Wir sparen uns zu Tode

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Wir sparen uns zu Tode

Von Max Winiger, 09.01.2020

Statt Reformen anzupacken, befasst sich die Schweiz mit dem, was sie am besten kann: Sparen. Jeder schaut für sich. Etwas riskieren sollen die anderen.

46 Milliarden Franken: soviel Gewinn hat also die Schweizerische Nationalbank im letzten Jahr eingefahren, zwei Milliarden durch Negativzinsen. 95 Milliarden Franken: soviel Geld wird voraussichtlich 2020 vererbt, drei Viertel davon sind Beträge unter 100’000 Franken. 2,3 Milliarden Franken: soviel besser haben 24 Kantone Ende 2018 ihre Rechnung abgeschlossen als budgetiert. Die Nettoschuldenquote der Schweiz liegt unter zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). 

Super, nicht wahr? Ganz ehrlich, das ist doch genau das, was wir gelernt haben: Sparen, sich nicht verschulden, sparsam leben: so kommen wir weiter. Denkste. Unser heutiger Wohlstand basiert auf dem unternehmerischen und finanzpolitischen Wagemut der letzten Generationen. Aber heute lebt dieser Geist nicht mehr. Wir sparen uns zu Tode.

Anstatt über echte Reformen nachzudenken, werden Initiativen lanciert, um den Reichen noch mehr Geld abzuzwacken. Wir diskutieren darüber, warum vererbtes Geld nicht doch höher versteuert werden sollte, denn die Empfänger haben dafür ja nichts geleistet (der Staat aber schon?).

Bei der Vorsorge wird der Umwandlungssatz gesenkt, das angesparte Geld wird kaum noch verzinst, trotz Boomjahren an der Börse. In der Politik schaut jeder argwöhnisch auf den anderen. Und jeder Kanton schaut für sich. Keiner gönnt dem anderen einen Franken, dem Bürger schon gar nicht. 

Kreative Finanzdirektoren

Die Luzerner Zeitung berichtet im letzten Jahr mit Bewunderung, wie kreativ die Innerschweizer kantonalen Finanzdirektoren Geld verschieben, um Negativzinsen zu vermeiden. Nicht geschrieben wird, dass es ein Skandal ist, wenn Kantone überhaupt für Rückstellungen Negativzinsen bezahlen müssen. Denn letztlich ist dies das Geld der Steuerzahler.

Mit welchem Recht werden Negativzinsen auf Geld einkassiert, das zum Beispiel für einen teuren Spitalneubau geplant ist? Mit welchem Recht behält eine Nationalbank zwei Milliarden Franken Negativzinsen bei insgesamt 46 Mrd. Franken Gewinn? Diese zwei Milliarden gehören in die AHV oder in die Pensionskassen und müssen 1:1 an die Bürger weitergegeben werden.

Mit welchem Recht sollen Reiche noch mehr Steuern bezahlen? Weil sie reich sind, klar. Sie haben ja in den meisten Fällen auch nichts dafür geleistet. Das Geld lag einfach mal so vor der Haustür. 

Die Jungen finanzieren die Renten der Alten. Unfair! Aber 95 Milliarden Franken Erbschaften von den Alten kassieren, das ist dann nicht der Rede wert. Jeder zweite Vermögensfranken in der Schweiz ist vererbt. Und in den allermeisten Fällen entstand dieses Vermögen durch Sparen. Dazu musste aber zuerst Geld verdient werden. Das wurde bereits versteuert. 

Ein Hauptgrund für die alle Jahre «überraschenden» Abschlüsse der Gemeinden und Kantone sind die Grundstückgewinnsteuern. Davon wird es in den nächsten zehn Jahren nochmals haufenweise in die Gemeindekassen spülen, denn viele betagte Haus- und Wohnungsbesitzer werden ihr Eigentum verkaufen. Die Gemeinden kassieren Steuern zu unveränderten Sätzen. Als ob wir immer noch vier Prozent Zins auf dem Sparbuch hätten. 

Die Banken braucht’s nicht mehr

Andererseits wird alles verhindert, was den Bürgern und Steuerzahlern im heutigen Zinsuniversum noch die Möglichkeit gäbe, etwas zu haben. Die Pensionskassen können aufgrund völlig überholter Einschränkungen nicht richtig investieren. Banken hocken auf ihrem Geld und geben lieber Gratis-Hypotheken an Superreiche, statt Innovation zu fördern und auch mal etwas zu riskieren.

Es muss an dieser Stelle einfach gesagt werden: Wer nicht mindestens 30 Millionen Franken Vermögen hat (das sind im Bankenjargon die «UHNWs», die Ultra High Net Worth Individuals), braucht keine Bank mehr. Eine Bank lebt bei jedem Normalverdiener nur noch von Gebühren für alles Mögliche und kümmert sich keine Sekunde um sein finanzielles Wohl. Das interessiert eine Bank heute schlicht nicht mehr. Sie verdient ja auch nichts mehr an kleinen Vermögen. Das Geschäftsmodell der Banken ist für mindestens 95 Prozent aller Menschen obsolet geworden. Das Allermeiste erledigt heute auch eine App – oder die Post. 

Jeder schaut für sich. Und die Politik macht sich vor lauter Angst, etwas Falsches zu riskieren, ins Hemd. Reformen werden vollmundig angekündigt. Umgesetzt wird nichts. Nationale Strategien werden im Scheinwerferlicht der Medien breitbeinig verkündet. Die Kantone setzen nichts um, weil, das kostet ja dann Geld. 

8000 Franken im Monat fürs Altersheim

Und nochmals zu den Alten, zur Vorsorge und zum Lebensende in diesem wunderschönen Land: Wer heute nach der Pensionierung sein Vorsorgegeld bezieht, bezahlt Steuern. Sind Sie verheiratet und leben in Chur, sind das rund 24’000 Franken für einen Bezug von 500’000 Franken. In Lausanne zahlen Sie 57’000 Franken und in Zürich 41’000 Franken. Sollten Sie mehr Geld beziehen, dann fliehen Sie aus dem Kanton Zürich (und aus der Waadt)! Denn das sind die Steuerhöllen, wenn’s um Steuern auf Vorsorgegeldern geht. 

Diese Steuern sind unverändert. Die Kantone langen genau gleich zu wie vor Jahren, als es noch Zinsen gab für Geld auf der Bank und in der Pensionskasse. Heute müssen Sie hingegen damit rechnen, dass Ihnen die Bank noch Negativzinsen abzieht, wenn Sie das Pensionskassenvermögen beziehen und auf einem Konto deponieren. Sie können ja stattdessen die Rente beziehen. Nur kann heute kaum noch jemand davon leben; der Umwandlungssatz sinkt ja laufend. 

Und wenn Sie dann zum Beispiel im ach so vorsorglichen Kanton Zürich ins Altersheim müssen, dann ist sowieso fertig. 8000 Franken knöpft Ihnen zum Beispiel das Altersheim in Dübendorf ab. Damit wir uns richtig verstehen: Das ist ein öffentliches Altersheim. 8000 Franken jeden Monat out of pocket! Da sind die Leistungen, welche die Krankenkasse trägt, nicht eingerechnet. Macht rund 100’000 Franken im Jahr. Ihr Lebenspartner lebt noch und Sie möchten ein Doppelzimmer? Macht 16’000 im Monat, bitteschön. Wenn Sie kein Geld mehr haben, aber noch ein Haus besitzen, dann müssen Sie das dann verkaufen. Dachten Sie clever zu sein und haben Ihr Vermögen kurz vor dem Heimeintritt vererbt, klopft der Gemeindevertreter an die Tür Ihrer Erben und kassiert ab, was möglich ist. 

Früher konnte man in der Schweiz langfristig planen, um dann im Alter ausreichend Geld zu haben und anständig leben zu können. Heute müssen Sie in der Schweiz langfristig planen, um zu verhindern, dass Ihnen nach der Pensionierung binnen kürzester Zeit und bei Berücksichtigung realistischer Annahmen (Lebenserwartung, Gesundheitszustand, Eigentum, Vermögen, Erben etc.) alles weggenommen wird. 

Exit for free

Das waren jetzt viele Zahlen. Aber wenn Sie das nochmals durchlesen, dann erkennen auch Sie: Wir driften hier ganz gewaltig in die falsche Richtung. Wir sind vielleicht schon bald das einzige oder eines der wenigen Länder ohne Schulden, wir sind vielleicht die Sparweltmeister. Aber vor allem sind wir schon bald das Land, wo eine verknöcherte, geizige und gleichzeitig gierige Neid-Kultur dafür sorgt, dass alles verdampft, was wir mal aufgebaut haben. Wir sind dermassen fett und träge geworden, dass wir gar nicht mehr wissen, wie man Innovation schreibt. 

Wir haben zwar die teuersten Randsteine entlang unserer laufend frisch asphaltierten Strassen, die vermutlich teuersten Tramstationen weltweit (Stadt Zürich), am meisten Spitäler pro Kopf der Einwohner, einen nicht verhandelbaren Föderalismus mit 26 autonomen Kantonen. Vor allem aber haben wir schon sehr bald eine Million mehr Menschen in Rente, die sich fragen müssen, warum sie in diesem Land in den letzten fünfzig Jahren alles gegeben und den heutigen Wohlstand mitgeschaffen haben. In einem Land, wo das Wort «Vorsorge» zum Witz mutiert und Altwerden für viele nicht mehr lustig ist. Denn dummerweise sorgt unser teures Gesundheitssystem auch noch dafür, dass wir immer länger leben. 

Aber zum Glück gibt’s Exit. Ich warte darauf, dass die Mitgliedschaft ab 70 gratis angeboten wird. «Mit freundlicher Unterstützung und bestem Dank. Ihre Schweiz.» Das wäre doch mal was Innovatives. 

Der Spruch sei des Teufels, aber stimmen tut er trotzdem: wenn jeder gut genug für sich selbst sorgt, dann geht es jedermann gut. Die Nationalbank gehört doch der Schweizer Eidgenossenschaft und Genossen sind doch wir Bürger. Verluste der SNB würden schön auf die physischen Personen verteilt, die Gewinne gehören deshalb denselben Personen in denselben Proportionen wie sie Verluste tragen müssten.

Dass die Reichen reicher werden und der Mittelstand in die Röhre guckt, ist wohl allgemein bekannt. Das zeigt der Artikel zu wenig. Der Rest des Artikels entspricht den Realitäten. Was allerdings auch noch fehlt, ist die Tatsache, dass wir die Misere, die uns je länger je mehr überkommt, den bürgerlichen Politikern zu verdanken haben. Und die wurden doch von eben diesem Mittelstand gewählt. Will nicht heissen, dass die Linken besser regierten. Und das zeigt das Problem: Unsere Demokratie wird von den wirtschaftlich wirklich Mächtigen gelenkt und die Mehrheit der Bevölkerung meint, das sei auch für sie von Vorteil. Was sich immer mehr als Täuschung erweist.

Grundsätzlich stimmt die Analyse in vielen Punkten, aber dabei vergisst der Autor leider, dass diese Gewinne der Kantone durch knallharte Reformen bei den Jüngsten, den Schwächsten und den Ärmsten entstanden sind, weil die Reichen nicht mehr solidarisch mit diesen Habenichtsen sein wollten. Die hohen Kosten für die Altenbetreuung sind da nur ein Teilaspekt dieser Entsolidarisierung!
Wie immer wird unausgesprochen der Grundsatz: «Gewinne Privat, Verluste dem Staat» als ehernes Gesetz zu Grunde gelegt und so wird aus dieser an und für sich wichtigen Analyse über die exorbitanten Buchgewinne, die unser Staatswesen schreibt und über den mangelnden Reformwillen der meist bürgerlichen Sparapostel ein Klagelied eines besser gestellten Erblassers, der in seiner sicher berechtigten Verlustangst um den eigenen Wohlstand die Präambel der BV zu vergessen scheint, wonach sich das Wohl des Volkes nach dem Wohl der Schwächsten und nicht nach dem Wohl des Stärksten bemisst. - Schade für diese verpasste Chance!

Leider nicht, wir sind verschuldet, zu Lasten der nächsten Generationen. Siehe AHV, IV und einige Pensionskassen. Von Sparen keine Spur, siehe Ausgabenwachstum der Gemeinden, der Kantone, des Bundes. Aber das Mantra des Kaputtsparens zieht immer noch. Man gewinnt damit Stimmen.

Ein Artikel, der einiges anspricht, was im Argen liegt, aber auch Fragen aufwirft. So zum Beispiel beim Sparen. Wer spart und wer spart nicht? Viele Privatpersonen sparen nicht, sondern leben auf Pump. Auch in diesem Land leben immer mehr Menschen auf Pump. Die Hypothekarverschuldung ist so gross, dass einem Angst und Bange wird, wenn die Zinsen wieder einmal steigen sollten. Sie dürften in absehbarer Zeit - und zwar weltweit - nicht steigen, weil ansonsten die halbe Welt Bankrott ginge. Spart unser Staat? Doch nicht wirklich, wenn man daran denkt, was Bundesbern an Geldern schon verschleudert hat. Wie im IT-Bereich oder bei den Beratern und Kommunikationsspezialisten, deren Anzahl in allen Departementen um ein Vielfaches zugenommen hat. Hier kann von Sparen doch keine Rede sein. Zugegeben: Innovativ ist das Ganze nicht. Für die Reichen und ihre Anliegen wird beim Staat nicht gespart. Schon eher bei den ärmeren Menschen, wie bei den Invaliden, Arbeitslosen und Pensionierten. Natürlich müsste die Nationalbank der Allgemeinheit mittels Zuschüssen an die AHV etwas zurückgeben, was sie ihr aufgrund der Negativzinsen (berufliche Vorsorge) genommen hat. Aber wieso sollten Superreiche und Unternehmen immer reicher werden, notabene zu Lasten des unteren Mittelstandes und der Allgemeinheit? Der Autor will uns doch nicht weismachen, dass seit der Finanzkrise - auch hier in der Schweiz - die Reichen in irgendeiner Form finanzielle Abstriche machen mussten? Wieso sollten Reiche nicht mehr zur Sicherung der Sozialwerke, insbesondere der AHV, beitragen? Es gäbe schon innovativere Möglichkeiten, etwa eine Finanztransaktionssteuer. Nur müsste eine solche wohl weltweit eingeführt werden. Wenn ich als Rentner mehr Steuern bezahlen muss, als dass ich in einem Monat an Rente einnehme, stimmt die Relation nicht mehr. Als Rentner bekommt man ja keinen 13. Monatslohn. Dass der Aufenthalt in einem Alters- und Pflegeheim Fr. 8000.00 oder mehr kostet, ist gelinde gesagt Abzockerei. Der Heiminsasse bezahlt nicht dafür, dass er besondere Leistungen erhält, wie stundenlange Aufmerksamkeit, sondern dafür, dass die Bauten aufgrund hoher Bodenpreise amortisiert werden müssen. Es ist eine Schande, wie in diesem Land alte Leute zur Kasse gebeten werden und ihnen der letzte Rappen an Vermögen aus der Tasche gezogen wird. Wenn es nicht reicht, muss er den Gang nach Canossa antreten, sprich Zusatzleistungen beantragen. In diesem Land liegt wahrlich vieles im Argen. Das Ärgste daran ist, dass die massgebenden Leute, wie Manager, Politiker, Beamte, sogenannte Fachleute so tun, als lebten wir in der besten aller Welten. Wohl bekomm's!

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