Zigaretten auf dem Grab
Im Süden der Stadt, abseits des Trubels, liegt ein stiller, magischer Ort. Uralte Zypressen und Pinien spenden hier Schatten.
Goethes Sohn August ruht hier, ebenso die britischen Schriftsteller John Keats und Percy Shelley (dessen Frau als „Mutter“ der Frankenstein-Figur gilt). Auch der marxistische Philosoph Antonio Gramsci, der von Mussolini in den Tod getrieben wurde, ist hier begraben.
Und jetzt auch: Andrea Camilleri, der aus Sizilien stammende italienische Bestseller-Autor, der vergangene Woche im Alter von 93 Jahren starb.
Noch fehlt der Grabstein, doch schon am frühen Morgen pilgern seine Bewunderer und Freunde auf das Grab, das eigentlich noch keines ist: nur festgestampfte Erde.

Ein Olivenbäumchen steht hier. Jemand legte Zigaretten hin, damit der Kettenraucher Camilleri im Jenseits nicht darben muss. Doch ans Jenseits glaubte Camilleri nicht.
Ein Glas mit seiner geliebten Orangen-Marmelade begleitet ihn, ebenso ein „Arancino“, eine kleine Orange, die keine Orange ist. „Arancini“ sind gefüllte und frittierte Reisbällchen, eine traditionelle sizilianische Speise. Sie werden in konischer Form mit Safranfäden zubereitet. Kommissar Montalbano liebt sie über alles.
Eine Romina gab ihm einen Brief mit auf seine letzte Reise.
Eine Glasgefäss steht hier. Es enthält Meereswasser und Muscheln von den südlichen Gestaden Siziliens. Dort, nahe von Agrigento ist Camilleri geboren, und dort im Fantasiestädtchen Vigàta spielen seine Kriminalromane.
Auch ein Büchlein wurde dem jetzt Verstorbenen mitgegeben: „Le polpette al pomodoro“ des Dichters Umberto Saba, der das Leben der einfachen Leute beschrieb („Deine Mutter verbrachte zwei Drittel ihres Lebens in der Küche“). Camilleri verehrte Saba.
Zwei junge Frauen stehen am Grab. Sie rezitieren laut aus Camilleris Buch „Der Tanz der Möwe“. Die Anwesenden hören zu und klatschen. Der Bürgermeister von Porto Empedocle, einem Städtchen bei Agrigento, wo Camilleri aufwuchs, schickte einen Kranz.
„Nicht-katholischer Friedhof“
25 Millionen Bücher hatte Camilleri Zeit seines Lebens verkauft. Jetzt, nach seinem Tod, kommen Zehntausende dazu. Kaum eine Buchhandlung in Rom, die seine Kriminalromane nicht in den Schaufenstern präsentiert. „Seine Bücher gehen weg wie warme Brötchen“, sagt ein Buchhändler in der Libreria Feltrinelli am Largo Argentina. Noch immer ist Camilleri Tagesgespräch. Alle namhaften Zeitungen publizierten Sonderbeilagen.
Der Friedhof, auf dem Camilleri jetzt liegt, heisst auf Deutsch „Protestantischer Friedhof“. Das ist nur halbrichtig, denn nicht nur Protestanten liegen hier. Die italienische Bezeichnung „Nicht-katholischer Friedhof“ (Cimitero acattolico) bringt es näher. Hier sind neben Protestanten Nicht-Katholiken begraben, viele Juden und Orthodoxe – und vor allem jene, die mit der Kirche nichts zu tun haben wollten. So wie Camilleri.
Beerdigung nur bei Nacht
Schon im 17. Jahrhundert wurden hier „Sünder“ begraben, oder besser: verscharrt: Prostituierte, Selbstmörder, Gelehrte und Kirchenkritiker. Der Friedhof selbst entstand 1821. Damals gehörte Rom zum Kirchenstaat und der Papst war Herrscher über die Stadt. Nicht-Katholiken wurde es verwehrt, in Rom die letzte Ruhe zu finden. So baute man ausserhalb der Stadtmauern diesen Friedhof. Doch auch hier durften Beerdigungen nur nachts durchgeführt werden. Man sah es nicht gern, wenn Nicht-Katholiken mit nicht-katholischen Riten beigesetzt wurden. Zudem war es verboten, Kreuze aufzustellen und Grabsteine mit Inschriften anzubringen.
Vor allem Ausländer liegen hier: viele Amerikaner, Engländer, Deutsche, Griechen, Schweden, Rumänen und Russen: Schriftsteller, Dichter, Diplomaten Politiker, Maler, Gelehrte, Archäologen, Schauspieler, Tänzerinnen und Journalisten.
Zweifellos ist der schattige Friedhof, der von einer hohen Mauer umgeben ist, einer der schönsten und geheimnisvollsten Orte Roms. Auf den Grabsteinen sonnen sich immer wieder „wilde“ Katzen, die hier von Freiwilligen verwöhnt werden. Der Friedhof liegt direkt neben der 36 Meter hohen Römer „Piramide Cestia“ (Pyramide des Caio Cestio). Heute wird der Cimitero acattolico von Privaten verwaltet und gepflegt, vor allem von zwei amerikanischen Ladies, die seit Jahrzehnten in Rom wohnen.
Gramscis Nachbar
Andrea Camilleri liegt in der gleichen Reihe wie Antonio Gramsci. „Das ist Zufall“, sagt eine amerikanische Friedhofbetreuerin. Gramsci war ein scharfer Kritiker des Faschismus. Obwohl er Abgeordneter war und Immunität genoss, sperrte ihn Mussolini zehn Jahre ins Gefängnis. Diese Zeit setzte ihm gesundheitlich und moralisch derart zu, dass er ein Jahr nach der Freilassung mit 46 Jahren starb.
Der jetzt Verstorbene hatte viel mit Gramsci gemein: vor allem seine Auflehnung gegen Tyrannen und überhebliche Herrscher. Camilleri wäre wohl stolz, dass er nur wenige Meter von Gramsci entfernt liegt – und umgekehrt.
Soviel Leben auf diesem Hof des Friedens! Da liegen die Bücher, in denen zu lesen sich wirklich lohnt, weil sie zutiefst menschlich sind. Wunderbarer Beitrag, danke.