hätte eine verheerende Wirkung. Der Weg von Seldwyla zurück nach Winterthur wäre mühsam und lang.
Provozierter Protest
Nach eigenem und richtigem Bekunden ist das "Theater Winterthur das grösste und wichtigste Gastspieltheater der Schweiz mit internationalen Produktionen in allen Bühnensparten und in hoher künstlerischer Qualität." Der Abriss wäre auch eine schwere Versündigung am architektonischen Wurf, mit dem Frank Krayenbühl 1966 den schweizweiten Wettbewerb gewann.
"Besorgt und empört" startete der Theaterverein Winterthur eine Online-Petition gegen die "Wegwerfmentalität" und für "eine lebenswerte Kulturstadt". Die Forderung nach einer Wende zum Guten teilen bis jetzt bereits über 4000 Personen.
Geringschätzung der Kultur
Um auch aus der Distanz den Schildbürgerstreich des Stadtrats ermessen zu können, hilft die Vorstellung, Zürich wolle das Opernhaus einem Kongresszentrum opfern, Luzern die Kappelenbrücke einer Einkaufspassage, Basel das Dreispartenhaus einem Konferenzhotel oder Bern das Historische Museum dem meistbietenden Immobilienspekulanten.
So sehr die Demolierungsidee den Zorn weckt, so sehr gab es im vergangenen April eine Vorwarnung durch den Stadtratsentscheid, das Kunstmuseum Villa Flora über seine Zukunft im Ungewissen zu lassen und zur vorläufigen Schliessung zu zwingen.
Noch ist die "Komödie der Irrungen" frei nach Shakespeare nicht über die Bühne. Aber allein die Absicht ist alles andere als eine Wertschätzung der Kulturschaffenden, der Kulturinteressierten und jener Persönlichkeiten, die aus zivilgesellschaftlicher Verantwortung ihrer Stadt die kulturelle Entfaltung ermöglichten.
Bittere Pointe
Die Leiterin der städtischen Kultur, Nicole Kurmann, schrieb ein Buch über das 1629 von musikbegeisterten Bürgern gegründete und bis heute einzigartigerweise bestehende Winterthurer Musikkollegium. Es würde genügen, läse der Stadtrat wenigstens den Titel: "Dem Provinziellen widerstehen".
Zu den bitteren Pointen gehört, dass der Winterthurer Mäzen Hans Reinhart den nach ihm benannten Ring stiftete, mit dem seit 1957 jährlich Verdienste um das Theater gewürdigt werden. Der Gedanke, die Verleihung des in seiner Sparte renommiertesten Preises finde dereinst im Kongresszentrum auf dem Platz des geschleiften Theaters statt, ist unerträglich.
Lieber Alex
Eine hervorragende und journalistisch beispielhafte Analyse, wie Kultur engstirnigem Denken zum Opfer fällt. Dein Text übers Winterthurer Theater steht stellvertretend für den Kulturabbau an vielen anderen Fronten. Egal, was und wo abgebaut wird, die Methoden und die "Geistes"-Haltungen gleichen sich erschreckend.
Vornehmlich als Theatergänger, aber auch als mit der Materie Vertrauter erlaube ich mir ein in facto brisantes Statement, wird man doch zur Solidarität mit vom Rotstift betroffenen Kulturschaffenden in per se sympathisierenden Kreisen nahezu ermahnt. Meine persönliche Erfahrung mit dem Theater am Stadtgarten, hier fast schon anekdotenhaft zum Besten gegeben:
Mai 2014, erstes Schweizer Theatertreffen. 30 Lenze, ein privater, runder Ehrentag. Knapp ein Dutzend Geburtstagsgäste und viele andere interessierte Besucherinnen und Besucher nehmen erwartungsfroh unterm «pyramidalen Formgebilde» (Krayenbühl) des Gastspielhauses Platz. Sie werden einer hoch estimierten und in Folge prominent prämierten Darbietung der Zürcher Pfauenbühne beiwohnen. Eine umwerfende Inszenierung findet hinter dem obligat höflichen Beipflichten einen deprimierend mässigen Widerhall. Den legendären Funkensprung hat es zu ersticken vermocht, das Haus mit dem Bleidach. Und zwar im Keim! Schweren Herzens darf und muss man dahinter eine Grundsätzlichkeit vermuten. Theaterblut gefriert in den Adern: Von ausgezeichneten Plätzen starren zuvor erwartungsfrohe Gemüter ungerührt auf das Geschehen der grossen Bühne. Raumakustische Fehlplanungen lassen ernüchterte Mienen zurück. Es tötelet. Der Einladende ist konsterniert. Zu teilen, was auf anderen Bühnen in ihm die Liebe zum Sprechtheater erweckt hat, ist auf der Strecke geblieben. Psychologische Betreuung hätte sich einfinden müssen, wollte man hier auch nur einen Hauch von Theatereuphorie gerettet haben.
Zwei exemplarische Fragen: Will man an einer Bühne, die Inszenierungswerte nur ansatzweise und rudimentär wiederzugeben vermag, um jeden Preis festhalten? Liegt nicht vielmehr eine einmalige Chance darin, in einem neuen multifunktionalen Gebäude eine ausgereiftere, intimere und somit würdevollere Situation zu schaffen? – Pauschalisierendes Jammerschade-Entsetzen über die laufenden Diskussionen mag berechtigterweise dem architektonischen Blickwinkel und einem drohenden Arbeitsplatzverlust geschuldet sein. Dass das Haus am Stadtgarten zumindest den Künsten des Sprechtheaters einen sträflich geringen Dienst erweist, ist meines Erachtens unwiderlegbar.
Ich wurde 1934 in Winterthur geboren. In der Studienzeit bis etwa 1960 genoss ich die goldene Zeit der vielen Freikonzerte, Hausabende und der Abonnementskonzerthauptproben. Für mich die Zeit der geistigen und seelischen Entfaltung für die ich Winterthut zeitlebens dankbar bin. Klavierunterricht bei Ewald Radecke und dann bei Pina Pozzi und Martin Sulzberger.
Heute mit 80 immer noch jede Woche eine Klavierstunde bei Zenon Cassimatis, Schüler von Martin.
Kulturabbau in Winterthur ist für mich ein menschengemachter Weltuntergang. Undenkbar.
Kultur schult unsere Weisheit der Gefühle die allemal tiefer reicht
als die Weisheit unserer Vernunft. Und: die Kultur ist das
Rückgrat unseres seelischen Immunsystems.
Ohne das verdorren wir.
Hannes Keller, Taucher, Mathematiker, Forscher und
Klavierspieler. Sponsor des Museums www.visipix.com.
Lieber Alex
Es sei Dir gedankt für Deinen wichtigen, nötigen und unmissverständlichen Kommentar, zu den Winterthurer Stadtratsplänen, das Stadttheater abzureissen und ein Kongresszentrum zu errichten. Was für eine hirnrissige Absicht. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Herren und Damen Stadträdte eines Besseren besinnen und diesen Plan schnellstens entsorgen.