3.-5.5.2017 – Meine Katzen sind tot
3.5.2017
Nach dem Feiertag, der auf den Sonntag gefolgt ist, muss der Dienstag ein doppelter Montag gewesen sein. Nur so kann ich die Serie von Misserfolgen verstehen, die damit zu Ende war, dass ich Schaufel und Spaten hingeschmissen und den vollen Schubkarren stehengelassen habe.
Ich wollte jetzt, wo es doch Mai ist, pflanzen und säen. Dafür das abgedeckte Gras wegräumen. Das schaffe ich nicht, ist zu schwer. Dafür brauche ich eine Maschine oder – und einen Mann. Meine Geräte lasse ich erst mal stehen.
Will mich am Essigbaum und am schwarzen Holunder, die ich letztes Jahr gepflanzt habe, aufbauen und finde die neuen Triebe, über die ich mich vor zwei Wochen so gefreut habe, erfroren. Der Zierapfel, der keine Wurzeln mehr hat, steht noch da, wo ich den braunen Wacholder inzwischen aufgegeben habe. Das waren die Wühlmäuse. Wie bei den Rosen am Haus. Da sind nun auch die Mohnpflanzen verschwunden, die ich auf dem Kompost gefunden und umgepflanzt habe. Wie die frisch eingesetzten Primeln. Wie die Sonnenblumen.
Meine Freundin sagt: du brauchst wieder Katzen!
Katzen. Auch das noch. Bin ich doch froh um jeden Tag, an dem ich nicht an die Katzenkatastrophe denken muss und meine schönen Tiere nicht mehr so schwarz glänzen, sondern in stumpfem Grau verschwinden. Es war zu schlimm. Es ist jetzt zwei Jahre her.
Ein Jahr zuvor hat Charly, mein schwarzer Kater, um Hilfe gerufen, als ich gerade an der Ostsee angekommen war.
12.8.2014„Ich kann Charly nicht sterben lassen, ohne ihn zu sehen.“ Das war die Entscheidung für ein Leben mit einer dreibeinigen Katze. Mein Charlyman.
Als ich abends vom Strand komme, um die Sachen für die Nacht zu holen, schalte ich das Handy an: zweimal aus dem Garten, der Nachbar, der die Katzen versorgt. Ich rufe zurück. Charly ist schwer verletzt, mit zerstörtem, fast abgetrenntem rechten Vorderbein nach Hause gekommen. Tel Tel Tel. Amputieren oder einschläfern – mit dieser Frage gehe ich in meine erste Nacht an der Ostsee vor Poel. Die See hat mich beruhigt, die sanfte Ostsee glänzt, Lichter von Schiffen und bunte Leuchtsignale am Horizont. Sternschnuppen. Ich denke nur: Charly, Charly, Charly. Schlafen? Eigentlich gar nicht. Nur so weit wegdämmern, um mit dem Wunsch aufzutauchen, dass alles ein Alptraum gewesen ist. Ist es nicht. Auch beim sechsten, siebten Mal nicht. Ach Charly. Was soll ich tun? Willst du ein geschenktes Leben? Das werde ich nie wissen. Aber ich weiß, dass ich dich nicht sterben lassen kann, ohne dich zu sehen.
Übermorgen hole ich dich aus der Klinik und lasse dich leben. Jetzt hast du noch sechs. Ich nehme mir diesen Tag als letzten auf der Insel. Nehme das Schönste an, was sie zu bieten hat. Dieses Licht. Ich will nicht mehr daneben liegen wie gestern und vorgestern, wieder so neben der Spur und gegen den Strich. Die Gedanken um Charly haben mich aufgestellt.
Die Stille tut wohl. Macht die Seele weit. Ich lasse sie ausrollen und umarme sie, wenn sie groß und weit zu mir zurückläuft.
Ein Jahr ist Charly mit drei Beinen gut zurecht gekommen, konnte hinaufspringen, wo er wollte. Nur das Mäusefangen funktionierte mit der einzigen Vorderpfote nicht mehr. Da hat ihm Woopi, seine Schwester geholfen. Sie gab ein Lautzeichen, wenn sie mit einer Maus heimkam, und dann haben sie die zusammen gefressen. Auch die vergiftete. Charly haben wir nach ein paar Tagen beim Nachbarn gefunden, unversehrt und aufgebläht. Ich habe ihn am Bach begraben, wo er so oft auf Frösche gelauert hat. Das musste ich zweimal machen, beim ersten Mal hat ein Fuchs ihn wieder ausgegraben. Den Stein, den ich dann auf sein kleines Grab gelegt habe, kann ich jetzt wieder wegräumen. Woopi ist zum Sterben verschwunden. Ihr letzter fragender, verständnisloser Blick zu mir herauf tut mir immer noch weh.
4.5.2015Lieben möchte ich nur, was keine Beine hat. Alles andere halte ich nicht aus.
Wo ist Charly. Woopi ist ihn suchen gegangen und nicht wiedergekommen. Nur mein Hund ist noch da.5.5.2015ihr seid gekommen
ihr seid gegangen
ihr wart so unwirklich schön
danke
dass ihr in meinem Leben gewesen seid
Ich habe euch lieben dürfen12.5.2015Das habe ich geschrieben ein paar Stunden, bevor ich Charly tot fand. Es muss Gift gewesen sein.
Eine vergiftete Maus genügte für beide, haben sie doch immer zusammen gefressen, seit Charly mit seinen drei Beinen nicht mehr selbst fangen konnte.
Als ich ihn bei den Fröschen begrabe, weiß ich, dass auch Woopi nicht mehr wiederkommen wird. Sie hatte schon tagelang nichts gefressen, sich am Sonntag in die Decke auf dem Sessel gerollt und mich immer, wenn ich vorbeiging, – flehend – angeschaut. Als sollte ich ihr helfen. Aber vom Arm riss sie sich los, sprang wild über eine Tisch und Stühle mit einem Zucken im Körper. Dann ist sie gegangen. Nicht wiedergekommen.Gestorben.
Ich habe sie so liebgehabt, die beiden. Sie haben mich immer mehr erobert, überzeugt, an sich gewöhnt.
Ich habe noch nie soviel geweint. Und Yalla heult.
Gestern, als wir nach ein paar Stunden wieder hierher gekommen sind, hat sie gewimmert. Manchmal bin ich leergeweint.
Es fehlt soviel Leben, bei Tag und bei Nacht. Und die Freude am Morgen, den wir miteinander begonnen haben. Geschenke im Überfluss. Es ist noch ein weiter Weg, bis ich danke sagen kann, jetzt wo es wahr ist, dass sie sterben mussten.29.5.2015Vorne die Mais-Mafia, hinten toter Wald, wie ihn der Tornado zurückgelassen hat.
Es gibt in dieser Welt keine Inseln für das Leben und für die Liebe. Da habe ich mir etwas vorgemacht von wegen „in die Büsche geschlagen“. Ganz geheuer war mir das nicht, aber dass dieser Wunsch so explodieren muss. Mit einem Schlag ist das Morden mittendrin und das „Paradies“ eine Hölle.
Augenblicklich war klar, dass ich nach dieser Todesart nie mehr Katzen haben würde. Nie mehr die Zärtlichkeit in mir aufsteigen fühlen beim Streicheln über diese wunderschönen weichen Körper. Nie mehr die Freude am Morgen, wenn meine großen Füße ihren vielen leichten Schritten folgen ins Haus, wo uns der Hund schon entgegenkommt und uns drei freudig empfängt. Nie mehr das Schnurren an meinem Bauch die eine oder andere Stunde in der Nacht.
Ich darf und will keine Katze hierher holen, wo ich jetzt weiß, wie da der Tod ausgeteilt wird. Mit welchen Qualen. Es ist kaum auszuhalten, wie weh es tut, dass ich sie davor nicht habe beschützen können.
Wenn ich wieder Katzen holen würde, müsste ich immer Angst haben, wenn sie mal, wie es ihre Art ist, länger unterwegs sind. Das kann ich nicht machen.
Ich will nicht noch einmal erleben, wie ich ein geliebtes Leben nicht beschützen kann.30.5.2015Besänftigen ist ein gutes Wort. Besänftigung spüre ich jetzt manchmal von oben. Wenn ein Wind über meine Haut streicht und die Stimmen der Vögel ihr Netz um meine Ohren spannen. Dass ich das wieder erleben kann, habe ich mir vor einer Woche noch nicht vorstellen können. Jedem, der Paradies sagte, habe ich mit Hölle geantwortet.
„Die Welt könnte so schön sein, wenn die Menschen nicht wären“. Sagt der Nachbar. Für uns, die wir in der Zeit leben, wo wir sehen, wie der Mensch Leben vernichtet, ist es schwer. Eine Insel gibt es nicht, und für den Kampf gegen das Morden fehlen mir Glaube und Kraft. Ich kann keinen Ausweg sehen, und der volle Kühlschrank ist eine Drohung, der leere ein Trost. Es muss nicht weitergehen. Ich habe diese ganze Woche kein Geschäft betreten.
Aber die Hände. Ihnen muss ich noch die Sehnsucht nach Zärtlichkeit abgewöhnen, die von den Katzen durch sie in mich geflossen ist und mich so ganz mit Wärme erfüllt hat.
Dass dieser Ort das verbietet, weil ich Lebendiges nicht in die Falle bringen kann, bleibt bitter. Als ich dieses Gefühl umarmender Wärme zum letzten Mal hatte, war es eine Verwechslung. Es ist ein schwarzer Kater auf dem Feld, wo mein Katzenmädchen immer vor Mauselöchern saß. Es ist ein Augenblick allergrößten Glücks: sie ist da! Der Augenblick dauerte eine Sekunde. Da sprang die Katze in großen Sätzen zum nächsten Haus. Es war Balu.31.5.2015Kein Ort für Katzen, wo sie sich so leicht den Tod holen.
1.6.2015Jetzt ist es einen Monat her, dass Charly nicht mehr wiedergekommen ist.
An dem 1. Mai, wo es pausenlos und viel geregnet hat, so dass keiner in seinen Garten kam und eine Hütte auf und mit Katze darin wieder zugeschlossen hätte. Das war Freitag. Am Sonntag ging Woopi und kam nicht wieder. Am Dienstag haben wir Charly gefunden. Unverletzt mit aufgeblähtem Bauch. Vergiftet. Augenblicklich wusste ich, dass mein Leben mit Katzen vorbei war. Dass ich die Zärtlichkeit, die ich mit ihnen leben durfte, dieses tägliche und nächtliche Geschenk, nie mehr spüren werde. Meine Hände bleiben übrig davon.
Und dann der Mai mit allem, was dazugehört bei jedem Verlust von Leben: der Schmerz, Nicht- Einschlafen-Können und Nicht-Aufwachen-Wollen mit diesem Schmerz. Hass auf Leben, das einfach lebt, als sei es selbstverständlich. Wut auf Menschen, die Leben vernichten. Und immer wieder der Schmerz-Schock. Und als er schwächer wird, der Angst-Schock, die Erinnerung könnte schwinden. Könnte sich entfernen. Dann schon lieber Schmerz als keine Erinnerung.
Unter allem die Entwertung durch Verlassensein. Dagegen arbeiten, ganz viel machen wollen, was weitgehend sinnlos ist und oft misslingt. Wieder einmal muss ich ganz unten anfangen mit meinem Leben.
Euer Fehlen wird immer ein Loch, ein Riss in meinem Herzen sein.
Heute – wieder 2017 – habe ich mit einem zweiten Anlauf – den ersten hat ein Regenguss umgedreht – einen Weg durch den Wald genommen, den ich noch nie gegangen bin. Ein ganze Strecke wusste ich nicht, wo ich herauskommen würde. Und ich finde es toll, dass ich hier immer noch solche Entdeckungen mache. Wieder zurück im Garten gehe ich an den Bach, denke, dass ich die Weiden anbinden muss, die da umfallen, weil rundherum geräumt worden ist.
Ob ich es schaffe, das: Jetzt-erst-recht! – ? Heute nicht, vielleicht morgen.
mit einer kleinen leisen Vogelstimme
verklingt
der letzte Glockenton
um neun Uhr
ist der Tag zu Ende
Und ich kann nicht ins Haus gehen bevor ich das nicht gehört habe.
4.5.2017
Um Mitternacht ein gewaltiger Schuss. Die Stille danach ist eine andere als die Stille davor. Um acht heulen Hunde mit der Sirene.
Die großen Gänse schreien viel lauter als die Enten, als sie über mich weg fliegen.
Die Nacht war feucht. Beim Einschlafen hatte ich kleine Wolken vor der Nase. Beim Aufwachen den Kuckuck im Ohr.
Paul zieht heute in ein Hospiz um. Es ist ein Platz frei geworden. Vielleicht kann ich ihn dort noch einmal besuchen. Mir wäre es wichtig, auch wenn ich mich an das Fehlen der Gespräche mit ihm mittlerweile gewöhnen musste. Für ihn kann ich nicht mehr wichtig sein.
Aber für Mamadou. Er schreibt, dass er unbedingt Geld braucht für Medikamente und Essen. Ich merke, wie mein Entschluss, nicht mehr als 200 € im Monat zu schicken, wackelt. 100 € hat er schon vom Mai. Mit den 100 von heute wird er nicht bis zum Ende kommen.
Und Aminata wird im Juni entbinden. Accoucher. Das hat auch PONS verstanden.
5.5.2017
Schlaflos vor Zahnschmerzen. Ist es so weit? Gebe ich den ersten Zahn her? Davor habe ich immer Angst gehabt, Alpträume auch.
Beim der letzten Entzündung meinte der Zahnarzt: „Wenn das wiederkommt, dann tu mer net lang rum. Is ja der letzte ganz hinten, ohne den geht’s genauso.“ Heute also.
Als es dann soweit war, war es auch gleich vorbei. Der Zahn mit seiner goldenen Krone ist raus. Mir geht es besser als vorher. Die Schmerzen werden noch einmal kommen und dann wieder gehen. Inshallah.
Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de