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16. Februar 2021

„The Show Must Go On“

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„The Show Must Go On“

Von Christoph Zollinger, 16.01.2015

Wieder treffen sich die Mächtigen der Welt in Davos. Doch der grösste Privatclub der Welt kann bisher einen eher kleinen Leistungsausweis vorzeigen.

Dass sich Machtträger unserer globalisierten Welt zum 44. Mal in der Schweiz treffen, ist einmalig und bemerkenswert. Konkrete Resultate, spürbare Ergebnisse, nachhaltige wirtschaftliche Abkommen und Denkansätze vieler Manager hätten dagegen Aufholpotenzial. Es gibt Vorbilder.

„The Reshaping of the World“, lautete das Leitthema des letztjährigen WEF‘s. 2500 Leader aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aus der ganzen Welt hatten sich im  Januar 2014 in Davos-Klosters versammelt, um „die Welt umzugestalten“. Dieses Jahr werden sich noch mehr Repräsentanten im modernsten Kongresszentrum der Alpen einfinden, um „The New Global Context“ zu erörtern. Gemäss den Organisatoren wird es diesmal darum gehen, nach einer 25-jährigen Periode zunehmender wirtschaftlicher Integration und internationaler Zusammenarbeit taugliche Antworten auf Komplexität, Fragilität und Unsicherheiten der aktuellen Globalisierungsphase mit ihren dramatischen Umwälzungen zu erörtern.

Eine Rockballade in h-Moll

Die englische Rockband „Queen“ machte 1977 Furore mit „We will rock you“ und „We are the Champions“. Beide Songs eignen sich bestens zur Beschreibung der illustren Gesellschaft der WEF-Top- und anderen Shots. 1991 dann überraschten die Sänger mit ihrer Rockballade in h-Moll: „The Show Must Go On“. In diesem wunderbaren Song mit tragischem Unterton träumen sie

            „Leere Räume – wofür leben wir?

            Verlassene Orte – ich denke, wir kennen die Bewertung…

            Immer weiter und weiter!

            Weiss den irgendjemand, wonach wir alle suchen?

            […]

            Ich setze noch einen drauf!

            Ich werde alles übertreffen!

            Ich muss einfach den Willen haben, weiter zu machen!

            Weiter, einfach weiter mit der Show!

            Die Show muss weitergehen.“

„Weiss den irgendjemand, wonach wir alle suchen?“

Die Frage, vor 24 Jahren von Brian May (Queen) formuliert und mit der stoischen Einsicht abgeschlossen: „Die Show muss weitergehen“, ist bohrend und ungemütlich zugleich. Die weltweit explodierenden Krisen- und Kriegsherde signalisieren auf dramatische Weise eine völlig andere Entwicklung als jene, die sich die WEF-Geladenen vor einem Jahr unter „Umgestaltung der Welt“ vorgestellt haben mögen. Auch der beherzte Untertitel des letztjährigen WEF: „Konsequenzen für die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“, lässt erahnen, dass die dannzumal evaluierten Incentives wohl eher im wirtschaftlichen, technischen oder digitalen Kontext angesiedelt waren.

Auf der Homepage des WEF ist nachlesen, welches die wichtigsten Themensetzungen, Panels, Gespräche, Ratschläge und Prognosen im Januar 2014 waren. In Bild, Ton und Schrift wird z.B. kundgetan, woran die Welt kranke, wie die neue Welthandelskarte aussehen werde, welche Rolle der Iran in der Welt spielen würde, was Israels wirtschaftliche und politische Ausblick bedeutete, auch wie Mexikos Transformations-Agenda aussehen werde. Über den Gender-driven-growth (Geschlechter-orientiertes-Wachstum, Rolle der Frau) wurde diskutiert und an Podiumsgesprächen der Zentralbanker dieser Welt über die Zukunft debattiert, Australiens Vision für die G20-Konferenz ausgebreitet oder David Camerons EU-Schelte in Erinnerung gerufen. 

Heute, ein Jahr später, sind die ambitiösen Ziele des WEF 2015 bekannt. Auch sie können im Internet studiert werden (Global Agenda). Klaus Schwab meinte am 14.1.2015 an der Präsentation dieses Programms: „Wir sind in einem kritischen Jahr.“

„Leere Räume – wofür leben wir?“

Maliziöse Frage, zweifellos. Wer sich diese Frage stellt, soll sich auf die Suche machen. Die Antworten werden individuell unterschiedlich ausfallen.

Die Schwerpunkte dieser Suche formuliert das WEF – stark verkürzt – etwa so: Leaders sind aufgerufen, ihr Bewusstsein und ihre Intelligenz in Bezug auf die aktuelle Weltlage zu fokussieren und zu stärken. Dafür bietet die Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums eine unvergleichbare Plattform: Notwendige Einblicke zu erhalten, um Ideen und Partnerschaften im Hinblick auf die neuen Herausforderungen zu entwickeln. Dies alles im Rahmen der „Globalen Agenda“, der „Wirtschaftlichen Agenda“, der „Regionalen Agenda“, der „Industrie- und Geschäfts-Agenda“ und der „Zukunfts-Agenda“.

Ob damit die „leeren Räume“ insofern gemeint sind, als diese tatsächlich dringend entrümpelt und neu möbliert werden müssten? Wird Davos gar zum „ Zauberberg“? Wo das Leben im „Sanatorium“ seine eigene Faszination und Dynamik entwickelt? Das, in freier Anlehnung an Thomas Mann, „eine abgeschlossene Welt darstellt, in deren Abgeschiedenheit es der Konzentration repräsentativer Charakteren - deren Handeln in nuce die sozialen, politischen und geistigen Auseinandersetzungen der damaligen Welt widerspiegelt - ermöglichen wird“ eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung akuter Krankheitsschübe im aktuellen Global Village zu spielen?

Die Unterteilung der Diskussionsschwerpunkte in „Agenden“ tönt etwas gar business minded. Zu erledigen sind tatsächlich eine Vielzahl von Aufgaben. Besprechen und abhaken kann man diese wohl auch in Davos nicht. Best practice ist dafür nicht in Sicht. Statt Agenda vielleicht Fokus oder Brennpunkte?

„Davos Man at the Sanatorium“

Vor rund zwei Jahren schrieb ich in meiner Kolumne zum WEF 2013: Der Kult um Global Leaders steht tatsächlich in auffälligem Kontrast zum ernüchternden Stand der globalisierten Welt. Dem ist auch heute wenig beizufügen. Ausser: Der Kontrast ist nicht mehr zu übersehen. Nicht nur zwischen global leaders und global world, vor allem auch in Anbetracht der gelebten Realitäten. Fast scheint es, als bewegten jene sich in einer künstlichen leader world, diese aber repräsentiere die world of realities.

„Lifetime Award“

Während 15 Jahren hat Public Eye jeweils in Davos jenen Preis an Konzerne verliehen, den so gar niemand sich wünschte. Diese kritische Gegenveranstaltung einiger Dutzend NGOs zeichnete den Konzern aus, der sich aus ihrer Sicht besonders verantwortungslos gegenüber Mensch und Umwelt verhalten hatte. Gemäss EvB (Erklärung von Bern) und Greenpeace wird es am 23. Januar 2015 zu einem Abschiedsfeuerwerk kommen. Mit der Verleihung des „Lifetime Award“ wird jenes Unternehmen beglückt, dessen Lebens(un)werk den besonderen Schmähpreis verdient hat. Wer will, kann sich auf www.publiceye.ch am Online Voting beteiligen.

Fokus Zukunft-Agenda

Die Suche nach tauglichen Antworten der Wirtschaft auf die Herausforderungen der Gegenwart ist anspruchsvoll. Nicht alle Kongressteilnehmer beteiligen sich ernsthaft daran. Antworten könnten z.B. umfassen, dass „moderne“ Errungenschaften wie dreimonatige Bilanzkonferenzen – also die Dominanz des kurzfristigen Denkens der Konzernspitze – ersetzt würden durch die gute alte Jahresrechenschaftstagung. Damit erhielte die langfristige Planung (wie die Beachtung einer umweltverträglichen Ausrichtung als ein strategischer Fixpunkt) vermehrt die ihr zustehende Wichtigkeit.

Eine zweite, längst überfällige Einsicht soll in Taten umgesetzt werden. Gerade die grossen Konzerne müssen personelle Ressourcen freisetzen und die Faktoren Politik und Gesellschaft vermehrt in ihr Handeln auf der obersten Managementebene einbeziehen. Gewinnmaximierung und Pflege der eigenen Stakeholders ist das eine (Shareholder Value), soziale Verantwortung gegenüber dem Menschen, der Gesellschaft und den sie vertretenden Organisationen und NGOs das andere (Shared-Value-Konzept). Wo das zu wenig bedacht wird, öffnet sich ein Graben zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, der letztlich zu einem Vertrauensverlust und zum Schaden beider führt.

Allein den Profit als Ziel eines Unternehmens zu verfolgen ist ein überholtes Managementdenken. Die gesellschaftliche Akzeptanz – wie und womit ein Unternehmen seinen Profit erwirtschaftet – wird immer entscheidender (www.gemeinwohl.ch - Universität St. Gallen).

Somit ist – als dritter Vorschlag – die Verantwortung der obersten Top-Manager im Kontext der Gestaltung unserer globalen Zukunft nicht delegierbar. Die Erkenntnis, dass, wer diese Verantwortung wahrnimmt, entscheidend zum langfristigen Erfolg seines Unternehmens beiträgt, steckt noch in den Kinderschuhen. Den Kompass richtig gestellt hat Paul Polman, CEO Unilever. Sein „Unilever Sustainable Living Plan“ stellt sich dieser Verantwortung und die Konzernresultate überzeugen.

Global World

„Wir sind da, um die Welt zu verbessern (improving the state of the world)“, sagen die Verantwortlichen des WEF. Das Ziel kommt einer Herkulesaufgabe gleich. Wenn die vielbeachteten Auftritte und abgeschotteten Zwiegespräche hoher Machtträger allein durch ihr Zustandekommen dazu einen konkreten Beitrag leisten können, ist das ein wohlverdienter Applaus wert. Ein solches Networking-Tool könnte da und dort zu spürbarer politischer Entspannung oder wirtschaftlich nachhaltigem Gesamtnutzen beitragen.

Wenn die gleichen Leader dieser Welt sich aber im nächsten Jahr wieder treffen - einige allerding nicht mehr dabei, weil inzwischen in Ungnade geraten oder abgewählt – ohne dass signifikante WEF-Auswirkungen sichtbar geworden wären, hat der grösste Privatclub der Welt einen eher kleinen vorzeigbaren Leistungsausweis. Hohe Eintritts- oder Mitgliedspreise kann sich allenfalls ein schicker Golfclub leisten.

African Event!
Allesamt die da kommen haben afrikanische Vorfahren. Treffen sich laut Plattentektonik auf ehemals afrikanischem Boden. Als der Mensch in der Altsteinzeit (vor 3Millionen Jahren) in Afrika erwachte, begann Fragen zu stellen und später, vor ca. 50`000 Jahren die ganze Welt begehbar machte, trennten sich seine Wege. Heute müsste man dringend versuchen durch erkennbare Gemeinsamkeiten einen Konsens zu finden. Führungskräfte sollten bereit sein sich selbst zum Verlierer zu machen um etwas grösserem, den eigenen Völkern Gewinne zu verschaffen. Kompromisse erreicht man nur durch die Bereitschaft Federn zu lassen, auf einen Teil eigener Forderungen zu verzichten und dasselbe gilt auch für den Gesprächspartner. Nur die Bereitschaft zu verlieren macht schlussendlich alle zu Gewinnern. Zu Siegern. Davos ist und bleibt eine Chance Kompromisse zu erzielen. "Liberté, égalité, fraternité" bleibt nach wie vor das grosse Ziel…cathari

Herr Zollinger trifft genau den wunden Punkt des WEF, der mich seit Jahren beschäftigt: der bescheidene Leistungsausweis!
Jedes Jahr werden in Davos hehre Ziele formuliert für die Verbesserung der Welt. Nach dem WEF hört man kaum mehr etwas davon. Sinnvoll wäre m.E. jeweils zu Beginn des WEF Rückschau zu halten auf die formulierten Ziele des Vorjahrs um festzustellen, ob - und wenn ja, in welchem Umfang - die Ziele erreicht worden sind. So könnte das WEF an Glaubwürdigkeit gewinnen und drohte nicht zum 'Schaumschläger-Club' zu verkommen.

Hoffentlich wird in Davos auch über den Terror des Krieges gesprochen, der tausend mehr Opfer fordert als alle Terroranschläge in Europa und den USA zusammen. Dieser Staatsterror, und auch der Terror von Extremisten, werden durch Kriegsmaterialexporte geschürt. In Davos sind Vertreter von Ländern anwesend die die Welt mit ihren Waffen überschwemmen: Die USA, Russland, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Italien, China, die Ukraine, Schweden - und auch das gastgebende Land, die Schweiz.

Laut dem Stockholm Peace Research Institute wurde 2012 1‘753 Milliarden US Dollar für die Rüstung vergeudet. Das sind 292-mal weniger als das Budget des Welternährungsprogramms der UNO von 6 Milliarden US Dollar beträgt. - Für 2010 wurde für das Welternährungsprogramm mit Ausgaben in Höhe von fast 6 Milliarden US-Dollar gerechnet, die tatsächlichen Spenden beliefen sich aber nur auf etwa 3,82 Milliarden US-Dollar.

Laut den Zahlen des Staatsekretariates für Wirtschaft exportiert der Gastgeber in Davos, die Schweiz, auch viel Kriegsmaterial. Schweizer Firmen verkauften 2013 Waffen, Munition und weiteres Gerät im Wert von 461,2 Millionen Franken in ins Ausland. Zusätzlich wurden besondere militärische Güter im Wert von 405,3 Millionen Franken ausgeführt. Somit wurden 2013 zusammen mit den besonderen militärischen Gütern für 866,5 Millionen Franken Rüstungsgüter von diesem „neutralen“ Land ins Ausland verkauft. Zur Hauptsache wurden diese Rüstungsgüter an Nato Staaten geliefert, die in Afghanistan und anderswo Kriege führten. Viele Waffen wurden von der Schweiz auch in das Pulverfass des Nahen Ostens verkauft, an Diktaturen die lange, und auch jetzt noch, radikale islamistische Gruppierungen unterstützen, um in Syrien das Assad Regime zu stürzen.

SRF Archiv

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