Versprechen, Fiktion oder Utopie?

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Versprechen, Fiktion oder Utopie?

Von Christoph Zollinger, 23.05.2018

Soll der Staat das schweizerische Geldsystem über die Nationalbank (SNB) stärker regulieren, oder fahren wir mit dem gegenwärtigen System nicht doch besser?

Die Initianten der Vollgeldinitiative, über die am 10. Juni 2018 abgestimmt wird, wollen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) das alleinige Privileg zur Geldschöpfung (Vollgeld genannt) übertragen. Doch diese bedankt sich höflich: Sie wehrt sich gegen die Politisierung des Geldsystems. Sie hält zudem nichts vom Geldverschenken an Staat, Bürgerinnen und Bürger. Thomas Jordan, Präsident der SNB lässt keinen Zweifel offen: Die Annahme dieser Initiative würde der Schweiz schaden.

Warum überhaupt diese Initiative?

Wenn ein Argument der Befürworter der Initiative davon ausgeht, das heutige Geldsystem wäre für die meisten Leute nicht verständlich, so dürfte da mindestens ein Kern Wahrheit drin stecken. Wieder einmal haben wir mit Ja oder Nein über etwas abzustimmen, das weite Kreise nicht durchschauen. Gar nicht durchschauen können. Wenn allerdings die seitenlangen Argumentationen und abendfüllenden Informations-Veranstaltungen der Befürworter postwendend mit gleicher Münze wederlegt werden, müssen leise Zweifel aufkommen.

Ist Vollgeld nun klar und transparent, wie Reinhold Harringer, Ökonom und Mediensprecher der Initiative versichert? Oder ist jenen Ökonomen, Professoren und den Wirtschaftswissenschaftlern im Nationalbank-Führungsgremium zu vertrauen, die gleichzeitig vor fiskalpolitischen Illusionen und uneinlösbaren Versprechen warnen? Kann ein unerprobtes, theoretisches Systemgebilde – von den Initiativ-Gegnern als Fiktion bezeichnet – den gegenwärtigen, praxiserprobten Usanzen – vom Befürworter der Initiative Hansruedi Weber als „nicht haltbares System“ deklariert – so viel überlegen sein? Und warum haben Bundesrat, Nationalrat und Ständerat die Initiative schon frühzeitig abgelehnt?

Das sagenumwobene Vollgeld-System

Zukünftig soll also ausschliesslich die Nationalbank Geld (eben Vollgeld) produzieren dürfen. Geschäftsbanken sollen nur noch Kredite vergeben, Geldschöpfung wie bisher durch die Vergabe von Krediten wäre ihnen untersagt. Die Gefahr eines Banken-Runs wäre behoben (Bankenschalter-Panik, wie in der Vergangenheit auch über Generationen immer wieder gehabt), Kreditexzesse (wie bei der US-Hypothekenkrise) würden verhindert und Staatsgarantien (wie bei der UBS) überflüssig.

Namhafte Experten warnen dagegen, genau diese erwähnten Schreckszenarien hätte Vollgeld gar nicht verhindern können. Doch was ihnen zusätzlich an der Idee gar nicht gefällt, ist die Tatsache, dass bis heute kein Land dieser Welt ein solches Vollgeld-System kennt. Die Folgen wären nicht vorhersehbar – wir kennen alle die Erfahrungen mit den unbeabsichtigten Nebenwirkungen eines Medikamentes. Sie bezeichnen deshalb diese Initiative als „interessantes Gedankenexperiment“. So meint Ernst Baltensperger, Professor em. für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bern in der NZZ, dass die Initianten ihre vielversprechenden Thesen durch ein suggestives, mitunter hochwissenschaftlich klingendes Vokabular unterfütterten. Das gelte besonders für die fiskalischen Sirenengesänge, mit denen sie Bund, Kantonen und Privaten eine schuldenfreie Verteilung von Geld in Aussicht stellten.

Universitätsprofessoren sagen ja … und nein

Natürlich kann man das gegenwärtige Finanzsystem kritisieren – so gut, wie man etwa unser Finanzausgleich-, Sozialfürsorge- oder Arbeitslosensystem kritisieren kann. Auch das schweizerische System der direkten Demokratie kann kritisiert werden – trotzdem finden wir dieses besser als andere, und es käme uns nicht in den Sinn, nur wegen einiger Mängel gleich das Ganze umkrempeln zu wollen. Ruedi Noser, Zürcher Ständerat (FDP), vertrat diese Richtung an einer kontroversen Tagung am Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) im Februar 2018 in Rüschlikon. Ob es „sichere“ Lösungen gäbe, darüber stritten sich an dieser Tagung auch Professoren, vorgeschoben von beiden Lagern, um der Auseinandersetzung den gewünschten wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Wenn dann nach eingehender Diskussion die Professoren aus den Reihen der Initianten ihren Berufskollegen aus dem Gegenlager vorwarfen, von ihrem Anliegen zu wenig zu verstehen, so mögen sich wohl andere Teilnehmende gefragt haben, wieviel mehr dann das Stimmvolk draussen im Lande davon kapiert habe …

Wo liegt das Problem?

Ob so viel Uneinigkeit unter Professoren mag sich die oder der eine oder andere Leser oder Leserin jetzt fragen, worum es bei dieser Auseinandersetzung eigentlich geht. Tatsächlich lässt sich nicht leugnen, dass unser Bankensystem schon seit Jahrzehnten kritikanfällig ist. Etwa seit der Grossen Depression in den 1930er Jahren wollten Ökonomen immer wieder eine andere Art Geldverleihungssystem. Denn zu hohe Verschuldung führe zu Immobilien- und folgerichtig zu Bankencrashs, argumentierten sie. Eine Befürchtung, die auch 2018 von Experten und Nationalbankexponenten mitgetragen wird.

Doch in Bezug auf das Abstimmungsthema sei daran erinnert, dass die Hauptursache der aktuellen „Geldüberschwemmung“ (und zu hoher Verschuldung) bei den Notenbanken liegt. Für uns in Europa also an der Europäischen Zentralbank mit Mario Draghi als deren Chef. Mit der Flutung der Märkte mit laufend neu gedrucktem Geld verhinderte diese zwar eine grosse Depression, doch seither sind Jahre ungebremster Geldspritzen mit-, wenn nicht hauptverantwortlich für die steigende Gefahr erneuter Blasenbildung. Unserer Notenbank, der SNB, sind da weitgehend die Hände gebunden. Dass die Initianten der Initiative die Macht der Banken brechen wollen, ist aus dieser Sicht verständlich, wenn auch nicht unbedingt nachvollziehbar.

Volksinitiativen noch und noch

Im Übrigen ist die Inflation an Volksinitiativen, mit der wir uns in unserer direkten Demokratie befassen müssen, eindrücklich – ob sich da nicht gelegentlich erste Abnutzungserscheinungen einstellen werden? Zur Erinnerung: Seit der Einführung dieses Mittels (Volksbegehren) 1891 wurde das in diesen 127 Jahren seither 457 Mal versucht – ganze 22 Mal erfolgreich, die Erfolgsquote liegt somit bei 4.8 Prozent. Betrachtet man den ganzen Riesenaufwand und die entsprechenden Kosten für die Steuerzahlenden – vielleicht sollte man doch gelegentlich über die längst fällige Erhöhung der notwendigen 100’000 Unterschriften ernsthaft diskutieren?

Alle politischen Parteien lehnen die Initiative ab, einzig die JUSO befürworten sie.

Unerprobt? Vor einiger Zeit begannen private Banken neben den Nationalbank-Münzen Noten zu drucken. Man hat es per Volksentscheid unterdrückt und die Geld-Schöpfung wieder an die Nationalbank übergeben.

Natürlich haben Sie absolut Recht mit dem EUR (und USD) Korsett in dem wir uns befinden. Ob das aber etwas mit der Initiative zu tun hat, bezweifle ich.

Tatsache: 90% der Franken werden heute durch private Geldhäuser, notabene in Internationalen Aktien-Händen, geschöpft. Zum Einen wusste dies bis vor kurzem fast niemand, dann aber ist es für mein Staatsverständnis schlicht viel zu viel. Ich sage entschieden JA am 10.6. Dazu müssen sich die Professoren gar nicht einig sein. Von Parteien und Finanzelite ganz zu schweigen. Der Bürger ist unser Souverän und die Initiativen tragen erheblich dazu bei, dass wir uns Gefanken machen und Souverän bleiben. Die Wahrheit hat niemand gefressen aber jede Entdeckung darf sich im Experiment erproben. Angst braucht man da nicht zu haben.

Sehr geehrter Herr Zollinger
nur schon der Umstand, dass endlich über Geld, Kapitalismus und ewiges Wachstum gesprochen wird, ist dieser Vollgeldinitative zu verdanken. Die Erfolgsquote von Initativen ist absolut unerheblich an dieser Stelle.
Die Tatsache, dass ich mit meinen Steuern eine Bank retten muss, die Risiken eingegangen ist ohne dafür Verantwortung zu übernehmen ist unerträglich! Ich kann nämlich nur einmal Steuern zahlen. Die "Rettung" der UBS ist für uns nur glimpflich ausgegangen, weil die Amerikaner sich entschieden haben AIG zu retten. Gut gezockt, würde ich sagen, aber sehr risikoreich.
Geld ist ein öffentliches Gut, wir alle arbeiten für Geld. Die Vollgeldinitative will lediglich dieses Interbankenhandel umgehen und unsere Geld sicherer machen.

Vollgeld-Initiative JA: SNB soll Geldschöpfung auf reales Wachstum beschränken.

An der Vollgeld-Initiative wird kritisiert, dass nicht klar sei, wie die Schweizerische Nationalbank (SNB) sinnvoll entscheiden könne, um wie viel die Geldmenge in einer bestimmten Periode zunehmen soll. In der Geldmengentheorie war lange klar, dass inflationsfreies Wachstum langfristig nur mit einer Geldmengenerweiterung gemäss dem realen Wachstum einer Volkswirtschaft möglich ist. Die Geldversorgung der Schweiz liegt seit Jahren über diesem Zielwert (ca. 2%). Die Inflation ist erst auf dem Immobilien- und Aktienmarkt spürbar. Wann wird sie auf die Gütermärkte und die Konsumenten durchschlagen?
Mit einer Vollgeldreform erlangt die Schweizerische Nationalbank wieder die Kontrolle über die gesamte Geldmenge und kann damit Blasenbildungen, Inflation und überbordendes Wachstum direkt verhindern.

Drei Bemerkungen zum Beitrag von Christoph Zollinger:

1. So unerprobt und theoretisch ist das Vollgeld nicht. Denn in den Gründerjahren der Nationalbank wurde genau das gemacht, dass das Herausgeben von Banknoten den Geschäftsbanken untersagt wurde. Das Schöpfen von (Girlal)-Geld durch die Banken in grossem Umfang wie heute erfolgte erst viel später.

2. Dass die meisten Nationalbanken glauben, dass sie die Märkte mit riesigen Summen fluten müssten, widerlegt die Vollgeldinitiative keineswegs. Wenn die Banken nicht die Möglichkeit gehabt hätten, Giralgeld für ihre Spekultationsgeschäfte zu schöpfen, wäre es kaum zur Finanzblase von 2008 und deren Folgen gekommen, welche die Nationalbanken zur heutigen Geldpolitik trieben. Ob das wirklich die beste Lösung war, ist ein anderes Kapitel.

3. Die Erfolgsquote von Volksinitiativen mit 4.7 % zu beziffern, stellt nur einen Teil der Realität dar. Viele der 95.3 % abgelehnten Initiativen erreichten zwar nicht das ganze Ziel, doch bewirkten viele von ihnen (Stichwort indirekter Gegenvorschlag) durchaus markante Änderungen.
Christoph Rüegg

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