16.-22.7.2017 – Naantali

16.7.2017

Zurück bei den Freunden werde ich gefragt, wo ich gewesen sei. Ich erzähle rückwärts bis Uusikaupunki und lerne jetzt, dass Uusikaupunki „Neustadt“ heißt.
Und warum ich nicht in Naantali gewesen bin, es sei doch so einzigartig, so unverzichtbar. Ein schwerer Fehler.
Ich schäme mich einmal wieder über meine Verfahrerei und will den Fehler korrigieren.

19.7.2017

Also Naantali und einmal noch saturday night.
Wir machen einen langen Rundgang, ich schaue in Galerien und Geschäfte, die auch manchmal kleine Galerien sind, und inhaliere Finnisches. Es ist der richtige Ort, um an Mitbringsel zu denken, feine kleine Dinge, die es nur in Finnland gibt. Und was könnte mein Andenken sein? Etwas, das ich mir gewünscht und nie gesehen habe: ein Elch! Das weiß ich, als ich ihn klein und weich in einem kleinen Kiosk hängen sehe. Der muss mit! Ich  freue mich wie ein Kind und klemme den Elch zwischen Rückspiegel und Frontscheibe, über die Spiralen der Wellhornschneckenhäuser, die – auf meiner Insel gesammelt – da schon seit Jahren mit mir fahren und jedes Saubermachen überstanden haben. Da gehört er hin.

Zufrieden suche ich mir ein Restaurant an der Promenade am Yachthafen aus und hole mir ein Bier.

Yalla steckt ihren schwarzen Kopf durch die weißen Rauten des Betongeländers zur Promenade hinaus, schaut mal nach rechts, mal nach links. Jeder, der sie sieht, lacht und zeigt sie dem Nächsten.
Auf dem Wasser übt ein Junge einen neuen Sport: er tanzt mit einem kleinen Brett an den Füßen auf einem Wasserstrahl. Dann versucht er einen Salto, fällt ins Wasser. Beim dritten Versuch landet er wieder auf dem Wasserstrahl.
Hier bin ich unter Seglern. Sie kommen von den Booten, gehen in die Saunen, aus denen andere Segler schon herauskommen. Es ist ein ständiges Hin-und-her. Und die Restaurants füllen sich.
Ein Finne stellt sich vor – Ari – und setzt sich zu mir an den langen Biertisch. Wir versuchen ein Gespräch, was mit Englisch und ein paar deutschen Worten schwierig ist. Ari zeigt auf die große weiße Villa gegenüber auf der anderen Seite des Hafens und erzählt, dass dort die Sommerresidenz des Präsidenten sei. Und dass er ein guter Präsident sei. Wenn er hier vorbei käme, würde er sich zu uns setzen. Dazu nickt Ari heftig. Überhaupt versucht er immer wieder, mit Gesten und Mimik und einem strengen Blick mein sichtbares Unverständnis zu überbrücken. Was leider wenig nützt.
Ich verstehe, dass er geschieden ist, eine Tochter hat, die 18 Jahre alt ist und gerade eine Abtreibung gemacht hat. Warum er’s mir erzählt, verstehe ich nicht. Als sich zwei Paare an unseren Tisch setzen, steht er auf, gibt ihnen die Hand und stellt sich vor.
Dann fangen die Finnen an zu tanzen und es wird viel gelacht.

Woran erkennt man einen Deutschen? Es ist mir gerade wieder passiert. Ich hatte ein kleines Bier bestellt. Das hat mich verraten. Soll ich mich für das kleine schämen? Hätte gern ein zweites großes getrunken, war aber nicht sicher, ob hier noch 0,5 Promille gelten oder 0,2 wie in Schweden.
Der Abend endet mit einem Feuerwerk. Nicht für den Hund. Für uns ist Schluss. Wir schlagen uns in die Büsche.

Am Morgen sind wir durch einen dichten Birkenwald zum Wasser zurückgefahren, ich habe ein Handtuch und sicherheitshalber auch den Badeanzug genommen und laufe den Weg von einem riesigen Parkplatz, der mir einen großen Strand verspricht, in Richtung See. Ein Wachmann auf einem Motorboot kommt mir komisch vor, dann stehe ich vor einem geschlossenen Zaun. Ins Wasser komme ich hier nicht. Ein Schild sagt, das hier der Staatspräsident wohnt. Es ist sein Sommerhaus. Gerade ist er nicht da, sonst würde die blaue Fahne mit dem weißen Kreuz über dem Dach flattern. Das weiß ich von Ari.

Weil ich hier nicht schwimmen kann, mache ich eine kleine Runde durch das noch schlafende Naantali. Ich begegne nur Menschen – meistens Frauen – mit Hunden, und wir grüßen uns, als würden wir uns kennen.

 © H. Tarnowski

21.7.2017

Übermorgen werde ich wieder gehen. Das kann ich schon fühlen. Das Endliche macht es leichter. Oder leicht? Als könnte man das Gelungene hinter sich werfen – nein: in die Luft werfen und fliegen lassen.

Es ist die letzte Nacht hier. Ich weiche wieder einmal vor dem dünnen fliegenden Regen zurück unter ein Dach, verlasse den Flutsaum, der noch immer sehr laut, aber schon ruhiger geworden ist. Bye, bye Bahia. Un bateau, une avion, un taxi – oder ein Auto, ein Schiff, ein Auto, ein Schiff, ein Auto.
Traurigkeit, Melancholie – ein Abschied für immer, vielleicht, wahrscheinlich. Lassen, was gut war, nichts dagegen tun, um den Schmerz zu vermeiden, dass es vorbei ist.

22.7.2017

Ich baue mein Bett wieder im Combo neben dem Fahrrad und dem Platz für den Hund.

Nichts muss entschieden werden, es wird nur eingesammelt. Es ist lächerlich leicht.


Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de