Weckruf
Das neue asiatische Freihandelsabkommen wurde am virtuellen Gipfel der Assoziation der Südostasiatischen Länder (Asean) in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi unterzeichnet. Die «Regionale Umfassende Wirtschaftspartnerschaft» – Neudeutsch «Regional Comprehensive Economic Partnership» (RCEP) – wurde 2012 von den Asean-Staaten angedacht. Nach 31 Verhandlungsrunden und 18 Ministertreffen unterzeichneten die zehn Asean-Staaten (Vietnam, Laos, Kambodscha, Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, Philippinen, Brunei und Myanmar) sowie China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland das Dokument. Die wirtschaftliche Partnerschaft wird in Kraft treten, sobald sechs Asean-Staaten und drei der restlichen fünf Länder die RCEP ratifiziert haben werden. Das wird vermutlich Ende 2021 der Fall sein.
Das RCEP-Abkommen
Das RCEP-Abkommen umfasst Handel, Dienstleistungen, Investitionen, E-Commerce, Telekommunikation und Urheberrechte. Zölle sollen heruntergefahren werden, zum Teil sofort, der Rest über einen Zeitraum von zehn Jahren. Im Abkommen sind allerdings – ungleich ähnlichen Vereinbarungen – keine Umwelt- und Arbeitsstandards festgeschrieben. Interessant an diesem umfassenden Freihandelsabkommen ist die Tatsache, dass gleichzeitig Industrie-, Schwellen- und arme Entwicklungsländer beteiligt sind. Erstmals sind auch die drei grossen asiatischen Wirtschafts-Schwergewichte China, Japan und Südkorea in einem gemeinsamen Abkommen gebunden.
2,2 Milliarden Menschen
In der RCEP leben 2,2 Milliarden Menschen, fast ein Drittel der Menschheit. Die Wirtschaftspartnerschaft generiert mit einem Brutto-Sozialprodukt von 26,2 Billionen Dollar ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung sowie fast ein Drittel des weltweiten Handels. Der innerasiatische Handel ist bereits jetzt grösser als der Handel Asiens mit Nordamerika und Europa zusammen. Und für China sind die Asean-Länder ein grösserer Handelspartner als die Europäische Union EU. Das ökonomische Zentrum der Welt verschiebt sich somit noch einmal mehr nach Asien.
Die grossen Abwesenden
Die grossen Abwesenden im neuen multilateralen Wirtschaftsabkommen sind Indien und die USA. Indien war an 28 Verhandlungsrunden aktiv beteiligt, zog sich dann aber im November 2019 zurück, weil es schädliche Konkurrenz für seine kleinen und mittleren Betriebe sowie für die Landwirtschaft fürchtete. Die fünfzehn RCEP-Staaten sind nach eigenem Bekunden für einen schnellen Beitritt Indiens «weiterhin offen», kurz: «Indien wäre hoch willkommen».
Die USA im Abseits
Die USA wiederum manövrieren sich, wie die RCEP jetzt zeigt, weiter ins Abseits. Multilateralismus ist ein Unwort in Amerika, denn das Wichtigste für Washington ist nach Trumps «Amerika first»-Theorie eine technologische und wirtschaftliche Abkoppelung von China. Ob ein Präsident Biden das ändern wird, bleibt vorerst fraglich. In den USA, aber auch zum Teil in Europa, wird denn die RCEP als weiterer Schritt Chinas gesehen, die Welt nach eigenen Regeln zu vereinnahmen. Die Fakten der wirtschaftlichen Integration im asiatisch-pazifischen Raum widerlegen solch haltloses Schwadronieren.
CPTPP
Vor einigen Jahren bewegten sich die USA und der Westen in der richtigen Richtung mit dem 480 Millionen Menschen umfassenden «Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership» (CPTPP) oder Altdeutsch «Vereinbarung für eine Umfassende und Progressive Trans-Pazifische Partnerschaft». Kaum an der Macht, zog sich Präsident Trump 2017 aus den Verhandlungen zurück, so dass 2018 nur Australien, Neuseeland, Kanada, Mexiko, Peru, Chile, Japan, Malaysia, Brunei, Singapur und Vietnam unterschrieben haben. Die beiden Freihandelsabkommen RCEP und CPTPP stehen nicht in Konkurrenz zueinander und schliessen sich gegenseitig nicht aus. Da an beiden Abkommen nicht beteiligt, stellt sich die Frage, wie sich das Engagement der USA in der asiatischen Region weiterentwickeln wird. Eine derzeit vereinbarte engere Zusammenarbeit mit Indien ist offensichtlich nicht die Lösung. Das schwammige Wahlprogramm des künftigen US-Präsidenten Joe Biden bringt keine Klarheit.
Rarität
Die neue Wirtschaftspartnerschaft RCEP jedenfalls ist in einer Zeit, in der Protektionismus mehr und mehr und vor allem in den USA wieder en vogue ist, eine Rarität. Bei der virtuellen Unterzeichnung am Asean-Gipfel in Hanoi waren denn – wenig verwunderlich – die Staats- und Regierungschefs voller Lob. Der vietnamesische Premier Nguyen Xuan Phuc: «RCEP sendet eine starke Botschaft über die führende Rolle der Asean-Staaten bei der Durchsetzung des Multilateralismus.» Australiens Handelsminister Simon Birmingham qualifizierte das Abkommen so: «Eine hochsymbolische und signifikante Vereinbarung zu einer Zeit der weltweiten Handels-Unsicherheit». Chinas Premier Li Kejiang nannte die neue Wirtschaftspartnerschaft einen «Meilenstein». Die RCEP-Unterzeichnung, so Li weiter, sei auch «ein Sieg für den Multilateralismus und den Freihandel» und werde «zu einem neuen Anstoss für die Erholung des Wachstums in der Weltwirtschaft». Schliesslich meinte Wendy Cutler, unter Präsident Obama Stellvertretende Handelsbeauftragte und bei den CPTPP-Verhandlungen beteiligt, die RCEP-Unterzeichnung sei «ein erneuter Weckruf für die USA in Sachen Handel».
Rosinchenpicker
Jenseits eines eurozentrischen Weltblicks könnte die «Regionale Umfassende Wirtschaftspartnerschaft» RCEP auch für die Schweiz ein kleiner Weckruf sein. Mit dem schweizerisch-chinesischen Handelsabkommen vor einigen Jahren sowie mit Freihandelsabkommen etwa mit Japan, Südkorea, den Philippinen oder Singapur sind schon einmal wichtige Pflöcke eingeschlagen worden. Allein mit der Europäischen Union EU hapert es trotz einem zu Ende verhandelten Rahmenabkommen. Die Rosinchenpicker in Bern wollen nachverhandeln, obwohl das die EU verschiedentlich rundweg abgelehnt hatte. Brüssel spricht sich allenfalls für «Präzisierungen» aus. Die Bundespolitiker und zumal der Bundesrat hoffen nun mit einer neuen Staatssekretärin bei der EU doch noch nachverhandeln zu können. Das Stimmvolk – in den Augen der meisten Politiker von links bis rechts als «Stimmvieh» oder als «dumm» verachtet – wird im Dunkeln gelassen, das Verhandlungsmandat bleibt geheim.
Nachhilfe
Dabei bräuchten die Politiker und vor alle der Bundesrat dringend Nachhilfe in internationaler Finanz-, Wirtschafts- und Handelspolitik sowie in Multilateralismus. Auf kundige Beamte in den eigenen Departementen hören sie offenbar schon lange nicht mehr. Dies gilt vor allem für die begabte Pianistin und Bundespräsidentin Sommaruga sowie den glücklosen Corona-Bekämpfer und Gesundheitsminister Berset, deren Partei bekanntlich den Kapitalismus abschaffen will. Doch auch Finanzminister Ueli Maurer, der Erbsen zählende Buchhalter Nötzli, und Wirtschaftsminister Guy Parmelin, der fröhliche Winzer vom Genfersee, müssten dringend nachsitzen, um endlich die nötige Amtskompetenz zu erlangen. Ob der RCEP-Weckruf auf der von der Welt neutral abgeschotteten Insel in Bern bereits vernommen worden ist?
Die Schweiz ist nicht Rosinenpicker, sondern die Rosine!
Mit dem Abschnitt " Nachhilfe " bin ich nicht überall einverstanden
Dieser " Raubtierkapitalismus " , wie Herr Ziegler ihn mal nannte gefällt mir auch gar nicht wenn nur das Geschäft zählt .
Im übrigen freut mich der Bericht von Peter Achten , unerschrocken und treffend . Ich finde auch dass man sich von den USA und einem Teil der EU unabhängiger machen sollte . Die EU , allen voran Deutschland , bestimmen im Allgemeinen das Vorgehen . Sogar England will man , trotz Austritt aus der EU , weiter die Bestimmungen der EU aufzwingen.
Die USA sind bekannt für Sanktionen in aller Welt zu verhängen
und Verträge nach Lust und Laune als ungültig zu erklären .
Kein verlässlicher Partner , im übrigen mit einer sehr unverständlichen , provokativen Militärpolitik .
Asien macht sich immer mehr frei von US Sanktionen .
Herr Kerzenmacher spricht von freiem Welthandel , das sehe ich ganz anders . Die USA bestimmen inzwischen mit wem befreundete Länder Wirtschaftsbeziehungen unterhalten dürfen ,
sonst belegen sie auch " Freunde " mit Sanktionen , Huawei ,
Atomabkommen mit Iran , Kuba , Russland und viele mehr .
"Trotz einem zu Ende verhandelten Abkommen mit der EU" Wie bitte? Hat der Schweizer Souverän diesem ihm noch nicht vorliegenden Abkommen zugestimmt? Wenn nein, warum nicht?
Die Frage ist, was Freihandel innerhalb dieses Abkommens bedeutet. China hat sich bisher allen Versuchen widersetzt, seinen Binnenmarkt für ausländische Anbieter zu gleichen Konditionen zu öffnen. Ob das innerhalb dieses Abkommens anders wird muss sich erst noch zeigen Es wäre aus Sicht eines freien Welthandels für China aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Indizien sprechen allerdings eine andere Sprache.