Tröstlich

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Tröstlich

Von Heiner Hug, 12.02.2017

Geld regiert die Welt und die Politik. Sagt man. Für einmal war das nicht der Fall.

Wie reagiert man, wenn man eine Abstimmung verloren hat? Normalerweise sagt man, der Gegner habe eben über immense Finanzmittel für den Abstimmungskampf verfügt. Deshalb sei er im Vorteil gewesen.

Dieses Argument werden die Befürworter der Unternehmenssteuerreform sicher nicht bringen. Denn das Gegenteil ist der Fall. Es war ein Kampf mit ungleich langen Spiessen. Fast 90 Prozent der Gelder, die in dieser Abstimmungskampagne eingesetzt wurden, kamen von den Befürwortern, der Wirtschaft und den bürgerlichen Parteien. Das waren viele Millionen. Die Gegner, die Linke, ist immer knapp bei Kasse.

Plakatwände wurden mit Ja-Botschaften vollgepflastert. Die Zeitungen quollen über mit Ja-Inseraten. Fast jeder fünftklassige Lokalpolitiker lächelte in irgendeinem Inserat für die Vorlage. Abstimmungszeitungen, die vor einem Nein warnten, flatterten in die Briefkästen.

Alles für die Katz.

Bürgerliche Leitblätter bombardierten die Leser täglich mit immer neuen Argumenten für die Reform. Bei einzelnen Journalisten hätte man fast den Eindruck gewinnen können, sie seien nicht mehr unabhängige Zeitungsschreiber, sondern bezahlte Lobbyisten – was natürlich nicht stimmt. Die Gegner wurden fast totgeschwiegen.

Fast alle waren dafür: Der Nationalrat, der Ständerat, der Bundesrat, die kantonalen Finanzdirektoren, der Gemeindeverband, die Freisinnigen, die CVP, die SVP, die BDP, die Grünliberalen, der Gewerbeverband, economiesuisse, die Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete, der Bauernverband.

Nur das Volk war dagegen.

Schon in den letzten Tagen, als sich eine Niederlage abzuzeichnen begann, suchte man einen Sündenbock. Dafür bot sich eine Ex-Bundesrätin an: Eveline Widmer-Schlumpf. „Wer weiss, vielleicht hat sie der Vorlage die entscheidenden Stimmen genommen“, schrieb die NZZ letzte Woche.

Ihr, der Ex-Bundesrätin, war da und dort das Recht abgesprochen worden, ihre Meinung zu sagen. Sie, die vielleicht mehr von der Sache versteht als der jetzige Finanzminister und manche Kommentatoren, wurde mit rüdesten Worten abgekanzelt.

Wenn des stimmt, dass Eveline Widmer-Schlumpf die Vorlage zu Fall gebracht hat, dann würde das zweierlei bedeuten:

Erstens: Die Ex-Bundesrätin hat immer noch mehr Gewicht und Einfluss als alle jetzigen Bundesräte zusammen. Ihr Fachwissen wird offenbar noch immer geschätzt. Ihr Wort und ihr Urteil werden ernst genommen.

Zweitens: Den Befürwortern der Vorlage ist es trotz riesigem Aufwand nicht gelungen, gegen die Argumente der Ex-Bundesrätin anzukommen.

Vor allem verpassten es die Bürgerlichen und die Wirtschaft, der Bevölkerung plausibel zu erklären, um was es bei dieser komplizierten Vorlage wirklich geht. Da versprach man „mehr Jobs“, „Chancen für KMU“, „sichere Steuern“, „mehr Innovation“. Das ist das übliche Schlaraffenland-Phrasen-Potpurri. Die Mehrheit der Stimmenden liessen sich davon nicht überzeugen. Wenn es nicht gelingt, dem Volk eine Vorlage verständlich zu erklären, weshalb soll denn dieses Volk die Vorlage annehmen?

Es genügt eben nicht, das Land mit Plakaten vollzukleben. Selbst die traditionell unappetitlichen Querschüsse des Direktors des Gewerbeverbandes halfen nichts. Sein stets rabiates Vorgehen könnte kontraproduktiv gewesen sein. Vielleicht kommen die Bürgerlichen irgendwann zur Erkenntnis: Wenn man Hans-Ulrich Bigler im Boot hat, geht etwas schief.

Haben die Befürworter mit ihrer flächendeckenden Kampagne den Bogen überspannt? Haben sie es sich mit der Phrasendrescherei zu einfach gemacht? Haben die Bürger Angst gekriegt, wenn die Hochfinanz derart absolut und geeint und offensiv für das Anliegen eintrat?

Die Schweiz ist ein vorwiegend bürgerliches Land. Dass eine Vorlage, zu der nur die Linke Nein sagte, mit fast 60 Prozent abgeschmettert wird, ist erstaunlich – und dies trotz riesiger finanzstarker Kampagne der Befürworter.

Sicher ist eins: Das Ergebnis ist derart klar, dass die USR III auch ohne die Intervention von Eveline Widmer-Schlumpf abgelehnt worden wäre.

Natürlich werden die Unterlegenen jetzt in den Elefantenrunden sagen, die Gegner hätten mit der Angst der Bürger vor Steuererhöhungen gespielt. Doch Ängste haben beide Lager angesprochen: Die Befürworter haben mit der Angst gespielt, dass die Schweiz bald nicht mehr konkurrenzfähig sei und dass es dann zu Entlassungen komme.

Es geht hier nicht darum, das Abstimmungsergebnis zu werten. Vielleicht ist es gut, dass die Unternehmenssteuerreform abgelehnt wurde, vielleicht ist es nicht gut.

Es geht hier darum festzustellen, dass trotz der Mobilisierung von Dreivierteln der Politklasse und trotz riesigem finanziellem Einsatz, das Volk nicht mmitgespielt hat.

Mit Geld kann man offenbar doch nicht immer alles erreichen, auch in der Politik nicht. Und das ist tröstlich.

Es gilt den Widerspruch zwischen den Heilsversprechen des Steuerdumpings und der Lebenswirklichkeit des Durchschnittsbürgers wahrzunehmen: Die Verwöhnung international tätiger Firmen hat bei uns Tradition und die OECD wie die EU auf den Plan gerufen. Gleichwohl vergeht kaum ein Tag, ohne dass ein Sparvorschlag verkündet, bzw. ein Sparbeschluss umgesetzt wird. Kultur, Bildung und Soziales bleiben auf der Strecke. Das geht nicht auf!
Der Schluss liegt nahe, die Maxime, Steuerdumping bringe Wohlfahrt, sei falsch, oder der Gewinn werde von wenigen abgeschöpft. Das Abstimmungsresultat zeugt von einem massiven Vertrauensverlust. Die Kantone hätten vom Bund Millionen erhalten, Steuerausfälle abzufedern. Mit Blankovollmacht notabene. Wie sollte man Vertrauen in sie haben, wenn man weiss, dass sich einige nur schon um ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber Heimbewohnern drücken?

Das war ein Pyrrhussieg der Umverteiler. Mal schauen wieviele der 24 000 in der Schweiz domizilierten Auslandsfirmen sich hier immer noch wohl fühlen werden. Jedenfalls freuen sich Singapur, Luxemburg, Delaware, die Kanalinseln, Tschechien und andere Standortwettbewerber auf Emigranten aus der Schweiz.

Herr Scholl, das wird nicht so schlimm sein, es gibt noch genügend Vorteile in der Schweiz für ausländische Firmen.

Die neoliberale Agenda der Turbo-Bürgerlichen ist gescheitert. Der globale Wettbewerb und der enthemmte Kapitalismus sind zur Bedrohung für die soziale Sicherheit geworden. Das Volk wacht auf. Die "Weiter-so-Politik" verliert ihre Basis. Die Politik braucht einen neuen Kompass. Das Zauberwort heisst Fairness.

Für einmal hat sich der Souverän von der millionenschweren Angstkampagne des neoliberalen Wirtschaftsfilzes nicht düpieren lassen. Die immer gleichen Worthülsen wie Auszug von Firmen, Arbeitsplatzverlust, Standortwettbewerb haben nicht verfangen. Das ist gut so - auch für eine Demokratie, die nicht einfach durch Schwerreiche gekauft werden kann. Der Souverän hat dem Umverteilungsmechanismus Richtung Selbstbedienungsladen für internationale Konzerne und Grossaktionäre Einhalt geboten. Und der Souverän hat den kantonalen Finanzdirektoren und den Wirtschaftsverbänden keinen Glauben geschenkt, wonach der Mittelstand für die milliardenschweren Steuerausfälle nicht aufkommen müsse. Zurecht! BR Merz hat uns seinerzeit vor der Abstimmung über die USR II angelogen. Wieso sollte BR Maurer die Wahrheit sagen, wenn Widmer-Schlumpf mit einer anderen Wahrheit auftrumpft? Kommt hinzu, dass die Glaubwürdigkeit der grossen Unternehmen in den letzten Jahren massiv gelitten hat. Sie waren nur darauf bedacht, ihre Kaste, die Manager, fürstlich zu honorieren, ohne Rücksicht auf deren Leistungsausweis. Die Finanzindustrie mit den beiden Grossbanken ist das beste Beispiel hierfür. Und viele Unternehmen haben nicht gezögert, ältere Arbeitnehmer auf die Strasse zu stellen. Die Wirtschaft hat sich viel zu wenig um die Anliegen und Ängste der Lohnempfänger gekümmert. Wieso sollen sie sich ständig in den Dienst der Konzerne stellen? Die Rechtsbürgerlichen haben das Fuder bei der USR III gehörig überladen. Sie sind, aufgrund der letzten Nationalratswahlen, zu unbescheiden geworden. Der Souverän hat ihnen zur rechten Zeit einen Denkzettel verpasst.

Um es mit den Worten von Bundesrat Adolf Ogi, SVP, zu sagen: Freude herrscht!

Nach der grossgekotzten und geklotzten °Total-Werbung° für das JA, stets mit Slogans nicht mit Facts, ist es tatsächlich eine Wohltat, oder eben tröstlich, mit anzusehen, wie - durch die jahrelange Dusche der SVP, dass der Bundesrat und das Parlament °Stümper° sind - die Bürger auf flächendeckende Slogans, woher sie auch kommen mögen: hellhörig geworden sind.

danke für Ihren guten kommentar, herr hug! wissen Sie was, ich bin überzeugt, dass die trump-katastrophe die menschen in der schweiz zum nachdenken bewogen hat: arrogante und korrupte hochfinanz, ausländerfeindlichkeit, das wollen wir hier so nicht. eine wunderbar vernünftige und klarsichtige stimmbevölkerung! von den strassen reden wir nun mal nicht heute .... etwas muss man den leuten lassen.

Tröstlich auch: es gibt sie noch, die unabhängigen Journalistinnen und Journalisten bei Euch!!

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