Sterben in Würde

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Sterben in Würde

Von Klara Obermüller, 23.09.2016

Das Thema Sterbehilfe hat nun auch Eingang in den „Tatort“ gefunden. Somit ist es definitiv in der Öffentlichkeit angekommen.

Am vergangenen Sonntag die Meldung, dass in Belgien erstmals bei einem minderjährigen Patienten aktive Sterbehilfe zur Anwendung gekommen sei. Am Abend des gleichen Tages der Schweizer „Tatort“ zum Thema „Exit“. Und nur zwei Tage später die Verlautbarung der Sterbehilfe-Organisation, man wolle in der Schweiz Ärzte vermehrt in die Pflicht nehmen, wenn es darum gehe, Freitodbegleitung anzubieten. Das Thema bewegt, doch die Art und Weise, wie es diskutiert wird, erscheint reichlich undifferenziert.

Zugegeben, die Situation in Belgien und Holland ist nicht mit derjenigen in der Schweiz zu vergleichen. Belgien und Holland erlauben die aktive Sterbehilfe, die Schweiz tut es nicht. Doch unabhängig davon, ob es sich um Euthanasie oder Freitodbegleitung handelt, die Argumentation ist immer die gleiche: den schwerkranken Menschen soll „das Recht auf einen würdevollen Tod“ nicht verwehrt werden, so Wim Distelmans, der Präsident der Evaluationskommission in Belgien. Was aber verstehen wir unter einem „würdevollen Tod“? Stirbt in Würde nur, wer den Zeitpunkt seines Ablebens selber bestimmt, und würdelos, wer das Leben nach dessen eigenen Gesetzen enden lässt?

Ich meine, diese Argumentation gehe von einem falschen oder zumindest eingeschränkten Würdebegriff aus und konstruiere Gegensätze, die dem leidenden Menschen nicht gerecht werden. Denn so, wie Leiden nicht per se würdelos ist, so ist auch ein selbstbestimmtes Sterben nicht automatisch würdiger als eines, das sich zum Beispiel in einem Hospiz oder einer Palliativstation vollzieht. Es ist der Umgang mit dem leidenden, dem sterbenden Menschen, der würdelos sein kann. Darauf und nur darauf kommt es an.

Im Zusammenhang der öffentlichen Diskussion über die Suizidbeihilfe hat sich besonders in der CH eine "falsche" Sprache durchgesetzt, die der Wirklichkeit menschlichen Lebens in keiner Weise gerecht wird und deshalb als eine illusionäre Sprache zu entlarven ist. Kl. Obermüller weist darauf hin i.B. auf die Rede und das Verständnis der "Würde" menschlichen Lebens. Sie soll nach der genannten Sprachregelung durch Hilfsbedürftigkeit, Schmerz und Überdruss, ja schon durch die Angst davor, infragegestellt, wenn nicht schon verloren/zerstört sein. Was für ein Menschenbild, nach dem die Autonomie nur eine absolute sein kann, d.h. herausgelöst aus aller menschlichen Verwiesenheit. Selbstbestimmung i.S. einer totalen Selbstverfügung soll die Freiheit sicherstellen bis zum letzten Atemzug! Als gäbe es Autonomie und Freiheit ohne jede Verwiesenheit, ohne Bedürftigkeit - in Wahrheit sind es zwei Seiten der gleichen Medaille. Dass dabei die realen Wirkungen auf das Lebensumfeld oft ausgeblendet werden müssen, versteht sich von selbst. Die Kosten für das gesellschaftliche Zusammenleben bei dieser vielgepriesenen Patentlösung für einen friedlichen exitus werden verharmlost und verschleiert. Autonomie als "Hl. Kuh" einer "aufgeklärten" Gesellschaft?
Würde - Selbstbestimmung/Autonomie - Sterben: Dieses Zu-ende-gehen des Lebens, eines lebenslangen Prozesses, dessen letzte Phase menschlichem Verstehen nur in Bildern "fassbar" ist, wird reduziert auf einen Schluck-Akt von Gift, der willkürlich einen Schlussstrich zieht. Sterbe-Hilfe als Beihilfe zum Suizid, statt als hilfreiche Begleitung im Sterben, das unserm Agieren entzogen ist. "Der Mensch ist auch ein Tier mit Emotionen...." sagte eine Philosophin in der Sternstunde Philosophie! Bei soviel Sprachverwirrung und falscher, weil fälschender Sprache sind die Verwechslungen schlussendlich tödlich.
Andreas Imhasly

Frau Obermüller geht von einem Würdebegriff aus, in dem das menschliche Leben oberste Priorität besitzt. Manche Sterbenswillige gehen aber von der Erkenntnis aus, dass die Evolution, die den Menschen hervorgebracht hat, sinnlos ist und der Mensch schliesslich auch nur ein lebendes Wesen wie eine Raupe oder Ziege ist. Das zu erläutern fehlt mir hier der Platz. Nur soviel: es zeugt von grosser Würde, sich gegenüber der Evolution als widerständig zu erweisen. Es ist nicht nur Verwirrung, die junge Menschen in den Selbstmord treibt, die Grundlage wird -vielleicht nur unbewusst- von diesem Gedanken angetrieben. Auf der Palliativstation zu sterben, bedeutet alles (auch absurde) anzunehmen wie es ist, vom Vertrauen genährt, dass es einen Gott gibt. Glücklich, wer daran glaubt und damit zufrieden sein kann. Palliativ ist gut, aber der Freitod sollte als eine Form der Daseinsbewältigung anerkannt werden.
Der "Tatort" war ganz klar eine Katastrophe, Sterbehelfer galten da als von ihren Trieben gesteuerte todeshungrige Voyeure. Dass man einen solchen Shit durchgehen lässt, ist schlechthin unverständlich... Haben die Schauspieler diesen Tiefpunkt von Drehbuch gelesen, oder machen sie sowieso bei allem mit?

Würde hin oder her: Ich will nicht an Schläuchen angehängt erst nach langem Leiden abkratzen!

Meiner Meinung nach kann man nicht das Eine gegen das Andere ausspielen. Ein Mensch, der geistig in der Lage ist, sein Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen, hat ein Recht über sein Leben oder Ableben mitzubestimmen. Es hat etwas mit Würde zu tun, wenn ihm dies nicht verwehrt bleibt. Es kann doch nicht sein, dass Nahestehende, Ärzte, Ethikfachleute etc. darüber bestimmen, wer wann aus dem Leben scheiden darf. Natürlich hat die Autorin auch recht, wenn sie darauf hinweist, dass ein zentrales Anliegen sein muss, einen sterbenskranken Menschen in einem Hospiz oder einer Palliativstation mit der grösstmöglichen Sorgfalt und Empathie zu begleiten und zu pflegen. Dagegen spricht rein gar nichts. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es von immenser Bedeutung ist, wenn ein sterbenskranker Mensch in einer Palliativstation eine würdevolle letzte Lebensbegleitung erhält. Das Bezirksspital Affoltern a/A sei hier erwähnt. Ob ein würdevolles Sterben in jedem Fall möglich sein wird, ist auch eine ökonomische Frage. Sind wir bereit, dies zu gewährleisten? Die Ökonomisierung und Rationierung von Leistungen im Gesundheitswesen wird wohl nicht abnehmen sondern zunehmen. Somit wird auch die Gesellschaft entscheiden, wie viel Wert sie einem Leben beimisst, das auch von anderen abhängig ist.

De civitate Dei von Gottes Gnaden ist längst passé!

Entscheidender ist der „Hippokratische Eid.“
Ich respektiere und wahre grundsätzlich die Willensäusserungen meiner Patienten. Ich halte mich an das Arztgeheimnis, so steht es geschrieben! Und wenn es gar nicht mehr anders geht, wirklich keine andere Möglichkeit mehr besteht, haben die Ärzte die Möglichkeit zurückzugreifen auf Morphium. Eine Substanz welches jedes Hinübersegeln erleichtert. So war und ist es schon lange! Schwierig bleibt die andere Wirklichkeit! Bei der Geburt fassen wir zu Anbeginn als erstes,… das Todesurteil. (Nicht aber, wann und wo.) Manches Leiden, wie z.B. Depressionen oder schwerste Behinderungen, gehören sicher zu den sehr grossen Herausforderungen des Lebens, zudem eine Herausforderung der Ärzteschaft plus der gesamten Gesellschaft d.h. mehr Forschung, Linderung und oder Einfühlungsvermögen.
Also denke ich, frühzeitiger Tod durch gewünschten aber nicht selbst durchzuführenden Selbstmord gehört ausschliesslich in die Hand unserer Ärzteschaft… cathari

Ein sehr durchdachter und menschenfreundlicher Kommentar. Man kann nur hoffen, dass ein Grossteil der Aerzteschaft und alle Institutionen, die mit Pflegebedürftigen zu tun haben, einen solchen Wandel vollziehen.
Selbstverständlich muss jemand, der eine erste oder zweite Depression erleidet, behandelt werden. Aber der Wunsch eines, der seit 30 Jahren an chronischen, unbehandelbaren Depressionen leidet und sterben möchte, muss erfüllt werden.
Und nicht dahin, dass er sich unter den Zug werfen muss.

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