Was die Zukunft bringt
Wir leben in einem Meer schlechter Nachrichten. Nicht nur, dass Gewalt zunehmend an die Stelle vorausschauender Politik tritt. Vielmehr ist auch das Wirtschaftssystem aus den Fugen geraten. Schulden wachsen, Volkswirtschaften trudeln, die Massenarbeitslosigkeit frisst die Zukunft der Jugend.
Die neue Solidarität
In Zeiten wie diesen nicht nur einen Silberstreif am Horizont zu sehen, sondern eine geradezu glänzende Zukunft zu prophezeien, erfordert entweder ein extremes Mass an Ignoranz oder umgekehrt einen geradezu genialen Blick. Der Amerikaner Jeremy Rifkin ist vielleicht nicht genial, aber er hat die Gabe, Trends zu erfassen, die anderen entgehen.
Seine neueste These: Wir steuern auf das Ende des Kapitalismus zu, und das ist gut so. Denn nach diesem Ende erwarten uns nicht Chaos und Not, sondern eine solidarische Gesellschaft, in der es keinen Mangel mehr gibt. Wie es dazu kommt? Ganz einfach: Da die Maschinen immer mehr Arbeit verrichten, verursachen Produkte immer weniger Kosten. Damit entfallen aber auch die Gewinne, also das Motiv des unternehmerischen Egoismus. Güter sind nun frei zugänglich, zumal da sie dank der 3-D-Drucker und anderer Technologien von jedem immer einfacher zu produzieren sind.
Lebhafte Debatten
Das ist das Eine. Der zweite Faktor besteht für Rifkin darin, dass dank der modernen Informationstechnik vieles, was man früher teuer erwerben musste, um es zu nutzen, heute sehr billig und einfach geliehen werden kann. Das Internet ist auch zu einer riesigen Tausch- und Verleihagentur geworden. Insgesamt käme die Gesellschaft also mit deutlich weniger Produkten aus. Statt Besitzdenken macht sich nun der Geist des Teilens breit.
Diese neue These Rifkins hat, zuerst in den USA und neuerdings auch in Deutschland, zu lebhaften Debatten angeregt. Der Gedanke, dass wir auf kein Ende mit Schrecken, wohl aber auf ein Ende mit neuer Morgenröte zugehen, ist ebenso faszinierend wie irritierend. Rifkin spricht selbst davon, dass diese Voraussage gegen tief verwurzelte Überzeugungen steht.
Falsche Vorhersagen
Das Problem, das bei Prognosen dieser Art regelmässig übersehen wird, liegt dabei gar nicht in der Prophezeiung Rifkins, sondern in der Frage, ob überhaupt noch irgendwelche Vorhersagen möglich sind. Es geht also gar nicht darum, ob eine Voraussage utopisch anmutet oder nur bestehende Tendenzen in die Zukunft verlängert, also eher konservativ ist. Die Frage nach der Zuverlässigkeit von Prognosen ist keine theoretische Spielerei. Denn Massnahmen von grösster Bedeutung hängen an Vorhersagen. Das prominenteste Beispiel dafür ist die Geldpolitik der internationalen Notenbanken.
Da muss man leider feststellen, dass sich zumindest in den vergangenen Jahren keine einzige Annahme bewahrheitet hat. Und das, obwohl die Wirtschaftswissenschaften in voller Blüte stehen sollten, nimmt man einmal die Nobelpreise als Massstab, von denen gerade jetzt wieder einer "für herausragende Leistungen" verliehen worden ist. Und auch für die Politik gilt: Erwartungen und tatsächliche Verläufe oder Resultate haben, wenn überhaupt, nur höchst selten etwas miteinander zu tun.
Bauch statt Kopf
Die Tatsache, dass Prognosen selten oder nie zutreffen, hat desaströse Folgen. Wenn es keine glaubhaften Prognosen mehr gibt, lassen sich auch keine Ziele mehr angeben, die es anzusteuern gilt. Politiker übernehmen dann keine Führung, sondern moderieren nur noch. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist darin sehr konsequent. Den Massstab ihres Handelns bestimmen Meinungsumfragen, für die sie die teuersten Institute in Anspruch nimmt.
Die Folgen dieses politischen Mangels zeigen sich am Erstarken rechter und populistischer Parteien. Denn wenn es keine glaubwürdig vermittelbaren politischen Ziele mehr gibt, die rational nachvollziehbar sind, treten Emotionen in den Vordergrund, für die alles, was nicht direkt erlebbar ist und Vorteile bringt, sowieso Spinnerei ist.
Access
Gruppendenken, Abgrenzung, Abschliessung sind die Folgen. Vor diesem Hintergrund mutet es geradezu aberwitzig an, dass Jeremy Rifkin eine Kultur der Empathie und des Teilens anbrechen sieht. Trotzdem ist dieser Mann ein anerkannter politischer Berater und kann sich nicht über mangelnde Wertschätzung beklagen. Wie geht das zusammen?
Für seine neueste Prognose kombiniert Rifkin zwei Gedanken, mit denen er früher schon höchst erfolgreich an die Öffentlichkeit getreten ist. Im Jahr 2000 kam sein Buch, „Access. Das Verschwinden des Eigentums“, heraus. Darin beschrieb er sehr anschaulich einen schon seit Jahrzehnten ablaufenden Prozess. Der besteht darin, dass der unmittelbare Besitz an Produktionsmitteln weniger wichtig ist als der Zugang zu ihnen. So haben die grossen Filmproduzenten in Hollywood konsequent ihre eigenen Studios aufgegeben und ihre eigenen Kameraleute und Techniker entlassen, um Studios und Personal jeweils zu mieten, wenn ein neues Filmprojekt ansteht. Und auch der Normalverbraucher mietet im Zweifelsfall, anstatt immer gleich zu kaufen.
Neue Empfindsamkeit
Genau zehn Jahre später sah Rifkin „Die empathische Zivilisation“ anbrechen. Damit meinte er, dass die Menschheit insgesamt sensibler geworden sei. Die Menschen fühlten sich in ihre Mitmenschen tiefer ein als früher und hätten auch mehr Sinn für die Empfindungen der Tiere. Geschickt nutzte Rifkin für seine Diagnose neueste Ergebnisse der Neurobiologie. Zudem legte er ausführlich dar, dass in den zahllosen Filmen, Büchern und Illustrierten kein Thema so wichtig sei wie die Frage, was Menschen empfinden, wie sie denken und handeln.
Die Prognosen von Rifkin enthalten also einen hohen Anteil an scharfsichtiger Gegenwartsanalyse oder Zeitdiagnostik. Dabei kann man ihm vorhalten, dass er die Tendenzen, die seine These stützen, in grelles Licht taucht, während er das, was nicht dazu passt, in wohltätiges Dunkel hüllt. Aber dieser Einwand liesse sich auch gegenüber anderen profilierten Autoren erheben.
Positive Ressourcen
Gewichtiger sind zwei Probleme. Das eine besteht in einem Grundsatz der Trendforschung: Jeder Trend erzeugt seinen Gegentrend. So kann dem Trend zum Teilen ein Trend zum Besitzen entgegentreten. Das ist ökonomisch zudem einsichtig. Denn was geschieht mit dem Geld, das beim Leihen und Tauschen eingespart wird? Wird man es nicht für exklusive Güter oder Freizeitaktivitäten ausgeben, die zudem den Vorteil haben, das eigene Prestige zu heben?
Und so sehr sich das Internet, die damit verbundenen Technologien und Aktivitäten auch ausbreiten, so wenig lassen sie sich auf das ganze Leben übertragen. Zwar ist es richtig, dass unzählige Menschen unentgeltlich für Open-Source-Projekte arbeiten, Musik, Fotos und Texte teilen und sich in Social Networks engagieren. Aber es bleiben doch eine Menge Arbeiten übrig, die so aufreibend, gefährlich oder unangenehm sind, dass man ohne Bezahlung für sie niemanden findet.
Sind Prognostiker wie Jeremy Rifkin am Ende bloss geschickte Unterhaltungskünstler, ihre Inhalte aber wertlos? Das wäre ein Fehlschluss. Denn es ist sehr wertvoll, Gegenwartsanalytiker zu haben, die nicht nur auf künftige Gefahren und nahende Katastrophen verweisen, sondern auch auf positive Ressourcen aufmerksam machen.
Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft - Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus, Campus, Frankfurt / New York 2014
GDI Impuls, maximal - minimal, Nummer 3 . 2014
Die Zukunft zu denken macht mir Spass. Schade, sind die jetzigen Kommentare derart destruktiv. Denke aber, dass konstruktive Geister auch selten ihre Energien verpuffen und deshalb nicht gehört werden.
Denkt man die Zukunft in einer Spirale, immerwiederkehrende Elemente aber trotzdem unanthaltsamer Fortschritt, so ist man meiner Denkweise am Nahesten. Dieses Sinnbild gefällt mir.
Die Voraussagen von Rifkin decken sich gut mit meinen Auffassungen und er scheint mir, obwohl alles anders kommen könnte, hier gute Ansätze für die langfristige Prognose zu liefern.
Schon heute, deckt sich das gute Leben nicht mehr einfach in Materialismus und Haben. Eher ist ein Villenbesitzer und Weiteres nicht mehr zu beneiden, ob all des verpflichtenden Eigentums. Auch Reichtum materieller Art ist in sich nur eine Last, die ständig verteidigt werden muss, wofür man Schlachten gewinnen muss. Wieviel bequemer leben doch die Teilzeitbesitzenden, die Mobility-user, die ÖV-Fahrenden, die Hotelnister und die Mietenden im Gegensatz zu den Eigentümern und somit vollständig Verantwortlichen. Aus der Logik, weniger Kosten, mehr Glück und insgesamt grösserer Reichtum, der Teilhabenden, Leiher im Gegensatz zu den Eigentümern, die ungebrauchte Ferienwohnungen, Yachten etc. trotzdem berappen müssen, gehe ich davon aus, dass Eigentum im selbstnützlichen Sinne sich selbst auflöst. Bis ich in meiner Lebenszeit eine Ferienwohnung ohne Frühstück und Nachtessen amortisiere, in dieser Zeit mache ich schönste Ferien inklusive Frühstück und Nachtessen und Wein auf der ganzen Welt. Haben zu müssen, ist dann doch eher dumm, bezahlt man ja auch das brachliegende Eigentum über die Fixkosten massiv mit. Insofern gehe ich davon aus, dass diese Dummheit irgendwann erkannt wird.
Bezüglich Machteigentum, z.B. Firmen etc. ist aktuell der Trend weiterhin Richtung Feudalismus, wegen der nicht vorhandenen Erbschaftssteuer vorgegeben. Aber die dummen Erben werden nicht lange ihren Reichtum behalten können, da dumme Menschen wenig Talent besitzen ihren Reichtum wirtschaftlich einzubringen. Schlaue Völker werden in Zukunft die Erbschaften hoch besteuern, gerade weil Eigentum sich entwertet und es fahrlässig ist unqualifizierten Erben soviel Macht zu überlassen.
Bezüglich Arbeit ist die Produktivität von Primären bis Tertiären Bereich der Produktiv, dass nur noch die Babyboomer-Generation sich was vormacht und künstlich in ein Burnout bringt. Ich kann infolge sinnvollen Gebrauchs der Automatik, Algorythmen und Computers schon jetzt in 4 Stunden die doppelte Produktivität eines Babyboomers generieren. Es ist unausweichlich, dass wir also viel mehr in Zukunft produzieren werden, wie wir benötigen. Wenn wir Massenarbeitslosigkeit und damit den Wert des Menschen infolge Nichtgebrauchtwerden verhindern möchten, dann müssen wir zwangsläufig die Arbeitszeiten drastisch zugunsten der freien Zeit verkürzen. Es wird interessant sein, zu sehen, wie der Mensch ob all der zukünftigen freien Zeit umgehen wird. Die Langeweile könnte sich zu einem weltweiten Problem entfachen.
Jedenfalls sehe ich in der Relativierung der Werte ein neues System kommen. Da mögen hier die Kapitalisten noch so zettern, wenn Eigentum kaum noch wert hat, dann ist das System auch überflüssig. Der Kommunismus ist sowieso überholt. Es wird also weder noch sein.
Das war mal ein kurzer Anfang zur Zukunft, sowohl die Chancen als auch Risiken gilt es zu analysieren. Natürlich wenn sich Ebola oder der Klimawandel durchsetzt, liege ich völlig falsch. Aber wir Menschen könnten beides beherrschen. Beispiel Ebola: Es war ja sehr dümmlich und am Schluss dem kapitalistischen System geschuldet, dass wir nun ohne Serum dastehen und nun einen Wettlauf der Zeit eingehen müssen. Wären wir hier (man wusste es gibt Ebola und die Welt ist ein Dorf) nicht nach kapitalistischen Interessen vorgegangen gäbe es schon längst ein Serum. So ähnlich ist es auch beim langfristigen Klimawandel. Wir wissen schon längst Bescheid über die Gefahren, können aber im kapitalistischen System nicht darauf eingehen.
Wie auch immer die Zukunft kommt, sie wird kommen. Wir haben die Chance unseren Intellekt und Weitsicht zu nutzen. Sollte dies aber nicht gelingen, wird es wie alle vorhergehende Kommentare sagten, tatsächlich düster. Ich gehe davon aus, dass nach den Babyboomern sich langsam der Intellekt durchsetzen kann. Dank Internet hat der Mensch heutzutage nämlich die Fähigkeit global und weitsichtig zu denken. Auch werden sich die klügsten und logischsten Denkweisen durchsetzen, auch wenn das zwischenzeitliche Dumme aktuell im Aufwind ist.
Sie beklagen viele Versäumnisse, zB. bei Ebola, und schreiben: "Wären wir nicht nach kapitalistischen Interessen vorgegangen gäbe es schon längst" dies und das, zB. ein Serum.
Sie gehen also davon aus, dass es eine klügere Instanz gibt, die vorausschauender plant als das kapitalistische System.
Wer könnte das sein?
Das ist nun eben das klassische Argument der Etatisten: Der Markt versagt immer wieder, deshalb muss der Staat es richten. Hier sitzen offenbar die klügeren Leute. Was für ein Irrtum (der letztendlich auch immer in die Gewaltherrschaft führt).
Und wenn Sie meinen, dass zB. Ebola bekannt war und deshalb mit Steuergeldern ein Impfstoff entwickelt hätte werden müssen: Was hätte denn - mittels staatliche Direktive - zugunsten von Ebola zurückgestellt werden müssen in der Forschung? Denn Sie wissen: Die Mittel zur Forschung sind knapp.
Wenn Sie meinen, dass es irgendjemand - die Politiker, ein Ethikgremium, die Kirche..., - besser weiss als der Markt, wohin die Investitionen fliessen sollen, liegen Sie falsch. Sie öffnen der Korruption und Begünstigung Tür und Tor, und Sie setzen die Effizienz des Systems mutwillig herab. Denn der Markt investiert dort, wo es die meisten Abnehmer gibt, bei der Pharma also dort die meisten Krankheiten sind oder das grösste Leid gemildert werden kann. Dort wird auch am meisten Pharma "konsumiert". Also funktioniert das System auf ganz logische Art, und zwar ohne dass irgendjemand (der Staat, die Politik...?) jenen überlegenen Intellekt bemühen muss, den Sie sich so sehr erhoffen.
Gottseidank, möchte man sagen, bewahre uns vor den "überlegenen Intellekten"!
Sie schreiben so, als ob der Markt alleine über die Menge funktioniert. Stimmt aber nicht, auch der Preis ist entscheidend.
Bei Ebola hat genau die tiefe Zahlungsfähigkeit der zu erwartenden Kundschaft aus Zentralafrika dazu geführt, dass es kein lohnenswertes Geschäft ist für die Pharmaunternehmen ein Serum gegen Ebola zu entwickeln.
Stellen sie sich vor, das zweijährige Kind, welches als erster Virenträger vermutet wird, hätte ein wirksames Antibiotikum gegen Ebola bekommen und hätte überlebt. Alle 3 Jahre gibt es überhaupt Ebolaübertragungen. 1 Packung alle 3 Jahre, ein reichlich bescheidener Markt.
Ich weiss schon seit Beginn 2000, es gibt Ebola und es ist nicht zu unterschätzen insbesondere wegen der Mortalität und leichten Übertragung.
Wie ich auch weiss, der Klimawandel geht kräftig voran und wird gravierende Veränderungen der Natur bewirken. Und während ich glaube, Ebola kann wieder eingedämmt werden, wir Menschen gewinnen und keine Pest wird ausbrechen, so ist dies mit dem Klimawandel anderst.
Der Markt hat den grossen Mangel, dass er zukünftige Bedürfnisse nicht sehen kann. Ansonsten bin ich durchwegs auch für den Markt in den alltäglichen Formen.
Aber in so gewichtigen Fragen, wie Ebola oder den Klimawandel, da gibt der Markt keine Antwort. Und noch verheerender ist es, dass der Markt und das Kapital auch die Politik dominieren und somit auch die Politik keine Antwort hat.
Will sich also die Zivilisation in der Zukunft noch verbessern, muss sie noch über den Markt und Kapital hinausdenken. Da ist noch mehr, sofern wir uns entwickeln wollen.
Herr Meier, Sie wollen den Preismechanismus für die Zuteilung der Ressourcen ersetzen durch etwas, das Sie offenbar für intelligenter oder humaner halten. Weil der Markt "zukünftige Bedürfnisse nicht sehen kann". Wir sollen über den Markt "hinausdenken".
Herr Meier, wie oft muss das denn noch versucht werden? Wissen Sie nicht, was dabei herauskommt, wenn eine "Elite" über unsere Leben und unsere Ressourcen bestimmt? Aus meiner Sicht ist es zweifellos die grösste intellektuelle Leistung des zivilisierten Menschen, sich auf das anti-elitäre Experiment des freien Marktes und des Preismechanismus eingelassen zu haben - er hat alles, aber wirklich alles ermöglicht, was Sie sich heute täglich gönnen, inklusive intellektuelle Freiheit.
Diese Appelle, den Markt bei "so gewichtigen Fragen" zugunsten von elitären Vordenkern aufzugeben, sind so billig. Aber sie werden nie aufhören, das ist klar. Freiheit und ihre Konsequenzen - auch die negativen - ist schwer auszuhalten. Es ist so beruhigend, wenn jemand sagt, was zu tun ist.
Wieso „destruktiv“?
In keiner Weise - einfach ein bisschen (oder auch mehr) sich mit Wirtschaftsgeschichte befassen und weniger „Empörung“ mobilisieren. Und vor allem Max Weber lesen: „Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus“ (1905). Da steht (fast) alles drin
Nochmals: die kapitalistische/soziale Marktwirtschaft hat in den letzten 250 Jahren (Stichwort: Industrielle Revolution/Massenproduktion), bzw. 100 Jahren, und ganz „nachhaltig“ seit Ende des Zweiten Weltkrieges überall dort, wo sie sich hat entfalten können (zuerst in den sog. „westlichen Ländern“, später auch in Japan, Taiwan, Singapur, Süd-Korea, neuerdings in Chile, Brasilen, Peru, Kolumbien, etc., dann auch in Polen und anderswo in „Osteuropa“ etc.) Massenwohlstand geschaffen.
Also: das Zauberwort lautet: Massenwohlstand.
Ist es nicht schön, in einer rechtsstaatlichen Gesellschaft im Massenwohlstand zu leben?
Ist es nicht schön zu wissen, dass es weltweit immer weniger sog. „Arme“ gibt? Dank kapitalistischer/sozialer Marktwirtschaft (Euro- und andere „Krisen“ hin oder her). Wenn die funktioniert, gibt es auch „soziale Programme“ (wie seit Jahrzehnten in der Schweiz oder in D, in GB, etc. - seit ca. 15 Jahren auch in Brasilien, Luiz Inácio Lula da Silva sei Dank ....).
Das ist doch nicht „destruktiv“.? – Oder?
Nun ja habe auch Alles über einen Strang gezogen, das ist in sich nicht korrekt. Auch bin ich nicht sonderlich zufrieden mit meinem eigenen Beitrag bzw. bräuchte viel mehr Zeit, tiefere Analyse und zuletzt auch eine bessere Wortwahl. Insbesondere das Wort "Dumm" habe ich viel zu häufig gebraucht und wenn ich "Empörung" bei Dir/Ihnen mobilisierte, hab ich nicht konstruktiv gearbeitet.
Max Weber ist eine Lücke bei mir. Danke für den Lesehinweis. Aktuell kann ich da also schlecht mitreden.
Trotzdem, ich bin keinesfalls Kommunist aber auch kein Kapitalist (sind sowieso sehr abgenutzte und missbrauchte Begriffe). Ob die Vergangenheit sich einfach auf die Zukunft transferieren lässt, bezweifle ich. 1989, die Wende, war ich fast Erwachsen und habe eine rosige Zukunft geträumt. Heute denke ich nicht mehr linear, sondern in der Spirale, sehe ich viel Ernüchterndes. Es bleiben mir noch 30-50 Jahre bestenfalls und ich erwarte nicht viel.
Trotzdem, da geb ich Ihnen/dir, Max Seelhofer, vollkommen recht, in Sachen Materialismus hat sich einiges verbessert. Der Computer, das Handy, die günstigere Flugreise, Musik und Kultur allüberall, Essen ist besser geworden und der Hunger auf der Dritten Welt massiv zurückgegangen, Menschen schöner usw. usf..
Das sind also keineswegs destruktive Veränderungen, und ich nehme diese Veränderungen auch wahr. Die Frage ist eher, sind diese positiven Veränderungen wirklich dem Kapitalismus oder der Sozialdemokratie entstanden? Gewiss auch.
Doch wenn wir die Zukunft denken, müssten wir nicht abstrakter denken? Wieso ich die Beiträge anderer Kommentare geisselte, was schlicht und einfach, weil ich befand, es geht um die Gegenwart, nicht um die Zukunft.
Es ist schwierig die Zukunft zu denken. In meinem ersten Beitrag ist mir das zugegebenermassen schlecht gelungen. Man darf ja auch nicht die Zukunft denken, wie man sie sich wünscht, sondern wie sie nach Logik wohl geschieht. Aber natürlich liegt es Nahe sich die Zukunft zu denken, wie man sich sie wünscht. Also muss ich (bzw. man) erkennen, was mein Wunsch wäre und dann abstrahieren, was wohl logisch geschehen könnte. Kein leichtes Unterfangen.
Spass macht es mir trotzdem. Vielen Dank für Ihren/Dein Beitrag und die Anregung. Hoffe mein Feedback war auch anregend. (und an die anderen Leser, sorry für dieses völlig unzureichende Zukunftsbild aus meinem ersten Beitrag, hätte ich nur mehr Zeit mich mit solchen Sachen intensiver auseinanderzusetzen, käme gewiss bessere Qualität)
Rat an Herrn Rifkin, den Autor, und die Kommentatoren.
Wirtschaftsgeschichte studieren.
Wie wurde die weltweiter Armut (vor 2000, 1000, 300 Jahren waren 99%, 95% 90% aller Menschen „arm (Lebenserwartung: 30, 40, 50, ??? Jahre - auf jeden Fall: kurz). überwunden?
Ja wie denn? Etwa durch „Planwirtschaft“?
Erraten: kapitalistische Marktwirtschaft.
Überall dort, wo der sich der ach so böse Kapitalismus (dazu gehören Demokratie / Rechtsstaatlichkeit / Menschenrechte [ja ja, die VR China ist DIE Ausnahme]) sich durchgesetzt hat, nimmt die Armut ab, macht sich Massenwohlstand breit.
Zig-Millionen, Hunderte von ehemals armen Menschen (auch und vor allem in Asien, Afrika und LA) lassen grüssen. – Wie haben Ihre Ur-Grosseltern gelebt?
Im Kapitalismus zählt Leistung - nicht Rasse, Herkunft, Religion, etc.
Es ist doch so schön, im (Massen)Wohlstand zu leben (ist ja ist Folge des ach so bösen Kapitalismus) und Rechtssicherheit / Eigentumsgarantie / Menschenrechte zu geniessen, und sich dann zu erregen und über den Kapitalismus zu schimpfen ... – Sprechen Sie mal mit den Millionen, Millionen von Kleinkapitalisten (Betriebsgrösse z.B. zw. 2 und 20 Mitarbeitenden - in der Regel Familienbetriebe) auf der ganzen Welt, ob Sie den Kapitalismus abgeschafft haben möchten ... – Aber nein: sie wollen MEHR Kapitalismus, MEHR Markt, MEHR unternehmerische Freiheit, weniger kapitalismushemmende Staatsinterventionen.
Für die, die es nicht wissen: ca. 70% des weltweiten BIP werden von Nano-, Mikro-, Kleinst-, Klein- und mittelständischen Unternehmen generiert (und nicht von bösen Grosskonzernen/Multis).
So einfach ist das!
Herr Seelhofer, fast alles was sie sagen, kann natürlich so gesagt und gesehen werden. Ich arbeite in einem Familienbetrieb. Dieses Mehr, Mehr, immer Mehr, weil man auch goss und grösser werden möchte ist einerseits gerechtfertigt, andererseits hat es zum Chrash geführt. Ein grosser Teil des Mehr kam bei uns aus der Ausnutzung von Leistungen aus Rumänien, die mit einem Preisaufschlag von 400% weiterverkauft wurden. Als die Rumänen die Preise erhöhten, kauften wir nicht mehr, die Rumänischen Kleinfirmen (wir kauften von mehreren) gingen pleite, wir konnten auf dem angefressenen Vorrat noch 3 Jahre leben, langsam aber immer schlechter. Versuche noch mehr Profit aus Indern herauszuholen um das Mehr wieder aufzuholen, schlugen fehl. Also crashte es. Wir haben nicht von unserer Leistung, sondern von der weggenommenen Leistung anderer gelebt. Wir haben sie übervorteilt.
Das meiste Mehr kann heute wie früher mit Waffen, Krieg, Drogen und Prostitution verdient werden. Wenn der Kapitalismus das zukünftig wirklich verhindern kann und auch die ca.85% der Menschen ausserhalb der westlichen Welt ohne die Erde kaputt zu machen auf gleiches Lebensniveau bringt, wäre ich´s zufrieden.
Ich seh´s aber nicht.
Nichts für Ungut Herr Seelhofer, Ich glaube schon, man muss weitersuchen, damit die Welt (nicht nur unser Hof) wieder enkeltauglich wird.
Danke auch für diese Diskussion. Beide habt ihr recht, jetzt erlaube ich zu Duzen, und trotzdem ist es töricht die Biologie, den Planeten Erde wie ein Kleinunternehmen oder aber Grosskonzern zu betrachten. Wir leben zwar heute in der Ära des Anthropozän (was für ein Wort, gemeint, der Mensch bestimmt über die Biologie des Planeten) aber damit sind wir immer noch für die Zukunft keineswegs gerüstet, ob die Biologie einfach so mitmacht. Ebola kurzfristig, kann uns alles madig machen und der Klimawandel langfristig, und hier bemühe ich die Logik, wird uns gewiss alles madig machen.
Also, und darum ging es hier in diesem Beitrag, was ist die Zukunft, das werden wir Menschen so nicht schaffen auf Dauer. Das kommt nicht gut.
In der guten alten katholischen Lehre hätten wir den allmächtigen Gott für die Zukunft verantwortlich gemacht, uns mit Drogen und Prostituierten im Heute begnügt, und die Zukunft niemals diskutiert. Nun aber in Zeiten nach der Aufklärung, wagen wir uns an dieses Thema und ich merke, nicht nur ich, auch alle andere Foristen haben kaum eine Ahnung.
Was der Kapitalismus der Menschheit gebracht hat, reicht einfach nicht aus, um ihn als Lösung für mindestens weitere 100 Jahre betrachten zu können. Genau so, wie alle anderen -Ismen vor, während und ich befürchte auch nach ihm.
Solange ein -Ismus Politiker und andere Machtmenschen nicht zwingen kann, Kriege wirklich zu vermeiden, zu verhindern, dass Menschen einiger Regionen durch Übervorteilung von Menschen anderer Regionen besser leben können, sondern Menschen zu befähigen grenzüberschreitend als Gemeinschaft auch bei und trotz abweichender Meinungen verschiedene Wege gehen zu lassen, solange wird jeder -Ismus nicht human sein und wieder verschwinden. Solange ein -Ismus beansprucht, das alleinige Gute zu sein, wird er in allem anderen zu viel "Böses sehen", deshalb viel "Gutes übersehen", "Gutes vernichten" und viel "Böses gebären".
Wenn die Menschen durch ihre Überheblichkeit das Potential der eigenen Evolution weiterhin ständig abbauen, werden sie eines Tages nicht mehr anpassungsfähig sein und mit irgendeinem späten -Ismus aussterben.
Vielleicht gibt es doch Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung und wir können noch hoffen, sie rechtzeitig zu erkennen, damit noch alles gut werden kann.
Rifkinsche oder Flower-Power oder ... Träume helfen uns dabei so glaube ich, nicht. Sie können höchstens helfen, die Wirklichkeit zu verdrängen.
Offenbar neigt der Mensch notorisch zu Optimismus und begeht immer wieder die selben Fehler. Auch nach dem Zusammenbruch des Kommunismus waren viele Zukunftsseher überzeugt, dass nun und in Ermangelung ernster politischer Konfrontation und fortschreitendem technischen Fortschritt alles oder vieles nur noch besser und humaner werden könnte.
Dass der Kapitalismus sich durch eine Allokation der Produktionsmittel in den Händen weniger selber abschaffen würde hatte ja schon Marx prophezeit und tatsächlich geht die Schere zwischen Arm und Reich seit des Wegfalls zur Verpflichtung zu sozialer Marktwirtschaft durch einen ideologischen Kontrahenten immer weiter. Aber verschwinden tut die Ungleichverteilung und Ausbeutung nicht, weil es jetzt 3-D-Drucker gibt, oder Leasingfirmen (die natürlich da sind, um Mehrwert zu erwirtschaften, zu nichts anderem, sicher nicht zur Beförderung der allg. Philantropie), sie hört auch keineswegs auf zu existieren, wenn man nicht mehr an sie denkt, weil politisches Denken nicht mehr hipp ist und man auf FB so viel lieber die Ferienföteli der Kollegen anschaut, nein, sie geht weiter und die Gegensätze verschärfen sich.
Die Alternative zu Ungleichverteilung und Aussperrung von gesellschaftlicher Teilhabe lautet nicht freiwillige Solidarität, die in liberalen Staaten nicht in erforderlichem Ausmasse stattfindet. - sondern es sind anti-liberale Ideologien, welche für einen grössere Anteil von Menschen den Zugang wieder ermöglicht und ausserdem eine konsequente Ordnung garantiert. Dass dies im Namen von Religion oder Nationalismen oder Marxismen geschieht, ist nachrangig für die Benachteiligten. Bedenken wir, dass in erster Linie gefährdete Länder nicht die USA, Kanada oder die Schweiz sind, sondern Länder wie die Ukraine, wo ein Verteilungs- und Gerechtigkeitsproblem besteht (Korruption), Tunesien, Ägypten etc. wo ein demografisches Problem besteht, Syrien, Irak, wo ein politisches Chaos besteht, oder Spanien, Griechenland mit fehlenden Zukunftsperspektiven für die junge Bevölkerung. Etablieren sich in solchen Ländern Totalitarismen, so hat dies freilich auch Auswirkungen auf materiell gut gestellte und stabile Gesellschaften.
Kurz gesagt: Kehrt man in kapitalistischen Gesellschaften nicht wieder zu den Zielen der sozialen Marktwirtschaft und des gesellschaftlichen Ausgleichs zurück, was freilich Regulierung und z.T. auch nationale Sonderlösungen bedeutet, braucht man auch die Rifkinschen Träume nicht zu träumen, weil sich dann die Geschichte garantiert zum Schlechteren, statt zum Besseren wendet.
M.Mathis, Zug
Rifkin ist ein Träumer und lebt in einer eigenen Welt. Aber er ist ein guter Entertainer und Verkäufer.
Die Realität sieht anders aus: Trotz Produktivitätszuwachs in den vergangenen Jahrzehnten geht es uns nicht wirklich besser. Wir malochen wie die Verrückten und stressen uns ins Burnout. Mit großen Blechpanzern im Stau stehen, alle sechs Monate ein neues i-Dingsda und zwei Wochen Malediven sind kein Fortschritt.
Was ist passiert?
Zwei Dinge: Erstens wurde und wird der Produktivitätszuwachs von einer kleinen Minderheit abgeschöpft. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer und der Mittelstand wird aufgerieben. Das Ende ist absehbar wie beim Monopoly-Spiel im vertrauten Kreis: Am Ende hat einer alles und die anderen nichts. Tabula rasa – ein neues Spiel beginnt. Meistens geraten sich die Spieler zum Schluss noch in die Haare – in der Wirklichkeit bedeutet das Krieg.
Zweitens: Der Produktivitätszuwachs hat eine Überproduktion zur Folge. Jeden Monat ein neues i-Dingsda geht nicht. Dazu fehlt den Leuten das Geld. Die Folge: Fabriken müssen noch effizienter werden; Menschen werden entlassen, Roboter eingestellt. Die Menschen haben noch weniger Geld. Deflation – Depression.
Da nützt es nichts, wenn die Zentralbanken die Schleusen voll aufmachen. Das frische Geld gelangt nicht zum Konsumenten, sondern direkt ins Casino der Banken.
Ein Blick in die aktuelle Welt genügt, um das zu erkennen.
Die ganze Zukunftsforschung ist nichts als Wahrsagerei und Wunschdenken. Die Welt ist zu komplex und die schwarzen Schwäne kommen unverhofft. Die Zukunft lässt sich nicht aus der Vergangenheit extrapolieren. Darum lag diese Art der Wahrsagerei meistens daneben, bereits bei den Spinnereien der „Erfinder“ in viktorianischer Zeit.
Wirkliche Megatrends wie den PC und später das Internet haben die „Zukunftsforscher“ glatt verpennt.
Und jetzt soll laut Rifkin die Morgenröte anbrechen? Lauter Friede, Freude Eierkuchen? Empathische Menschen, die alles teilen?
Mad Max hält dagegen; ein Blick über die Grenzen Europas nach Afrika und in den nahen Osten genügt.
Und das mit dem Teilen gilt nur für die Arbeitssklaven: Zeitarbeiter heisst das Stichwort.
Doch in einem Punkt gebe ich Rifkin Recht: Das Ende des Kapitalismus ist in Sicht. So wie der Trend läuft, wird er wohl durch eine Art Neo-Feudalismus ersetzt werden.
Anton Bärtschi
Rifkin ist für seine Kapitalismuskritik bekannt. Dennoch wird es ganz anders kommen - am Ende ist der heute Staatskapitalismus, die verheerende Verbindung von Politik und Finanz zulasten der Unternehmer und Sparer: Die Politik will Schulden machen (zwecks Machterhalt/Machtgewinn), die Banken und Notenbanken sind gern dazu bereit, da der Staat die besten Sicherheiten hat - die Steuerzahler. Damit die Schulden finanzierbar bleiben, wird ständig die Geldmenge ausgeweitet, bei immer tieferen Zinsen. Eigentlich löst Gelddrucken Inflation aus - das wurde aber durch die chinesischen Billigprodukte aufgefangen bisher; nun ist das billige Arbeiterreservoir in China bald erschöpft, es gibt die ersten Streiks (Foxconn etc). Damit steht in ein paar Jahren massive Inflation ins westliche Haus. DAS ist das Ende des Staatskapitalismus, mit zwei möglichen Folgen: Absturz in ein echt faschistisches/kommunistisches System. Oder Rückbesinnung auf echten Liberalismus, Freiheit, Eigentumsrechte, "echtes" Geld. Schaun mer mal...
mit diese zwei Folgen oder einer Überraschung je nach dem welche Zeitperspektive wir benutzen.
Es mutet seltsam an, wenn Rifkin zum Schluss kommt, dass nach dem Ende des Kapitalismus eine solidarische Weltgemeinschaft entstehen würde. Die von Rifkin genannten Tausch-, Leihgeschäfte sind mehr oder minder auch dem Kommerz unterworfen. Rifkins Prognose wirft noch andere Fragen auf: Um solidarisch sein zu können, müssten Menschen eine andere Wertehaltung als die jetzige bevorzugen. Das kapitalistische System hat die Menschen deformiert. Sie sind egozentrisch geworden. Jeder ist dem Wettbewerb ausgesetzt und zwar in allen Lebensbereichen. Die Selbstdarstellung hat mittlerweile bizarre Züge angenommen. Ein solidarisches Verhalten gegenüber Mensch, Fauna und Flora bedingt ein ganz anderes Wertesystem als das heutige. Der einzelne wäre Teil einer Gemeinschaft, etwas, das fast gänzlich verloren gegangen ist. Eine dermassen revolutionäre Verhaltensänderung ist nicht gratis zu haben und kommt über Nacht, nachdem am Vortag der Kapitalismus zusammengebrochen ist. Der ganze Umgang mit den neuen Technologien, das ständige Online-Sein, Smartphone-Junkies, wohin das Auge reicht, befeuern genau das Gegenteil: Jeder ist in seiner eigenen Welt und findet das normal und gut so. Wie würde Rifkin diesem Wahnsinn Einhalt gebieten? Rifkin ist ein Träumer, was ihn nicht unsympathisch macht. Aber wer genau hinsieht, sieht keine Ansätze, die Rifkins These auch nur im Ansatz stützen.
"Das kapitalistische System hat die Menschen deformiert. Sie sind egozentrisch geworden."
Das ist einfach nicht wahr, auch wenn es dem Menschenbild der Linken seit Rousseau so sehr entspricht (und wofür sie die Darwinschen Erkenntnisse als rüden "Biologismus" rügen).
Der Mensch ist nicht von sich aus gut, genausowenig wie der Affe, der ebenfalls täuscht, trickst und hintergeht. Wenn er zwischendurch altruistisch ist, tut er das aus Eigennutz - was man nicht will, dass man dir tu...
Es ist deshalb genau andersherum: Der Kapitalismus ist das einzige System, das dem Menschen nicht gewaltsam eine "bessere" Moral aufnötigen will, sondern wo er sich entfalten kann. Die Konkurrenz zwingt ihn gleichzeitig dazu, kooperativ und friedlich zu sein: Überall muss er kooperieren, mit Kunden, Arbeitnehmern, Arbeitgebern, Lieferanten, Medien, Umweltschützern etc, sonst geht nicht viel. Deshalb ist das kapitalistische System ein moralisches System, genaugenommen das einzige, dass ohne moralische Über-Autorität auskommt. Und gleichzeitig noch das effizienteste und einzige, dass die Menschheit überhaupt versorgen kann.
"Jeder ist dem Wettbewerb ausgesetzt und zwar in allen Lebensbereichen."
Herr Wolf: Der Mensch ist aber auch nicht von sich aus einfach schlecht. Ansonsten frage ich mich, in welcher Welt sie leben. Rundum ist Krieg. Und sie Herr Wolf können allen Ernstes behaupten, dass der Kapitalismus das einzige System sei, dass dem Menschen nicht gewaltsam eine bessere Moral aufnötigt. Was heisst gewaltsam? Vielleicht hat die Ausbeutung eines Menschen durch Unternehmen, durch die Erwerbsarbeit als solche, durch den Markt, durch die totalitäre Ökonomisierung aller Lebensbereiche auch mit Gewalt zu tun. Sie reden von Entfaltung: Kann sich ein mit denkender Mensch in einer durch standardisierten Arbeitswelt noch entfalten? Welche Freiräume bestehen noch? Vornehmlich auch für junge Leute? Was glauben sie, Herr Wolf, wieso sind junge Leute in Massen derart brav und anpassungswillig? Das kapitalistische System sei ein moralisches System monieren sie. Dieses System beutet die Welt auf eine Art und Weise aus, die haarsträubend und total ungerecht ist. Was ist das für ein System, dass der Menschheit in Raten die Lebensgrundlagen entzieht? Es wird Zeit, Herr Wolf, dass sie auf die Welt kommen.
Ich bin schon da, auf der Welt, und gucke aufmerksam hin, ohne ideologische Brille. Rundum ist Krieg, aber das hat immer mit Idealismus (Neocons, state building), Terror oder Terrorbekämpfung, Religion oder Nationalismus zu tun. Alles wie immer. Mit Kapitalismus hat das wenig zu tun, auch wenn Sie das nicht glauben. Der Kapitalimus und seine Mitspieler - Unternehmer, Arbeitnehmer, Verbände, Konsumenten, Medien - sind auf Kooperation angewiesen. "Strongmenship" und autoritäre Strukturen spielen hier nicht gut. Das werden auch die Chinesen übrigens noch merken, da kommen jetzt die ersten Streiks. Sie müssen sich zum freien kapitalistischen System wandeln oder zurück zum harten idelogischen Sozialismus, aber dann ohne den Erfolg auf den Märkten.
Und die Jugend und die Freiräume? Da klingen Sie wie ein verknöcherter Kulturkritiker, die Jugend, mein Gott, und keine Freiräume mehr, oje... Aber ich weiss was Sie meinen. Nur hat das mit der Technologie zu tun, die uns vereinnahmt und kulturell verarmt. Ist es der Fehler des Kapitalismus, dass er die Technologie immer weiter treibt? Oder der Fehler des Bildungssystems, das klein beigibt und die traditionelle Kultur zugunsten von "Kompetenzen" über Bord wirft, weils halt modern ist? Ich denke letzteres.
Aber die Gerechtigkeit? Auch da liegen Sie total falsch. Das kapitalistische System bietet Leistungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit, es gibt keine standesbedingten Schranken wie in autoritären Systemen (autokratische, aristokratische, theokratische etc).
Der Sozialismus beklagt natürlich immer die "kalte" Effienz des Marktes. Aber was ist die Alternative: Die warme Begünstigung der richtigen Milieuzugehörigkeit, Herr Hofstetter. Können Sie heute in der Schweiz checken bei den Bewohnerstrukturen der Zürcher Genossenschaftswohnungen. Das ist simultan ungerecht und uneffizient. Aber es ist am Ende alles eine Frage des Menschenbildes. Sie haben ein anderes als ich. Viel Vergnügen damit.
Für den Pessimisten ist der Optimist ein Ärgernis, weil der Optimist in der besten aller Welten lebt. Wohl bekomm's.
weiss nicht recht, was Sie meinen, lieber Herr Hofstetter. Ich finde den Menschen und seine Impulse oft fragwürdig, aber unser System (nennen sie kapitalistisch oder liberal oder freie Gesellschaft) prima, weil das Konkurrenzsystem
1. die Menschen einander näher bringt (sonst funktioniert es nicht, im Ggs. zum Sozialismus, wo der Staat alles macht),
2. durch Wachstum zur Entspannung beiträgt (ohne Wachstum steigen die Verteilkämpfe, es gibt Stress),
3. durch seine Effizienz überhaupt die Welt überhaupt versorgen kann (es gibt immer weniger Arme, sagt auch die UNO),
4. durch effizientere Produktion auch die Umwelt immer weniger stressen wird,
5. als liberales System auch toleranter ist als alle anderen Systeme. Zum Beispiel in Genderfragen - und dazu muss man nicht einmal alles "dekonstruieren", es ist einfach toleranter, weil zB. auch Schwule Kunden sind - und das ist gut so.
Sie sehen, ich bin der Optimist. Solange wir unser freies System behalten können, ist alles gut.
Es ist wohl so, dass es ein anderes System als den Kapitalismus nicht gibt und wenn es eines gäbe, es nicht besser wäre. Die Frage ist doch, was aus dem Kapitalismus geworden ist: Ein Raubtierkapitalismus (Ziegler). Es kann doch nicht sein, dass sich der Finanzkapitalismus auf eine Weise entfesselt hat, die gesetzlos zu sein scheint und die dafür steht, dass sich eine Gilde schamlos bereichern kann, während Teile von Gesellschaften in den Abgrund getrieben werden. Die Entkoppelung der Finanzindustrie von der Realwirtschaft ist eine Entwicklung des Kapitalismus, die als pervers bezeichnet werden muss. In Zürich bezahlen die Grossbanken wie UBS und Credit Suisse keine Steuern und dies seit Jahren und bis auf weiteres. Das heisst, die Banken partizipieren nicht am Gemeinwohl. Hingegen bezahlen sie ihren Cracks so hohe Boni wie kaum zuvor. Was ist hier liberal, von sozial wollen wir erst gar nicht sprechen. Sie, Herr Wolf, reden von einem funktionierendem Konkurrenzsystem. Die globalen Unternehmen werden immer grösser, mächtiger und machen nebenbei die Politik, welche die Adlaten in den Räten dann umsetzen. Im Übrigen ist es eine Lüge, dass durch eine effizientere Produktion die Umwelt weniger belastet wird. Es wird ständig mehr produziert, damit die Konsumenten immer mehr kaufen sollen. Das ist ja die Prämisse des Kapitalismus: Der Einzelne braucht in einem Jahr nicht nur ein Smartphone, sondern drei. Und dazu braucht es Rohstoffe wie Kobalt etc. Und diese werden in einer Weise ausgebeutet, wie es noch nie der Fall gewesen ist. Die Chinesen sind drauf und dran, die Rohstoffe in Afrika zu plündern, damit sie die Nachfrage ihrer Mittelschicht nach Luxusartikeln befriedigen können. Im Weiteren stirbt in der dritten Welt alle fünf Sekunden ein Kind und zwar nicht, weil es genug zu essen hat. Von den Gesundheitskosten (Burnout, mannigfaltige Suchterkrankungen, Stress, Lärm, Umweltbelastungen etc.), die ein entfesselter Kapitalismus in der westlichen Hemisphäre verursacht, wollen wir erst gar nicht sprechen. Bleiben sie Optimist, Herr Wolf, aber erweitern sie ihr Denken, damit es über einen technokratischen Ansatz hinauskommt, und zwar, bevor es zu spät ist.