Gefühlte Wahrheiten, gefühltes Unrecht

Norbert F. Pötzls notwendige Berichtigung der öffentlichen Wahrnehmung der Treuhand

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn es um die Treuhand geht, so nimmt es die sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Petra Köpping (SPD), nicht so genau. In ihrer „Streitschrift für den Osten“ Deutschlands, 2018 unter dem Titel Integriert doch erst mal uns! erschienen, behauptet sie, die Treuhand habe im Interesse westdeutscher Unternehmen „potenzielle Ostkonkurrenz beiseite geräumt.“ So habe die Treuhand entschieden, legte Köpping in der Lausitzer Rundschau nach (Ausgabe vom 2.3.2018), eine ostdeutsche Elektrokeramikfabrik modernsten Zuschnitts schließen zu lassen und „die modernen Schweizer Maschinen und die Patente der westdeutschen Konkurrenz [zu] übergeben.“

Eine Räuberpistole, an die man in Ostdeutschland, wo Köppings Buch zum Bestseller avancierte, gern glauben mochte (und möchte). Nicht jedoch in der Redaktion des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, wo man Köppings Beispiel nachrecherchierte, um dessen Wahrheitsgehalt zu prüfen – zumal Köpping eine „Wahrheitskommission“ für die Arbeit der Treuhand gefordert und diese damit „ohne Not“ (Christian Hirte) in die Nähe von Apartheid-Regime und Völkermord in Ruanda gerückt hatte. Gegenüber dem Spiegel hatte Köpping erklärt: Das betreffende Keramikwerk „schien gut aufgestellt, doch die Treuhand erklärte es für veraltet und machte es dicht. Über Nacht verschwanden Betriebsunterlagen, Porzellan-Rezepturen, die letzten Löhne samt Tresor sowie Maschinen.“ (8.9.2018)

Erste Zweifel an dieser Darstellung äußerte Richard Schröder, Parteifreund Köppings und emeritierter Theologieprofessor, der in der letzten, demokratisch gewählten DDR-Volkskammer Vorsitzender der SPD-Fraktion gewesen war: „Und niemand hat die Kripo gerufen, als das letzte Gehalt gestohlen wurde?“

Und in der Tat war die Margarethenhütte, um die es hier geht, gar nicht von räuberischer Westkonkurrenz, die den Osten plattmachen wolle, übernommen worden. Sondern von der ostdeutschen Tridelta Keramik GmbH, die in Hermsdorf und Sonneberg ebenfalls Hochspannungskeramik produzierte – und die für die modernen Produktionsanlagen der Margarethenhütte gute Verwendung hatte. Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat der Margarethenhütte wurden die „wichtigsten Maschinen und Anlagenteile“ nach Sonneberg verlagert: „Die Entscheidung war eine rein ostdeutsche“, schreibt Norbert F. Pötzl, sie war eine Entscheidung „einer ostdeutschen Geschäftsführung, im Einvernehmen mit den ostdeutschen Mitarbeitern, mit Wissen des Betriebsrats.“ Zwei ostdeutsche Betriebe hatten fusioniert, um ihre Wettbewerbssituation zu verbessern, und die Treuhand hatte an den Beschlüssen gar nicht mitgewirkt.

Auf die Ergebnisse dieser Recherchen angesprochen, sagte Petra Köpping dem Verfasser Pötzl: Sie habe „aufgeschrieben, wie tief emotional die Geschichte erlebt wurde.“

Eine Politikerin, die sich von Emotionen leiten, aber von Fakten nicht beirren lässt, passt gut zur Stimmungslage vieler Wendekritiker, die von der zerrütteten DDR-Wirtschaft, der zerfallenden Bausubstanz der ostdeutschen Städte, den vergifteten Landstrichen zwischen Dresden und Leipzig nichts mehr wissen wollen. Die nach der Anerkennung ihrer Lebensleistung rufen, aber sich nicht eingestehen wollen, dass die Produktivität ihrer Volkswirtschaft weit unter Westniveau lag, dass die Gründung der Treuhand auf einen Beschluss der DDR-Volkskammer zurückging, dass es der Treuhand glückte, binnen fünf Jahren rund 8.500 marode „volkseigene Betriebe“ der DDR zu privatisieren, dass zahllose westdeutsche und viele ostdeutsche Investoren Leidenschaft und Risikobereitschaft zeigten, diese Betriebe wieder flottzumachen: „Beim Verkauf von rund 3.000 kleineren und mittelgroßen Betrieben an leitende Mitarbeiter […] kamen fast durchweg ostdeutsche Manager zum Zug.“ Nur um große Unternehmen zu erwerben, fehlte den Ostdeutschen zumeist das Kapital.

An die Emotionen der Familie Rohwedder denkt Petra Köpping nicht, wenn sie – mit Staatsamt – Stimmung gegen das Staatswesen macht, dem sie zu dienen sich entschlossen hat – und auch nicht an die Gefühle der Mitarbeiter der Treuhand, die in einer schwierigen Umbruchsphase schier Übermenschliches geleistet haben. Nicht gewürdigt wird die Arbeit der Unternehmer, die mit glücklicher Hand im Osten tätig wurden – oder aber infolge der Währungsunion und der zusammenbrechenden Ostexporte scheiterten. Kaum ein Wort wird verloren über die Aufbauleistung der Telekom oder der großen Discounter, die in Windeseile handelten, und der zahllosen Arbeitnehmer, darunter viele Westdeutsche, die ihren Solidaritätszuschlag seit dreißig Jahren geduldig und wohlwollend entrichten, um eine Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West zu ermöglichen.

In Pötzls Darstellung kommen freilich auch die Schattenseiten der Mammutaufgabe der Treuhandanstalt nicht zu kurz; so thematisiert er beispielsweise die kriminelle Energie alter DDR-Seilschaften, die sich auf Kosten der Treuhand zu bereichern suchten. Der wohl größte Betrugsfall um die Firma Wärmeanlagenbau Berlin wird ebenso aufgerollt wie der Subventionsbetrug der Bremer Vulkanwerft. Die „Stabsstelle Besondere Aufgaben“ der Treuhand, die zur „Bekämpfung vereinigungsbedingter Wirtschaftskriminalität“ eingerichtet werden musste, bearbeitete insgesamt 1819 Vorgänge, von denen allerdings die allermeisten schon im Prüfverfahren eingestellt werden konnten, weil sich Verdachtsmomente nicht erhärten ließen – angesichts von rund 40.000 Privatisierungsverfahren insgesamt ein überschaubarer Rahmen. Dennoch hat das Thema „sein Erregungspotential ungeschmälert behalten“: die Leute glauben, was sie glauben wollen, und die Emotionen können sich, „ohne allzu große Rücksicht auf die Tatsachen“ zu nehmen, weiterhin ungehemmt „austoben“ (Richard Schröder). 

Das Scheitern ihres Gesellschaftsentwurfes ist für viele ostdeutsche Politiker, offensichtlich auch für Petra Köpping, zum „Komplex“ geworden. Sie tragen dazu bei, dass auch die Arbeit der Treuhand als komplexbeladen erscheint. Norbert F. Pötze plädiert in seiner ausgezeichneten Darstellung dafür, statt Emotionen Fakten sprechen zu lassen.

Titelbild

Norbert F. Pötzl: Der Treuhand-Komplex. Legenden. Fakten. Emotionen.
Kursbuch Kulturstiftung, Hamburg 2019.
254 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783961960651

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch